Der einstige Gründer von »Endstation rechts« und tatsächlich kundige Kenner der rechten Szenerie befragt darin den Gründervater der deutschsprachigen Neuen Rechten (und späteren Linkssozialisten) Henning Eichberg zu dessen Vita.
Doch einleitend entschuldigt sich Brodkorb beinahe bei seinem Publikum, so viel Zeit und Lebensenergie einem Verfemten zu widmen. Zumindest die »politische Klugheit« mahne dazu,
seinen Gegner stets genau zu analysieren und die richtige Kampftechnik zu wählen.
Denn:
Anders wird er nicht zu besiegen sein.
Der entschuldigende Ton ist indessen unangebracht; es ist keine Schande, politische Antipoden zum klärenden Gespräch zu bitten, und die Quintessenz – ohne Kenntnis des Gegners keine Überwindung des Gegners – trifft schlichtweg zu.
Aus bewährter Tradition heraus empfehle ich daher im Gegenzug den Blick nach links, und der lohnt sich heute doppelt. Am Wochenende findet nämlich der Bundesparteitag der Linkspartei statt. Die Lager rüsten sich zum finalen Kampf.
Das klingt überzogen? Mitnichten. Denn während der Parteitag der AfD am vergangenen Wochenende erfreulicherweise kein »Endkampf« gewesen ist, sondern eine behutsame Korrektur des Bundesvorstandes mit bedauerlichem Finale assurdo, erinnert die Tonart bei der Partei Die Linke tatsächlich ans »letzte Gefecht« aus der Internationalen.
Bei der zur 4,9‑Prozent-Partei geschrumpften Formation (2009: 11,9 Prozent, 2017 immerhin noch über 9 Prozent) stellt sich – früher als ihrem rechten Pendant – folglich die Frage: Wird es die Partei nach diesem Wochenende noch geben? Wenn ja: Wird ihre massenmediale Galionsfigur Sahra Wagenknecht an Bord bleiben (können)?
Wagenknecht gießt nun kurz vor Beginn des linken Waffengangs Öl ins Feuer. Im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau plädiert sie nicht nur für einen »Neuanfang«, sondern spitzt auch zu, daß der Parteitag »die letzte Chance dazu« sein werde. Wie bereits in ihrem Bestseller Die Selbstgerechten bemängelt sie die Zielgruppenansprache der Linken:
Es gibt in der Partei eine Konzentration auf kleine Zirkel von Politaktivisten und auf die grünliberalen akademischen Großstadtmilieus,
was sie in elektorale Konkurrenz zu den erfolgreicheren Grünen bringt, wobei die Grünen als »smarte« und medial gehypte Formation die besseren Voraussetzungen im Kampf um die Gunst dieser Milieus besitzen.
Was Wagenknecht durch die Abstimmungsergebnisse am Wochenende in Erfurt nachdrücklich vor Augen geführt bekommen dürfte, ist aber dies: Diese »Konzentration auf die grünliberalen akademischen Großstadtmilieus« ist keine Marotte einiger weniger, sondern die logische Konsequenz aus dem Transformationsprozeß der Partei: Weniger Ostdeutschland, mehr Westen, weniger PDS-sozialisierte Linke, mehr postmoderne Lifestyle-Linke, weniger Klassenkampf, mehr Identitätspolitik, weniger »Ins Volk gehen« und mehr woke Narretei usw.
Das ist der Parteimainstream (geworden) – Wagenknecht verlangt eine Fundamentalumkehr, ganz so als ob sie nicht wüßte, daß sie dafür über zu wenig Truppenteile verfügt.
Wie sähe die Wunschpartei Wagenknechts aus?
Eine Partei, die all diejenigen vertritt, die sich derzeit große Sorgen machen, wie sie angesichts extrem steigender Preise mit ihrem Einkommen über den Monat kommen, eine politische Kraft, die all denen eine politische Stimme gibt, die sich wünschen, dass die Ukraine nicht mit immer mehr schweren Waffen beliefert wird, sondern, dass es Verhandlungen und Kompromissbereitschaft gibt, eine Partei, die die völlig verrückten Russland-Sanktionen kritisiert, weil sie vor allem uns selbst schaden, während die russischen Einnahmen sogar steigen – eine solche Partei wird dringend gebraucht,
und eine solche Partei gibt es ja bereits, und das ist – interner Streit hin oder her – die Alternative für Deutschland.
Eben dies werfen ihr auch die linken Wagenknecht-Kritiker vor: Daß ihre persönliche Profilbildung als »linkskonservativ« dafür sorgte, daß sie sich in essentiellen Aspekten der Tagespolitik längst näher an AfD-Positionen befindet als an jenen der eigenen Partei.
Wagenknecht übergeht diesen Widerspruch nicht. Sie weiß um die Problematik gegenläufiger Politikvorstellungen in ihrer Partei:
Natürlich ist es ein Problem, dass wir in vielen Fragen gegensätzliche Positionen vertreten. Die einen wollen die Spritpreise senken, die anderen lieber das Auto verbieten. Die einen sagen, das Ölembargo schadet vor allem Deutschland, die anderen wollen sämtliche Öl- und Gasimporte aus Russland einstellen. Wer soll eine Partei wählen, die sich derart widerspricht?
Niemand soll das. Aber dennoch tun es in Westdeutschland noch 2 bis 5 Prozent der Wähler und im Osten deutlich mehr als 10 Prozent. Das würde sich aber wohl ändern, wenn Wagenknecht von Bord ginge.
Geht sie denn? Die FR hakt nach, was passieren würde, wenn Wagenknechts Wunschpersonalie – der Leipziger Bundestagsabgeordnete Sören Pellmann – bei der Kampfabstimmung um einen der beiden Chefposten geschlagen werden sollte.
Haben Sie auch über einen Austritt aus der Partei nachgedacht?
Diese Frage ist berechtigt, auch deshalb, weil Wagenknechts Ehemann, Oskar Lafontaine, die Partei längst verlassen hat. Wagenknecht antwortet, wie zu erwarten war, ausweichend:
Ich hoffe, dass es auf diesem Parteitag gelingt, das Ruder noch einmal herumzureißen,
denn, und jetzt es wird dramatisch:
Es dürfte die letzte Möglichkeit sein.
Aber was dann? Geht man davon aus, daß sich die Wisslers, Hoffs und Lederers durchsetzen, also die prowestlichen, woken und grünliberalen Strömungen, dann hat Wagenknecht kaum mehr Druckmittel.
Das Projekt »Aufstehen« rund um einige Wagenknecht-Sympathisanten wie den Dramaturgen Bernd Stegemann ist nicht erst geschrumpft, sondern war nie wirklich zu etwas Ernstzunehmenden angewachsen; Stegemann selbst flüchtete längst in die Sicherheit des Schweigens.
Eine Basisbewegung, die sich um den Wagenknecht-freundlichen Aufruf »Für eine populäre Linke« formieren könnte, steht (Stand: 23. Juni) gerade mal bei 5914 Unterstützern.
Das ist zum einen nicht viel und zum anderen sagt es nichts darüber aus, wieviele dieser Akteure Wagenknechts Parteiaustritt ebenfalls zum Anlass nähmen, die Linkspartei zu verlassen.
Wieviele wären bereit, die Mühen der Ebenen zu bespielen und Orts‑, Kreis- und Landesverbände aufzubauen für eine »Liste Wagenknecht«? Zuletzt: Gibt es wirklich Potential für eine weitere Linkspartei, und sei es eine ohne Me-Too-Fetisch, Klimafokussierung und LGBTQ-Dauerbeschallung?
Gewiß: Wagenknecht ist ein TV-Gesicht, speziell unter AfD-Wählern ist sie populär. Aber eine bundesweite Neugründung wäre ein anderes Kaliber als gefällige Beiträge in bürgerlichen Feuilletons und smart-kluge Auftritte in allen erdenklichen Medienformaten. Ohne Linkspartei als Organisationsform wird Wagenknecht parlamentspolitisch beendet sein.
Meine Prognose ist daher eine andere: Wagenknecht verliert am Wochenende den Machtkampf, sitzt die Legislaturperiode aus, kandidiert 2025 nicht mehr und zieht fortan als geschätzte Intellektuelle und viel gelesene Buchautorin durch die Republik.
Die Linkspartei hingegen wird das Ruder nicht herumreißen – für eine linke Grünenkopie bleibt der Markt limitiert. Gefährlich würde die Partei nur, wenn sie in kommenden Versorgungskrisen eine glaubhaft sozialpopulistische Generallinie verinnerlichen würde. Dafür bräuchte sie aber wiederum Wagenknecht als authentisches Werbegesicht. Die Geduld mit ihr scheint aber am Ende.
Die Linkspartei befindet sich deshalb vor ihrem vermeintlich »letzten Gefecht« in einer ausweglosen Position.
– –
Nachtrag:
Der eingangs erwähnte Henning Eichberg war indes auch Mitglied einer Linkspartei. Bis zu seinem Tod 2017 in Odense gehörte der ehemalige Dozent für Sportsoziologie der kleinen Sozialistischen Volkspartei an.
Als er 1982 nach Dänemark ging und den »Volkssozialisten« beitrat, deren Weg von einem gewissermaßen »volklich«-identitären Sozialismus ins Rotgrün-Zeitgeistige führte, wirkte er bereits seit drei Jahren als intellektueller Mentor des linksnational-ökologischen Magazins wir selbst, dessen Erscheinen 2002 eingestellt wurde. (Der Nachfolger Volkslust blieb ohne größere Resonanz und wurde nach nur vier Ausgaben eingestampft.)
Nun, nach exakt 20 Jahren, liegt die erste Druckausgabe der »neuen« wir selbst vor. Damals wie heute ist der Verleger Siegfried Bublies Chefredakteur, unterstützt wird er von wir selbst- und Volkslust-Veteran Hanno Borchert. Verzichtet wurde bisher leider auf eine graphische Generalsanierung; hier besteht reichlich Optimierungsbedarf.
Klar ist dabei, daß die Wirkung der »Zeitschrift für nationale Identität« auf ein überschaubares Lesermilieu beschränkt bleibt; eine zahlenmäßige Konkurrenz mit dem »Marktführer« Sezession und dem Branchenzweiten Tumult ist weder realistisch noch erklärtes Ziel.
Zu den Autoren der Pilotausgabe zählen u.a. Generalmajor a.D. Schultze-Rhonhof und Klaus Kunze, Werner Olles und Florian Sander, Manfred Kleine-Hartlage und – obligatorisch – Henning Eichberg in Form eines Nachdrucks.
Hervorzuheben für alle Sezession-Leser ist jedoch ein anderer Autor: Christian Böttger. Sein material- und kartenreicher Aufsatz über »Wikinger, Slawen und Kiewer Rus: Zur Ethnogenese des russischen Volkes« ist wissensvermittelnd und anschaulich.
Der DDR-sozialisierte Ethnologe und Kulturhistoriker, dessen Grundlagenwerk Ethnos bei Antaios noch lieferbar ist und und den »Nebel um den Volksbegriff« lichtet, »politisiert« erst am Ende seines historischen Streifzugs die Ukraine-Rußland-Situation, indem er darauf verweist, was Zbigniew Brzezinski, einstiger Sicherheitsberater des Weißen Hauses, zur Ukraine verlauten ließ:
Ohne die Ukraine ist Rußland kein eurasisches Reich mehr. Es kann trotzdem nach einem imperialen Status streben, würde aber dann ein vorwiegend asiatisches Reich sein.
Die aktuellen Verschiebungen globaler Handelsketten geben Brzezinski recht: Russland blickt geoökonomisch stärker nach China und Indien, doch ob Putin wirklich ein »asiatisches Reich« errichten will oder errichten kann, bleibt abzuwarten.
Wer nicht warten möchte und sich Böttgers Artikel – und die weiteren Aufsätze – durchlesen möchte, kann die erste wir selbst-Druckausgabe nach 20 Jahren hier bestellen.
RMH
Vermutlich weiß auch Wagenknecht um die Dilemma-Situation einer evtl. Neugründung einer "Liste-Wagenknecht": Startet eine solche Liste mit einer Art "Unvereinbarkeitsliste" in Bezug auf die Mitarbeit von AfD- Mitgliedern, dann wird sie nicht viel reißen. Nimmt eine solche Liste AfD-Mitglieder auf, würde wohl durchaus ein nennenswerter Zustrom von AfDlern erfolgen und damit gäbe es dann kurzfristig vermutlich Erfolge, langfristig wird dann aber jeder ex-AfDler medial als faules Ei, welches den gesamten Brei verdirbt, propagiert, womit ein langfristiges Scheitern wieder vorprogrammiert ist. Teile und herrsche.
Wie B.K. aber schon richtig erkannte: Frau Wagenknecht hat dann immer noch eine gute Karriere als Publizistin und geschätzte Talk-Show-Teilnehmerin vor sich.
PS: Auf Henning Eichberg erschien folgender Nachruf bei SiN:
https://sezession.de/57237/henning-eichberg-ist-verstorben
und M. L. schrieb über ihn folgenden Artikel
https://sezession.de/62150/henning-eichbergs-volklichkeit