Promedia in Wien und das Periodikum Lunapark21. zeitschrift zur kritik der globalen politischen ökonomie (LP21) gruppiert. Doch selbst diese minoritäre Vernunftlinke zeigt sich nun angesichts der möglichen Antworten auf die Corona-Krise argumentativ uneins: Im Editorial der 53. LP21 (Frühjahr 2021) wird das deutlich.
Chefredakteur Winfried Wolf räumt ein, daß die Redaktion gespalten sei: Ein Mitglied, Hannes Hofbauer, vertrete abweichende Standpunkte, während Wolf und eine »deutliche Mehrheit« der Redakteure bei der Initiative ZeroCovid mitwirken. Das ist keine Petitesse, zumal das Ausscheren Hofbauers aus jener linken Stoßrichtung, die sich durch die Forderung nach einem vollständigen Shutdown (anstelle temporärer Lockdowns) Gehör verschafft hat, sich nicht auf LP21-Meinungsbeiträge beschränken läßt.
Hofbauer, über das eigene Milieu hinaus bekanntgeworden als Promedia-Verleger und zuletzt durch sein Buch Kritik der Migration (vgl. Sezession 90), versammelt das linke Who’s who der Skeptiker der offiziösen Corona-Politik in einem Sammelband mit dem sprechenden Titel Herrschaft der Angst. Es wirken Autoren wie Moshe Zuckermann und Joachim Hirsch, Wolf Wetzel und Norman Paech mit, die innerhalb der Linken durchaus ein gewisses Renommee besitzen. Das könnte sich mit vorliegender Textsammlung ändern.
Denn bereits im Vorwort der Herausgeber Hofbauer und Stefan Kraft (einem Rosa-Luxemburg-Experten) wird die potentielle Gefahr des Virus nüchtern beschrieben und die Lockdown-Politik als verheerend verworfen. Die vereinigte Linke, die entweder die Regierungspolitik stützt oder gar noch härtere Maßnahmen einfordert (ZeroCovid und dergleichen), wird offen adressiert: Eine Linke, die so handle, habe »ihren Anspruch auf Opposition verwirkt«.
Verständlich wird diese Ausgangsthese anhand einiger markanter Beiträge. Hervorzuheben ist zunächst Zuckermanns Beitrag über »Geschichte, Angst und Ideologie«, in dem die Verbindung aus Angst und Politik scharfsichtig eingeordnet wird. Hirschs Essay über »Angst und Herrschaft« knüpft hier an und zeigt, wie die Pandemie herrschaftstechnisch benutzt wird, »nicht nur zur Aufhebung zentraler Grund- und Freiheitsrechte, sondern auch zum weiteren Ausbau des Kontroll- und Überwachungsstaates«, was spätestens mit der erfolgreichen Durchsetzung des Staatstrojaners für alle 19 Geheimdienste der BRD markant wurde, die dem Gesetzgeber im Schatten der Fußball-Europameisterschaft und der sommerlichen Corona-Lockerungen gelang.
Wolf Wetzel schildert hernach die »endlose Geschichte der Ausnahmezustände (in Deutschland)«, wobei insbesondere die Ausführungen zur Repressionswelle gegen die damalige Linke 1977 ff. lesenswert erscheinen: Hier ist zu befürchten, daß kommende Neuauflagen bereits durchexerzierter Rituale (von Berufsverboten bis Kontaktbeschränkungen) die politische Rechte von heute ungleich härter treffen dürften.
Den Grund kann man Wetzels zweitem Beitrag (»Den Stier an den Hörnern packen«) entnehmen: Die zeitgenössische Linke ist machthörig, konformistisch-rebellisch, zeigt sich zu oft als »Begleitschutz der Großen Koalition«, keineswegs als Herausforderer. Das liege auch daran, wie man bei Karl Reitter (»Die Linke und die Angst vor Corona«) spüren kann, daß sie eine Initiative unterstütze, die als »katastrophal« zu bezeichnen sei – gemeint ist ZeroCovid, also jenes Projekt, das auch die LP21-Linke mindestens argumentativ entzweit.
Die Tatsache, daß das Gros der Aufsätze nicht nur für Interessierte an linken Diskursen, sondern für alle politisch aktiven Menschen in der anhaltenden Corona-Krise lehrreich ist, wird unwesentlich geschmälert durch einige Beiträge, die vom Niveau abfallen; ein typisches Sammelband-Phänomen. Ob Dieter Dehm (»Angst essen Zelle auf«), der sich oft als Polterpopulist aus dem Bundestag Gehör verschafft, wirklich hätte seinen Beitrag beisteuern müssen, scheint fraglich, und warum das Faß der »Islamophobie« geöffnet werden mußte, das den Blick vom eigentlich zu bearbeitenden Thema der Autoren weglenkt, wissen nur die Herausgeber.
Dieser Einwände eingedenk, ist Herrschaft der Angst eines der wenigen Bücher mit explizitem Corona-Schwerpunkt, das man wirklich gelesen haben sollte. Einmal mehr dürften zeitgenössische Nichtlinke mehr politische Essenz entnehmen können als die zeitgeistige Linke, die der Hofbauer-Kraft-Autorenschaft längst nur mehr eine marginale Nische überlassen hat.
Schon allein deshalb bleibt auch das Fazit aus dem Oktober 2019 aktuell, wonach »Erkenntnisgewinn links der Mitte zwar möglich ist, daß praktische Schlußfolgerungen aber nur (neu)rechts wirksam werden könnten«.
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Hannes Hofbauer, Stefan Kraft (Hrsg.): Herrschaft der Angst. Von der Bedrohung zum Ausnahmezustand, Wien: Promedia Verlag 2021. 320 S., 22 €
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