Auf dem Marktplatz finden sich zwanzig bis dreißig Personen ein. Sie gehören zur Jungen Alternative, dem Kreisverband und dem Landesvorstand der AfD. Sie kennen sich. Sie haben sich in den letzten anderthalb Jahren auf Dutzenden dieser Demonstrationen getroffen. Nur zwei Personen gehören nicht zum Zirkel: Ein Bundestagsabgeordneter und eine zufällige Passantin, die den Abgeordneten fragt, was da veranstaltet werde. „Eine Kundgebung der AfD“, ist die Antwort. „Ach, die habe ich auch gewählt, aber es hat ja nichts geändert“, gibt die Frau zurück und geht.
Die üblichen Verdächtigen haben den Dialog nicht mitbekommen. Sie hatten mit ihren Reden und ihren Smartphones zu tun. Auf den Fotos, die nach jeder Demo gepostet werden, sind immer die gleichen Gesichter. Und es sind immer Bilder von der Rednerbühne oder Selfies; die Fassade der Social Media-Parallelwelt soll keine Risse bekommen.
Man hat sich eingerichtet. Wie sehr, das wurde Anfang April auf dem Landesparteitag der AfD Brandenburg in Prenzlau deutlich, wo unserem Programm für eine möglichst rasche Machtbeteiligung („Für einen starken Landesverband“) mit einem lauten „Wir sind Fundamentalopposition!“ widersprochen wurde. Mit anderen Worten: Wir sprechen von einem Landesverband der AfD, in dem die Mehrheit des Landesvorstandes und seiner Unterstützer den Machtanspruch der Partei verneint. Das ist bemerkenswert, verrückt und – denkt man einen Moment darüber nach – erhellend.
Der Begriff „Fundamentalopposition“ ist ziemlich neu; im Grimmschen Wörterbuch kommt er nicht vor. Analog zu anderen Wortzusammensetzungen mit „Fundamentum“ (lat. = Grundlage) beschreibt er eine auf die Grundlagen des staatlichen Handelns gerichtete Opposition.
Ohne Fundamentalopposition wird kein Land vom Kopf auf die Füße gestellt; exekutive Macht allein schafft keine tiefgreifenden Veränderungen. Das veranschaulicht die Präsidentschaft Donald Trumps, der schon vor ihrem offiziellen Beginn und bis zu ihrem skandalbegleiteten Ende von einem feindlich gesonnenen Establishment enge Fesseln angelegt wurden.
Noch stärker als die strukturellen und organisatorischen Gegebenheiten bestimmen ihre geistigen Voraussetzungen staatliches Handeln. Hier ist das eigentliche Gebiet fundamentaloppositioneller Arbeit. Die Bibliothek des Konservatismus, die Desiderius-Erasmus-Stiftung oder das Institut für Staatspolitik sind Adressen für die Fundierung alternativer Politik für Deutschland. Dort hat die Fundamentalopposition ihren Platz – aber nicht in einer Partei.
Eine politische Partei hat nur eine Aufgabe: Politische Macht zu gewinnen, um ihre Ziele zu erreichen. Das ist wohlbemerkt nicht gleichbedeutend mit einer Regierungsbeteiligung; Veränderungen sind auch aus der Opposition möglich, allerdings nur, sofern diese Opposition Macht hat.
So hatte beispielsweise die SPD über ihren Einfluß auf Gewerkschaften und Medien auch in den Adenauer-Jahren genügend Macht, um zumindest die sozialpolitische Ausrichtung der Bundesrepublik zu beeinflussen. Und die Grünen bestimmen ganz unabhängig von einer Regierungsbeteiligung seit mehr als 20 Jahren die politischen Entscheidungen im Bund. Das gelingt ihnen, weil sie nach der Entledigung ihres ÖkoPax-Flügels nicht mehr nur Liebling der Medien, sondern des gesamten Establishments sind.
Ganz anders liegen die Dinge bei der AfD, die mit jedem Jahr nicht weniger, sondern mehr geächtet und von jeder Teilhabe ausgeschlossen wird. Ihr fehlt die Macht, die Politik in Deutschland auch aus der Opposition heraus verändern zu können. Um den cordon sanitaire zu durchbrechen, braucht sie – Macht, und zwar eine spür- und sichtbare Macht, wie etwa die Duldung einer oder die Beteiligung an einer Landesregierung.
Eine solche Macht könnte das Tabu zerbrechen und eine Dynamik auslösen, die die AfD weit mehr als heute zu der Partei werden ließe, die sie ihrer Anlage nach ist: zur Volkspartei. „Macht ist ein Vermögen, welches großen Hindernissen überlegen ist“, sagte Kant. So ist es, und deshalb steht die AfD mehr als jede andere Partei in der Pflicht, nach Macht zu streben.
Die bislang erfolgreichsten und wirklicher Macht am nächsten gekommenen Landesverbände in Thüringen und Sachsen werden als geschlossen wahrgenommen und fallen nicht durch Skandale, sondern durch Konstruktivität und – denken wir an die Wahl von Thomas Kemmerich zum Thüringischen Ministerpräsidenten – Originalität auf. Fundamentaloppositionelle Überzeugungen und eine dezidiert alternative Politik lassen sich durchaus mit sachpolitischer Gründlichkeit und Konstruktivität einer Volkspartei vereinbaren. Unter „Volkspartei“ verstehen wir hierbei ganz konventionell eine Partei, die von breiten Wählerschichten getragen wird und ein breites Themenspektrum bearbeitet und sich durch beides von einer „Protestpartei“ unterscheidet.
Auch in Brandenburg hat die AfD dort den größten Erfolg, wo sie mehr Volks- als Protestpartei ist. 2016 erreichte Marian von Stürmer als Bürgermeisterkandidat in Lübbenau 34,4 Prozent, 2018 Steffen Kubitzki als Landratskandidat im Spree-Neiße-Kreis 39,2 Prozent, Daniel Münschke als Bürgermeisterkandidat in Guben 44 Prozent, 2021 Michael Hanko in Spremberg 39,6 Prozent der Stimmen. Alle diese Kandidaten sind lokal gut vernetzt und angesehen.
Besonders eindrucksvoll sind die – viel zu wenig beachteten – Erfolge der AfD in der Südbrandenburgischen Stadt Forst. Ohne sich vorzudrängen, unterstützt die Forster AfD die Montagsspaziergänge sowie die Forster Stadtgespräche, die von lokalen Gewerbetreiben organisiert werden und zumeist eine dreistellige Besucherzahl haben. Und in der Stadtverordnetenversammlung von Forst stellt eine Allianz aus AfD, Freien Wählern und Freien Linken, die sich um ihren Ausschluß aus der Linkspartei nicht kümmern, die Mehrheit. Geerdet, konstruktiv und sympathisch: Wenn die Brandenburger AfD irgendwo die Züge einer Volkspartei hat, dann in Forst. Nur ist Forst nicht die Brandenburger Regel, sondern ihre Ausnahme.
Von der Prignitz bis nach Cottbus haben sich Kreistags- und Kommunalfraktionen zerstritten und gespalten. Oftmals fehlt es ihnen an moralischer und fachlicher Unterstützung, und manches Mal auch an Verantwortungsbewußtsein. Hier Abhilfe zu schaffen, ist die vielleicht dringendste Aufgabe der Brandenburger AfD. Denn in der Kommunalpolitik entscheidet sich, ob die AfD eine Volkspartei wird – oder nicht.
In den Kommunen und Kreisen sind die Mauern um die AfD am niedrigsten. Hier zählt Glaubwürdigkeit, hier kann die AfD das Framing widerlegen und Vorurteile abbauen. Hier geht es um Sachfragen, hier hat die Politik das Gesicht des Nachbarn. Hier ist als Fundamentalopposition nichts, aber als Volkspartei viel zu gewinnen. Das werden die Kommunal- und Landtagswahlen des Jahres 2024 erweisen – so oder so.
Eine isolierte Protestpartei, die im Osten bei 20 Prozent und im Bund bei 10 Prozent verharrt, wird das Land nicht ändern. Und selbst mit einem weit höheren Stimmenanteil stabilisiert eine isolierte AfD die Zustände mehr als sie diese ändert, indem sie die Unzufriedenheit kanalisiert und in der Wirkungslosigkeit versickern läßt.
Protest kann der erste Schritt zu Veränderungen sein und gehört deshalb unbedingt zum Repertoire der AfD. Protest zu artikulieren ist aber nur der kleinere Teil des Wählerauftrags. Der wichtigere Teil lautet: Verändere! Beende die Verachtung des Eigenen, sorge dafür, daß die natürlichen und historischen Gegebenheiten geachtet werden, sorge für sichere Grenzen, sorge für ein soziales Miteinander. Mach es anders als die Staatsparteien von CSU bis Linke, sei die Alternative FÜR Deutschland!
Auf dem Weg dahin hat die AfD den Altparteien gegenüber nur ein Pfund, mit dem sie wuchern kann: die Glaubwürdigkeit ihrer Mitglieder. Sie wird nicht durch die Unterstellungen des Verfassungsschutzes gefährdet, der allerdings die Prekarisierung der AfD fördert, sondern durch den Dünkel einiger Funktionäre den Bürgern gegenüber. Dieser Dünkel und eine Entfremdung vom gewöhnlichen Leben rauben der AfD jede Glaubwürdigkeit.
Das Übermaß von Selfies in den social-media-Auftritten vieler Funktionäre mag man belächeln, aber es ist nicht lustig und allzu leicht kann Abgehobenheit vom Normalo zur Überheblichkeit werden. Nicht wenige in der Partei überschätzen die eigene Bedeutung.
Glaubwürdigkeit ist das wichtigste Guthaben der AfD auf dem Weg zur Macht. Das ist auch die Antwort auf alle ehrlichen Bedenken zu dem von uns vertretenen Machtanspruch. Gewiß, Macht kann korrumpieren. Aber Machtlosigkeit nicht minder, und als Abgeordneter einer Partei ohne politische Verantwortung kann man es sich besonders gut gehen lassen. Wer als Mitglied der AfD die Machtoption verneint, verhält sich nicht moralisch, sondern verantwortungslos.
Nicht Macht oder Ohnmacht ist ausschlaggebend, ob sich jemand korrumpieren läßt, sondern der Charakter. Es ist absurd, von einer Partei zu verlangen, den Gefahren der Macht durch Machtverzicht zu entgehen. Die AfD entgeht ihnen durch Anstand, Festigkeit und gutes Miteinander. Die Partei ist nicht glaubwürdig, wenn sie sich um nutzlose oder gar scheinheilige Prinzipien schert, sondern dann, wenn ihr Bemühen aufrichtig und verantwortungsbewußt ist. Ist es das, können wir uns Bismarcks hartem Urteil anschließen: „Prinzipien haben heißt, mit einer Stange quer im Mund einen Waldlauf machen.“
Man mag sich wundern, daß es überhaupt in einer Partei Streit über die Frage „Fundamentalopposition oder Machtoption“ geben kann und daß dieser Streit gerade in einem Landesverband ausgetragen wird, auf den der frühere Landesvorsitzende – bekanntermaßen ein Machtpolitiker – noch immer Einfluß hat. Und vollends absurd muß es erscheinen, daß ausgerechnet die Mehrheit im Landesvorstand und ihre Unterstützer in diesem Streit die Fundamentalopposition vertreten.
Der Widerspruch ist nur scheinbar vorhanden und löst sich bei Berücksichtigung der unterschiedlichen Akzente von „Macht“ auf. Neben der allgemeinen Gestaltungsmöglichkeit, also den inhaltlichen Zielen der Machtausübung, um die es uns hier geht und um die es einer Partei ausschließlich gehen sollte, bezeichnet der Begriff „Macht“ in der Politik auch immer konkrete persönliche Verhältnisse, also den Besitz von und das Streben nach persönlicher Vorherrschaft.
Die programmatischen Schnittmengen innerhalb der AfD sind sehr groß. Die Grundsätze: Bewahrung unserer Identität als Deutsche und Europäer, nationalstaatliche Souveränität, Verteidigung der freiheitlichen Demokratie sind zwischen den Mitgliedern im Westen und im Osten unumstritten. Wir haben gesehen, wie sich Jörg Meuthen und Andreas Kalbitz über Jahre prächtig verstanden und wie sich auf dem Dresdner Parteitag 2021 Beatrix von Storch und Björn Höcke im Nu über ein Einwanderungsmodell nach Japanischem Vorbild verständigen konnten. In Brandenburg sind die inhaltlichen Schnittmengen womöglich noch größer als in der AfD generell.
Offenkundig haben die meisten, wenn nicht alle Kämpfe und Lagerbildungen in der AfD und namentlich in Brandenburg nichts mit politischen Konzepten zu tun, sondern ausschließlich mit dem Streben nach persönlicher Macht und nach Vorherrschaft des eigenen Lagers. Im Kampf der Lager wird alles Mögliche zur Maskierung dieses sehr persönlichen Machtstrebens herangezogen – zur Not auch an den Haaren, wie bei der Beschwörung einer vermeintlich fundamentaloppositionellen Aufgabe der AfD, nur um der Mahnung widersprechen zu können, die Partei für eine Machtbeteiligung fit zu machen.
Dieser Widerspruch gilt in Wirklichkeit nicht dem Anliegen, dessen Berechtigung ernsthaft niemand bestreiten kann, sondern denen, die es vortragen. Dem auf persönliche Macht fixierten Lagerdenken ist der parteiinterne Triumph wichtiger als der Triumph über den politischen Gegner außerhalb der Partei.
Nicht die Beobachtung durch den Verfassungsschutz, nicht das mediale Framing, nicht die Ausgrenzung durch den Block der Staatsparteien machen das Elend der Partei aus, sondern eine unaufrichtige, intrigante und auf Eigennutz beschränkte Lagermentalität. Sich mit ihr – im Wortsinn – auseinanderzusetzen, ist das Gebot der Stunde. Können wir diese Mentalität zurückdrängen, muß uns um die Zukunft der AfD nicht bange sein. Können wir es nicht, hat die AfD keine Zukunft verdient.
kikl
Es ist zwar richtig, dass man die vom Staatsfunk und der neuen Stasi erzeugte Angst und die Vorurteile am besten im direkten Kontakt mit den Menschen, also auf kommunaler Ebene, brechen kann. Es gilt aber sich nicht nur zu verteidigen vor falschen Verdächtigungen sondern die AFD muss auch angreifen.
Die Glaubwürdigkeit von Stasi und Staatsfunk muss beschädigt werden. Wird diesen Institutionen nicht mehr geglaubt, dann wird die Diffamierung wirkungslos.
Um die Glaubwürdigkeit dauerhaft zu erschüttern, muss man solide und aufgrund nachweisbarer Fakten darstellen, dass diese staatlichen Institutionen im politischen Meinungskampf durch die Altparteien missbraucht werden. Das Verhalten von Staatsfunk und Stasi während der letzten zwei Corona-Jahre liefert zahllose Beweise dafür.