Vladimir Volkoff hat als Romancier, Dramatiker, Dichter, Essayist und Biograph mehr als 70 Publikationen hinterlassen; einige Schlaglichter auf Leben und Werk des tiefgläubigen orthodoxen Christen, kämpferischen Antikommunisten, überzeugten Aristokraten, studierten Altsprachlers, promovierten Philosophen sowie Offiziers im Guerillakrieg sollen zur Beschäftigung mit dem hierzulande noch wenig bekannten, hochpolitischen literarischen Schwergewicht anregen.
Volkoff wird 1932 in Paris als Sohn russischer Emigranten geboren; der Vater, dessen Familie seit dem 16. Jahrhundert den Zaren gedient hatte, muß sich als Autowäscher verdingen und stößt 1939 als einfacher Soldat zur Fremdenlegion. Die Mutter, eine Verwandte Tschaikowskis, hält die Familie mit Stickarbeiten über Wasser und die Treue zur fernen Heimat hoch: Sie ist eine ebenso liebevolle wie fordernde Erzieherin Vladimirs, der in einem Haus mit Lehmboden ohne Wasseranschluß und Elektrizität aufwächst, wo die Milch im Winter gefriert. Und trotzdem: »Ich war das glücklichste Kind auf der Welt«.
Mit sieben schreibt er erste Verse, entbrennt bald für die französische Literatur und wird sein gesamtes Werk in dieser Sprache verfassen, die er an der Sorbonne studiert; jeden Donnerstag liefert er sich dort in den Reihen der Action française Schlachten mit Kommunisten, »denen Gaullisten beispringen, sobald deren Überzahl von zehn gegen einen ins Wanken gerät« – manche Dinge ändern sich eben nie …
Er unterrichtet an einem Jesuitenkollegium, wird zum Wehrdienst einberufen und zögert trotz entsprechenden Wunsches, sich freiwillig zum Kampfeinsatz in Algerien zu melden, aus Rücksicht auf seine inzwischen alleinstehende Mutter. Doch sie wischt alle Bedenken beiseite: »Es ist Krieg. Du bist ein Volkoff. Selbstverständlich bist du ein Freiwilliger.« 1958, inzwischen Offizier, beschließt Volkoff, sich nun »vollständig als Franzose anzunehmen, da mir französische Leben anvertraut sein würden«.
In Algerien befehligt der Marineinfanterist einen Außenposten, wird zum Nachrichtendienst versetzt und mit Spionage, Handstreichen und offensiver Spionageabwehr betraut. Später dient Volkoff in einer Einheit, die zivile Infrastruktur und Logistik schafft, mit dem Ziel, »die Bevölkerung dahin zu bringen, Frankreich vorzuziehen«. Sein künftiges Leben sieht er ganz in Algerien.
Angesichts von Bombenterror und Greueltaten der algerischen FLN bzw. ALN wird der junge Leutnant bald aber auch mit moralischen Fragen konfrontiert – insbesondere der Folter. Persönlich kann er sich jedoch heraushalten, da »ich es radikal ablehnte, irgend etwas zu tun, das meine Prinzipien mir verbaten«.
Die quälenden Dilemmata eines asymmetrischen Krieges hat Volkoff in etlichen hochdramatischen Romanen immer wieder erörtert: Im Jahr nach seinem Tod erscheint Le Tortionnaire (2006), das Drama eines wie so oft stark an Laufbahn und Persönlichkeit Volkoffs angelehnten blutjungen Offiziers; diesem allerdings, von seinen Vorgesetzten im Stich gelassen, gelingt es nicht, trotz ebenfalls hehrer Vorsätze und Ehrbegriffe, in einem zunehmend schmutzigen Krieg auf Dauer sauber zu bleiben.
Romanfigur und Autor teilen hinsichtlich eines in sich zerrissenen Frankreichs einen Traum: »Vielleicht könnte man mit Hilfe Algeriens die Teile wieder zusammenfügen. In Algerien wird es keine Rechte und keine Linke mehr geben, sondern ein gemeinsam zu verrichtendes Werk. ›Wenn du die Menschen vereinen willst, gib ihnen einen Turm zu bauen‹, hat Saint-Exupéry gesagt. Für die Franzosen könnte Algerien dieser Turm sein, dieser große Traum«.
De Gaulle aber führt entgegen früheren Beteuerungen anderes im Schilde, gibt Algerien auf und liefert die davor entwaffneten algerischen Kämpfer auf französischer Seite der Rache der FLN / ALN aus, die wohl um die 100 000 »Harkis«, häufig bestialisch, ermordet. Tief beschämt sollte Volkoff diesen Verrat Zeit seines Lebens beklagen und anprangern.
Zurück in Frankreich gelingt ihm mit dem Science-fiction-Roman Métro pour l’enfer (1963) ein erster Erfolg, in dem auch ein gewissenloser Staatspräsident mit dem Namen »Monsieur Pfui« eine finstere Rolle spielt: Ein junger Straßenmusiker begegnet in der Pariser U‑Bahn seiner verstorbenen einzigen Liebe wieder und folgt ihr über die Endstation hinaus in eine Unterwelt, bevölkert von Untoten, die im Hamsterrad einer »gewaltigen, vollständig nutzlosen Maschinerie roboten« – eine Metapher für seelenlose, durchtechnologisierte Riesenstädte.
Der für Métro erstmals preisgekrönte Schriftsteller erlangt eine gewisse finanzielle Unabhängigkeit durch seine von 1965 bis 1986 in vierzig Bänden vorgelegte Jugendbuchserie Geheimagent Lennet. Volkoff verlebt die folgenden Jahrzehnte in den Vereinigten Staaten, wo er an einem elitären Mädchengymnasium lehrt und im »Old South« dessen Abendrot erlebt, zudem eine »lebensverändernde Erneuerung« seines orthodoxen Glaubens.
Sein literarischer Durchbruch erfolgt 1979 mit Die Umkehr: Dessen Erzähler, der junge, russischstämmige Leutnant Volsky, hegt literarische Ambitionen und schiebt ansonsten eine ruhige Kugel in einem drittrangigen französischen Militärgeheimdienst.
Teils läppische Fügungen führen dazu, daß Volsky eine improvisierte Operation aus dem Boden stampft, die seine Kragenweite deutlich übersteigt – ebenso wie ihr Ziel: das »Umdrehen« des skrupellosen hochrangigen KGB-Offiziers Popov, eines eisernen Bolschewiken mit leicht schwefeligen Zügen. Dieser hat wenig Mühe, die Manöver des dilettierenden Volsky samt Konsorten zu durchschauen, und schleudert ihnen seine Verachtung in einer Volkoff-typischen peripatetischen Brandrede offen ins Gesicht.
Der Panzer des Tschekisten wird bei völlig unerwarteter Gelegenheit rissig: in einer russisch-orthodoxen Hinterhofkirche, wo alsbald ein episches, metaphysisches Ringen beginnt, innerhalb eines bis zum Schluß fesselnden Spionageromans.
»Volkoff hat die Welt der Philosophie und Metaphysik in den Roman eingeführt. Das war in Frankreich unerhört und noch nie dagewesen«, so ein Kritiker, und ein anderer: »Nach dem Tod von Bernanos und Mauriac […] gab es keine neue christliche Präsenz im französischen Roman, bis Volkoff 1979 auf die Bühne stürmte«.
Bald darauf schlägt ihm Alexandre de Marenches, der legendäre Chef des französischen Auslandsgeheimdienstes, die Abfassung eines Romans über die bedrohliche sowjetische Spezialität »Desinformation« vor. Dieser Topos ist ein gefundenes Fressen für Volkoff, als ehemaligem Geheimdienstoffizier, glühendem Antikommunisten und mitreißendem Erzähler gleichermaßen, und wird ihm zu einem Lebensthema.
1982 erscheint Die Absprache, in deren Mittelpunkt der hochintelligente, kühle Alexander Psar steht, einmal mehr ein Sohn weißrussischer Emigranten. Passenderweise auf der Galerie der Chimären von Notre-Dame wird er vom KGB angeworben, gegen das Versprechen, nach 30 Jahren treuer Dienste wohlbestallt nach Rußland »heimkehren« zu dürfen.
Diese Dienste bestehen in der Manipulation der öffentlichen Meinung durch ein ganzes »Orchester« französischer Intellektueller und Journalisten, das Psar unter Nutzung seiner Fassade als Literaturagent und Herausgeber einflußreicher Weißbücher alsbald meisterhaft dirigiert. Sein Leitmotiv sind 13 Gebote, destilliert aus den Lehren des chinesischen Strategen Sun Tzu, dem zufolge die »höchste Kunst des Krieges darin besteht, den Feind kampflos zu unterwerfen«.
Im Erscheinungsjahr, das sogar Le Monde »L‘année Volkoff« nennt, erhält das beklemmende Meisterwerk des Romanciers den Grand Prix du roman de l’Académie française; die darin bloßgestellte Presse und Intelligenzija aber sollten ihm nicht verzeihen, wie Robert Poulet später in einem Brief an den Schriftsteller analysiert: »Früher oder später mußten Sie gegen eine Wand laufen. Sie würden zu jenen zeitgenössischen Autoren zählen, denen die ›große Presse‹ die verdiente Anerkennung zwar nicht verwehrt, es dabei aber so einrichtet, daß man dabei vom Eigentlichen abgelenkt würde. Begründung: sie haben sich selbst ins abseits gestellt und waren so unverfroren, es öffentlich zu bekunden. Sie haben also mit der Absprache eine unverzeihliche Dreistigkeit vollzogen.«
Desinformation also: Minutiös analysiert Volkoff die Akteure und das konkrete Handwerk dieser Herrschaftstechnik. In seiner Petite histoire de la désinformation (1999) definiert Volkoff sie als »Manipulation der öffentlichen Meinung, zu politischen Zwecken, durch eine mit verfälschenden Mitteln aufbereitete Information«. Volkoff identifiziert zahlreiche entsprechende große Operationen wie die Unterwanderung westlicher Friedensbewegungen durch die UdSSR: »Wenn du den Krieg willst, bereite den Frieden vor – beim Gegner«.
1991 »tritt ein nachgerade unglaubliches Ereignis ein: Der rote Riese bricht zusammen, ohne ein einziges Opfer zu fordern«. Der noch im selben Jahr erschienene, mit heißer Feder geschriebene schmale Band La trinité du mal ist, so auch der Untertitel, eine »Anklageschrift zur Anwendung im postumen Prozeß gegen Lenin, Trotzki und Stalin«. Der Marxismus habe der »politischen Verkörperung des Bösen drei Elemente hinzugefügt, die es davor niemals besessen hatte, […] die dem Kommunismus eine Sonderstellung unter den menschengemachten Geißeln verschaffen: den moralisierenden Vorwand, den Organisationsgrad und die Universalität. […] Der Welt war niemals etwas Entsetzlicheres zugestoßen als der Kommunismus.«
In Analogie zu den Nürnberger Prozessen fordert Volkoff, auch in einem Appell an die Vereinten Nationen, »gegenüber dem Kommunismus mit seinen unendlich zahlreicheren Opfern, der über die ganze Welt metastasiert hat«, die Einrichtung eines internationalen Strafgerichtshofs. Vor allem aber verlangt Volkoff ein öffentliches Schuldbekenntnis der Kommunisten – und daß «die widerwärtige Puppe, entstellt von balsamischen, austrocknenden und antiseptischen Injektionen, aus ihrem monströsen Kokon gerissen» und auf diese Weise der gesamten Menschheit verkündet werde, daß Lenin seinen zweiten Tod gestorben und der Alptraum vorbei sei.
1995 markiert eine weitere Zäsur in der Laufbahn des bekenntnisstarken Schriftstellers: seine endgültige Kaltstellung durch die herrschenden Medien wegen seiner Parteinahme für Serbien während der Balkankriege, die sich auch im Politthriller L’Enlèvement (2000) findet. Dort wird nebenbei auch der schwindende »Meinungskorridor« selbst für demokratisch legitimierte Staatschefs behandelt – und der Vormarsch des Islam in Europa, mit den Worten eines entsprechenden Konvertiten: »Mach dir keine Illusionen. Wir haben die einzige Schlacht gewonnen, die zählt, die demographische«.
In der einseitigen medialen Dämonisierung Serbiens sieht Volkoff eine meisterhafte, US-amerikanisch orchestrierte Desinformationskampagne und sagt schon damals die nächste voraus, gegenüber Rußland und dessen Präsident Putin.
Sein Leibthema Desinformation tut der Vielfalt von Volkoffs Werk keinen Abbruch: Im handfesten Le Bouclage (1990) wird eine nicht näher bezeichnete europäische Mittelmeerstadt von so drastischer Kriminalität geplagt, daß der neue »Administrator« der Metropole ebenfalls zu drastischen Maßnahmen greift, um den Sumpf trocken zu legen.
Alles andere als harmlose Erbauungsliteratur, aber ungleich liebevoller in der Anlage sind die wundersamen, zart melancholisch-ironischen Chroniques angéliques (1997), deren Autor sich eingangs an seinen Schutzengel wendet: »Meine Hypothese in diesen Chroniken ist, daß eure Engelsheere den Geheimdienst des lieben Gottes bilden. […] Sie erlauben es dem König der Könige, den stets ein wenig routinemäßigen, gewöhnlichen Gang der Schöpfungsverwaltung zu überbrücken.«
Alle Episoden fußen auf der Bibel, manche außerdem auf Inspirationen von Tolstoi bis Sergej Bulgakow. »Sobald er zur Welt kam, hielt ich mich zur Rechten seiner Wiege und liebte ihn. Jener andere Herr plazierte sich zu seiner Linken und sann darüber nach, wie er ihn verderben könnte […]. Ich bin der unglückseligste aller Schutzengel gewesen, so wie Judas der unglückseligste aller Menschen war«.
Le Professeur d’histoire (1985) schildert – nicht ohne Humor, nicht ohne Wehmut – einschließlich einer letzten Liebe die späten Jahre eines hochkultivierten, altersweisen, katholischen Reaktionärs und Gymnasiallehrers, der in seiner Epoche zunehmend verloren ist und schließlich erkennt, daß es »für die Vergangenheit keine andere Zuflucht gibt als die Ewigkeit«. Denn »die Welt […] der Vergangenheit beruhte auf einem schlichten Grundprinzip: der Nachahmung der Besten durch die Übrigen. […] Heute bemüht sich der Generaldirektor zu reden wie der Hilfsarbeiter, paßt sich der Vater dem Söhnchen an. Auf den Kopf gestellte Nachahmung, gekonnt von unseren Regierungen befördert, die sich große Mühe geben, die Bollwerke des Unterschieds stückchenweise zu schleifen«.
Der Unterschied und die Besten – zwei so zentrale Elemente in Volkoffs Weltanschauung, daß er ihnen jeweils ein eigenes Werk widmet: 2004 erscheint Pourquoi je serais plutôt aristocrate, wo er zunächst festhält, was Aristokratie bedeutet – die Herrschaft der Besten – und was nicht: ein Synonym für den Adelsstand.
Als schlagendes Beispiel nennt Volkoff die KPdSU, die zumindest in ihrer Frühzeit eine »aristokratische Struktur war, zu der man erst Zugang fand, nachdem man sich als Revolutionär bewährt hatte […]«. Während die Demokratie auf dem Prinzip der Quantität beruhe, sei dieses der Aristokratie völlig fremd, die zumindest theoretisch nur das Kriterium der Qualität kenne: »Ich weiß nicht, ob die ›Herrschaft der Besten‹ jemals existiert hat, aber ich bin von diesem Ideal deutlich mehr angetan als von der Verwirklichung der Gelüste der größeren Zahl«, bekennt Volkoff. »Die Qualität wiederum kann kaum anders zum Ausdruck gebracht werden als in Begriffen der Überlegenheit: Der Demokrat beklagt es, den Aristokraten erfreut es, das Faktum bleibt.«
Der Sport, besonders die Jagd nach Rekorden, sei das aristokratische Konzept schlechthin; und nicht zuletzt deshalb so populär, weil einem inneren Bedürfnis nach Aristokratie entsprechend; weil der Sport, gerade in einer Epoche der Orientierungslosigkeit, »absolute Regeln und offenkundige Erfolge bietet, und letztlich – so läppisch diese auch sein mag – im Ergebnis die Wahrheit hervortreten läßt.«
Und dann der Unterschied, der Volkoff bereits in die Wiege gelegt war: »In der westlichen, demokratischen, intellektuellen, pazifistischen, agnostischen Zivilisation, in der ich lebte, oblag es mir, den Gral einer anderen Zivilisation intakt zu halten: östlich, autokratisch, theokratisch, kriegerisch, orthodox. […] Ich war für den Kult des Unterschieds vorausbestimmt«. Diesem huldigt er in Le complexe de Procuste (1981), das den Namen des Widersachers im Titel trägt: des mythologischen Riesen Prokrustes, der seinen Opfern Gliedmaßen abhackt bzw. sie so lange streckt, bis ihre Größe der seines sprichwörtlichen Bettes entspricht.
Volkoff kommt es weniger auf »vertikale« Privilegien an, auf Über- bzw. Unterordnungsverhältnisse, sondern auf horizontale Unterschiede, Nuancen, wie bei regionalen Volkstrachten oder Uniformdetails innerhalb derselben Armee: »Es ist die pure Lust daran, sich als das wiederzuerkennen, was man ist – und wiedererkennen kann man sich nur, wenn man sich unterscheidet. […] Wie soll ich etwas lieben, das keine Identität hat? Wie soll ich eine Identität an etwas erkennen, das keine Unterschiede hat?«
Die Gleichmacherei hingegen ist selten so harmlos wie die Unterschiede, die sie zu beseitigen trachtet: »Die Schaffung von Départements hatte als wesentliches Ziel, die Bewehrung der früheren Provinzen mit ihren Unterschieden und Ungleichheiten zu brechen, um die Individuen gegenüber der Zentralgewalt in einer einzigen Reihe auszurichten, wie beim Kegeln«. Prokrustes, wie sich spätestens in unseren Tagen erweist, ist auch ein großer Globalisierer …
Der natürliche Lauf der Dinge im Universum aber kennt nur eine Richtung: die Vergrößerung der Entropie, mit dem Endzustand vollständiger Undifferenziertheit, so Volkoff, der ausgiebig den ebenso grimmigen wie hellsichtigen russischen Philosophen Konstantin Leontjew (1831 – 1891) zitiert, der Weltrevolution, Weltkrieg und eine europäische Föderation voraussah: »Das generelle Gesetz, das die Basis der Schönheit bildet, ist die Vielfalt in der Einheit« – sprich die Harmonie.
Wie jeder Organismus beginnt nach Leontjew auch jedes Staatswesen in ursprünglicher Einfachheit (und mit geringen Unterschieden), erlebt seine Hochblüte in der Ausdifferenzierung und schließlich die Simplifizierung des Niedergangs in Richtung Ununterscheidbarkeit – endgültig im Tod.
Dieser ereilt Vladimir Volkoff am 14. September 2005 während der Entstehung eines bemerkenswerten Kompendiums zu seinem Leben und Werk, für das er eine kurze einleitende Autobiographie verfaßte. Die Liste dessen, was er am Leben geliebt habe, ist lang; wirklich verabscheut habe er nur Flegelhaftigkeit, Pädophilie und Demokratie.
Der streitbare »Dumas der Steppen« – wie Le Figaro ihn wegen seiner in Rußland angesiedelten historischen Romane bezeichnete – bereute nur, sich nie duelliert zu haben. Zum Tode Vladimir Volkoffs schrieb Dominique Venner: »Wie alle Großen seiner Generation, Déon oder Raspail, war sein Empfinden vom Krieg und den Tragödien des Jahrhunderts genährt worden, an deren Erleben es den Kindern des Konsums und des lauwarmen Nihilismus so bitter gebricht«.
Der Krieg dieses Großen war Algerien, zu dem er am Ende seines Schaffens zurückkehrt. Keine 100 Seiten braucht Volkoff, um spannend wie ein Kriminalroman in La Grenade bis zum lakonisch-bitteren Ende die Spur einer gestohlenen Handgranate zu beschreiben; und während diese von Hand zu Hand geht anhand archetypischer Akteure ein schon damals müdes Europa, seine Verächter im Inneren und islamistisch-terroristische Gegner von außerhalb: Nach Jahrzehnten der erste Volkoff auf Deutsch, bei Karolinger; diverse Großverlage hatten ihren entsprechenden Publikumserfolgen bezeichnenderweise keine weiteren Übersetzungen folgen lassen.
Der Wahlspruch der Volkoffs lautete »Der Turm stürzt ein, aber ergibt sich nicht« – und seinem Freund Vladimir rief Jean Raspail nach: »Die Bruderschaft ist konsterniert. Ich spreche von jener winzigen ›Heiligen Schar‹ französischer Schriftsteller und Romanciers, die an den äußersten literarischen Rändern unseres alten Europa das Feuer noch erwidern. Unermeßlich ist die Front, und wir sind so wenige; und nun läßt Ihr Tod ganze Abschnitte der Mauer, wo Sie unermüdlich patrouillierten, fast ungeschützt zurück. […] Dieser Brief ist der letzte. Sie werden ihn dort oben lesen, im Frieden der Ewigkeit. Auf eine gewisse Weise beneide ich Sie: Sie wissen jetzt, warum Sie recht hatten«.