Gunnar Kaiser schmückt seinen Youtube-Kanal mit dem Hashtag #ichmachdanichtmit, einem Leitspruch also, der unserem sezessionistischen „etiam si omnes, ego non“ ziemlich ähnlich ist.
In der Vergangenheit hat Kaiser scharfe Kritik an der Identitären Bewegung geübt, die er als seitenverkehrtes Gegenstück zu den ebenfalls von ihm attackierten linken „SJWs“ (“Social Justice Warriors”) hinzustellen versuchte, nach dem beliebten Strickmuster: „Hier die linken, dort die rechten Kollektivisten und Etatisten, und ich in der vernünftigen liberalen Mitte“.
Im Gegensatz zu anderen Vertretern dieser Sparte scheut er jedoch nicht vor Konfrontationen mit dem Gegner zurück und traf sich Ende 2019 mit Gottseibeiuns Martin Sellner zu einem höflichen Streitgespräch, das er auch auf seinem Kanal veröffentlichte. Kaiser gehört zu jener ehrenhaften, aussterbenden Sorte von „klassischen“ Liberalen oder Libertären, die es ernst meinen mit Meinungsfreiheit, gewissenhafter Wahrheitsfindung und individueller Selbstverantwortung.
Dies stellte er im Laufe der Corona-Krise eindrucksvoll unter Beweis, als einer der klügsten und entschiedensten Kritiker des spinnennetzartigen „Narrativs“ und seiner totalitären Auswüchse. Sein Buch Der Kult ist die Summe seiner Betrachtungen und Erfahrungen aus zwei Jahren Pandemie-Regime und „neuer Normalität“.
Wie schon der Titel andeutet, legt er das Schwergewicht auf die irrationalen, kryptoreligiösen, massenpsychologischen und ‑psychotischen Aspekte eines „Krisenphänomens“ unter dem Banner einer autoritären Wissenschaftsgläubigkeit, die mit echter Wissenschaft wenig zu tun hat und einem übergriffigen Staat als Herrschafts- und Legitimationsinstrument dient.
Kaiser analysiert die Rolle der überzeugten „Coronazis“ und ihrer irregeführten „Loyalisten“, der zynischen Kultführer und der getäuschten Massen, der Federführer und der Mitläufer, der Propagandisten, Profiteure, Politiker, Funktionäre, Lobbyisten, Wissenschaftler, Wirtschaftsbosse, Normopathen, Prominenten und nicht zuletzt der „Intellektuellen“, denen er „Verrat“ und Ausverkauf vorwirft.
Das ist fürwahr eine enorme Gegnerschaft, der Kaiser sein „ego non“ entgegenwirft. Sie ist nicht nur quantitativ in der Überzahl, sie ist auch qualitativ von einer enormen geistigen und psychologischen Zähigkeit. Die breite, manipulierte Masse der „Loyalisten“, die im Gegensatz zu den „Coronazis“ im Zustand eines „tagtäglichen Selbstbetrugs“ lebt, und darum zumindest eine Chance auf Erkenntnis und Umkehr hat, beschreibt Kaiser so:
Ihre Denkweise ist nicht einfach und klar, sondern erstaunlich konfus – eine Mischung aus Idealismus und Gelassenheit, aus Misstrauen und Naivität, aus Gier und Opferbereitschaft, aus Grausamkeit und Sentimentalität, aus Anständigkeit und Infamie, aus Klugheit und Dummheit, aus Halsstarrigkeit und Inkonsequenz, aus Empfindlichkeit und Taktlosigkeit, aus Harmlosigkeit und Bosheit, aus Wendigkeit und Beschränktheit – und all das möglicherweise in verschiedene Kästchen unterteilt, die sauber voneinander getrennt sind.
Kurz gesagt wäre es die menschliche Natur selbst, gegen die Kaiser eine Vernunft- und Aufklärungsofffensive führen will. Das ist freilich ein aussichtsloses Unterfangen. Um Licht in die Finsternis des Kults zu bringen, konsultiert Kaiser, ein umfassend belesener Philosophen-Literaten-Hybrid, etliche Denker, von denen wir vor 2020 dachten, daß wir sie zur Genüge verstanden hätten: Uns begegnen Tocqueville und Canetti, Foucault und Deleuze, Mitscherlich und Marcuse, Arendt und Schelsky.
Manches erscheint uns dabei merkwürdig abgestanden und zum Überdruß vertraut. Haben wir sie nicht alle zum Erbrechen gehört und gelernt, die Lektionen von Ionesco, Erich Fromm, Franz Kafka, aus „Die Welle“ oder Lenz’ „Deutschstunde“? Haben wir nicht alle im pubertären Hochmut Hesses „Demian“ gelesen und waren fasziniert vom Bild der auserwählten Träger des „Kainsmals“, die von der Masse gehaßt und verachtet werden?
Nach 2020 erscheinen alle diese Dichter und Denker in neuer Bedeutung und Frische, allerdings vor allem der Minderheit der Dissidenten, die vom System als „Staatsfeinde“, „Rechtsradikale“ oder „Verschwörungsgläubige“ markiert werden.
Der Liberale Kaiser landet am Ende genau dort, wo wir Rechten zu einem großen Teil schon gelandet sind: Das System ist nicht mehr reformierbar, es bedarf des Ausstiegs und der Vernetzung der Aussteiger, der Abkehr, der Sezession, idealerweise der Gründung neuer Gemeinschaften oder „Parallelgesellschaften“, die sich dem Zugriff des Massenwahns und der kommenden technokratischen Dystopie entziehen.
Dieses Anliegen trägt Kaiser, der inzwischen tapfer mit einer Krebserkrankung ringt, mit Verve und Pathos vor, aber auch mit einer Ausführlichkeit und leider auch Redundanz, die auf die Dauer etwas ermüdend wirkt. Eine Kürzung um mindestens hundertfünfzig Seiten hätte seinem Buch gut getan.
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Gunnar Kaiser: Der Kult. Über die Viralität des Bösen, München, 2022, 360 Seiten,20,60 € – hier bestellen.
Kaiser ist übrigens Dauerdenker und hat bereits nachgelegt: Seinen Band Die Ethik des Impfens. Über die Wiedergewinnung der Mündigkeit, 120 S., 12 €, kann man hier bestellen.
Hartwig aus LG8
In diesem Video kehrt Kaiser sein Innerstes nach Außen. Auch hier wären ein paar Minuten weniger mehr gewesen. Aber wenn einer erstmal dabei ist, alles rauszulassen ...
https://www.youtube.com/watch?v=fqKDMv5uDY8