Ausnahmsweise rolle ich dann die Yoga-Matte ein und dafür einen einfachen schafwollenen Teppich aus, auf den ich vor die geblümten Lesecouch sogar ein Tischchen stelle, das ansonsten unterm großen Küchentisch verstaut bleibt.
Meine Wohnung liegt – ein Glücksfall – etwa im Schnittpunkt der Raumdiagonalen eines langgestreckten fünfstöckigen DDR-Plattenbaus. So lebe ich in der Abwärme der mich umwohnenden alimentierten Fernheizungsversorger und bin ansonsten – im Wohnen wie im Leben – gut isoliert.
Unter mir zwei Geschosse Betonbauweise WBS 70, über mir ebenfalls. Ich mag’s kühl, 18 Grad Celsius empfinde ich als Optimum. Die wurden bisher selbst an raren Wintertagen stets erreicht, zumal durch meinen Miniflur ein Rohr verläuft, das wegen der Wärmebedürfnisse meiner Nachbarn im Winter beständig so brüllheiß ist, daß ich’s kaum anfassen kann. Es heizt effizient. Ich verstehe mich also als Symbiont der Bürgergeld- und Wärmezuschlagsempfänger, also der Mindestsicherungsempfänger rundum.
Zum Hintergrund meines Wärmebezuges über die Nachbarschaft schrieb die F.A.Z. am 10. August unterm Titel „Das Hartz-IV-Problem beim Gassparen“:
„Die Politik denkt darüber nach, wie Mindestsicherungsempfänger dazu animiert werden können, Gas zu sparen. Bisher ist für sie der Anreiz gering, da für Hartz-IV-Bezieher, Rentner in Grundsicherung, Asylbewerber und andere Leistungsempfänger das Jobcenter die Heizkosten übernimmt. Das Geld stammt vom Bund und den Kommunen. Die Gruppe umfasst fast 7 Millionen Personen, 8 Prozent der Bevölkerung.” Ich partizipiere also.
Und ich dusche von jeher gern kalt, klar. Nicht aus Sparsamkeit, sondern um erfrischt zu sein. – Was man für die Verwendung wiederentdecken und in alte Rechte einsetzen sollte – den guten alten Seifenlappen.
Irgendwann besuchte mich der Agent eines freien Stromanbieters. Er versprach, mir ein gutes Angebot unterbreiten zu können, garantiert besser als jenes der Stadtwerke; ich möge ihm mal meine letzte Abrechnung zeigen. Als er meine Verbrauchsziffern sah, stellte er fest: Ach, Sie leben gar nicht ganzjährig hier? – Doch, entgegnete ich. – Leider, bei diesen Monatsbeträgen könne er kein Angebot machen; billiger als fünfzehn Euro würde es mit seinem Anbieter auch nicht.
Ja, ich weiß, mit so schmalem ökologischer Fußabdruck ist nur unterwegs, wenn man allein lebt. Allerdings könnte man auch allein zum Verschwender werden. Ich bin nicht tugendhaft, aber ich versuche mit wenig auszukommen, weil das eine Möglichkeit ist, die Welt zu schonen, von der auch ich eine große Menge verbrauche. Mit weniger auszukommen, ohne sich eigentlich Wichtiges zu versagen, ermöglicht mir in meinem Leben Übersicht.
Weil es für mich ein Vehikel der Freiheit ist, nutze ich für alle Strecken unter dreißig Kilometer das Rad, ein einfaches Gefährt der auf simple Modelle spezialisierten Berlin-Brandenburgischen Fahrradwerke.
Ich surre damit morgens über die Haltestellenplattform der Straßenbahn, wo der zwar multiethnische, aber uniformiert durchmaskierte Trupp der Neun-Euro-Nahverkehrsteilnehmer wartet, stehe nie im Stau, weil für das Rad irgendwo immer eine Passage frei ist. Flott an allen und allem vorbei …
Und ich atme tief durch – Radfahren als eine Variante westeuropäischer Meditation: Bin ich am See entlang Richtung Arbeitsstelle und Innenstadt unterwegs, scheint mit der Luft die Landschaft wie ein Materiestrom durch mich hindurchzugehen. Spritkosten oder Nahverkehrstarife fallen innerstädtisch also überhaupt nicht an. Beides mithin auf Null – Heizung und Kraftstoff.
So, wie wir früher im Osten an unseren Autos reparierten, was jetzt derart autonom an den überzüchteten und hochsensiblen Modellen nicht mehr möglich ist, eignete ich mir für das Rad basale Schrauberkenntnisse an: Technik und Werkzeug sind übersichtlich. Feines Besteck, dazu altbewährtes deutsches Artilleristenöl. Eine anheimelnde Jungenwelt. Zum Auto habe ich kein Verhältnis, das Fahrrad aber pflege und putze ich, stets darauf bedacht, daß die Schaltung genau richtig schnickt und schnackt und alles Technische harmonisch zusammenspielt.
Klar, ein reduziert einfaches und übersichtliches Leben erscheint eher ohne Familie möglich; vor allem entfällt das Chauffieren von Kindern zur Ganztagsschule und all den Projekten und Events. Offenbar fahren Kinder nicht mehr allzu häufig Rad; tatsächlich begegnen mir morgens vor allem Waldorfschüler auf ihrem Velo.
Keine Familie zu haben, keine Kinder, das gilt Konservativen als fragwürdig, nur verlief mein Leben, teils zwangsläufig, teils selbst so gewählt, etwas abenteuerlich. Hätte ich meine Kinder irgendwie durch das Spiegelland der Screens gut begleiten und ihnen Erlebnisse ermöglichen können, über die sie das Eigentliche berührt? Mindestens bezweifle ich es. Schon bei der Erziehung von fremder Eltern Kinder stieß ich an kulturell bedingte Grenzen. Gut, manche inspirierte ich nachhaltig. Wenige.
Als Solitär lebe ich bescheiden jenseits der „hedonistischen“ Tretmühle, ohne das überhaupt als sparsam zu empfinden, und bin von den angekündigten Preisexplosionen entfernter und indirekter betroffen. Dafür obliegt mir die Verantwortung, mich später allein durchbringen zu müssen, wenn das Fahrrad vielleicht vom Rollator ersetzt ist und ich in der großen Kohorte meiner Boomer-Altersgenossen damit zu den Discountern unterwegs bin.
Apropos Discounter:
Meine Ernährung ist brot- und kartoffelbasiert, so wie seit der Kindheit vertraut. Für ein gutes Brot lege ich – mit dem Rad – gern lange Strecken zurück, denn echtes Bäckerbrot ist sehr, sehr selten geworden. Passable Kartoffeln weniger – bevorzugt mehlig kochend, da ich Prignitzer bin. Ergänzend Bohnen und Linsen, bewährte Trappernahrung.
Alkohol trinke ich nicht (mehr), sondern ausschließlich Wasser sowie schwarzen oder grünen Tee. Luxuriös, in einem Land zu leben, in dem aus jedem Hahn kontrolliertes Trinkwasser kommt. Mein Tee allerdings ist exklusiv, und für ihn filtere ich das kalkige Leitungswasser.
Die ausgesuchten Tees liefert ein Versender streng rückstandsüberprüft und nicht nur mit Bio‑, sondern sogar mit Fair-Trade-Siegel. Die Kilopackungen sind erschwinglich, denn das Unternehmen widmet sich mit Bedacht nur einer übersichtlichen Zahl von Sorten, diesen aber mit Akribie. Es heißt, die Frauen, die den Tee pflücken, wären für indische Verhältnisse vergleichsweise glücklich.
Ich trinke beide Varianten – schwarz wie grün – gern stark und so überdosiert, so daß ich sie Gästen kaum anbieten könnte. Ungezuckert, klar, so daß etwas Süßes um so besser dazu paßt. Es müssen nicht immer Nußtörtchen und Puddingschnecke sein, ein Marmeladen- oder Honigbrötchen tun’s auch.
Essen: Viel Käse sowie Quark mit Leinöl oder mit Zwiebeln, Salz und Pfeffer, häufig Joghurt mit Früchten und Nüssen, saisonal Tomaten, aufmerksam gewürzt und mit viel Olivenöl, echten Schafskäse dazu.
Was bleibt noch? Kleidung mag ich so robust wie praktisch; ein Sakko brauche ich nicht, Krawatten ebensowenig. Ich verstehe, daß die Kultur dergleichen da und dort voraussetzt, aber ich bin da und dort so gut wie nie. Wenn doch, leihe ich mir flott was aus. Selbst an einem teuren und sich elitär wähnenden Internat gelangte ich in einen Zustand relativer Narrenfreiheit, der es mir erlaubte, überall in Shirt oder Pullover aufzulaufen.
Gut, ich besitze Hemden, aber ich habe ehrlich gesagt noch nie eines gebügelt. Nur bei den Grenztruppen, weil man ungebügelt nicht in den Ausgang durfte. Hauptfeldwebel Wendt hatte ein strenges Auge drauf.
Ich benötige ein FAZ- oder NZZ-Abonnement und lese die Zeitungen neuerdings online, an einem Tablet, das ein Kollege abzugeben hatte, für dreißig Euro. Er wünschte sich wegen des gesprungenen Displays ein neues, aber das alte leistet zuverlässig seit Jahren alles, was ich von ihm erwarte. Meinen Laptop stellt die Arbeitsstelle; niemanden stört es bislang, wenn ich daran etwa diesen Text schreibe.
Klar, ich habe ein Smartphone, nicht das neuste, aber eines mit mir vertrautem Betriebssystem. Damit bin ich leider verwachsen, so wie die meisten anderen Menschen auch, nur fasse ich es als Werkzeug und nicht als Fetisch auf.
Bücher versage ich mir nie, wenn mich ihr Inhalt wirklich interessiert. Ich hebe sie danach nur in seltenen Fällen auf, reihe sie also nicht wie Trophäen auf ein Bord, sondern stelle sie in eine dieser neuerdings fürs Bücherverschenken genutzten einstigen Telefonzellen, die die modernen Antiquariate ablösten, seit das Buch seinen kulturellen Wert weitgehend verlor.
Nur weil ich meine hilfsbedürftige Mutter in der Prignitz versorgen möchte, brauche ich ein Auto. Alter Golf, unverwüstlich. Er wartet vorm Plattenbau und springt zuverlässig an. Die ersten paar Male hört man dann, wie die Bremsen den Rost verschleifen, dann läuft alles ruhig. Die Rückbank habe ich umgeklappt und eine NVA-Plane darübergeworfen, weil ich wegen des elterlichen Grundstücks öfter was vom Baumarkt holen muß.
Für geizig halte ich mich nicht; bedürftigen Bekannten gegenüber bin ich hoffentlich freigiebig genug. Wünsche, die ich hege, habe ich mir nie versagt, allerdings jenseits der Kindheit kraft Impulskontrolle stets über deren Sinnhaftigkeit und Gebrauchswert nachgedacht.
Seit mein Vater mir zu meiner enormen Freude das erste Taschenmesser schenkte, habe ich immer eines dabei. In der Seitentasche des Rucksacks steckt zudem stets ein Leatherman-„Multitool“. Für kleine Abenteuer reicht das.
Eine quasiphilosophische Schwäche hege ich für Uhren, weil mich die Zeit, die vergehende, fasziniert. Ich bevorzuge jedoch klassisch einfache Modelle mit Zeiger und Strichen, ohne allen Schnickschnack. Alles wirklich Elegante ist schlicht. Ich bin kein Pilot, benötige also keine Fliegeruhr. Mir gefallen Uhren, die um die Mitte des letzten Jahrhunderts hergestellt wurden. Dafür gehe ich zu einem beinahe achtzigjährigen Uhrmacher, der genug altes Gerät davon am Lager hat und eine echte Glashütte aus DDR-Produktion für hundertfünfzig Euro runderneuert verkauft. Zwanzig Euro Trinkgeld drauf, weil die Maschine dann durchläuft wie eine gute Lok.
Tatsächlich messe ich – etwa beim Radfahren oder beim Sport – wenn überhaupt, dann nur die Zeit; andere Werte, Strecken etwa, gar noch physische oder physiologische Werte interessieren mich nicht, denn die sind, wie sie sind; ich möchte sie nicht wissen und mich schon gar nicht daran berauschen.
Mit den notierten Dingen ist die mich umgebende Objektwelt beinahe vollständig umrissen, fehlen noch die Möbeln, die meisten, abgesehen von der neuen blümchenbunten Lesecouch, aus einer Scheune in B. Sie standen dort wohl schon über eine Generationslänge im Stroh, halten aber, reaktiviert, weiterhin länger als nur ein Menschenleben. Als das Federgestell meines Bauernbettes mir zu durchgelegen erschien, zog ich mit dem Akkuschrauber dicht nebeneinander starke Bretter ein und verplankte so die Basis. Superfest, superhart, wunderbarer Schlaf.
Übrig noch: Digital- und DAB-Radio für Deutschlandfunk, MDR-Kultur und Klassiksender, selbst eingeschraubte Küche, erstklassiger WMF-Wasserkocher aus Stahl fürs gefilterte Teewasser.
Klar, licht, funktional und geräumig soll es sein. Das gibt mir Sicherheit. Kleine Zwangsneurose, zu der ich stehe. Ich wische ganz gern öfter mal feucht durch, obwohl an sich nichts schmutzig ist. Nebelfeucht – schönes Wort.
Im Wohnzimmer der Zweiraumwohnung gibt’s neben der Lesecouch nur den Schreibtisch mit Stuhl, beides aus der Scheune in B., ein Regal für allerlei, ansonsten mitten im Raum, der sich zum Balkon öffnet, die Yogamatte. Überhaupt wichtig: Der Blick aus den Fenstern. Die DDR plante geräumig, so blicke ich ins Weite und habe viel Himmel rundum.
Viel mehr als das Inneninterieur ist es das Sichtfeld nach draußen, was das Wohnen bestimmt. Deswegen verstehe ich nicht, weshalb sich in Immobilienexposés stets das Klo und sogar Ecksteckdosen fotografiert finden, nur selten aber ein Bild offenbart, worauf man aus der Wohnung heraus schaut. Ich blicke vom Balkon auf spielende Migrantenkinder, die sich auf der Wiese des einstigen Wäscheplatzes tummeln. Es gibt ein paar trotz des gegenwärtigen Dornsavannenklimas ausdauernde Winterlinden mit ornithologischer Restpopulation. Besser solch ein Blickfeld, als aus einer edlen Wohnung in der Innenstadt auf die gegenüberliegende Traufe zu starren.
Gute Bleistifte und ein weich schreibender Federhalter, fadengeheftete Notiz- und Tagebücher. Wein für Besucher, die ja zudem eine aufgedrehte Heizung erwarten dürfen.
Ach ja, und passables WLAN. Beinahe vergessen, herrje.
Es gibt Rettung vor der Kostenexplosion und den „Volksaufständen“ – das einfache Leben. Mitunter sage ich mir Günter Eichs Gedicht „Inventur“ auf. Es liegt mir. Ja, es kommt aus schwieriger Zeit, aber mag sein, daß wir uns solchen wieder nähern.
Niekisch
"Was man für die Verwendung wiederentdecken und in alte Rechte einsetzen sollte – den guten alten Seifenlappen."
Bei uns Wessis "Waschlappen" genannt: Winfried Kretschmann: "Auch der Waschlappen ist eine brauchbare Erfindung" (t-online.de)