Eine Warnung vor bevorstehendem, zerstörerischem Geschehen, welches jetzt noch abwendbar ist? Man wünschte es sich. Allein der Zeitrahmen der Handlung – von Silvester 2015 bis Silvester 2016 – deutet auf Entwicklungen, die längst im Gange sind.
Nein, es ist leider nicht „nur“ ein Roman mit holzschnittartigen, zur Karikatur verzerrten Figuren, sondern eine Präsentation von Typen, Sprech‑, Denk- und Verhaltensmustern, die die bittere, von jedem täglich erfahrbare Realität abbilden. Verpackt, aber nicht getarnt ist es als ein Stück Literatur mit komprimierten Formen, oft überpointierten Dialogen, Komik und dem einen oder anderen handlungstreibenden Knalleffekt – in allen denkbaren Bedeutungen des ersten Wortteils.
Erzählt wird von Zeiten des Aufruhrs eines Grünchen genannten Mannes im Jahr 2016. (Eine Parallele zum großen Roman von Richard Yates, der in der deutschen Ausgabe den Titel Zeiten des Aufruhrs führt, ist übrigens durchaus gegeben – auch hier endet eine hoffnungs- und verheißungsvoll begonnene Rebellion gegen lastende Verhältnisse mit dem Überrollen des eher zaghaften Ausbruchsversuchs und einem deprimierenden Als-ob-nichts-gewesen-wäre.)
Kunkels Grünchen – eigentlich Harro Grunenberg – gilt als „Erfinder der ethischen Werbung“. Er residiert mit Frau und mittlerweile zumindest gesetzlich erwachsenen Kindern, der pummeligen Tochter Ikea-Eden und Sohn Atomfried, einem tumben, gewaltaffinen Antifanten, in der „Grünen Visitation“ in Berlin. Ein mehr als nur gut situierter, politisch überkorrekter Gutmensch, den Sorgen umtreiben wie die Schwierigkeiten mit dem kyrillischen Online-Bestellformular für den von ihm geschätzten sibirischen Eselsmilchkäse.
Zugute zu halten ist dem Gutmenschen Grünchen, daß sich sein Weltbild auf einen dümmlich-naiven Idealismus gründet und er selbst die Dinge überzeugt lebt. Der erste Schlag erfolgt, als er erfährt, dass seine Tochter zu denjenigen Frauen gehört, die in der Silvesternacht 2015 in Köln vergewaltigt wurden.
War für ihn kurz zuvor die Bezeichnung der Täter als Nafris noch „rassistischen Hetzern“ zuzuschreiben, so ist er nun um eine Art Gerechtigkeit oder Wiedergutmachung bemüht, das Unsägliche soll thematisiert werden. Allein – und das ist der zweite Schlag – sein Umfeld bremst ihn vehement aus, sogar seine Tochter.
Seine hartnäckig verfolgte Idee, eine Werbekampagne für einen Hygieneartikel – schwarze Binden, vermarktet als Keuschheitsgürtel oder eher Sicherheitsgürtel, als modisches Accessoire über der Kleidung zu tragen – bricht ihm beruflich das Genick.
Die im Zusammenhang mit diesem Produkt und dessen Notwendigkeit entstehenden Diskussionen wären nicht im Sinne der in Deutschland politisch gewünschten Linie. Daß er das muslimische Label „Sittsam & Bescheiden“ für seine Zwecke einspannen wollte, hat ihn nicht weitergebracht. Privat fällt er ebenfalls tief.
Im Laufe des Jahres erfährt Grünchen eine Vielzahl von Belehrungen über bislang übersehene oder ausgeblendete Zusammenhänge und Entwicklungen.
Etwa von seiner Frau Becki, einer ehemaligen „Ärztin ohne Grenzen“, die jetzt finanziell äußerst einträglich den Vorsitz des „Albanisch-Islamischen Frauenvereins“ führt oder vom Politiker Marxloff, der unter anderem für Geldflüsse in Richtung der geneigten Werber sorgt und – als Westdeutscher – eine unappetitliche Stasi-Vergangenheit hat.
Becki findet problematisch, daß sich der Tathergang der Vergewaltigung der Tochter „nicht ohne fremdenfeindlichen Beigeschmack schildern“ lasse, das sei „Wasser auf die Mühlen des politischen Gegners“. Zurückhaltung sei gefragt, man lebe doch „vom Regenbogenbrot wie die Maden im Speck“.
Von Marxloff erfährt Grünchen, daß man bezüglich der Kölner Silvestervorgänge das Internet mit Falschinformationen flute, „damit die Rechten aus diesem Ereignis kein Kapital schlagen“. Wegen der „Bagatelle“ – der Vergewaltigung – solle er seine „Familie nicht unglücklich“ machen. Grünchen würde doch nicht die Ausrufung des Notstandes erwarten, „weil ein paar junge Kerle ihr nordafrikanisches Gewohnheitsrecht in die Tat umgesetzt haben“. Der Feldzug für die Ehre der Tochter sei lächerlich. „Unsere Ehre ist in Auschwitz verraucht!“
Gerade erfolge der Übergang „von der Marktwirtschaft zur Meinungswirtschaft“. Für den Kybernetiker sei das, was gegenwärtig in Deutschland passiere „nur das Umschlagen eines Systems aus einem geordnet-magnetischen in einen chaotisch-nichtmagnetischen Zustand“.
Den Eroberern schenke man zum Richtfest ihrer neuen Weltordnung „das wehrlos gemachte Tätervolk“. Der Duktus des Antideutschen bedeute immer eine höhere moralische Warte und die Deutschen seien die ersten gewesen, „die sich von der Idee eines eigenen Volkes lossagten“. Als Grünchen ganz unten ist, bedeutet ihm eine Headhunterin, er sei schwer vermittelbar, er gelte – aufgrund seiner ausscherenden Initiativen – als „neurechter Umstürzler“. Das Wort „Verräter“ fällt öfter.
Grünchens Trauma-Expertin weiß, daß das Psychogramm des modernen Menschen dem eines „apolitischen Hedonisten und Vollkonsumpfostens“ entspricht. Und sie erinnert Grünchen daran, daß die auf die Menschheit losgelassene Toleranz zwei Schwestern habe – „eine kleine Petze namens Denunzia und eine Taubstumme, die man die Totschweigerin nennt“. Die „Verwissenschaftlichung unserer Gesellschaft“ sei „beschlossene Sache“.
Auf diese und andere Weise auf Kurs gebracht, fügt sich Grünchen schließlich abermals in die Welt, der er ein wenig Widerstand entgegensetzen wollte, Karriere und Ehe kommen wieder in Gang. Die Trauma-Expertin muss zwar ab und an noch seinen „Durchblicker“ bekämpfen, hat ihm aber erfolgreich vermittelt, daß es nicht seine Aufgabe sei, „diesen Scheißhaufen von einer Welt aufzuräumen“.
Die Tochter hat einen neuen Freund namens Mommet, ist zum Islam konvertiert und findet die Bezeichnung Merkel-Steine – inzwischen ist der Mordanschlag auf dem Breitscheidplatz kurz vor Weihnachten 2016 erfolgt – „krank“. Grünchen hat „verstanden, dass er nichts gegen das System ausrichten konnte“.
An seiner Seite gekämpft hat lediglich der dubiose Taxifahrer Malte Morlock – der Nachname ist natürlich, wie der „Eloi“-Titel, ein deutlicher Bezug zu H.G. Wells‘ „Zeitmaschine“. Grünchen findet auf dem Tiefpunkt seines Lebens Unterschlupf in Morlocks Männer-WG, deren sozial gebeutelte Bewohner sämtlich DDR-Herkunft aufzuweisen haben und sich als Band „Unruhezustand“ mit dem Lied „Notwende“ Gehör verschaffen wollen.
Höhepunkt von Morlocks Revoltieren ist eine Geiselnahme, von der der indirekt beteiligte Grünchen profitiert, da sie im Ergebnis maßgeblich zu seiner Rückkehr in „seine“ Gesellschaft beiträgt.
Am Ende von Kunkels mit Deftigkeiten („Wegbumssperre“) nicht geizenden Romans steht die große Desillusionierung – zumindest für diejenigen, die mit der gegenwärtigen deutschen Abwärtsspirale hadern. Alles ist wieder beim Alten und diejenigen, die den Entwicklungen entgegentreten wollten, sind ruhiggestellt oder zurück auf der Linie.
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Thor Kunkel: Im Garten der Eloi. Geschichte einer hypersensiblen Familie. Roman, München: Europa Verlag 2022, 448 S., 24 € .
Laurenz
Ist das nicht naiv?
In Pattaya kann man jede körperlicher Begehrlichkeit (also jede, auch solche, die sich außerhalb des Vorstellungsvermögens EKs befinden) kaufen, seit die Amis im Vietnamkrieg da ihre Basis aufschlugen. Aber jede/r in diesem Gewerbe möchte sich trotzdem höflich und respektvoll behandelt wissen. Muslime, die Frauen mehrheitlich verächtlich und schlecht behandeln, werden am Eingang einer entsprechenden Lokalität schriftlich gebeten vom Besuch Abstand zu nehmen, formal aus religiöser Rücksichtnahme. Das trifft aber nur auf Pattaya zu. In den Grenzgebieten Thailands sind die Kunden fast nur Katholiken oder Muslime. Und wann war der Vietnamkrieg? Die Info, wie Muslime ticken, ist schon mehr als 50 Jahre im Westen bekannt.