Kleine Verhältnisse

Meine Eltern waren Lehrer, auf dem Land, in dem Landstrich, aus dem beide unmittelbar stammten, der Prignitz.

Heino Bosselmann

Heino Bosselmann studierte in Leipzig Deutsch, Geschichte und Philosophie für das Lehramt an Gymnasien.

Mut­ter wie Vater wuch­sen dort als  Kin­der in Land­ar­bei­ter­fa­mi­li­en auf, kamen also aus klei­nen Ver­hält­nis­sen, die sie präg­ten, eben­so wie spä­ter mich.

Wäh­rend die Fami­lie mei­nes Vaters bran­den­bur­gisch-meck­len­bur­gi­sche Wur­zeln hat­te, waren die Eltern mei­ner Mut­ter Polen, ihr Vater Josef ein Bin­nen­mi­grant aus dem Ruhr­ge­biet, von wo aus es ihn, arbeits­los gewor­den, in den frü­hen Zwan­zi­gern nach Ostel­bi­en zog, die Mut­ter Brom­ka eine frü­he Wirt­schafts­im­mi­gran­tin aus dem einst rus­si­schen Polen, die 1919 ille­gal die Gren­ze nach Deutsch­land über­quer­te. Auch damals gab es dafür Schleuser …

Der Not wegen ver­ließ sie als drei­zehn­jäh­ri­ges Kind die zer­stör­te, aus­ge­hun­ger­te Hei­mat, das Dorf Alexandrowsk/Piasky, über das die öst­li­chen Fron­ten des Ers­ten Welt­krie­ges hin­weg­ge­schwenkt waren. Ein sehr frü­her Abschied, für immer; sie sah ihr Dorf und ihre Leu­te nie wieder.

Erst in den Neun­zi­gern und so erst nach ihrem Tod such­ten und fan­den wir unse­re pol­ni­schen Ver­wand­ten müt­ter­li­cher­seits, die Nach­fah­ren der Geschwis­ter mei­ner Oma – noch immer am glei­chen Ort lebend, erz­ka­tho­lisch und natio­na­lis­tisch, PiS-Wäh­ler, herz­lich und immens gast­freund­lich, sehr gerührt. Sie kann­ten den Namen der emi­grier­ten Brom­ka alle und führ­ten uns ans Grab ihrer Mut­ter, mei­ner pol­ni­schen Urgroß­mutter. Vie­le Gebe­te, vie­le Gesän­ge. Und Vodka.

Seit­her habe ich eine sen­ti­men­ta­le Bezie­hung dort­hin, obwohl ich lei­der über­haupt kein Pol­nisch spre­che und den von mir ver­ehr­ten Witold Gom­bro­wicz nur in deut­scher Über­set­zung lese.

Brom­ka schlug sich qua­si mit Kin­der­ar­beit auf den gro­ßen Gütern durch, lern­te nach und nach die deut­sche Spra­che und war schließ­lich bei einem Bau­ern in Bölz­ke bei Put­litz in Stel­lung, als sie dann Josef Chma­row­ski, mei­nen Groß­va­ter, kennenlernte.

Der Duis­bur­ger Stahl­ko­cher tip­pel­te über Land, im Gepäck nicht viel mehr als drei schö­ne wei­ße fran­zö­si­sche Hem­den, und such­te in der Zeit von Ruhr­be­set­zung und Infla­ti­on nach einer Arbeit im bran­den­bur­gi­schen Nir­gend­wo. Auch er hat­te sei­ne Hei­mat aufgegeben.

Obwohl er aus der Indus­trie kam, wur­de er schnell ein anstel­li­ger Land­ar­bei­ter, selbst wenn es zuerst nicht danach aus­sah: Als der Bölz­ker Bau­er Karl Stren­ge sich hin­k­nie­te, um Kar­tof­feln zu racken, nahm er den Hut ab, weil er dach­te, der wol­le beten. Er lern­te die pol­ni­sche Magd ken­nen, die bei­den hei­ra­te­ten spä­ter und zogen sechs Kin­der groß. Das zar­tes­te und zer­brech­lichs­te Mäd­chen davon, dünn und schwarz­haa­rig, wur­de mei­ne Mutter.

Ab Kriegs­en­de 1945, mei­ne Mut­ter war damals neun, mein Vater zehn Jah­re alt, nah­men bei­de, jeder für sich, die Chan­cen wahr, die die sowje­ti­sche Besat­zungs­zo­ne und die spä­te­re DDR ihnen boten. Den Hor­ror der ers­ten Nach­kriegs­ta­ge (Mei­ne Groß­mutter wur­de ver­ge­wal­tigt, als sie die Rus­sen in deren Lan­despra­che begrüß­te.) ver­dräng­ten sie offenbar.

Bei­de wur­den zur „Ober­schu­le“ geschickt, sie nach Kyritz, er nach Bad Wils­nack, bei­de mach­ten Abitur, mei­ne Mut­ter unter Schwie­rig­kei­ten, weil sie erst schlimm am Heim­weh, dann aber noch schlim­mer an Tuber­ku­lo­se litt und ihren Bil­dungs­weg mit lan­gen Heil­stät­ten­auf­ent­hal­ten in Hohenel­se bei Rheins­berg und in Treu­en­briet­zen unter­bre­chen mußte.

Schließ­lich wur­den bei­de über ein Stu­di­um an der Päd­ago­gi­schen Hoch­schu­le Güs­trow Leh­rer, mei­ne Mut­ter für die Fächer Mathe­ma­tik und Phy­sik, mein Vater für Bio­lo­gie und Che­mie. An der Schu­le mei­nes Hei­mat­dor­fes D. lern­ten sie sich als jun­ge Kol­le­gen ken­nen. Sie hei­ra­te­ten wäh­rend ihrer Som­mer­fe­ri­en in Binz, als ihr Zelt dort noch ganz allein in den Ost­see-Dünen stand.

Nach der heim­li­chen Hoch­zeit gab es Enten­klein-Gemü­se­brü­he in einem Imbiß-Lokal, danach besuch­ten sie die Vor­stel­lung eines klei­nen Wan­der­zir­kus, wo man ihnen – als Hoch­zeits­ge­schenk – den Ein­tritt spen­dier­te und die rot­plü­schi­ge Ehren­lo­ge anbot. Mei­ne Mut­ter berich­te­te immer wie­der davon, wie die Flö­he aus den abge­wetz­ten Pols­tern ihr wei­ßes Hoch­zeits­kleid okku­pier­ten und wie sie das die Vor­stel­lung über sehr artig durch­hielt. Das selt­sa­me Hoch­zeits­fo­to mei­ner Eltern zeigt einen Mann vom Zir­kus im Eis­bär­kos­tüm zwi­schen den bei­den frisch Vermählten.

Mein Groß­va­ter väter­li­cher­seits, so schwer­hö­rig wie schweig­sam, als Sol­dat und Gefrei­ter von 1939 bis 1945 durch­weg an der Front, bis ihn ein Steck­schuß an den See­lower Höhen gera­de so noch ret­te­te, kauf­te dem jun­gen Paar von sei­nem erspar­ten Geld ein nahe­zu rui­nö­ses Büd­ner-Haus, das die bei­den dann ihr Leben lang immer wei­ter aus­bau­ten. Dort wur­de ich groß. Als ich gebo­ren wur­de, pflanz­te mei­ne Mut­ter einen Nußbaum.

Ein klei­nes Haus. Was für eine Gebor­gen­heit. Gera­de im Win­ter: Die sum­men­de Wär­me der Bri­ketts, der Rauch überm First, die Gewiß­heit, hier sind Schutz und Für­sor­ge, wenn man, die Woll­klei­dung naß, sei­nen Schlit­ten nach Hau­se zog. Und das Gefühl, daß dafür gesorgt wer­den muß­te. Anfeu­er­holz hacken und Koh­len rein­ho­len, wenn noch Eis­blu­men das Fens­ter­glas deck­ten, den Ofen anhei­zen, das Essen, den Tee zube­rei­ten und dabei hin­ter­grün­dig doch wis­sen: Ganz selbst­ver­ständ­lich ist das nicht. Und Zeit braucht alles. Ein Huhn lebt sei­ne Jah­re, pickt sei­nen Wei­zen, freut sich über klein­ge­schnit­te­nen Löwen­zahn und legt uns eine Men­ge Eier, bis es geschlach­tet wer­den darf.

Nichts wur­de ein­fach so „ver­braucht“, nur weil man es ver­brau­chen woll­te. Ent­we­der es war not­wen­dig oder es ging um Genuß, aber der soll­te gewür­digt wer­den. Ich habe lan­ge nicht ver­stan­den, was der Satz „Iß mit Ver­stand Jun­ge, schlin­ge nicht ein­fach so.“ bedeu­ten soll­te. Scho­ko­la­de soll­te ich nicht so weg­ras­peln, son­dern erst mal ein wenig lut­schen … – Wie­so nur? Wie­so die­ses: „Freu dich, aber sei froh, daß du’s hast. Man muß es wertschätzen.“

Ein­fa­ches Leben. Aber nie hat­te ich das Gefühl, daß mir etwas fehlt. Von dem, was nötig war, gab es genug, vom Unnö­ti­gen hin­ge­gen wenig.

Spä­ter hat mich beein­druckt, wel­che Prio­ri­tä­ten mei­ne Eltern setz­ten, nach­dem sie ihr beschei­de­nes DDR-Leh­rer­ge­halt erhiel­ten. Mei­ne Mut­ter hol­te als ers­tes ihre Mut­ter Brom­ka nach, der es schlecht ging, weil sie sich von ihrem Mann Josef getrennt hat­te, der in den Fünf­zi­gern in die Wis­mut gegan­gen war und sich dort mit einer ande­ren Frau ein­ließ. Seit­dem leb­te mei­ne Groß­mutter in unse­rem Dorf. Ihr pol­ni­sches Idi­om habe ich noch immer im Ohr, ihr bei­na­he scha­ma­nisch anmu­ten­des Ver­hält­nis zur Natur präg­te mich.

Von ihrem Geld kauf­te sich das Jung­leh­rer-Paar zunächst zwei­er­lei – zum einen Möbel aus den Hel­ler­au­er Werk­stät­ten, von deren kul­tur­ge­schicht­li­cher Bedeu­tung sie aller­dings nichts wuß­ten, zum ande­ren Bücher, Bücher, Bücher.

Wäh­rend mein Vater Enzy­klo­pä­dien und Nach­schla­ge­wer­ke in die Rega­le stell­te, in der DDR so biblio­phil wie preis­wert auf­ge­legt, las mei­ne Mut­ter vor­zugs­wei­se Belletristik.

Die bei­den unter­schie­den sich nicht nur in die­ser Nei­gung. So innig und ver­ständ­nis­voll sie als Paar mit­ein­an­der umgin­gen, poli­tisch waren sie nahe­zu Geg­ner. Wäh­rend mei­ne Mut­ter sich grund­sätz­lich mit der DDR und der SED iden­ti­fi­zier­te, hat­te sie sich doch vor 1945 gemein­sam mit ihren fünf Geschwis­tern als „Pola­cken­kind“ arg zurück­ge­setzt gefühlt, blieb mein Vater – im Gegen­satz zu sei­ner san­gui­ni­schen Frau intro­ver­tiert und zurück­hal­tend – ein stil­ler Anti­kom­mu­nist, obwohl er selbst alles ande­re als pri­vi­le­giert auf­ge­wach­sen war. Wur­de er gran­tig, zog er sich zurück und spiel­te Schach gegen sich selbst. Das beruhigte.

Ins­be­son­de­re das, was die DDR öko­no­misch und land­wirt­schaft­lich anfing, erschien ihm ratio­nal betrach­tet unver­nünf­tig; von Anfang an bearg­wöhn­te er die ideo­lo­gi­schen Lebens­lü­gen, an denen das Land schließ­lich ja tat­säch­lich zer­brach. Mei­ne Mut­ter fuhr hef­tig hoch, wenn ihr Mann monier­te, Kom­mu­nis­ten hät­ten stets ande­ren Leu­ten deren Besitz weg­ge­nom­men, den dann aber nicht ver­ant­wor­tungs­voll genutzt, son­dern ver­kom­men las­sen. Was allen gehör­te, gehör­te nun mal kei­nem. Daß gan­ze Bäcker­bro­te, weil sie wegen der Sub­ven­tio­nen spott­bil­lig waren, an das Vieh ver­füt­tert wur­de, sei doch pervers!

Aber nach außen stan­den die bei­den zuein­an­der; sie foch­ten ihre Dif­fe­ren­zen nur am Küchen­tisch immer mal wie­der aus. Dicke Luft, jedoch aus­schließ­lich beim poli­ti­schen Zwist.

Ob sie sich lieb­ten? – Sicher ist, sie hiel­ten zusammen.

Als mei­ne Mut­ter nach der Wen­de als „sys­tem­nah“ ange­fein­det und schließ­lich, mitt­ler­wei­le als SED-Mit­glied zur Schul­lei­te­rin avan­ciert und so Che­fin ihres Man­nes, aus dem Beruf gedrängt wur­de, stand mein Vater ganz selbst­ver­ständ­lich zu ihr. Nie eine nach­ge­tra­ge­ne Beleh­rung, nie ein „Das habe ich dir doch immer gesagt.“

Aber zurück zu den Bücher­re­ga­len aus Dresden-Hellerau:

Ich habe all die Bücher mei­nes Vaters durch­ge­blät­tert; und als ich lesen konn­te, beschränk­te ich mich nicht mehr auf die Illus­tra­tio­nen und Tafeln, son­dern las. Den DDR-Brock­haus/­Leip­zig-Aus­ga­ben „Welt­ge­schich­te“ und „Deut­sche Geschich­te“ ver­dan­ke ich einen his­to­ri­schen Grund­kurs aus einer Zeit, in der ich als Jun­ge weni­ger um mich zu bil­den als aus kind­li­cher Neu­gier schmö­ker­te. Was ich in den dicken Wäl­zern so fand, erschien mir ein­fach spannend.

Als ich, spä­ter selbst Leh­rer, noch Geschich­te unter­rich­ten durf­te, fie­len mir immer wie­der die Schwarz-Weiß-Bil­der aus den Tafeln die­ser Enzy­klo­pä­dien ein. Die Sys­te­ma­tik der Bän­de ver­schaff­te mir eine ers­te Über­sicht über Ereig­nis­se und Gesamtzusammenhänge.

Nicht allein das:

Es gab in den Rega­len „Bio­lo­gie selbst erlebt“, „Phy­sik selbst erlebt“, „Che­mie selbst erlebt“, Bän­de, die für Leh­rer wie für Kin­der geeig­net waren, weil sie Expe­ri­men­te anreg­ten, die man mit ein­fa­chen Mit­teln sel­ber durch­füh­ren konn­te. Alles so klug wie gewitzt illus­triert, so daß es mit Lust und Erfolg nach­zu­ma­chen war.

Ist schon ein Spaß, im Tüm­pel selbst auf­ge­fan­ge­nes Sumpf­gas, Methan, mit lei­sem Zisch abzu­fa­ckeln, ein­fa­che elek­tri­sche Schal­tun­gen allein hin­zu­be­kom­men oder in einer pneu­ma­ti­schen Wan­ne, die mir Vater aus der Schu­le mit­brach­te, ein klei­nes Aqua­ri­um zu gestal­ten, das ich von einer prall auf­ge­pump­te Fuß­ball­b­la­se aus über eine Trink­röhr­chen-Pipe­line mehr recht als schlecht belüf­te­te. Die Pflan­zen, die Post­horn­schne­cken und die Stich­lin­ge dafür hol­te ich aus der Löck­nitz, mit einem Draht-Kescher aus einem Damen­strumpf von Mut­ter. Was­ser­flö­he gab es in den Teichen.

Die Stich­lin­ge bau­ten ein aus Pflan­zen­fa­sern gebau­tes Nest und betrie­ben ech­te Brut­pfle­ge. Das Männ­chen bewach­te es und fächel­te fri­sches, sau­er­stoff­rei­che­res Was­ser zu. Beein­dru­cken­der als ein Naturfilm.

Kam ich selbst nicht wei­ter, hal­fen die Eltern. Hock­te ich zu viel drin­nen, flog ich raus: Nimm dir das Rad, besu­che dei­ne Freun­de! Zudem waren ihre Vor­be­rei­tungs­räu­me in der Dorf­schu­le sehr gut aus­ge­stat­tet. Im Bio­lo­gie- und Che­mie- sowie im Phy­sik-Vor­be­rei­tungs­raum von Mut­ter oder Vater ging ein Regen­nach­mit­tag schnell vor­bei: Optik-Expe­ri­men­tier­satz, eine Men­ge für Elek­trik und Elek­tro­nik und erst recht Che­mi­ka­li­en für alles mög­li­che. Sie lie­ßen mich an alles her­an, wenn ich nur gut auf­räum­te danach. Was für eine Fül­le an Ein­drü­cken für das Sen­so­ri­um eines Heranwachsenden.

Das Mikro­sko­pie­ren mit Frisch­prä­pa­ra­ten brach­te mir mein Vater schon bei, als ich noch im Kin­der­gar­ten war, so daß ich stau­nen konn­te, wie viel mehr als das nur Sicht­ba­re es noch geben moch­te. Schon ein Zwie­bel­häut­chen oder ein Trop­fen Teich­was­ser auf dem Objekt­trä­ger ent­hält einen gan­zen Kos­mos. Die Welt dehn­te sich also nicht nur ins Gro­ße und Wei­te, son­dern gleich­falls in Klei­ne und Aller­kleins­te hin­ein. Wun­der gab es da wie dort.

Zu Hau­se oder in der Schu­le fand sich alles: Atlan­ten, Glo­ben, Stern­kar­ten, Her­ba­ri­en, Dau­er­prä­pa­ra­te fürs Mikro­skop und Bücher sowie­so. Es wur­de vor­ge­le­sen, es wur­den unauf­dring­lich Emp­feh­lun­gen gege­ben, es wur­de über­haupt per­ma­nent mit­ein­an­der gere­det. Anre­gun­gen über Anre­gun­gen. In den Hort muß­te ich nie; der Begriff Ganz­tags­schu­le hät­te mich das Fürch­ten gelehrt, denn die Aben­teu­er war­te­ten anderswo.

Wäh­rend ich ihm zusah, tusch­te mein Vater am Abend groß­for­ma­ti­ge Appli­ka­tio­nen, also Anschau­ungs­mit­tel für sei­nen Bio-Unter­richt: Quer­schnit­te von Blü­ten, Ein­zeller und Algen, Früch­te- und Samen­stän­de. Alles mit Was­ser­far­ben, dann behut­sam mit Aus­zieh­fe­der schwarz kon­tu­riert und sau­ber beschrif­tet. Was nur ging, hol­te er aus der Natur. Andau­ernd waren wir mit den Rädern unter­wegs, um Pflan­zen­tei­le, Vogel­fe­dern, alte Nes­ter und Gewöl­le zu besorgen.

Ich ver­dan­ke die­ser Prä­gung und den Impul­sen ande­rer ein­drucks­vol­ler Leh­rer wesent­li­che Ori­en­tie­run­gen und aller­lei wich­ti­ge Zugänge.

Noch mehr aber beein­druck­te mich die Lebens­art der Eltern, zum einen ihre ste­te Auf­merk­sam­keit für die klei­nen Din­ge in ihrer Lebens­um­welt, zum ande­ren deren Würdigung.

Teil­wei­se bis ins heu­te bizarr Anmu­ten­de: Als zu Hau­se in den Sieb­zi­gern auf das Drän­gen mei­ner Mut­ter end­lich ein WC ein­ge­baut wur­de, schüt­tel­te mein Vater den Kopf dar­über, daß für das Weg­spü­len selbst des klei­nen Geschäfts ein paar Liter Trink­was­ser in die Gru­be geplem­pert wur­den. Er woll­te wei­ter das uralte Plumps­klo benut­zen und hin­ter den Schup­pen pin­keln; Mut­ter ver­bot es zeternd.

Kar­tof­feln, die zur Ern­te­zeit von den Trak­tor­hän­gern der LPG pur­zel­ten, sam­mel­te er auf, um sie wenigs­tens noch für die Hüh­ner zu dämp­fen. Mei­ne Mut­ter blaff­te ihn an, als er mit einer gro­ßen Kohl­rü­be ankam, die er gleich­falls irgend­wo auf­ge­sam­melt hat­te: Gibt doch einen klas­se Ein­topf, soll­te man nicht weg­schmei­ßen, ’ne Kohl­rü­be. Guter Wruck­en­ein­topf, so mit Rindfleisch.

Sie füt­ter­ten im Win­ter die Vögel und bestimm­ten hin­term Küchen­fens­ter freu­dig die Arten­viel­falt am Vogel­haus – ein Spek­trum, das es in der heu­te auf­ge­räum­ten Land­schaft mei­ner Hei­mat so längst nicht mehr gibt. Sie nah­men ihre Bestim­mungs­bü­cher auf die Rad­fahr­ten am frei­en Sonn­tag mit und schlu­gen die Pflan­zen und Insek­ten nach, um deren Namen zu kennen.

Und sie freu­ten sich am meis­ten, wenn sie ohne die Fach­li­te­ra­tur alles benen­nen und wie­der­erken­nen konn­ten. Gegen­sei­tig beschrie­ben sie sich Eigen­hei­ten und Lebens­wei­se der Mitgeschöpfe.

Was für ein qua­li­fi­zier­ter Pro­vin­zia­lis­mus, dach­te ich spä­ter. Ein paar Ver­se Gott­fried Ben­ns paß­ten dar­auf, aus sei­nem Gedicht „Melan­cho­lie“:

„Du mußt aus dei­ner Gegend alles holen,
denn auch von Rei­sen kommst du leer zurück,
ver­läßt du dich, begin­nen Kapriolen
und du ver­lierst dir Stück um Stück.
Von Blu­men mußt du sol­che wählen,
die blühn am Zaun und halb im Acker schon,
die in das Zim­mer tun, die Lau­te zählen
des Lebens Lau­te, sei­nen Ton:
ver­min­dert oder gro­ße Terzen –
ein Kält­li­ches ver­starrt die Herzen.“

Ja, die Eltern hol­ten aus ihrer Gegend alles, aus der immer etwas drö­gen Natur einer sprö­den deut­schen Rand­re­gi­on, der Pri­g­nitz. Gott­fried Benn war gleich­falls Pri­g­nit­zer, wenn­gleich nur von Geburt, was ich immer bedauerte.

“In mei­nem Eltern­haus hin­gen kei­ne Gainsboroughs
wur­de auch kein Cho­pin gespielt
ganz amu­si­sches Gedankenleben
mein Vater war ein­mal im Thea­ter gewesen
Anfang des Jahrhunderts
Wil­den­bruchs »Hau­ben­ler­che«
davon zehr­ten wir
das war alles.” (“Teils-Teils”)

Wenn die Eltern doch mal reis­ten, immer in ihren Som­mer­fe­ri­en, dann zunächst wei­ter­hin mit die­sem klei­nen Zelt, das sie schon in Binz zwi­schen den Dünen auf­ge­schla­gen hat­ten. Über­haupt ging es immer ans Was­ser, das in der Pri­g­nitz, dem tro­cke­nen Alt­mo­rä­nen­ge­biet, nun mal fehlt. Ohne mor­gens, gera­de aus dem Zelt raus, in einem See zu schwim­men, war’s kein Urlaub. See und See­le. Sie ver­stan­den nicht, wie man im Som­mer ins Gebir­ge fah­ren konnte.

Als ich etwas grö­ßer war, kauf­ten sie ein „Steil­wand­zelt“ und nah­men mich mit. Und so sah ich zum ers­ten Mal als klei­ner Jun­ge das Meer. Aber ich erfuhr auf dem Zelt­platz in Neu­glob­sow am Gro­ßen Stech­lin gleich­falls von Theo­dor Fon­ta­ne und in Feld­berg vom so famo­sen wie unglück­li­chen Erzäh­ler Hans Fal­la­da. Mein Vater brach­te mir das Schwim­men bei, als ich fünf war. Spä­ter absol­vier­ten wir unse­re Ret­tungs­schwim­mer-Prü­fun­gen lan­ge gemeinsam.

Weit weg waren wir nie. Aber immer dicht dran. Am Eigentlichen.

Mit vier­zehn schon kam ich von zu Hau­se fort, in das Inter­nat einer Erwei­ter­ten Ober­schu­le. Aber das Dorf­kind, das ich mal war, blieb ich. Der einst, 1964, von mei­ner Mut­ter gepflanz­te Nuß­baum über­schirmt an mei­nem Eltern­haus bei­na­he ein Drit­tel des Hofes und spen­det im Som­mer küh­len Schatten.

Heino Bosselmann

Heino Bosselmann studierte in Leipzig Deutsch, Geschichte und Philosophie für das Lehramt an Gymnasien.

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Kommentare (107)

Nemo Obligatur

11. Juli 2022 23:04

"Das seltsame Hochzeitsfoto meiner Eltern zeigt einen Mann vom Zirkus im Eisbärkostüm zwischen den beiden frisch Vermählten."

Praktisch unbezahlbar. Ich hoffe, Sie halten das Foto in Ehren und vererben es samt der Geschichte noch über Generationen. Müsste man eigentlich einen Roman draus machen ("Das Hochzeitsfoto" oder "Hochzeit mit Eisbär" oder so).

Laurenz

11. Juli 2022 23:47

@HB 

Muß Ihre Geschichte erstmal wirken lassen.

Hab für Sie & alle mal ein paar Eindrücke von der Prignitz herausgesucht.

https://youtu.be/wCQCQJoJdgk

https://youtu.be/RhjUM_tqVTI

https://youtu.be/zj6l8Rng5mc

https://youtu.be/q7EJh9tn5wE

https://youtu.be/wtsfl7Z23oI

Alle Videos sind recht kurz.

Maiordomus

12. Juli 2022 06:20

@HB. Ich hielt Sie immer, wie keinen, der hier schreibt oder schrieb - Wawerka enttäuschte mich von wegen Übereifer - für einen Gesinnungsfreund, wobei aber meine Freundschaften im Osten Deutsch-Schlesien betreffen, solche, mit denen man bis zum Gehtnichtmehr sich über die heilige Hedwig unterhalten kann bzw. konnte. Ganz besonders bewegt mich an Ihrem bis dato für mich schönsten Text - hätte auch in Phonophor gepasst - der Hinweis auf Hellerau als Bücherstadt. Der grösste Förderer meines Lebens - in Richtung Autorschaft - lernte in den Zwanzigerjahren des vorigen Jahrhunderts dort beim Verlag Jakob Hegner Setzer. Mehr noch, er war der Setzer von Reinhold Schneiders Erstlingswerk "Das Leiden des Camoes oder Untergang und Vollendung der portugiesischen Macht": ein Buch, von dem Hermann Hesse nicht weniger begeistert war wie der elitäre Georgeaner Friedrich Gundolf davon enttäuscht. Der Mann, Übersetzer exquisiter französischer Literatur, u.a. Paul Claudel, hat mich in jungen Jahren zum (nebenberuflichen) Mitarbeiter des Suhrkamp.Verlags vermittelt, wobei dort aber nicht Unseld die Bezugsperson wurde, sondern dessen auch für Literatur "unserer Richtung" begeisterte erste Frau, deren Sohn Joachim sich dann nach Zerwürfnis u.a. mit der 2. Frau Unselds als Verleger selbständig gemacht hat. 

Maiordomus

12. Juli 2022 06:35

PS. An @HB. Mit einer praktizierend kommunistischen Mutter hätte ich echt Mühe gehabt. Dann doch lieber eine katholische "Frömmlerin". Sagte jeweils der Vater: "Wirst das Geld wieder mit der Schaufel zum Fenster hinaus!", wenn sie noch und noch ein frommes Werk unterstützte. Ihr biografischer Befund erklärt indes, dass und warum Sie, wenn ich mich richtig erinnere, als Grenzsoldat im Dienste der DDR tätig werden konnten. Für mich ist übrigens Soldat - gleich in welcher Armee - bis zum Beweis des Gegenteils ein höchst anständiger Beruf, im durchaus Clausewitzschen Verständnis das Gegenteil eines "Mörders", welche potentiell eher bei den Politikern oder Politikerinnen zu finden wären. Ich war und bin gegenüber Soldaten weniger misstrauisch als gegenüber Intellektuellen, sogar Literaten, wiewohl ich selber zu letzteren gehöre und wiewohl meine Erinnerungen an die Rekrutenschule in einem Land, dessen Armee damals völlig unbestritten war, höchst miserabel ausgefallen sind. 

Dieter Rose

12. Juli 2022 10:15

. .  . und jemand wie Sie wird des Lehrerberufs nicht würdig befunden?

Mboko Lumumbe

12. Juli 2022 11:00

Vielen Dank Herr Bosselmann für Ihre lebendige Geschichte. Auch ich stamme aus "kleinen Verhältnissen" und Ihre Erzählung habe ich gern gelesen und mich erinnert.

Natürlich habe ich meine Parallelen gezogen und mitgefühlt. Aus Ihren Zeilen spricht das Glück Ihres Lebens und Zufriedenheit über Erlebtes. Ich selbst empfinde Dankbarkeit und Demut und teils auch Wehmut. Über Gelebtes, Erlebtes, Vergangenes, Gegenwärtiges und Kommendes. Über Unabwendbares und Ohnmacht.

Mir selbst war und ist so vieles möglich und "große Verhältnisse" habe ich kennen und verachten gelernt, die narzisstische Welt der Lügner und Lebenslügen. Um mich schließlich selbstbestimmt und gerne wieder in "kleine Verhältnisse" zurück zu ziehen.

Ihr Alter hat mich etwas überrascht, ich hätte Sie 10-15 Jahre jünger geschätzt :)

Das Leben ist schön. Ich liebe das Leben und das Leben liebt mich. Das wünsche ich auch Ihnen und allen hier.

RMH

12. Juli 2022 12:06

"Kleine Verhältnisse" - so war das wohl, im einstigen Arbeiter- und Bauerstaat. Da waren eben (fast) alle in "kleinen Verhältnissen", bis auf die, die gleicher als gleich waren. Aber waren das dann nicht eher normale Verhältnisse?

Maiordomus

12. Juli 2022 12:37

@RMH+Mboko. Grosse Verhältnisse - kleine Verhältnisse. Siehe die Hochzeit des deutschen Finanzministers auf Sylt, soeben bei www.weltwoche.ch von M. Matussek mit ausserordentlich treffender Kritik geschaltet (so ein Kompliment schreibe ich über jenen Autor als Literaturkritiker selten einmal), und wie sich da die Kirche schlicht prostituiert hat, und der zwar ungläubige Sloterdijk inbegriffen. Es ist wohl mithin eine Bankrotterklärung des einst im guten Sinn kleinbürgerlichen Liberalismus von 1848, so weit derselbe auch nur andeutungsweise von der F.D.P. noch beansprucht werden wollte. Als Jahrgänger v. Sloterdijk und auf bescheidenerer Ebene mal Lehrer seines Faches möchte ich indes fast lieber Berufsverbot in der Art von HB durchstehen als je eine solche Laudatio zu einem derart absurden Anlass halten. Schade, hat Orwell in der "Farm der Tiere" nicht noch eine Hochzeitsfeier der herrschenden Schweine beschrieben! Dass indes die "kleinen Verhältnisse" nicht automatisch Integrität bedeuten müssen, es innerhalb derselben auch mancherlei "horizontale Unterdrückung" gibt und vor allem viele Kleinlichkeiten, steht wiederum auf einem anderen Blatt. 

kikl

12. Juli 2022 12:38

Der Krieg gegen das freie Wort nimmt Fahrt auf. Die linksextreme Innenministerin Faeser will im Kampf gegen "Cyberattacken" neue Befugnisse der Exekutive:

"»Bund und Länder müssen den Cybergefahren koordiniert entgegentreten«, sagte Faeser bei der Vorstellung des Konzeptes in Berlin. Zudem solle der Bund zusätzliche Befugnisse zur Gefahrenabwehr erhalten. Für beides solle das Grundgesetz geändert werden, kündigte die Innenministerin an."

Das Grundgesetz steht also der "Verfassungsschützerin" im Wege? Wer hätte das gedacht? Vielleicht sollte sie einfach den lästigen Art. 5 GG streichen?

Ihre größte Furcht gilt der "gezielte Desinformationen". Meint Sie damit gezielte staatliche Desinformation, wie "Niemand hat die Absicht, eine Impfpflicht einzuführen!? ;-)

https://www.spiegel.de/politik/deutschland/deutschland-nancy-faeser-will-die-bundesrepublik-besser-vor-cyberattacken-schuetzen-a-f22ff011-25c3-41ef-bed5-65c04772b7ad

Imagine

12. Juli 2022 13:25

1/2

Die Stärke von H.B. liegt in der lebendigen Beschreibung seiner Lebensumwelt, seine Schwäche im Verbleib in der Deskription, weshalb die große historische Perspektive und die sozialwissenschaftliche Reflexion fehlen.

Die Lebensgeschichte von H.B. beginnt 1963 oder 1964. Meine bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit in Westdeutschland. Da lebten wir in Armut. Familien in meiner Lebensumwelt waren Absteiger, Kriegsverlierer und – wie in meinem Fall - Flüchtlinge.

In den 50-er Jahren herrschte Knappheit, es wurde gespart, wo es möglich war. Was man selbst machen konnte, wie Stricken, Schneidern, Einwecken, Obstwein herstellen. Schuhreparaturen, Malerarbeiten etc. wurde selbst gemacht. Viele ernährten sich – zumindest teilweise – durch Subsistenzökonomie aus dem Garten oder dem Stall hinter dem Haus. Was repariert werden konnte, wurde repariert. Die Sachen wurden geschont und man achtete beim Kauf auf Haltbarkeit.

Die Wende kam in den 60-er Jahren. Da stand der Konsum im Mittelpunkt des Lebens: Fresswelle, Autowelle, Reisewelle etc. Konsum wurde zur ersten Bürgerpflicht und die Gesellschaft zur Wegwerfgesellschaft.

Imagine

12. Juli 2022 13:27

2/2

Die 68er Bewegung basierte ganz wesentlich auf der Ablehnung der US-amerikanisierten Konsumgesellschaft. Die Konsumverweigerer trugen die billigsten Hosen, die es gab. Arbeiterhosen Marke „Levi Strauss“ damals für 14 DM, heute ein überteuerter Modeartikel. Dazu einen gebrauchten Parka der US-Army für kleines Geld. Zum Vergleich: Eine gute Hose kostete damals ab 60 DM.

Man kämpfte gegen den „Konsumterror“. „In der Nacht zum 03. April 1968 brannten in Frankfurt zwei Kaufhäuser. Ein Anschlag? Jugendlicher Vandalismus? Politische Aktionskunst? Vier Personen wurden verhaftet und erschienen vor Gericht mit Che-Zigarre und demonstrativer Ablehnung: Vor einer solchen Justiz verteidigen wir uns nicht.“[https://tinyurl.com/yfr46nfk]

Wie der Mord an Benno Ohnesorg gehörte der „Kaufhausbrandstifter-Prozess“ [https://tinyurl.com/5pn8ukm4] zu den Anlässen des von durchgeknallten Revoluzzern geführten „bewaffneten Kampfes“.

Die meisten der heutigen Retro-Nostalgiker begreifen nicht, dass die „guten, alten Zeiten“ der Marktwirtschaft zum Opfer gefallen sind. Das ist auch der Grund, weshalb die Entwicklung in der DDR anders war.

Gerade auf Seiten der Rechten finden sich viele, die diesen Zusammenhang nicht erkennen, so m.E. auch und besonders in der „ Schnellroda–Szene“. Dort manifestiert sich eine Sehnsucht nach dem angeblich früher noch „normalen Deutschland“ und der Wunsch nach gesellschaftlichem Rückzug und Ausstieg.

Sandstein

12. Juli 2022 14:47

@Imagine

ich möchte Ihnen widersprechen. Ich bin zwar 1990 Jahrgang, aber habe zum einen Geschichte studiert und zum anderen sehr genau die meiner Familie recherchiert. Unter anderem war das durch umfangreiche Memoiren meines Großvaters möglich. Meine Familie stammt ursprünglich aus Quedlinburg und ist im Zuge der Ostkolonisierung nach Schlesien gelangt.

Es war eine arme, wenn auch angesehene Pfarrers- und Lehrerfamilie, und auch damals war außer den großen Gutsbesitzern und den Kaufmannsfamilien in den Städten die Landbevölkerung schlichtweg arm. Das hat mit dem Krieg recht wenig zu tun, ohne einen eigenen Garten, Obstbäume und ein im Frühjahr geschenktes Ferkel (vom Gutsbesitzer) hätte meine Urgroßmutter sicher keine 7 Kinder durchbekommen. 
Ansonsten finde ich Ihren Versuch der Sozialanalyse recht dürftig, natürlich konsumieren die Menschen mehr, wenn es mehr gibt. 
Ohne Marktwirtschaft sitzt man eben im Winter im halbdunkel des Ofens, vielleicht erleben wir das ja dank Grüner Nostalgiker bald wieder. Ich bezweifle aber, dass damit viel gewonnen wäre.

Dietrichs Bern

12. Juli 2022 15:02

@Imagine: "Die meisten der heutigen Retro-Nostalgiker begreifen nicht, dass die „guten, alten Zeiten“ der Marktwirtschaft zum Opfer gefallen sind. Das ist auch der Grund, weshalb die Entwicklung in der DDR anders war".

Nun, anders, in der Tat. So kann man Schüsse auf fliehende Menschen auch zusammenfassen. Von allen, die hier kommentieren, sind Sie mit Abstand der kaltschnäuzigste. Auch irgendwo ein deutsche Tugend.

Umlautkombinat

12. Juli 2022 15:24

"Die Lebensgeschichte von H.B. beginnt 1963 oder 1964. Meine bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit in Westdeutschland."

Bitte hier abbrechen und nicht die große historische Perspektive und die sozialwissenschaftliche Reflexion vergessen!

 

Niekisch

12. Juli 2022 17:25

"Schwäche im Verbleib in der Deskription, weshalb die große historische Perspektive und die sozialwissenschaftliche Reflexion fehlen."

@Imagine 12.7.13:25: In der Deskription aber großartig und bewegend. Muß alles sofort reflektiert werden? Können wir nicht auch erst einmal auf uns wirken lassen? Und dabei sofort in eigene Erinnerungen fallen? Stockgefechte mit den Nachbarsjungen, Murmelspielen auf der Straße, der Waschzuber voller Erde als Heimstatt eine Salamanders, der beißende Geruch amerikanischer Miltärkolonnen usw.

Pferdefuss

12. Juli 2022 17:44

Bosselmanns Text hat Substanz, weil er ehrlicher, lebendiger, persönlicher nicht sein könnte. 

Auch ich möchte ihn erst einmal setzen lassen (also bitte, nicht so rasch die Kommentarfunktion schließen). Mir scheint, dass hier Fühlen, Denken, Erinnern, Aktualisieren über die eigene Familie als Paradigma weit zurück und hinausreicht und eine immer noch Stachel ist: die Herkunft im Osten. 

Im Westen waren Erinnerungsbücher über Schlesien, Ostpreußen, Memel, Böhmen/Mähren nicht ungewöhnlich. Doch die DDRler, sofern sie nicht abgehauen sind,  hatten die Gelegenheit nur bedingt.

Wäre für 'Antaios' eine diesbezügliche Anthologie erstrebenswert?

@Imgine

Die 68er Bewegung basierte ganz wesentlich auf der Ablehnung der US-amerikanisierten Konsumgesellschaft...  Derselbe Stallgeruch, doch entgegengesetzter Schluss/Schuss:  U-Musik, Mode, Lektüre, Film wurden als Nischen-Alltags-Kultur made in USA nicht 'abgelehnt,' sondern in den untersten Schubladen exportiert, kopiert, multipliziert. 

Wie wir nach und nach erfahren haben: Frankfurter Schule, APO, Studentenbewegung, Fischer,  Spielwiese Westberlin, Hippies, antiautoritäre Erziehung, sexuelle Befreiung, Feminismus waren mit Hilfe des CIA) bunt lackierte Lockvögel und sind es beim Gendern, Denglisch, Donuts, Umweltaktivismus, Geschlechtswandel... bis heute.  

Mitleser2

12. Juli 2022 19:59

@Imagine: "Die Wende kam in den 60-er Jahren. Da stand der Konsum im Mittelpunkt des Lebens: Fresswelle, Autowelle, Reisewelle etc. Konsum wurde zur ersten Bürgerpflicht ..."

Und das war natürlich nur schlecht, unmöglich, und abzulehnen. Was für ein Weltbild Sie haben ...

Wie hochnäsig kann man sein?

frosch

12. Juli 2022 20:51

Vielen Dank! Ich liebe Ihre Erzählungen und Geschichten.

ede

12. Juli 2022 23:04

Ja die Prignitz ist schon eine sehr abgelegene Landschaft. Ich war da mal in Babe (danke für die Links Laurenz). Man verirrt sich leicht ohne Navi, weil alles kilometerweit gleich aussieht. So ähnlich stell ich mir Ostpreußen vor.

Nicht mal die AfD hat dort Erfolg, so abgelegen ist PR. Aber, das haben Sie ganz wunderbar erzählt, man kann dort eine glückliche Kindheit haben und alles lernen (oder mitnehmen) was man braucht.

So war das auch bei mir in Ilmenau in Thüringen, in diesem kleinen KdF Haus am Wald. Die eisverklumpten Wollhandschuhe ausziehen und die Hände unter kaltes Wasser halten (unter warmen kommt der Bizzel, und das tut weh).

Schön und gut, wenn man sich von seinem guten alten Lehrer verabschieden kann. Mir ist es zu spät eingefallen.

 

Laurenz

12. Juli 2022 23:11

@Maiordomus

Die historischen (indigenen) deutschen Kommunisten unterscheiden sich eklatant vom bolschewistischen Schlampladen. Natürlich gab es auch in der DDR genügend Schlamperei. Noch Mitte der 80er Jahre sah man an irgendwelchen Ministerien 2 Parallelstraßen von der Prachtstraße Unter den Linden/Stalinallee entfernt, vom Weltkriegs-Pulver geschwärzte Mauern & nicht verputzte Geschoßgarben, ein Sauladen. Aber die Mentalität war doch preußisch, oft auch noch im meist besoffenen DDR-Prekariat. Eine Ex-Liebschaft von mir aus Merseburg, auch eine überzeugte DDR-Bürgerin, fiel fast vom Stuhl als ich Ihr Aufmärsche mit Marschmusik, Wachwechsel etc. aus dem III. Reich zeigte. Bis auf unterschiedliche Liedtexte & Redeinhalte gab es quasi keinen Unterschied. Die DDR-Uniformen sahen etwas billiger aus, als die des III. Reichs. Aber alles in allem, zumindest nach außen, preußisch bis in die Haarspitzen. Das findet sich, zumindest in meiner Wahrnehmung, auch bei HB wieder, im Prinzip ein durch die Eltern personifizierter innerer Widerspruch zum liberalistischen Ansatz HBs in Seiner politischen Sicht der Dinge, wohl verkörpert durch Mutter & Vater.

Gracchus

13. Juli 2022 00:57

Bosselmanns Miniaturen, aus dem eigenen Leben gegriffen, gefallen mir am besten - so gut sogar, dass ich sie anstatt am Bildschirm lieber in Papierform lesen würde (mir erschiene reizvoll, solche Episoden in einem Buch zu sammeln, nur lose verknüpft; das Benn-Zitat würde ich dann streichen). Besser als die mit kulturkrischem Impetus geschriebenen Beiträge, die stets Gefahr laufen, zu sehr ins kaum Allgemeine, Pauschale zu gehen. 

Daher vermisse ich auch keine sozialwissenschaftlichen Reflexionen. Ästhetisch wäre das ein Bruch, wenn plötzlich abstrakte Theorie (als Jargon auch noch) auftauchte; reizvoll allenfalls als Parodie, um zu zeigen, wie (erklärungs-)arm die Theorien gegenüber dem konkreten Leben sind. Erklären tun sie immer weniger; oder so: je mehr sie erklären (wollen), umso unanschaulicher werden sie, und um sie anschaulicher zu machen, greift man dann doch wieder auf die eigenen Erfahrungen zurück, die kleinen Verhältnisse, aus denen man kommt.

Imagine

13. Juli 2022 00:57

Bin immer wieder überrascht durch die vorherrschende soziologische und ökonomische Blindheit, welche eine Hirntodcharakteristik aufweist.

Denn dass der Kapitalismus von seiner Systemlogik her eine Vergeudungsökonomie ist, müsste eigentlich Allgemeinwissen sein, zumal dies offensichtlich ist. Ebenso dass das strukturelle Hauptproblem der vorindustriellen Gesellschaften der Mangel war, während hingegen im Industriekapitalismus das Hauptproblem die Überproduktion aufgrund gesättigter Marktnachfrage ist.

Deshalb die künstliche Verschleißproduktion und die Werbemanipulation der Konsumenten, die insbesondere auch durch verdeckte Werbung geschieht. Man muss kaufen, um „in“ zu sein und um höheren Sozialstatus zu besitzen. Schon die kleinen Kinder werden mit Markenbewusstsein konditioniert.

Dass die psychologische Manipulation negative Folgen für die Intelligenz und das Bewusstsein der Menschen im Kapitalismus hat, sollte jedem klar sein, der noch über etwas eigenen Verstand verfügt.

Dann der dogmatische Glaube an die systemische Überlegenheit von liberaler Marktwirtschaft und Kapitalismus gegenüber möglichen Alternativen von Ökonomie. Obwohl China das Gegenteil beweist.

links ist wo der daumen rechts ist

13. Juli 2022 05:30

Geschichtsstille

 

Ein berührender Text.

Auch bei „Platte II“ habe ich schon aufgehorcht und glaube zusammen mit der Passage über die Fahrt in den Kiefernwald („Ach, heute sind wir mal im Forst.“) im Text „Staatssicherheit ohne Stasi“ nun eine Art von Paradigmenwechsel wahrzunehmen: weg von ideologischen Versatzstücken und besserwisserischem Anti-Utopismus hin zu alltagsphänomenologischen Betrachtungen.

Parallele Beobachtungen nehme ich beim geschätzten Kollegen Jörg Seidel wahr.

Handke könnte ein Vorbild sein oder auch der von ihm geschätzte Kracauer.

Auch denke ich an die Gespräche zweier Emigranten (deren Nachnamen mit dem Buchstaben B beginnen) im dänischen Exil über Kafka, ob er Visionär oder Weiser sei; es bleibt unentscheidbar, daher die „wolkigen“ Stellen in Kafkas Texten…

Oder an das, was bei Franz Jung „Geschichtsstille“ heißt.

Ich weiß: linkes Spektrum, wenn auch mit Überschneidungen.

Ein anderer Weg scheint vom großen W.G. Sebald herzuführen, den ich als Mischung aus Biographismus und Naturgeschichte bezeichnen würde.

Jedenfalls ist parallel zu den Frontverschiebungen seit Corona ein neuer Ton da und das ist gut so.

RMH

13. Juli 2022 07:20

"Dann der dogmatische Glaube an die systemische Überlegenheit von liberaler Marktwirtschaft und Kapitalismus gegenüber möglichen Alternativen von Ökonomie. Obwohl China das Gegenteil beweist."

@I,. Mit dem letzten Satz erweisen Sie sich selber als Dogmatiker.

Was soll überhaupt das ewige was besser, was schlechter etc. ist - noch dazu mit "wissenschaftlicher" Verbrämung? Wer den Maßstab oder die Bewertung, den "Score" festlegt, kann sich jedes "System" zu Überlegenheit rechnen und modellieren und wendet dabei folgerichtige, wissenschaftliche Methodik an! Nachdem es keinen Gott mehr gibt, muss als Autoritätsbeweis stets die Wissenschaft oder zumindest die Wissenschaftlichkeit der Methodik herhalten - und verkommt damit selber zur Hure (haben wir mit Corona deutlich erlebt. Das programmierte Modellierungen die Zukunft bestimmen, ist ein weiteres Thema). Dabei ist bis heute ungeklärt, wann ein Glas halb voll und wann halb leer ist. 

"Ein Mensch allein – immer eine Möglichkeit. Eine Masse – immer eine Unmöglichkeit." (Jörg Fauser. Auch so ein "West"-Literat).

Umlautkombinat

13. Juli 2022 09:12

Noch dazu: Das ganz nebenlaeufig formulierte, skizzenhafte Anreissen der Verwandschaftsherkuenfte schlaegt allein zehn Baende Sennett. Erst recht die extrem arme ausdruckslose mechanistische Wissenschaftsauffassung eines Schreibers, die hier viele Kommentatoren auf die Palme brachte. Die allgemeinen Zuege, die sie schon immer erfolglos versucht abzubilden, entstehen beim Lesen des Artikels durch Assoziation ganz allein im Kopf. Das muss man erst einmal koennen. Ich dachte erst, das ist eher persoenlich (selber Jahrgang wie HB, DDR-Herkunft, die Landarbeitergrosselten in meinem Fall staedtisch lokalisierte Arbeiter, u.a.m.). Aber dem ist offensichtlich nicht so. 

 

Franz Bettinger

13. Juli 2022 10:11

@RMH: Ich habe die Hure „Wissenschaft“ in meinem Beruf (Arzt) von Anfang an kennengelernt (hatte daher anfangs 2019 ein déjà vu). Andere brauchten länger. Viele sind der Hure erst durch die Corona-Lügen auf die Spur gekommen. Manche lernen’s nie. 

Laurenz

13. Juli 2022 10:38

@HB (1)

Als 65er habe ich ganz ähnliche Erfahrungen gemacht. Ich denke, abgesehen von reinen Großstadtkindern, waren die einfachen Verhältnisse, der Bezug zur Natur & Umwelt der Normalzustand. Die Prignitz sieht im Charakter sehr nach Norddeutschland aus, aber wunderbar, wie unser ganzes schönes Land. Ich erlebte die Grundessenz Ihrer Erzählungen im Wechsel von Frankfurt & dem ländlichen Unterfranken, wobei meine Großeltern einfache Leute waren, aber Garten, Beeren, Lindenblüten, Pilze sammeln war schöner Alltag. (Mein Großvater zauberte auf Seiner Hobelbank perfekte Holzleitern & konnte zum Trocknen 6 Meter hohe Holzscheittürme bauen, die nie einstürzten.)

Laurenz

13. Juli 2022 10:38

@HB (2)

Als 65er habe ich ganz ähnliche Erfahrungen gemacht. Ich denke, abgesehen von reinen Großstadtkindern, waren die einfachen Verhältnisse, der Bezug zur Natur & Umwelt der Normalzustand. Die Prignitz sieht im Charakter sehr nach Norddeutschland aus, aber wunderbar, wie unser ganzes schönes Land. Ich erlebte die Grundessenz Ihrer Erzählungen im Wechsel von Frankfurt & dem ländlichen Unterfranken, wobei meine Großeltern einfache Leute waren, aber Garten, Beeren, Lindenblüten, Pilze sammeln war schöner Alltag. (Mein Großvater zauberte auf Seiner Hobelbank perfekte Holzleitern & konnte zum Trocknen 6 Meter hohe Holzscheittürme bauen, die nie einstürzten.) Der Hang & Drang Ihrer Eltern zum Lehrerdasein ist schon etwas mehr Individuelles. Wahrscheinlich prägte mich früh Karl May, der irgendwo in Seiner Phantasiewelt irgendwelche Deutsche traf & sich einfach darüber freute, egal aus welcher Ecke sie kamen. Daß Ihre Frau Mutter aus Polen stammt, ist erstmal kein Problem, welches als solches zu erkennen wäre. Der schlechte Ruf der Polacken, unter dem Ihre Frau Mutter zu leiden hatte, stammt eben aus den politischen & militärischen Erfahrungen mit diesem Stamm.

Laurenz

13. Juli 2022 10:41

@HB (3)

Ich war auf dem Lande genauso glücklich wie Sie. Abenteuer gab es immer genug, auch wenn die gute handwerkliche Pädagogik meines Großvaters an mir mit Hopfen & Malz vergeblich wirkte. So, wie Sie Ihre wunderbare Geschichte aus Kindheit & Jugend mit viel Herz erzählt haben, so können Sie genauso davon ausgehen, daß Sie mit Liebe gezeugt wurden. Das ist das einzige, was wirklich zählt. Und wenn Sie meiner Wahrnehmung nicht glauben können, so suchen Sie Sich einfach einen Familiensteller in Ihrem Landstrich. Dort haben Sie die Möglichkeit, Ihre eigene Wahrnehmung zu nutzen. Dazu brauchen Sie noch nicht mal glauben, nur erleben.

Laurenz

13. Juli 2022 10:53

@Imagine

Verstehen Sie das alles nicht? 

Meine Großväter waren Sozialisten, manche meiner Großonkel Kommunisten. Meine Kindheit & die vieler anderer, die ich in meinem Umfeld erlebe, hatten quasi dieselbe oder eine ähnliche  Kindheit & Jugend, wie HB, im ländlichen Raum. Das ist es völlig scheißegal, ob man in Wittenberge oder in Weilmünster aufwächst. Sehen Sie es doch mal, wie ein Franzose. Unser gemeinsames Deutschsein ist viel elementarer, wichtiger, entscheidender im Guten, wie im Schlechten, als jegliche politische Systemanalyse.

Daß die Deutschen, wie Sie auch, das, aufgrund des geringeren römischen Einflusses föderaler sehen, als unsere Nachbarn im Westen, ist in diesem Fall einfach nur bedauerlich, ein Volkscharakterfehler.

RMH

13. Juli 2022 11:26

Man sollte bei diesen Erzählungen nicht den Fehler machen, sie in eine Art "früher war alles besser" Schema zu pressen. Wir wissen alle, dass wo Licht ist, auch Schatten ist. Und nochmal: Ich halte "kleine Verhältnisse" für den falschen Einstieg in diese Erinnerungen. Klein mögen sie aus heutiger Sicht erscheinen, H.B. schildert aber doch eher solide, normale und bildungsbürgerliche Verhältnisse. Einzig der Bruch, auf ein Internat gehen zu müssen, erscheint nicht unbedingt alltäglich zu sein. Ich selber bin in einem Arbeiterviertel (West) aufgewachsen und nach meiner Erinnerung war das viele "draußen die Welt entdecken" der Kinder und Jugendlichen eher eine positive Nebenwirkung des Umstandes, dass die Schicht arbeitenden Väter Störgeräusche von Kindern und Familie mit strikter Prügel unterbanden. Das man sich dem Familiennest möglichst bald eher fern hielt, hatte klare Ursachen und die waren nicht unbedingt schön. Warum soll es beim Schichtarbeiter-Milieu in der DDR anders gewesen sein, außer, dass hier der Staat die Kinder und Jugend "aufgefangen" hat. Im Übrigen gibt es genug Schilderungen aus der damaligen Zeit. Ich jedenfalls kann es gut nachvollziehen, dass die Jugend irgendwann rebellisch wurde. Das drückte sich nicht nur in Studentenunruhen aus. In den Arbeiterviertel bildeten sich z.T. Jugendbanden (ja, so nannte man das damals - heute "Gangs"), die sich ihre Freiheit auch nahmen (was keinen romantischen Niederschlag fand).

Adler und Drache

13. Juli 2022 11:41

@Imagine

Ich denke, das Misstrauen gegen freie Marktwirtschaft und Wohlstand sind den meisten Deutschen ins kulturelle Mark geimpft. Auch wenn sie sich wortreich und lautstark über alles beschweren (das scheint zum Ritual zu gehören), muss man doch feststellen, dass der politische Kurs, der zum Verlust des Wohlstands führt, von einer breiten Mehrheit unterstützt wird. Das Ideal "ehrlicher Armut" und die Unterwerfung unter autoritäre Herrschaft scheint zur mentalen Grundausstattung der Deutschen zu gehören. Das kann man finden, wie man will, ich finde es vor allem erstaunlich: Offensichtlich haben hundert Jahre liberalistischen Flächenbombardements diesen Kern nicht zerstören können. 

   

 

 

Umlautkombinat

13. Juli 2022 12:05

"dass die Schicht arbeitenden Väter Störgeräusche von Kindern und Familie mit strikter Prügel unterbanden. Dass man sich dem Familiennest möglichst bald eher fern hielt, hatte klare Ursachen und die waren nicht unbedingt schön. Warum soll es beim Schichtarbeiter-Milieu in der DDR anders gewesen sein?"

Waehrend es explizite Pruegelbeispiele gab, war das nicht Allgemeinplatz unter Arbeiterfamilien. Anekdotisch, aber das, was mir in Erinnerung ist. Das Fernhalten war dem dann auch nicht geschuldet. Ich wohnte am Stadtrand. Da gab es Gaerten, Felder und Wald, alte Wehrmachtsgaragen, halb zugewachsene Bunker, auch noch etliche Ruinen. Es war eher Neugier, was da raustrieb. Und v.a.D. viele Kinder am Stueck, die zusammen losgingen.

 

Old Linkerhand

13. Juli 2022 12:26

Die Prignitz ist wunderschön, wenn man genauer hinschaut. Die Landschaft habe ich Ende der 70er Jahre kennengelernt. Später hat Hanecke dort „Das weiße Band“ gedreht. Gekommen bin ich damals wegen der Flüsse, genauer gesagt, wegen der Tiere und Pflanzen, die in und am Wasser lebten. Dömnitz, Stepenitz und der wohl im Mecklenburgischen liegende Gehlsbach waren meine Schatzinseln. Besonders die schöne Stepenitz hatte es mir angetan. Schon die Anreise aus Berlin mit Zug und Schienenbus und der 20 km Fußmarsch nach Wolfshagen waren immer ein Abenteuer. Geschlafen haben wir in den Lockstädter Wiesen unweit des Geburtshaus von Gottfried Benn, (  ( den wir damals natürlich nicht kannten ), immer mit Lagerfeuer und Rotwein (Rosenthaler Kadarka).

Old Linkerhand

13. Juli 2022 12:27

Im Hainholz oberhalb von Putlitz gab es damals noch den Pirol, der wie ein irrer gelber Derwisch durchs Blätterdach tobte. In den Wehrrauschen konnten wir bei Sonnenschein den Bachneunaugen beim Laichen zu sehen. In der Gegenströmung der Gumpen tummelten sich Elritzen, am Boden unter den Steinen schliefen die nachtaktiven Groppen und bei gewaltigen Eintagsfliegenschlüpfen stiegen die großen wie scheuen Bachforellen und die arglosen und sanften Äschen. Im Schlatbach, einem Nebenfluß der Stepenitz soll sogar die legendäre Flußperlmuschel gelebt haben. Heute gibt es es das alles nicht mehr, dafür aber geschmackvoll ausgebaute Gehöfte reicher Städter. Die alten Holz- und Steinbrücken, ein Refugium der Fledermäuse, sind verschwunden und mussten Beton und DSL Leitungen fürs Home Office weichen. Wird Zeit, daß ich abkratze.

Andreas Walter

13. Juli 2022 14:34

Endlich bin ich mal schnell genug.

@Herr Bosselmann

Wenn Sie eine richtig schöne, fast parkähnliche Platte mal kennen lernen wollen und auch Deutschland nochmal so erleben, wie es ursprünglich gedacht war, dann müssen Sie zu mir ins Erzgebirge kommen. Es gibt nämlich hier und da auch recht kleine und überaus günstige Platten in manchen Dörfern und in den kleinen Städten. Mit meiner schönen Platte hatte ich als unwissender Wessi daher richtig viel Glück, denn ich habe sie ohne vorherige Kenntniss der Region und näheren Umgebung blind und nur nach Preis im Netz ausgesucht. Kurz nach Sonnenaufgang, noch während meiner Anfahrt mit dem Kleintansporter für den Umzug, musste ich darum Ergriffen von der Schönheit des Moments und dieser Gegend sogar ein paar Tränen vergiessen. “Andreas, du kommst in's Märchenland“ waren in diesem Moment darum auch die Worte, die mir durch den Kopf gingen. Im Winter, sobald es dunkel ist, eine Fahrt durch die Dörfer mit dem Bus oder als Beifahrer im Auto? Unvergesslich. Mein Geschenk an Sie, wenn Sie mir vertrauen.

 

Andreas Walter

13. Juli 2022 14:37

Oh, das hier hatte ich vergessen noch anzuhängen:

https://www.mdr.de/video/mdr-videos/reportagen-dokus/video-frei-fromm-erzgebirge-100.html

Sandstein

13. Juli 2022 15:07

Das, was hier zur Marktwirtschaft und zum Kapitalismus geschrieben wird, entbehrt doch jeder vernünftigen Grundlage und ist Humbug. Der wirtschaftliche Aufbau nach 45 widerspricht diesem Erklärungsansatz zutiefst.  

Wenn es etwas gibt, dann ist es der deutsche Schuldkult, Grundlage der BRD und dank Entnazifizierung in sämtlichen deutschen Hirnen präsent. Die Amis nennen das „German Angst“.  
Dann schaut man 2-3 Arte Dokus über Plastikstrudel im Pazifik, untergehende Malediven und schon räumt der Deutsche im Pawlowschen Affekt seine Wirtschaft ab. Wenn dieses Volk was kann, dann schuldig fühlen. 
Das mag bedauerlich sein, aber dagegen gibt es anscheinend keine Medizin. 

Laurenz

13. Juli 2022 16:22

@Sandstein

Auch wenn ich diesmal Ihre Beiträge wieder richtig gut abkann, (ich weiß nicht warum Sie plötzlich anders schreiben, gibt es das Büro Sandstein mit mehreren Autoren?), so muß ich noch mal auf Ihre Entnazifizierung eingehen. In der SBZ wurde auch nicht alles, aber mehr entnazifiziert als in Trizonesien. In der DDR wurde auch, als Reparation an die Sowjets, mehr abgebaut & abtransportiert als in der BRD. Bis auf echte Täter, war Entnazifizierung ein formaler Akt, wie im Beichtstuhl mit 10 Vaterunser & 4 Mariahilf. Wollte man der bundesrepublikanischen Hofberichterstattung glauben, so gibt es viel mehr Nazis als früher, die wie Pilze aus dem Boden wachsen, oder das Haupt der Hydra, gegen die der Gegen-Rechts-Cafeteria-Kämpfer trotz riesiger Budgets irgendwie machtlos scheint. Wie Sie wissen, alles Theater. Eine echte Entnazifizierung bei Kirchen & Sozialverbänden, die tatsächlich vonnöten wäre, ist totgeschwiegen.

Carsten Lucke

13. Juli 2022 17:50

@ Old Linkerhand

" Wird Zeit, daß ich abkratze. "

Wenn Sie wüßten, wie gut ich das nachempfinden kann.

Der moderne Mensch scheint nicht ruhen zu wollen, bevor alle Schönheit zerstört und auch noch das letzte Geheimnis aus der Welt geschafft ist. Für beides hat er offenbar längst Sinn und Gespür verloren. Und das alles ist nicht rückgängig zu machen.

Habe schon seit geraumer Zeit begonnen, die Toten zu beneiden.

Imagine

13. Juli 2022 18:27

So wie man Heizungssysteme objektiv betrachten kann, so ist dies auch bei der Qualität von Wirtschaftssystemen möglich. Man kann die Effektivität, den Output, die Verteilung des Gesamtprodukts, den Umgang mit Ressourcen, die Folgen für unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen und für die Umwelt, die langfristige Stabilität, die politische Steuerbarkeit usw. vergleichen.

Wer profitiert von diesem System in welchem Umfang? Wer sind die Verlierer?

Es gibt statische, dynamische, Mangel-, Wachstums-, Vergeudungs-, Klassenökonomien etc. Das hängt von ihrer Struktur ab. Die chinesische Ökonomie hatte zur Mao-Zeit eine völlig andere Struktur als nach der Denk-Wende.

Es gibt keine allgemeine Struktur einer „sozialistischen“ Ökonomie, sondern höchst unterschiedliche. Nur dies begreifen insbesondere Menschen aus dem rechten Milieu nicht.

Wie überhaupt ein Mangel an wissenschaftlicher Rationalität bis hin zur Wissenschaftsfeindlichkeit generell kennzeichnend für das rechte Milieu ist.

Hartwig aus LG8

13. Juli 2022 19:44

Nicht jeder kann es so gut schreiben wie HB, aber viele hätten Ähnliches zu berichten. Meine Mutter aus Schlesien geflohen (6 Jahre alt); Kyritz - diesen Ort nannte sie auch; ich glaube, da hielten sie sich eine Weile auf um dann letztendlich im Sachsen-Anhaltinischen Burgenland anzukommen ...

Ferien bei den Großeltern auf dem Lande: Kirschbäume erklettern, Schmetterlinge mit dem Kecher fangen, beim Schlachtfest (Schwein) dabeisein dürfen, Angeln, Pilze suchen ... Dresche von der Dorfjugend kassieren, um dann doch gemeinsam Fußball zu spielen; Jod auf das aufgeschrammte Knie; Mückenstiche ohne Ende ...

Das unterschied sich damals in Ost und West wohl kaum. So wie es sich heute in Ost und West nichts nimmt ...

 

 

Hartwig aus LG8

13. Juli 2022 20:05

@ Imagine

Ich teile Ihre Meinung seltenst, schätze Ihre sich stets ähnelnden Beiträge dennoch ... sie sind nie hirnlos und oft ein Kontrapunkt ...

Allerdings ist es durchaus hirnlos, Ihre Endlosschleife als Kommentar unter solch einem Text wie diesem hier von HB fortzusetzen.  Das ergibt keinen Sinn.

 

Umlautkombinat

13. Juli 2022 20:07

"So wie man Heizungssysteme objektiv betrachten kann, so ist dies auch bei der Qualität von Wirtschaftssystemen möglich."

Nur was hat das mit dem Artikel zu tun? Warum sollte der Autor themenfremde Steckenpferde eines beliebigen Kommentators beachten muessen? 

Und was die Objektivitaet der praeferierten Art von Wissenschaft betrifft:

https://xkcd.com/435/

Ich komme hier von ganz rechts, fuer mich ist das alles butterweich unbestimmt... :-D

 

Hussitenkelch

13. Juli 2022 20:42

@ Gracchus:

Ich liebe diese Episoden aus dem eigenen Leben Herrn Bosselmanns auch. Sie sind sehr rührend und reizvoll, sie erinnern mich sehr an meine Kindheit, ebenfalls in kleinen Verhältnissen, auch wenn in einem anderen Land, in meiner Heimat.

Ich hatte die große Ehre, einen umfangreichen Roman von Herrn Bosselmann (nicht nur zu diesem Thema) zu lesen. Und ich bin dafür sehr dankbar. Ich hoffe, es bleibt nicht für immer in der Schublade seines Schreibtisches versteckt. Es wäre wirklich sehr schade.

 

 

Nemo Obligatur

13. Juli 2022 21:49

@ Carsten Lucke

"Der moderne Mensch scheint nicht ruhen zu wollen, bevor alle Schönheit zerstört und auch noch das letzte Geheimnis aus der Welt geschafft ist."

Seltsam, das sind fast genau meine Worte neulich in einer privaten Unterhaltung gewesen. Dieser Gedanke ist wohl recht weit verbreitet.

Man stelle sich eine einsame Gegend vor, eine kleine Hütte. Gemüsegarten ums Haus, einen Kartoffelacker daneben: Wiecherts "Einfaches Leben". Ab und zu im nächsten Dorf Seife, Klopapier, Zahncreme und -bürste. Den Rest selbst herstellen oder anfangs einmal mitbringen und langsam abnutzen. Kein Telefon, kein Radio, keine Zeitung, kein TV, kein Internet. Nur zwei freundliche Nachbarn in Rufweite, der Abwechslung halber. Dazu 500 erlesene Bücher. Was würde man groß versäumen?

RMH

13. Juli 2022 21:57

"Ich hoffe, es bleibt nicht für immer in der Schublade seines Schreibtisches versteckt. Es wäre wirklich sehr schade."

Na dann hoffen wir, dass sich ein Verlag mit ordentlichem Lektoriat der Sache annimmt und es veröffentlicht. Ich würde das Buch kaufen und denke, andere auch.

Und ganz unabhängig davon:

Es schwingt in der Diskussion ein Stück weit ins endlos gezogene Mid-Life-Crisis mit.

Gracchus

13. Juli 2022 22:23

@Umlautkobinat: Ihr letzter Kommentar: treffend

@Husitenkelch: Dem Wunsch schließe ich mich an. Wink mit dem Zaunpfahl an Antaios!

Ich habe den Text jetzt erneut gelesen. Alle "Figuren", obwohl nur kurz angerissen, treten sogleich lebendig vor Augen. Über manche würde man gern mehr erfahren, z. B. die schamanische Oma (das auch im Kontrast oder in Ergänzung zu dem wissenschaftlich geprägten Naturverständnis der Eltern, obwohl da auch ja auch Naturverbundenheit anklingt - See und Seele), manche Episode hätte gern noch ausführlicher geschildert werden können, z. B. der Hochzeitstag oder das Plumpsklo.  

Dass Bosselmann Gombrowicz schätzt, hätte ich nicht unbedingt vermutet. 

Da ich gerade den Zauberberg lese, habe ich das Kapitel von Bosselmann darüber im "Haus nebenan" gelesen.  

Imagine

13. Juli 2022 22:37

@Umlautkombinat   13. Juli 2022 20:07
„Nur was hat das mit dem Artikel zu tun? Warum sollte der Autor themenfremde Steckenpferde eines beliebigen Kommentators beachten muessen?“

H.B. beschreibt einen gesellschaftlichen Wandel zum Negativen. Es ist ein Verlust eingetreten, der nicht gottgewollt ist und auch nicht alternativlos war, sondern – so meine These - wesentlich durch die herrschende Klasse und ihr Wirtschaftssystem bedingt ist.

Das kapitalistische Profitsystem frisst sich wie ein Krebsgeschwür durch die Gesellschaft und wird alles durch historischen Fortschritt Erreichte wieder zerstören. Durch De-Industrialisierung, durch Migrationspolitik, durch Zerstörung der Infrastruktur etc. Dies ist inzwischen evident.

Wenn ein Mensch durch Krankheit zerstört wird, dann fragt man nach der Krankheitsursache, um kausal etwas dagegen tun zu können.

Das Gleiche gilt für Gesellschaften.

Aber den Rechten reicht es, ihren Verlust und ihren Schmerz darüber zu zeigen.

H.B. richtet sich freiwillig im Prekariat ein. Andere beneiden die Toten. Andere wollen sich zurückziehen und Bücher lesen und sich daran erbauen. Andere entwickeln Größenphantasien, sehen sich als Führer und Intellektuelle, obwohl sie in Wirklichkeit nicht über Mittelmäßigkeit und symbolischen Aktivismus hinauskommen und werden.

 

Sandstein

13. Juli 2022 23:07

„(ich weiß nicht warum Sie plötzlich anders schreiben, gibt es das Büro Sandstein mit mehreren Autoren?)“

@Laurenz 

das bringt mich zum Schmunzeln. Nein, gibt es nicht. Aber vielleicht ist es schlicht inhaltliche Überschneidung, die es ermöglicht, meine heutigen Beiträge zu schätzen. 
Zu Ihrem Beitrag, ja sicherlich inhaltlich richtig was Sie anführen. Was die Russen alles mitgenommen haben, durfte ich noch als Kind jedenfalls am Rande erleben. Meine, dass die letzten Truppen 1996 ihre Stützpunkte geräumt haben. 
Für mich steht der Begriff Entnazifizierung aber mehr als Chiffre für eine grundlegende Beseitigung des Deutschtums als einen ehrbaren Prozess der Aufarbeitung.
Ich hätte das besser dazugeschrieben. 

Carl Sand

14. Juli 2022 08:25

"Man stelle sich eine einsame Gegend vor, eine kleine Hütte. Gemüsegarten ums Haus, einen Kartoffelacker daneben: Wiecherts "Einfaches Leben". Ab und zu im nächsten Dorf Seife, Klopapier, Zahncreme und -bürste. Den Rest selbst herstellen oder anfangs einmal mitbringen und langsam abnutzen. Kein Telefon, kein Radio, keine Zeitung, kein TV, kein Internet. Nur zwei freundliche Nachbarn in Rufweite, der Abwechslung halber. Dazu 500 erlesene Bücher. Was würde man groß versäumen?"

Testikel.

KlausD.

14. Juli 2022 09:01

Wenn ich Prignitz höre, denke ich an den Namen von Quitzow, einer alteingesessenen und im 14./15. Jh. mächtigen Adelsfamilie, die ihre Benennung wohl vom heutigen Ort Quitzöbel erhielt. Als 1411 die aus Schwaben  stammenden Hohenzollern die Mark Brandenburg vom König als Lehen erhielten, waren die von Quitzow`s maßgeblich beteiligt am Widerstand gegen die Neuankömmlinge, konnten sich jedoch nicht durchsetzen, womit der Aufstieg der Hohenzollern in der Mark Brandenburg begann.

Nachzulesen zum Beispiel im Band 5: Kapitel „Quitzöwel“ der Wanderungen durch die Mark Brandenburg von Theodor Fontane wie auch thematisch behandelt im Roman "Die Hosen des Herrn von Bredow" von Willibald Alexis.

Der Gehenkte

14. Juli 2022 09:17

@ Gracchus

"Dass Bosselmann Gombrowicz schätzt, hätte ich nicht unbedingt vermutet."

Für mich ein zentraler Satz - ich sehe HB nun mit anderen Augen. Wer Gombro liebt, der kann kein Versteinerter sein. Nicht nur die vier Romane ("Die Besessenen" nicht mitgezählt), sondern auch die Tagebücher sind einmalig in der Weltliteratur. Ihn im Original zu lesen, ist ein großer Traum. Einer, der das geschafft hat, hat darüber einen Roman geschrieben: "Gombroman" von Rüdiger Fuchs. Empfehlung!

Allnichts

14. Juli 2022 11:34

So sehr ich diese romantischen und nostalgischen Vorstellungen zumindest teilweise, nämlich als verklärende Träumereien, nachvollziehen kann, so sehr stellt sich die Frage, weshalb am Ende eben doch kaum jemand ein solches sozusagen rückständiges und einfaches, ein im Grunde abseitiges Leben führt, weshalb auch die "Träumer" üblicherweise weitgehend in die moderne Welt eingebunden sind und auf viele moderne Errungenschaften nicht verzichten wollen. Es ist ja nicht so, dass die Hütten im Wald unerreichbar wären, es fehlt ihnen am Ende aber wohl doch der Glasfaserkabelanschluss. Hier wird die ganz reale Überzeugungskraft des gefühlt abgelehnten Fortschrittes deutlich, ein Prinzip, welches sich auch sehr gut auf den rückwärtsgewandten Teil des rechten Lagers übertragen lässt.

Dies aber eher allgemein und nicht konkret auf jene bezogen, die das Thema weiter oben ansprachen.

Sandstein

14. Juli 2022 12:20

"Als 1411 die aus Schwaben  stammenden Hohenzollern die Mark Brandenburg vom König als Lehen erhielten, waren die von Quitzow maßgeblich beteiligt am Widerstand gegen die Neuankömmlinge, konnten sich jedoch nicht durchsetzen, womit der Aufstieg der Hohenzollern in der Mark Brandenburg begann."

Das ist so nicht ganz richtig, die Quitzows haben sich genau wie die von Bredows mit Raub und Brandschatzung bereichert, als in der Mark ein Machtvakuum herrschte. Da ging es weniger um Widerstand gegen die "fremden" Hohenzollern als um eine Mehrung des eigenen Besitzes. Ganze Dörfer sind in Flammen aufgegangen. 

Ich hatte an meiner Schule paar Jahrgänge unter mir einen Nachfahren der Quitzows, sauberer Bursche. Ist dann traurigerweise bei seinem Großvater auf dessen Schloßgrundstück in einen alten Brunnenschacht gefallen und in einer Pfütze ersoffen. So oder so: die Quitzows sind ein Stück Geschichte der Mark, schön, dass Sie (mich) daran erinnern. 

 

Laurenz

14. Juli 2022 12:40

@Allnichts

Der Bruch dieses Lebens der kleinen Verhältnisse, welches HB beschreibt, liegt in HBs oder auch meiner Elterngeneration. HBs Eltern waren Lehrer, das erschloß auch damals einen gewissen Freiraum, der individuell gestaltbar war. Mein Vater hingegen arbeitete 6 Tage die Woche meist 11 - 12 Stunden in einer Bank. Meine Mutter arbeitete 5 Tage 5 Stunden jeweils als Sekretärin & kümmerte sich in der freien Zeit um den Rest, wie Familie & Haushalt. Wo sollen da noch Freiräume herkommen? Garten, Wald, Fluß & Handwerk erlebte ich bei meinen Großeltern. Meine Großeltern hatten 5 Kinder, meine Oma war Hausfrau, mein Großvater Pfleger in einer Anstalt. Das Einkommen aus diesem Beruf hätte nie gereicht, um die Familie durchzukriegen. Daher kam das zusätzliche ländliche Erwerbsleben, welches einerseits Romantik wie auch Existenzkampf verbrieft.

RMH

14. Juli 2022 13:58

"Es ist ja nicht so, dass die Hütten im Wald unerreichbar wären,"

Es ist gar nicht so einfach, sowas zu finden, wo man legal (!) in Deutschland wohnen darf. Bei uns ist doch alles bis in kleineste reguliert (und selber bauen ist außerhalb eines Bebauungsplans mehr oder weniger nicht drin - da kann einem das Grundstück so oft selber gehören, wie man will), daher ist die Hütte im Wald heute eher die 2-Raum-Wohnung in einer Platte ... oder ein altes Haus in einem Dorf auf dem Land (bei dem dann die schlichten Gebühren für Wasser, Abwasser nebst Grundsteuer auch zu schultern sind - stellenweise darf man die Straßen mit bezahlen. Da herrscht meist Anschluss- und Benutzungszwang).

Aber grundsätzlich, @Allnichts, teile ich ihre Kritik ein Stück weit. Man kann das Rad nicht zurückdrehen und eine Deindustrialisierung wird nicht zu einem romantischen Landleben führen. Und da wäre das nächste Problem: Fast jeder, der früher am Land groß geworden ist, war heilfroh, wenn er das stinkende (so war das damals auch: Der Misthaufen vor der Tür, der Donnerbalken für einen selber darüber - wers braucht ...) Kaff verlassen konnte. Wie bereits geschrieben, früher war manches anders, vieles ehrlicher, aber eben oft auch nicht besser.

Eo

14. Juli 2022 15:10

Allnichts
14. Juli 2022 11:34

 

Da fällt mir doch gleich
jene bemerkenswerte Antwort vor vielenvielen Jahren in eim Fernsehinterview ein, die sich mir alsbald eingebrannt hat.

Und befragt wurde damals
ein populärer, medialer Wissenschaftspapst, also: -- Herr Prof. von Ditfurth, was halten Sie eigentlich vom Fortschritt ?

Darauf dieser
umwerfend lakonisch: Nun, auf einiges würde ich ungern verzichten ...

 

Gracchus

14. Juli 2022 15:40

@Der Gehenkte: Jetzt habe ich natürlich Lust bekommen, Gombrowicz (wieder) zu lesen - und siehe: Der Kampa-Verlag legt einige Sachen neu auf. 

 

herbstlicht

14. Juli 2022 15:45

»ihr beinahe schamanisch anmutendes Verhältnis zur Natur prägte mich.<

Würde wohl nicht nur mich interessieren, wenn uns Herr Bosselmann gelegentlich darüber berichten würde.  Was die Beziehung zur Natur betrifft, haben wir ja schroffe Gegensätze in der Runde: eine Gruppe sieht "Naturzerstörung" als Frevel, eine Andere meint "weiter so", Fortschritt, "macht euch die Erde untertan"; diese Positionen würde ich gerne klarer sehen.

Mich selber irritiert in beiden Gruppen häufig ein beliebig lächerliches Verständnis der Rolle des Menschen auf der Erde: Als Naturwissenschaftler, Naturbeobachter bin ich überzeugt, daß das Leben auf der Erde von der "Episode Mensch" schließlich weniger betroffen sein wird, als etwa durch den Einschlag des Meteors von Yukatan (Kinetisch Energie entsprechend etwa 2000 Zar-Bomben AN602 oder 20000 großen "gewöhnlichen" H-Bomben).

In meinem Weltbild kommt freichlich das "Ebenbild der Gottheit" nicht vor; dieses passt durchaus zu dem, was hier ein großer Physiker skiziert hat.

@Old Linkerhand: Danke für Ihre Schilderungen aus der mir unbekannten Prignitz; könnte Ähnliches aus NO-Bayern berichten. 

 

 

Gracchus

14. Juli 2022 15:58

Preisfrage: Die Kommentare welchen Foristen lassen an Settembrini denken?

"Nostalgiefaktor"

Bosselmanns Stück lese ich gar nicht als so nostalgisch. Abgesehen davon, denke ich, dass Nostalgie - in Massen genossen - so falsch nicht ist. Die Dosis macht das Gift. Nostalgie hat m. E. auch eher die Funktion, ein Stück Vergangenheit abzuschließen, weil einem ja bewusst wird, es gibt kein Zurück. Aus dieser Vergeblichkeit gewinnt sie ihre Süsse. Es erscheint verklärt, weil man das Leidvolle, das es immer gibt, herausgefiltert und verarbeitet hat. Man ist versöhnt und kann sich der Gegenwart widmen. 

Dem Text kann ich auch nicht das Plädoyer an alle entnehmen, sich jetzt einsiedlerisch in eine einsame Hütte ohne modernen Komfort zurückzuziehen. Wo soll das denn bitte stehen?

Wenn Bosselmann eine Intention hatte, dann am ehesten die, meine ich, den Sinn für das Wesentliche (Eigentliche, so wörtlich) zu schärfen, und da kann ich sehr gut mitgehen. Zum Beispiel, was die goetheanische Naturerforschung angeht, die Bosselmann betrieben hat. Es muss ja nicht jeder teilen, aber das scheint mir für Kinder eine sinnvollere Tätigkeit als vor der Playstation zu hängen oder Vergnügungsparks aufzusuchen. 

Und an alle Fortschritts-Apologeten: Erstmal definieren, was Fortschritt ist! 

 

Der Gehenkte

14. Juli 2022 16:35

Gracchus @ Gombrowicz

HB wird es durchgehen lassen, wenn wir hier dieses Steckenpferd reiten - er hat schließlich diesen Namen ganz subversiv eingeworfen.

Wir wissen ja, daß G zu den unübersetzbaren Autoren gehört. Insbesondere Olaf Kühl hat sich viel Mühe gegeben, auch die Thiel-Übersetzungen sind hochklassig. Aber machen Sie mal folgendes Experiment: Lesen Sie G in anderen Sprachen, am besten ein Buch in mehreren. Das Ergebnis ist verblüffend. Wie geht man z.B. mit den Diminutiven um, mit denen G ununterbrochen spielt? Sie werden sehen, daß G hinter den Übersetzungen z.T. verschwindet - Foucault hätte gejubelt.

Das Experiment wurde in den "Gombrowicz-Blättern" mal unter ganz beschränkten Parametern durchgeführt - kann man hier nachlesen: Gombrowicz und Gummischutz.

Es hilft alles nichts, man muß ans Original ran. Ich arbeite jedenfalls dran.

Laurenz

14. Juli 2022 17:59

@Gracchus, Herbstlicht, Eo & Co.

Der Realist, RMH, oder der Phantast, Andreas Walter, haben HB genau erkannt. HB lebt in einer Platte, anstatt einem Häuschen mit Garten, was sicher bei einem Spartaner, wie HB, im Bereich des finanziell möglichen läge.

Auch meine Wenigkeit fordert keine Zurückdrehung der Uhren. Aber man darf das auch pädagogisch sehen, ohne Pädagoge zu sein. Auch anderen in der Ex-Republik fehlt inhaltlich für Zwerge der Bezug zur Natur. Nicht umsonst gibt es, meist privatrechtlich organisierte, Waldkindergärten. Es gibt leider keine verpflichtenden Aufenthalte von Jugendlichen bei Bauern oder der Forstwirtschaft. Hier gibt es einige Optionen, zeitgemäß Bezüge herzustellen. Warum haben Schulen keinen Lehrgarten oder von mir aus auch einen Stall? Weil Lehrer darauf keinen Bock haben?

Sandstein

14. Juli 2022 18:45

@herbstlicht 

„macht euch die Erde untertan“ 

Ja, und was zum Geier ist daran falsch?
Also ich laufe in diesem Kommentarstrang langsam zur Höchstform auf und möchte Typen wie Ihnen ins Gesicht plärren: HIRN nicht nur haben, sondern auch NUTZEN. Es gibt natürlich genügend Beispiele von absolutistischen Herrschern, die dem nicht nachgekommen sind, nicht nachkommen konnten. Aber wenn der Fortbestand der eigenen Dynastie aufs engste mit dem Gedeih der eigenen Bevölkerung verbunden ist, sind so manche Probleme, die wir heute „facen“, undenkbar.

Und natürlich soll sich der Mensch diese Erde untertan machen, oder wollen Sie auf einem Affenbaum in der Savanne warten, bis der erste Löwe sie verschlingt?
Unglaublich, was so manche daherschreiben.
Es geht um Verantwortung vor Gott, der einzigen Richtbarkeit und moralischen Instanz, die uns Mensch geblieben ist. Ich rege an, Gomez Davila zu lesen. Wenn Sie denken Sie wären rechts, haben Sie nicht mal mit der Zungenspitze gekostet!

Heino Bosselmann

14. Juli 2022 19:27

@Der Gehenkte: Rüdiger Fuchs hat für seine Gombrowicz-Lektüre und die Forschungen dazu eigens die polnische Sprache gelernt. Er kann mittlerweile, finde ich, als der einfühlsamste Gombrowicz-Kenner hierzulande gelten.

RMH

14. Juli 2022 20:25

"Erstmal definieren, was Fortschritt ist!"

@Gracchus,

Das Problem bei diesem Begriff ist, dass er von Linken positiv mit Heilserwartung gesetzt wird. Brüder, zur Sonne, zur Freiheit etc. Fortschritt ist links zudem der dialektische Prozess, der zum Arbeiter- und Bauernparadies führen muss. Gegen Fortschritt zu sein, ist reaktionär.

Für alle Nichtlinken wird Fortschritt doch deutlich wertneutraler, eher chronologisch verstanden - etwas, was eben passiert. Fort-Schreiten ...

Der Gehenkte

14. Juli 2022 20:28

@ Heino Bosselmann

Sie kennen Rüdiger Fuchs persönlich? Ihrem Urteil stimme ich voll und ganz zu. Seine Arbeit mit den Blättern ist großartig - leider gibt es zu wenig Interesse dafür. Er war es, der mir den Gombrowicz nahegebracht hat. Es ist auch schade, daß er für seinen Gombroman keinen größeren Verlag gefunden hat.

Allnichts

14. Juli 2022 20:38

RMH:

Es ist sicherlich nicht ganz einfach, aber machbar ist es. Wochenendhaus mit erstem Wohnsitz, Dauercamping, Mobilheim mit Stellplatz, Bauwagen mit Stellplatz fallen mir spontan ein. Grauzonen, aber geduldet. Und legt man nicht ganz so grossen Wert auf ein bürgerliches Leben, wird man einfach Waldmensch. Wer Geld hat oder Geld verdienen kann, dem stehen ohnehin viele Möglichkeiten offen. Vom Wigwam auf dem Campingplatz über das Leben im Bauwagen am Waldesrand bis zum Wohnen im billig gekauften, ramponierten Haus oder Leben am Strand gibt es alles.

Dass ein solches Leben eigentlich nicht gewollt, sondern eher verklärt wird, zeigt sich meines Erachtens nicht allein daran, dass kaum jemand diesen Weg geht, denn dafür kann es gut nachvollziehbare Gründe geben. Es zeigt sich auch daran, dass in dem Leben, dass dann tatsächlich geführt wird, meist ganz normal auf moderne Errungenschaften zurückgegriffen wird, obwohl sich ohne weiteres darauf verzichten liesse.

Ich beziehe mich aber wie gesagt weder auf Heino Bosselmann noch auf bestimmte Kommentatoren, über die ich ja nichts weiss, es sind einfach meine Erfahrungen mit dieser Thematik.

Allnichts

14. Juli 2022 21:19

Gracchus:

Das lässt sich nun auf ganz unterschiedliche Arten definieren. Auf die Schnelle für relevant halte ich folgende zwei Gedankengänge:

Erst einmal ist Fortschritt schlichtweg das nicht verhinderbare Voranschreiten der Zeit, die andauernde Veränderung des Gesamtzustandes. Dies ist als Tatsache anzuerkennen, nichts ist wirklich fest und bleibend, alles ist einer andauernden Entwicklung unterworfen. Frühere Zustände können nicht wiederhergestellt, bestimmte Prinzipien in mitunter sehr unterschiedlichen konkreten Gesamtzuständen aber weiterverfolgt werden.

Bezogen auf die Menschheit: Menschen lebten ursprünglich als Instinktwesen und im Unwissen, waren stark den Umweltbedingungen unterworfen. Fortschritt in der Hinsicht ist das "Schaffen" von Wissen, also das immer genauere Durchschauen der wahrnehmbaren Erscheinungen, die Fähigkeit, dieses Wissen zur mehr oder weniger planvollen und eigennützigen Beeinflussung der Dinge zu nutzen, sowie die dann auch praktische Umsetzung dieser Fähigkeiten.

Fortschritt hat meiner Ansicht nach mehr Vor- als Nachteile, es ist eine politische Angelegenheit, ihn in die richtigen Bahnen laufen zu lassen, wo das von Menschen beeinflussbar ist.

herbstlicht

14. Juli 2022 21:29

@Sandstein 14. Juli 2022 18:45

»"macht euch die Erde untertan"

Ja, und was zum Geier ist daran falsch?«

Wo habe ich gesagt daß dies "falsch" sei?  Für ein solches Urteil ist die Phrase doch viel zu vage.  Konnten Sie nicht aus dem Kontext sehen, daß ich das bedenkenlose (Ab)Nutzen natürlicher Resourcen bezeichnen wollte?

»möchte Typen wie Ihnen ins Gesicht plärren:«

Bezweifle dies stark.  Habe den Habitus eines groben Bauern und sehen aus, als könnte ich jederzeit würgen und morden.

»HIRN nicht nur haben, sondern auch NUTZEN.«

Habe zum Beispiel einige Problemchen im Bereich Angewandter Mathematik geknackt, an welchen die Kollegen --- Physiker, E-Techniker, Informatiker --- schon lange vergeblich bissen.  Haben Sie eigentlich je in Ihrem Leben je etwas geschaffen mit Kopf oder Hand, was funktioniert? (Sollte man schon haben, so man sich die Erde untertan  machen will.)

»Und natürlich soll sich der Mensch diese Erde untertan machen,«

Beweis dieser Behauptung?  "Natürlich" ist doch kein Argument und was soll übrigens die Phrase "diese Erde"?  Gibt es noch eine andere?

herbstlicht

14. Juli 2022 21:32

»oder wollen Sie auf einem Affenbaum in der Savanne warten, bis der erste Löwe sie verschlingt?«

Bin aufgewachsen mit Jagd und Waffen und weiß, solche zu verwenden.  In der Auseinandersetzung mit Menschen tut man gut, nicht mehr zu erzwingen, als man wirklich braucht.  Diesem Grundsatz möchte ich auch bei der Auseinandersetzung mit der nicht-menschlichen Natur folgen.  Um 1970 wurde ich dafür als "Naturschwärmer" belächelt; um 1980 --- es ging da um unsinnige Prognosen des Bedarfs an elektrischer Energie und ich war junger Physiker --- brachte ich solche Typen zum Schweigen; zitternd und mit hochrotem Kopf.  Sie wären da wohl auch ein Kandidat.

»Es geht um Verantwortung vor Gott, der einzigen Richtbarkeit und moralischen Instanz, die uns Mensch geblieben ist.<

Damit kann ich nichts anfangen; bin atheistischer Agnostiker, möglicherweise auch Unmensch.

»Ich rege an, Gomez Davila zu lesen.«

Vorrangige Themen "interessehalber" sind:
a) die Mechanismen, über welche das Eis die Landschaft Mittelschwedens geformt hat.
b) die dortige Kryptogamenflora.
c) sollte ich dafür noch Zeit und Kraft haben: die Geologie und Mineralogie Bergslagens.

»Wenn Sie denken Sie wären rechts, haben Sie nicht mal mit der Zungenspitze gekostet!«

Lese hier insbesondere mit um zu beobachten, wie Geisteswissenschaftler "ticken".  Danke für Ihren interessanten Beitrag.

 

Waldgaenger aus Schwaben

14. Juli 2022 23:14

Wie anders und doch ähnlich ist meine Familiengeschichte, mir überliefert vor allem durch meine Großmutter, geboren Ende des 19. Jahrhunderts. Sie erzählte von Bauernstolz und harter Arbeit. Die Vergangenheit hat sie nicht weichgezeichnet, am schlimmsten war wohl die Hartherzigkeit der Vorfahren. Nur ein Beispiel, das nicht sie, sondern meine Mutter mir berichtet hat. Meine Großmutter war ein lediges Kind, damals ein Schandfleck auf dem Hof, dem zweitgrößten im Ort. Um das Jahr 1900 war sie mit ihrer Schwester auf dem Feld beim Kartoffelfeuer, die Kleider der Schwester fingen Feuer und sie verbrannte. Kommentar ihrer Großmutter: Da ist das falsche Kind verbrannt.

Sie führte nach dem frühen Tod ihrer Eltern allein den Hof, und war hoch angesehen. Als der Bruder erwachsen war, jagte er sie vom Hof. Sie heiratete einen Kleinbauern in der dörflichen Hierarchie weit unter ihr angesiedelt und hat ihr Elternhaus nie wieder betreten.

Laurenz

15. Juli 2022 02:16

@Sandstein @Herbstlicht (1)

Warum gehen Sie denn mit Herbstlicht so hart ins Gericht?

Wieso kommen Sie mit Gott, der nie ein Argument darstellt, welches eine Debatte beflügelt, geschweige überhaupt erlaubt?

Kann man sich darauf einigen, daß man sich vor der Schöpfung verantwortet? Die hat auch den Vorteil, keine Verantwortung für das Tun des Menschen übernehmen zu können.

Sicherlich sind Genies, wie Feynman, als Beispiel oder Argumentationsgrundlage, ebenso ungünstig, wie Gott, gewählt. Da haben Sie Beide nicht konsequent durchgedacht. Einerseits können fast alle Menschen nicht vom Horizont Feynmans ausgehen, der berechtigterweise fragt, was Gott in Anbetracht von Myriaden von Sonnen, mehr als es Sandkörner auf der Erde gibt, gerade von uns, am Arsch unserer Galaxie, will?

Andererseits fehlt es Feynman natürlich an Wahrnehmung, was außerhalb seines Logos, im Unbekannten, von dem er spricht, auf anderen Wegen möglich ist. Aber zB die Fähigkeit, das Undenkbare zu denken oder in Erwägung zu ziehen, braucht die Wissenschaft, wie man hier feststellen kann. https://youtu.be/L7gjc81NyB

Umlautkombinat

15. Juli 2022 09:01

"Andererseits fehlt es Feynman natürlich an Wahrnehmung, was außerhalb seines Logos, im Unbekannten, von dem er spricht, auf anderen Wegen möglich ist. "

Wenn ich "natuerlich" lese, lasse ich mir das gelegentlich gern belegen, die Verwendung legt oft gerade nahe, dass es nicht um eine Selbstverstaendlichkeit geht. 

Bei Feynman ist das auch nicht so simpel. Wenn ich mich recht entsinne schrieb er, eine Zeit lang ein paar passende Pilze konsumiert und sich in einen Tank gelegt zu haben um herauszubekommen, ob er sein Bewusstsein von seinem Koerper trennen kann. Ich glaube mich zu erinnern, dass er aeusserte, das hinbekommen zu haben aber dann aufgehoert hat, weil er das Experimentieren mit seinem "wertvollsten Werkzeug", dem Gehirn, als zu riskant erachtete.

links ist wo der daumen rechts ist

15. Juli 2022 09:44

Schreibbare Texte 1

 

Und die Debatte im Kommentarstrang läuft wieder einmal so typisch gründlich deutsch, daß man manchmal versucht sein könnte, froh zu sein, dem österr. Stamm anzugehören (aber dann denkt man wieder an das Sellner-Lob „unserer“ Babenberger-Ahnen und trauert umgehend um die Kurische Nehrung…).

Bosselmann schreibt auf einzigartig berührende Weise über seine Kindheit – und man debattiert zivilisationskritische Aspekte oder Übersetzungsproblematiken: soll man zurück in die Hütte oder Gombrowicz im Original lesen? Ja meinetwegen beides, aber es ging doch um etwas anderes.

Abgesehen davon landen wir dank unserer Hochtechnologie eh bald wieder in einer Stadt-Steinzeit, wie E.W.Heine das ganz witzig beschrieben hat: der Kulturmensch hat seine Wohnung, Nahrung oder Kleidung im eigentlichen Sinne zubereitet, der Stadtnomade sammelt und konsumiert…

Aber zurück zum Text:

Ein linksrheinischer Sprachwissenschaftler hat einmal die Unterscheidung zwischen lesbaren und schreibbaren Texten getroffen. Und ohne das näher erläutern zu müssen: Bosselmanns Text ist ein klassisch (weiter)schreibbarer Text. Was wird da nicht alles an Erinnerungen freigesetzt!

ff

links ist wo der daumen rechts ist

15. Juli 2022 10:07

Schreibbare Texte 2

 

Ich bin als Dorfkind in den 70ern in einer ganz anderen Gegend (Grenznähe Ö-D) aufgewachsen, aber wieviele Berührungspunkte gibt es!

Vom Nachhausekommen nach der Volksschule und dem Herumstreifen in den Wäldern (in Banden) bis zum Abendessen. Später ausgedehnte Fahrten mit den besten Freunden mit unseren Fahrrädern. Aber nie zu weit oder übermütig, der Rückweg blieb immer einkalkuliert. Das intensive Wahrnehmen von Natur und Jahreszeiten. Die wichtige Rolle erzählender Großeltern (v.a. -mütter). Das (späte) Lob an einzelne Lehrer. Dorfstrukturen mit kleinen Läden, in die man als des Lesens noch nicht mächtige Kinder mit Einkaufszettel und Geldtasche geschickt wurde. Ein grenzenloses Vertrauen einerseits und andererseits eine Urangst vor bestimmten Gegenden oder Menschen. Eine gewisse Ehrfurcht bei Ausflügen in große oder kleine Städte. Und immer das Gefühl der Erleichterung zurück zu sein. Bis heute bemitleide ich Stadtkinder, wenn sie nach der Schule nicht einfach in die Natur hinausgehen und Erde „umgraben“ können. Die graue Erde in den Parks einer Stadt, die saftige Erde am Land, mit der wir ganze Bäche aufgestaut haben. Und einmal, es war 1976, hatten wir in einer Senke einen Bach aufgestaut, als plötzlich Rehe wie wild an uns vorbeistoben. Bald darauf erfuhr ich vom Erdbeben in Friaul…

ff

KlausD.

15. Juli 2022 10:11

@Sandstein  14. Juli 2022 12:20

"... die Quitzows haben sich genau wie die von Bredows mit Raub und Brandschatzung bereichert, als in der Mark ein Machtvakuum herrschte."

Das ist zunächst richtig, deshalb auch in einiger Literatur die Bezeichnung "Raubritter".

"Da ging es weniger um Widerstand gegen die "fremden" Hohenzollern als um eine Mehrung des eigenen Besitzes."

Dieses grobe Vorgehen, was nebenbei gesagt nicht gar so selten vorkam in der damaligen Zeit, war jedoch in Bezug auf eigene machtpolitische Ambitionen in der Mark und mit dem letztlichen Widerstand gegen die fremden Hohenzollern, die erst später und völlig unerwartet vom König eingesetzt wurden, nur eine äußere Erscheinung und nicht wesentlich.

links ist wo der daumen rechts ist

15. Juli 2022 10:30

Schreibbare Texte 3

 

Und ein eher unverkrampftes Verhältnis zur technischen Welt.

Wir hatten die längste Zeit einen S/W-Fernseher (es gab fixe Fernsehzeiten: „Kimba“ immer am Donnerstag…) und kein Telefon; angerufen wurde beim Nachbarn oder bei Vater in der Schule. Man besuchte einander spontan (und warf kleine Steinchen ans Fenster) oder schrieb als Vorankündigung Postkarten. Daneben könnten die Briefkorrespondenzen unserer Großmütter und Tanten ganze Bände füllen.

Noch fuhren Dampfloks (in Ö bis 1976) mit zweiachsigen Plattform-Waggons wie zu Großelterns Zeiten. Die Autos hatten Gesichter und waren an ihren Geräuschen zu erkennen (okay, ist unfair gegenüber einer Kindheit in der DDR). Zwar gab es eine Vielzahl an Verkehrstoten, die Unfallberichte nach Ostern oder Pfingsten lasen sich wie Gefallenenberichte, aber man hatte als Kind während der Fahrt die ganze Rückbank zum Spielen (oder wir saßen zu zehnt bei unseren Fahrten in den Kindergarten im Nachbarort in einem VW Käfer) – und war immer dankbar, heil angekommen zu sein. Ich rechne nicht auf. Der Tod war einfach vertrauter und fuhr sozusagen mit. Als Memento mori (bis heute) die entsetzlichen Autowracks an der kleinen Tankstelle und Autowerkstatt vis-a-vis unseres Hauses. Die Autos selber waren gut halb so groß wie die Boliden heute und eher Gebrauchsartikel als Prestigeobjekte.

ff

DonFrederico

15. Juli 2022 10:51

Lieber Heino, 

ein schöner Artikel, der zum Träumen einlädt . Besondern mag ich das Bild des Nussbaums, der sich im Alter wie du selbst schützend über dein Elternhaus bzw. deine Mutter erhebt und den Kreis schließt. Filmisch. 

Lieben Gruss 

links ist wo der daumen rechts ist

15. Juli 2022 11:15

Schreibbare Texte 4

 

Die unmittelbare Nachbarschaft: die kleine Tankstelle mit Autowerkstatt vis-a-vis (heute erweitert um das Dreifache und zugeklotzt mit Autos mit Einheitsfresse), auf der anderen Seite ein Sportplatz (wenn keine Turniere stattfanden, konnten wir stundenlang Fußball spielen), daneben ein kleiner Bauernhof (von den seltenen Hausschlachtungen habe ich bis heute den Geruch in der Nase), und zu guter Letzt ein kleines Birkenwäldchen, dahinter der Bäcker, in dessen Backstube auch das Licht brannte, wenn man einmal spätnachts erwachte.

Aber im Mittelpunkt stand unser Haus, kein Eigenheim, sondern ein stattliches Gebäude der Gemeinde, ruhend auf einem Fundament aus Granitquadern, bewachsen mit wildem Wein. Das Erdgeschoß war Wohnung und Praxis des Gemeindearztes, darüber zwei große Wohnungen für Lehrer mit ihren Familien, im Dachgeschoß eine Mansardenwohnung für Junglehrerinnen (und unsere Babysitter).

Und Mittelpunkt war dieses Haus im doppelten Wortsinne. Die prägende Erfahrung für mich als Kind der 70er war Gemeinschaftlichkeit (weniger die ideologisch überhöhte „Kernfamilie“), hier eine glückliche Verbindung aus dem umtriebigen Geist meines 68er-Vaters und dem Wertkonservativismus einer jungen Landbevölkerung: es muß etwas getan werden. Unser Haus war immer gut besucht, es wurde debattiert, der Lichtschein unter der Tür zum Kinderzimmer war beruhigend, wir waren umgeben von wohlwollenden Erwachsenen (denke dabei an die berühmten Worte aus Rilkes „Malte“).

Umlautkombinat

15. Juli 2022 11:41

"Bosselmann schreibt auf einzigartig berührende Weise über seine Kindheit"

Und wie auch Ihr Beispiel zeigt, schafft er das in einer uebergreifender Art, so dass sich Leute mit Herkunft in der Schweiz, Oesterreich, der BRD, der DDR, noch weiter oestlich, Stadt, Land und wahrscheinlich noch anderen Unterschieden in aehnlicher Form durch diesen eigenen Rueckgriff in der Dimension Zeit gemeinschaftlich angesprochen fuehlen. Gerade hier - bei der staendig neu vorgenommenen Zersplitterung aus oft komplett unwesentlichen Gruenden - gar nicht zu ueberschaetzen!

Franz Bettinger

15. Juli 2022 12:17

@Herstlicht, Sie haben köstlich geantwortet. Obwohl ich auch dem mMn kaum begründeten furiosen Wutausbruch @Sandsteins einen angenehm wärmenden Blutdruck ab-gewinnen konnte. @Laurenz: Du bekommst Konkurrenz. 

Laurenz

15. Juli 2022 13:30

@Franz Bettinger

Nur zu, so Leute, die sich früher Klamotten mit Säure oder dem Bunsenbrenner löchrig gestalteten & Hochwasserhosen trugen, schaden selten. Abgesehen davon, daß mir die atheistische Welt zu klein ist, fehlt den Atheisten einfach auch der Enthusiasmus ihren Glauben missionarisch auf dem Planeten zu verbreiten. Oder kennst Du, Franz, irgendwo eine Atheisten-Mission?

Atheisten-Demos scheitern immer mangels Masse. Und seit ich mal den Versager Richard Dawkins gelesen habe, haben die Atheisten eben bei mir gelitten.

Ich habe mich jetzt ein ganzes Jahr intensiv mit der Bibel auseinandergesetzt & warte nur darauf, daß sich irgendeiner hier aus der Deckung wagt, den ich dann filetieren kann. Aber worüber, werter Franz, soll man sich mit den atheistischen Langweilern streiten? Alleine schon das Pseudonym Herbstlich zeigt doch, daß der Forist eine Seele besitzt. Besäße Er keine, hätte Er Sich Winterdepression genannt.

Gracchus

15. Juli 2022 16:06

@Der Gehenkte: Den Blogbeitrag kannte ich schon; ich glaube, ich habe mir daraufhin sogar "Pornografie" angeschafft; jedenfalls war's - das wird Sie vielleicht freuen - ebenjener Blog, der mich zu Gombrowicz gebracht hat. Klar, es wäre schön, polnisch zu können, auch wegen anderer Autoren wie z. B. Milosz - dessen Tal der Issa passt auch zu Bosselmanns Text -, einstweilen fehlt mir die Zeit dazu, und ich habe mir das Tagebuch in Übersetzung bestellt.

Gracchus

15. Juli 2022 16:10

@Allnichts, RMH

Das Ding "Fortschritt" an sich gibt es nicht. Oder ist es gar im Gegenteil nur ein anderer Name für das Ding an sich, das nach Schopenhauer der blinde Wille ist?

 

 

Gracchus

15. Juli 2022 16:13

@Links

Das scheint mir in die Tat eine deutsche Krankheit und Leseschwäche zu sein, aus jedem Text etwas Allgemeines, Diskursives oder gar einen kategorischen Imperativ herausdestillieren zu wollen. 

 

herbstlicht

15. Juli 2022 16:49

@FB, @L.

»früher Klamotten mit Säure oder dem Bunsenbrenner löchrig gestalteten & Hochwasserhosen trugen«

Nun denn, hier wurden ja schon so viele Erinnerungen aufgetischt; war viel "schlimmer":

In der Zeit der Schleyer-Entführung stellte mich immer wieder die Polizei, wenn ich --- ausgerüstet um Tage und Nächte im Freien zu verbringen --- mit dem Radl oder, bei verschneiter Straße, zu Fuß, unterwegs war; einmal mit gezogener Pistole.

Vor einigen Jahren war ich per Bahn und Bus unterwegs in ein unbewohntes, vermülltes Haus, um dieses wieder bewohnbar zu machen; in voller Wintermontur, um notfalls ein paar Tage im angrenzenden Wald "wohnen" zu können.  Beim Umsteigen sagte der Busfahrer freundlich: "Na, geht's in's Manöver?".  Ich zog die Wintermötze von Kopf, zeigte mein Grauhaar.  Wir lachten herzlich.

Übrigens: ein atheistischer Agnostiker ist kein Atheist; den "juckt" die anscheinend unbeantwortbare Frage gar nicht mehr.

Umlautkombinat

15. Juli 2022 22:04

"Übrigens: ein atheistischer Agnostiker ist kein Atheist; den "juckt" die anscheinend unbeantwortbare Frage gar nicht mehr."

Kenne ich, bin ja dasselbe. Das scheint bei einer bestimmten Sorte Glaeubiger eine extra narzistische Kraenkung auszuloesen (an der Reaktion gemessen). Mit dem reinen Atheisten kann man sich ja ueber die Frage wenigsten noch bis aufs Messer streiten. Aber jemand, der am ganzen Thema eher grundlegend desinteressiert ist...

Das sind uebrigens oft auch diejenigen, die gern missionieren. Meine Schwiegermutter - tief glaeubig - hasst kaum etwas so sehr wie Missionare. Deswegen u.a. haben wir auch kein Problem miteinander.

Pferdefuss

15. Juli 2022 23:40

Herr Bosselmann, Ihre Schilderungen klingen in meinen Ohren wie ein deutscher Knut Hamsun: karg - und bei ihm und bei Ihnen man weiß nie genau warum einem die Worte so eindringlich erscheinen. Heißen Dank! 

Was mir in allen Kommentaren fehlt, ist der Übergang von kleinen zu großen und umgekehrt von großen zu kleinen Verhältnisse. Also weniger das Gewesene als das Gewordene. Und das trifft für die meisten Deutschen nach dem Krieg zu. Wie haben die das gemeistert? (Das Wort 'Trauma' war noch nicht erfunden)

Zu letzterem gehören meine Vorfahren. Der Bruch geschah bereits 1923 mit der Inflation. Mein Großvater, Rittergutsbesitzer, musste Hab und Gut an Spekulanten, die nicht die geringste Ahnung von Landwirtschaft hatten, verscherbeln. Da aber diese Herren keine Ahnung von Ertrag, Ernte, Tierhaltung usw. hatten, wurde er als Inspektor auf seinem eigenen Gut angestellt. Dann 12jähriges Reich: Eine juristische Aufarbeitung gab es nicht, schließlich Vertreibung. Alles war nun endgültig futsch.

Was geblieben ist, eine Art Anstand, Umgangsformen, der Sinn für Bescheidenheit, Durchstehen und - Komik, die vor allem nur Eingeweihte verstehen/genießen können.Die mag ich an meinen Vorfahren, an mir und meinen Nachkommen am meisten: Herzhaft lachen, kichern, blödeln. Die Gelegenheit dazu wird aber leider seltener.   

Laurenz

16. Juli 2022 02:14

Herbstlicht @L. (1)

ein atheistischer Agnostiker ist kein Atheist; den "juckt" die anscheinend unbeantwortbare Frage gar nicht mehr.

Sie haben mich gezwungen, wieder mal nachzuschauen.

https://de.wikipedia.org/wiki/Agnostizismus

Auch hier, von Ihrer Sorte, gibt es solche & solche. Mich interessiert das gar nicht, die Erklärung Castanedas ist die plausibelste. Gott ist nichts weiter als ein schönes Bild, welches aus der Energie der Menschen geschaffen wird. Viele Häretiker übertrieben es noch mehr als die Orthodoxie, die unterschieden zwischen dem eher unangenehmen mosaischen Schöpfergott, der seine Schuldigkeit getan hatte & dem wahren barmherzigen Gott, dessen Reich kommen soll, aber nie kommt. Um es mit den Worten des moderaten Alfred Loisy zu sagen, Jesus verkündete das Reich Gottes, aber gekommen ist die Kirche. Dafür wurde der harmlose Loisy exkommuniziert.

Verstehen Sie, die Mona Lisa, erfreut den Menschen, beschäftigt ihn, gibt Rätsel auf, beflügelt den menschlichen Geist, aber mehr auch nicht.

Laurenz

16. Juli 2022 02:35

@Herbstlicht @L. (2)

Sie, Der, wie

@Franz Bettinger

doch viel mehr Naturbursche ist, als ich, müßte es doch viel besser wissen. Aber Franz treibt genauso, wie Sie, im Ungewissen, obwohl Sie Beide es doch am besten wissen müßten. Man muß nur eines der Wildwasser-Bücher Franz Bettingers zur Hand nehmen, um festzustellen, daß hier einer schreibt, der anderen die Möglichkeit der Erfahrung des Göttlichen näher bringen will. Überall begegnen dem Menschen übermenschliche Naturkräfte. Saturn & Jupiter beschützen mit ihrer gewaltigen absorbierenden Masse, die den meisten, für uns gefährlichen Dreck mittels Gravitation ansaugt, unsere Erde. Irgendwann bezeichnete der Mensch diese übermenschlichen Naturkräfte als Götter, aber schon in einer gewissen Degeneration. Das stellt die einzige schwierige Frage, ist unsere Umwelt, organisch oder anorganisch, beseelt oder nicht. Im nicht degenerierten Schintoismus ist alles um uns beseelt. Die Frage läßt sich mit dem Verstand auch nicht beantworten. Dafür ist der Verstand, auch der der größten Philosophen, einfach zu popelig.

KlausD.

16. Juli 2022 09:15

@Sandstein  14. Juli 2022 12:20

"... die Quitzows haben sich genau wie die von Bredows mit Raub und Brandschatzung bereichert, als in der Mark ein Machtvakuum herrschte. Da ging es weniger um Widerstand gegen die "fremden" Hohenzollern als um eine Mehrung des eigenen Besitzes."

Nachtrag:

Mit Ihren Aussagen folgen Sie der Geschichtsschreibung des Siegers (Hohenzollern, Historiker Adolph Friedrich Riedel), die den damaligen märkischen Adel als eine große Räuberbande darstellt, die es zu bekämpfen und zu unterdrücken galt. Einen anderen Standpunkt nimmt der Historiker Friedrich von Raumer ein, der die Geschehnisse aus der zu schildernden Zeit beurteilt und kommt, nicht unerwartet, zu etwas anderen Ergebnissen. Falls Sie daran interessiert sind, lesen Sie bitte weiter im Kapitel 12 "Die Quitzows und ihr Recht oder Unrecht" im Band "Fünf Schlösser"  Teil Quitzöwel der Wanderungen durch die Mark Brandenburg von Theodor Fontane.

Übrigens gibt es sogar ein Quitzow Denkmal in der Prignitz, genauer in Legde, allerdings aus einer späteren Zeit, das sich auf ein Ereignis vom 25. Oktober 1593 bezieht (siehe Kapitel 13).

https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Legde_Quitzow-Denkmal_1.JPG

Maiordomus

16. Juli 2022 10:47

@Umlautkombinat. Das mit Agnostiker ist in der Tat, wo nicht ein sehr hohes erkenntnistheoretisches Niveau herrscht, mehr eine Ausrede, der Theologe Karl Barth schrieb diesbezüglich von "Achselzucken", was zwar nicht das Negativste ist. Bei den Atheisten handelt es sich aber nach Heidegger und Nietzsche, vgl. die Holzwege und Heideggers Deutung von Nietzsches von Hegel übernommenes Diktum "Gott ist tot", um diejenigen, die um den "tollen Menschen" herumstehen, der den Tod Gottes verkündigt und genau mit diesem Befund im Grunde nichts anfangen können, also für die Katze Atheisten sind. Darum verfallen sie schnell dem unvollständigen Nihilismus, indem sie statt Ikonen Porträts von Revolutionären oder Philosophen, die sie nicht verstanden haben, aufhängen und je nachdem an den Fortschritt oder an die Banalität des Klimawandels oder dergleichen glauben. Atheisten und Agnostiker unterscheiden sich sehr oft in keiner Weise von durchschnittlichen Glaubensspiessern. 

Umlautkombinat

16. Juli 2022 12:57

Maiordomus, ich kann Ihren Standpunkt nicht genau erkennen. Also einfach einmal eine generische Klarstellung meines Eigenen:

Frueher habe ich mich einfach als Atheisten bezeichnet - klassisch unphilosophiert jemand, der nicht an Gott glaubt. Das stimmt auch weiterhin, aber ich habe es untersetzt. I. Allg. gilt ja die Auffassung, dass der (atheistische) Agnostiker der inkonsequente Bruder des Atheisten ist. Von den im Verlauf dieses threads Genannten aeusserten uebrigens auch Feynman und Dawkins beide gleichartig diese Meinung.

Ich sehe das nicht so. Ein potentieller Agnostiker hat sicher viele Gruende die seine spezifische Auspraegung erklaeren. Gibt ja auch theistische Agnostiker. Die variieren eher den Punkt des - leider fuer sie? - NichtKOENNENS eines Nachweises goettlicher Existenz gegenueber Anderen. Teilweise mit lustigen Sachen wie einer vorgeblich derart unerfassbaren Qualitaet des Goettlichen, dass sie Profanem wie einem menschlichen Beweis gar nicht zugaenglich ist. Das werden dann schnell Tautologien.
Die atheistisch bestimmten Agnostiker haben viel oefter die genannte "juckt mich nicht"-Einstellung. Keine Ausflucht, denn durchaus gewogen, aber eben als Problem fuer zu leicht/unwesentlich befunden. Sie muessen auch sehen, dass eine Menge Atheisten Gott nicht erst erschlagen mussten. Die es auf Grund ihrer Herkunft getan haben - Dawkins als Beispiel - haben dann eher Potential zum auch Eifernden.

Wieder weit weg vom Thema, mea culpa...

Allnichts

16. Juli 2022 13:23

Agnostizismus ist nicht mit Gleichgültigkeit gleichzusetzen. Agnostiker gehen schlichtweg davon aus, dass sich der Versuch der abschliessenden Beantwortung vieler und vor allem der grossen Fragen auf Grund einer offensichtlich unzureichenden oder nicht einschätzbaren Informationslage eigentlich erübrigt, was zu einer gewissen Distanzhaltung zu Erklärungsmodellen mit Absolutheits- und Wahrheitsanspruch führt. Agnostizismus zeichnet sich gerade dadurch aus, keine Welterklärung und keine vermeintlichen Erkenntnisse ausserhalb der eigenen Reichweite anzubieten, sondern dem wahrscheinlichen menschlichen Unvermögen zur allumfassenden Erkenntnis durch Vorsicht und Skepsis Rechnung zu tragen, das Fragezeichen im Zweifelsfall stehen zu lassen.

Angesichts der völlig absurden Gedankengebäude, die sich Religiöse wie Philosophen im Laufe der Jahrtausende zusammengezimmert haben, eine vernünftige Einstellung. Das Fragen an sich hört dadurch aber nicht zwangsläufig auf.

Laurenz

16. Juli 2022 17:36

@Maiordomus @Umlautkombinat

Das haben Sie schön, nicht zu lange & nachvollziehbar formuliert.

Wenn heute, zu Recht, immer mehr die Kirchen verlassen, hinterläßt das ein Vakuum. Wenn Sie immer nur für geistige Eliten argumentieren, wird das nichts. In der Erkenntnis für die Massen bestand & besteht grundsätzlich immer die Gefahr, daß das Religiöse, das Philosophische oder das Spirituelle mit Politik verbunden wird. Das verhält sich dann wie im christlichen Rom & im I. Reich nach 380. Wer das Christentum in Frage stellt, stellt den Kaiser in Frage. Von daher sind Atheismus & Agnostik für uns Konservative die bessere Variante, zumindest solange wir in der Opposition sind. Aber ich denke, auch danach.

Sandstein

17. Juli 2022 10:54

@herbstlicht

Da hat sich ja wer richtig Zeit genommen. Ich glaube nicht, dass Sie wirklich verstanden haben worauf ich hinaus wollte. Ein Beispiel: „auf dem Affenbrotbaum sitzend auf den Löwen zu warten“ bedeutet auch, dass Schusswaffen noch der Erfindung bedürfen, Sie haben also offensichtlich Humor, aber eben den Sinn meiner Aussage nicht begriffen. 
Dass Sie Agnostiker sind gestehe ich Ihnen gerne zu, ist aber oftmals nur eine Phrase von Nihilisten, um den Unglauben zu kaschieren. 
Empfehle Ihnen wirklich ein paar geistige Übungen, eben zum Beispiel mit Gomez Davila. 
Wohl bekommts..

Ps: ..die Zeile mit dem Bauern und morden ist süß, ich glaube, sie haben sich da etwas verhoben. Ein Mathematiker der Gewichte stemmt: herrlich! 

Sandstein

17. Juli 2022 11:02

@Laurenz

..ich weiß, dass die Ablehnung des Christentums sowas wie ihr Steckenpferd ist.

“Wer das Christentum in Frage stellt, stellt den Kaiser in Frage. Von daher sind Atheismus & Agnostik für uns Konservative die bessere Variante, zumindest solange wir in der Opposition sind“

..aber wo bitte ist der Sinn in dieser Aussage? Glaube ist etwas substantielles, und keine Strategie oder ein Rezept. 
Und es gibt eben auch einen Unterschied zwischen Konservativen und Reaktionären. Ich finde dann letztere deutlich sympathischer. 

herbstlicht

17. Juli 2022 13:03

@Laurenz, 16. Juli 2022 02:35, schrieb:

»obwohl Sie Beide es doch am besten wissen müßten«

Ein bekanntes Zitat Werner Heisenberg lautet:
»Nur wenige wissen, wie viel man wissen muß, um zu wissen, wie wenig man weiß.«

Es wird wohl häufig mißverstanden: denn das erste "man" bedeutet den Einzelnen, das Zweite unsere ganze Kultur, meinetwegen "den Menschen".
(Mir geht es übrigens nicht um "name dropping", sondern vielleicht lesen Sie so nicht so leicht darüber; Ihnen wird auch ein alter Grieche einfallen, welcher sinngemäß Ähnliches gesagt hat.)  Ich bin auf der langen Tour zum "bodenlosen Skeptiker" --- bin geisteswissenschaftlich ungebildet --- geworden; also: Demut vor der Welt.  Den "als Person gedachten Herrn und Schöpfer der Welt" verstehe ich als Metapher, um auch jenen das Ergebnis der Tour zu vermitteln, welche die Tour nicht gehen können oder wollen.  Hoffentlich kann dies @Sandstein, welcher auf Granit gebissen hat, als versöhnliche Geste nehmen.  Ende.

 

Gracchus

17. Juli 2022 14:21

Juckpulver

Unklar, was die Glaubensdiskussion jetzt angeregt. Der Text gibt das ja nicht her. Allenfalls: Die Mutter war eine gläubige Kommunistin. 

Nach christlichem Verständnis ist der Glaube eine Gabe des Hl. Geistes. Buber oder Weinreb haben darauf hingewiesen, dass Glauben eng mit Vertrauen zusammenhängt. 

Von letzterem ausgehend kann ich eine "Juckt mich nicht"-Haltung nicht verstehen, wenn die Grundfrage lautet, wem oder was kann ich vertrauen. 

Maiordomus

17. Juli 2022 15:15

@Umlautkombinat. Sie sehen richtig, es gibt natürlich theistische Agnostiker, jenseits bloss von modern sein wollenden Theologiestudenten;  der bemerkenswerteste unter diesen war wohl Kierkegaard, der mir indes viel radikaler vorkommt als fast alle Atheisten. Dass Sie meinen Standpunkt nicht verstehen, hängt damit zusammen, dass Sie sich vielleicht nicht gerade täglich mit dem Ausgangspunkt der sog. Mystik von Meister Eckhart und Nikolaus von Kues befassen, wobei der erstere möglicherweise als einziger christlicher Theologe die Pointe der heiligen Dreifaltigkeit erfasst haben könnte. Oder wie es dann Paul Tillich auf den Punkt gebracht hat: "In jedem echten Theismus ist ein Abgrund von Atheismus enthalten", wessen sich übrigens auch Simone Weil bewusst war; vgl. auch noch Ernst Bloch "Atheismus im Christentum". Dies kann aber hier, auf dieser sehr eingeschränkten Kommunikationsbasis, für Sie und andere befriedigend über die gemachte Andeutung hinaus erörtert werden; selber arbeite ich seit 10 Jahren an einem noch immer nicht publikationsreifen Projekt, wo ich dies jenseits jeder missionarischen Absicht im Zusammenhang mit dem Grundverständnis der deutschen Mystik, siehe auch Boehme und Baader, plausibel zu machen versuche, vgl. ferner "Winter in Wien" von Reinhold Schneider. 

Sandstein

17. Juli 2022 16:05

Hoffentlich kann dies @Sandstein, welcher auf Granit gebissen hat, als versöhnliche Geste nehmen.  Ende.

Kann ich, insofern Sie erkennen, dass auch Granit brechen kann. Um mal im Bilde zu bleiben. Ich hab dieses narzisstische Getue nicht nötig und bis es auch Leid, und das Forum sollte sich inhaltlich bewegen. Wenn Sie das nächste mal Lust auf Disput außerhalb des Fachlichen suchen: fragen Sie die Redaktion nach meiner privaten Email, ich stehe sicher bereit. Übrigens auch vis-a-vis, und da bin ich ja sehr gespannt ob ich Ihre Härte dann noch erkennen kann. Nicht jeder Geisteswissenschaftler ist nur im Geiste fit.

 

Umlautkombinat

17. Juli 2022 16:22

"wenn die Grundfrage lautet, wem oder was kann ich vertrauen."

Wenn. Meine Grundfrage ist das aber nicht.

"Dass Sie meinen Standpunkt nicht verstehen, hängt damit zusammen, dass Sie sich vielleicht nicht gerade täglich mit dem Ausgangspunkt der sog. Mystik..."

Das hing nur mit einer mehrdeutigen Ausdrucksweise des Kommentars zusammen. Kein Vorwurf, das kann in dieser Art Internetdiskussion bei jedem Schreiber immer wieder vorkommen. Sie muessen auch nicht alles verloeren sehen, selbst ein Agnostiker liest gelegentlich Simone Weil oder Mystiker wie Rumi, Meister Eckhart, oder auch John Donne :)

 

 

Laurenz

17. Juli 2022 17:20

@Sandstein @L.

stellt den Kaiser in Frage

Das tun wie hier doch permanent. Wir stellen auch alle propagierten Ersatzreligionen in Frage, die, wie der Forist

@Gracchus

schreibt, auf dem Glauben, dem Vertrauen beruhen. Da ist es doch völlig egal, ob der Gläubige an den Klimagott, den Gott der Pandemien, Karl Marx oder den Gott eines Rabbis namens Jesus von Nazareth glaubt. Wenn Sie den Beitrag von @Gracchus gelesen haben, wissen Sie, daß sich in meinem letzten Satz die Geister scheiden. Aber die Haltung der ganzen Gracchis hier ist inkonsequent & nicht plausibel. Nicht umsonst lebt im Deutschen der Zweifel an der göttlichen Wirkmächtigkeit: Hilf' Dir selbst, dann hilft dir Gott.

@Herbstlicht @L.

Sokrates hatte sicherlich Recht. Sie lasen doch, daß ich meinen Beitrag mit einer unbeantworteten Frage beendet habe. Das geschah in der Vermeidung einer Debatte. Wenn Sie das nächste mal draußen sind, verändern Sie doch einfach mal den Fokus Ihrer Aufmerksamkeit auf die Wesenheiten Ihrer Umgebung. (Nur ein Vorschlag)

Maiordomus

17. Juli 2022 19:12

@Umlautkombinat. Es fehlte ein "nicht" im Zusammenhang mit der Agnostizismusdebatte, die ich als im Grundsatz sinnvoll empfinde. Es kann in diesem Medium und auf dieser Basis, einer Blogdebatte, n i c h t  angemessen erörtert werden. Zu den besten Kennern des Dreifaltigkeitsverständnisses von Meister Eckhart gehörte ein nichtchristlicher Japaner, der vor drei Jahren verstorbene Shizuteru Ueda, Verfasser der sehr ergiebigen Eckhart-Studie "Die Gottesgeburt in der Seele und der Durchbruch zur Gottheit", deren deutsch geschriebene Erstausgabe ich vor 50 Jahren erstmals studiert, jetzt ergänzte Neuausgabe im Verlag Karl Alber 2018, also gerade noch zu Lebzeiten des Verfassers, eines der wohl bedeutendsten Repräsentanten der Kyoto-Schule, die er in der Nachfolge Nishida Kitaros weiterentwickelte. Es ist durchaus möglich, dass japanische, nicht irgendwelchen christlichen Dogmen und antichristlichen Vorurteilen verpflichtete hochintelligente genial sprachbegabte Forscher das Christentum einschliesslich der Gnosis, dem dieses freiwillig-unfreiwillig verbunden bleibt, besser verstehen als zumal solche Gelehrte, die z.B. bei uns einer Kirche oder einer philosophischen Richtung, die sich gern Agnostizismus nennt, verpflichtet fühlen. So wie die besten Islam-Kenner, so weit ich sie studiert habe, nicht selber Muslime waren. 

Gracchus

17. Juli 2022 20:29

@Umlautkombinat:

Und was ist Ihre Grundfrage?

Es ist ja auch nicht unwesentlich, ob es ein Leben nach dem Tod gibt oder die Unsterblichkeit der Seele. 

Aber klar: Wenn sich Ihnen solche Sinn- und Grundfragen nicht stellen, akzeptiere ich das.  

Gracchus

17. Juli 2022 20:34

Ich empfehle, bis zum nächsten Bosselmann-Text das Tagebuch von Gombrowicz zu lesen. Eine Wucht! Es kommt einem - wenn man etwas abstrahiert - sehr aktuell vor. Über den (polnischen katholidchen) Glauben sinniert er auch und stellt fest, dass an Stelle des Glaubens der Glaube an den Glauben oder der Wille zum Glauben getreten ist.

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