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PDF der Druckfassung aus Sezession 104/ Oktober 2021

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Der US-ame­ri­ka­ni­sche Publi­zist Geor­ge Packer hat ein Buch über den Zustand der Ver­ei­nig­ten Staa­ten vor­ge­legt: Die letz­te bes­te Hoff­nung han­delt vom Absturz, den sei­ne Nati­on inner­halb der ver­gan­ge­nen vier Jah­re erlitt.

Schuld dar­an sei Trumps Poli­tik, die mit­nich­ten etwas mit Für­sor­ge, Soli­dar­ge­mein­schaft, Ein­he­gung frei­dre­hen­der Märk­te und Gesun­dung der Gesell­schaft zu tun gehabt habe. Viel­mehr habe der größ­te Lüg­ner, der je im Wei­ßen Haus saß, die Ame­ri­ka­ner »weni­ger frei zurück­ge­las­sen, unglei­cher, gespal­te­ner, ver­rück­ter, iso­lier­ter, ärmer, ver­sumpf­ter, dre­cki­ger, gemei­ner, krän­ker und toter«.

Packer, der 2013 Die Abwick­lung ver­öf­fent­lich­te (ein unge­mein plas­ti­sches und ein­gän­gi­ges Schre­ckens­bild der unter­ge­hen­den Mit­tel­schicht Ame­ri­kas), ver­gleicht nun die Atmo­sphä­re wäh­rend der Amts­ein­füh­rung Joe Bidens mit dem Vor­abend vor einer Schlacht im Ame­ri­ka­ni­schen Bür­ger­krieg: »Wir wis­sen, wer in die­sem Kon­flikt die Kon­fö­de­rier­ten und wer die Uni­on bil­det« (wis­sen wir, also: wir, das?), und fol­gert, daß sei­ne Sei­te, also die Nord­staa­ten, den von Trump auf­ge­zwun­ge­nen Krieg nun hin­zu­neh­men habe, damit die Nati­on nicht untergehe.

Ich habe Die letz­te bes­te Hoff­nung nicht nach den ers­ten Sei­ten weg­ge­legt, son­dern doch zu Ende gele­sen, denn Packers Abwick­lung war wirk­lich ein gutes Buch. Aber das, was er nun vor­ge­legt hat, ist zugleich scho­ckie­rend beschränkt und wahr­neh­mungs­falsch, und es ist zugleich kal­ku­liert wei­ner­lich und damit ein per­fi­des Stück: Packer spricht die offi­zi­el­le Coro­na-Erzäh­lung nach wie die Ver­se eines schlech­ten Gedichts – ohne einen ein­zi­gen aus­zu­las­sen, ohne abzu­bre­chen, ohne in Lachen aus­zu­bre­chen oder den Quark wenigs­tens inter­pre­tie­rend zu vernichten.

Er befeu­ert die angst­po­li­ti­sche Pro­pa­gan­da, er begrüßt die Maß­nah­men­spi­ra­le, er akzep­tiert die Ein­schrän­kung jener Bür­ger­rech­te, die er eben noch mit allen Mit­teln (»einen Krieg hin­neh­mend«) gegen Trumps ver­meint­li­che Über­grif­fig­keit ver­tei­dig­te, und er sehnt den Tag her­bei, an dem er – dop­pelt und drei­fach geimpft – wird erpro­ben kön­nen, ob wir »noch den Mut haben, uns zu umar­men«. Bang­nis nach der Ein­zel­haft: »Wer­den wir dann über­haupt noch zusam­men sein wollen?«

Packer ist – die Lek­tü­re sei­nes neu­en ­Buches läßt kei­nen ande­ren Schluß zu – eines jener wahl­be­rech­tig­ten Kin­der der Moder­ne, die alles haben wol­len (und bekom­men), weil sie es nie selbst bezah­len müs­sen. Sie müs­sen für die Fol­gen ihrer Ver­ant­wor­tungs­lo­sig­keit nicht auf­kom­men, und sie sind – im Gegen­satz zu den Aus­ba­dern – selbst fle­xi­bel genug, unver­or­tet genug, reich genug und zynisch genug, um dort­hin aus­wei­chen zu kön­nen, wo die Här­ten des Gesell­schafts­expe­ri­ments noch nicht spür­bar sind.

Packer beschreibt sich selbst, wenn er die »Ear­ly Adop­ter sämt­li­cher Errun­gen­schaf­ten« auf­zählt, die »die Ober­flä­che heu­ti­gen Lebens so ange­nehm machen: Viel­flie­ger­pro­gram­me, Mac­Book Pro, Fleisch vom Wei­de­rind, Cold-Brew-Kaf­fee, Ama­zon Prime«. Auch er gehört zu denen, die »alles Neue und die Viel­falt« lie­ben, und auch er ist der Ansicht, daß »vom trans­na­tio­na­len Fluß von Men­schen, Infor­ma­tio­nen, Gütern und Kapi­tal die meis­ten, wenn nicht sogar alle Men­schen pro­fi­tie­ren«. Packer: moral­po­li­tisch auf­ge­bläht, auf dem Gut-Böse-Trip, tota­li­ta­ris­mus­an­fäl­lig, lei­der begabt.

Packer hät­te am 26. Sep­tem­ber, Fleisch­fa­sern vom Wei­de­rind mit­tels Cold-Brew-Kaf­fee aus den Zwi­schen­räu­men sei­ner Zäh­ne spü­lend, eine der vier grü­nen Par­tei­en gewählt, die im Deut­schen Bun­des­tag ver­tre­ten sind und die nun – mit­tels einer wei­te­ren Demo­kra­tie­si­mu­la­ti­on – nicht nur die Regie­rungs­ko­ali­ti­on bil­den, son­dern auch den Oppo­si­ti­ons­füh­rer stel­len wer­den. Der fünf­ten Par­tei, die ger­ne grün wäre und gegen das exis­ten­ti­el­le Inter­es­se ihrer Kern­wäh­ler­schaft eben­falls den trans­na­tio­na­len Fluß, das Flüs­sig­ma­chen aller Sicher­heit, aller Sta­bi­li­tät und aller Nicht­ver­nut­zung for­ciert, hat ihre Sit­ze bloß ver­tei­digt, weil ihr drei Direkt­man­da­te gelangen.

Bleibt das blaue Lager, die ein­zi­ge Oppo­si­ti­on, die »Hoff­nung wider bes­se­res Wis­sen«, denn wir alle wis­sen, wel­chen Weg Gebil­de gehen, die kris­tal­li­sie­ren. Aber noch kann man aus ihren Rei­hen her­aus von vie­len wich­ti­gen Din­gen das Wich­tigs­te tun: aus Prin­zip nicht mit­spie­len, wenn alle den­sel­ben Ton bla­sen und Viel­stim­mig­keit nur behaupten.

Es gibt vie­le, vie­le Leu­te, die wenigs­tens einen ein­zi­gen ande­ren Ton so laut und so klar wie mög­lich ver­neh­men wollen.

 

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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