Nachahmungsdruck

PDF der Druckfassung aus Sezession 104/ Oktober 2021

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Jede Wet­te: Wenn die geneig­te Leser­schaft befragt wür­de, was sie mit dem modi­schen Ter­mi­nus »Influen­cer« ver­bin­de, fie­le ihr als ers­tes der Name »Rezo« ein.

Das ist die­ser unter Kunst­namen agie­ren­de Typ mit den blau­ge­färb­ten Haa­ren und dem Kin­der­ge­sicht, von dem selbst auf Wiki­pe­dia gerät­selt wird, ob er 31 oder erst 29 Len­ze zählt. Als gesi­chert gilt sei­ne eige­ne Aus­sa­ge, wonach er als Kind »gemobbt« wur­de und her­nach psy­cho­lo­gisch betreut wer­den muß­te. »Rezo« wur­de 2019 mit sei­nem ­Video »Die Zer­stö­rung der CDU« berühmt. »Fuck, ist das hef­tig!« (O‑Ton er selbst), was der Bub da über die CDU »ermit­telt« hatte!

Allein auf You­Tube wur­de die­ses Video rund zwan­zig­mil­lio­nen­mal ange­schaut. Bereits davor, erst recht danach, zähl­te »Rezo« zu jenen Tau­sen­den Leu­ten in Deutsch­land, die – man faßt es nicht! – ihr Aus­kom­men als »You­Tuber« oder »Insta­gra­mer« haben – ohne ech­ten Beruf, ohne hand­fes­te Aus­bil­dung. Ein­fach so: als Meinungsmultiplikatoren.

Schon 2017 war »Rezo« eines der Gesich­ter der HIV-Prä­ven­ti­ons­kam­pa­gne, die damals unter dem sin­ni­gen Hedo­nis­mus-Titel »Do what you want« lief. Er setzt sich fer­ner für »Kli­ma­ge­rech­tig­keit«, gegen »Mas­ken­ver­wei­ge­rer« und so fort ein (man kann es sich den­ken). Er kann Gitar­re spie­len, lebt vegan und war mit sei­ner Mes­sa­ge »bereits Gast ver­schie­de­ner Hoch­schu­len«. Der­zeit ver­zeich­net sein Haupt­ka­nal 17,5 Mil­lio­nen Abonnenten.

Dabei ist »Rezo« kaum bedeut­sam unter jenen Influen­cern, die die Köni­ge in einer Welt sind, der jeder Leser die­ser Zeit­schrift längst ent­wach­sen ist. Denn die Wir­kung der »Beein­flus­ser« auf jun­ge Leu­te der Jahr­gän­ge 2002 ff. ist gar nicht zu überschätzen.

Mit »Rezo« ver­hält es sich wie mit dem Clown im Zir­kus: Des­sen Vor­füh­run­gen nahm man als Kind pein­lich berührt mit. Er gehör­te halt dazu. Aber eigent­lich waren die Hoch­seil­ar­tis­ten und die Glitz­er­la­dys, die mit durch­ge­drück­tem Kreuz und strah­lend auf dem galop­pie­ren­den Pferd stan­den, die eigent­lich inter­es­san­ten Num­mern. Oder die Raub­tie­re. Clown »Rezo« ist harm­los und kernegal.

Die urfe­mi­nis­ti­sche, alte Tan­te Emma hat in ihrer Herbst­aus­ga­be 2021 das The­ma »Influen­ce­rin­nen« zum Schwer­punkt gemacht. Das acht­zehn­sei­ti­ge Dos­sier über »Die (un)heimliche Macht der Influen­ce­rin­nen« bün­delt eigent­lich alles, was über das Infil­tra­ti­ons­po­ten­ti­al die­ser neu­en »Bes­ten Freun­din­nen« zu sagen ist. Es ist ein Wei­ber­ding. Die erfolg­reichs­ten Influen­cer für Jungs hei­ßen (neben Gamern wie »Gron­kh«) Bas­ti­an Schwein­stei­ger, Mesut Özil und Toni Kroos. Fuß­bal­le­rei also – nichts Neu­es »unter Män­nern«. Sie bespie­len das Zeug, das für Kna­ben seit je inter­es­sant ist, und das hat kei­nen Neuig­keitswert. Ent­schei­dend: Der Nach­ah­mungs­druck ist bei Jungs viel gerin­ger als bei Mäd­chen. Die tole­rier­te Band­brei­te des Aus­se­hens, Ver­hal­tens, Mei­nens, Kon­su­mie­rens ist auf weib­li­cher Sei­te seit je deut­lich klei­ner. Und das im Zeit­al­ter der Hypereman­zi­pa­ti­on? Ja, und zwar: jetzt erst recht.

Die Kul­tur­his­to­ri­ke­rin Ange­la McRob­bie spricht von einer »post­fe­mi­nis­ti­schen Mas­ke­ra­de«, die sich des eman­zi­pa­to­ri­schen Eti­ketts zwar gern, aber in Wahr­heit nur eines modi­schen Ver­blen­dungs­ele­ments bedie­ne. Medi­en­wis­sen­schaft­le­rin Maya Götz: »Influen­ce­rin­nen haben in ers­ter Linie schön zu sein und insze­nie­ren sich haupt­säch­lich im häus­li­chen Kon­text. Fami­lie, Part­ner­schaft, Beau­ty, Fit­neß: Das ist der Wir­kungs­be­reich für Frau­en wie in den 1950er, 1960er Jahren.«

Als Nicht­fe­mi­nis­tin könn­te man ent­geg­nen: Und? Ein Revi­val alt­her­ge­brach­ter Weib­lich­keit – es wäre doch Schlim­me­res denk­bar. Die Sache ist ver­track­ter. Wir sehen hier fünf deut­sche Beein­flusse­rin­nen mit Kom­man­do­macht. Das wären: »Dagi Bee«, Dia­na zur Löwen, Loui­sa Dell­ert sowie »Lisa und Lena«. Die erkennt­nis­lei­ten­de Fra­ge wäre: Was macht es mit einem unrei­fen Hirn, sagen wir: einer Zwölf­jäh­ri­gen, die die­se alle­samt äußerst erfolg­rei­chen Kanä­le abon­niert hat?

Loui­sa (mit nun 32 Jah­ren fast eine alte Häsin) fällt ein wenig aus dem Rah­men, da sie eine der weni­gen nicht­blon­den und vor allem eine eher lin­ke Influen­ce­rin ist. Die Emma lobt sie dafür. Loui­sa ist gegen das Patri­ar­chat, für kos­ten­lo­se Tam­pons und bewirbt bei­spiels­wei­se Veggie-­Fisch­stäb­chen. Zu ihren bes­ten Zei­ten ver­dien­te sie mit ihren anti­ka­pi­ta­lis­ti­schen Film­chen um die 20.000 Euro im Monat. Gele­gent­lich mal­te sie sich mit schwar­zer Far­be miso­gy­ne Schimpf­wor­te auf den Leib, um das Elend zu bekla­gen, das es bedeu­ten kann, als »Frau im Netz unter­wegs« zu sein.

Zwei mei­ner Töch­ter haben ­Loui­sa »abon­niert« – um sich auf­zu­re­gen: »Das ist alles femi­nis­tisch und super­auf­ge­klärt, was sie macht. Aber in Wahr­heit strahlt sie einen unge­heu­ren Streß aus. Näm­lich einer­seits total woke und kor­rekt zu sein, win­zi­ge ›Schönheits­makel‹ zu pos­ten (›schaut her – ich steh zu mei­nem ­Pickel‹) aber ande­rer­seits die­se sicht­ba­re Mühe, den­noch äußerst trai­niert rüber­zu­kom­men. Die­se Schwin­gung, daß sie der Psych­ia­trie knapp von der Schip­pe gesprun­gen ist.«

Zu den Blon­dies. Die bei­den neun­zehn­jäh­ri­gen Zwil­lin­ge Lisa und Lena schef­feln Mil­lio­nen. Sie haben allein auf Insta­gram über 15 Mil­lio­nen Fol­ger. Mitt­ler­wei­le leben sie in den USA und strah­len von dort (meist auf ame­ri­ka­nisch) in die Welt. In ihren Vide­os geht es um: nichts. Es ist erhel­lend, sich als Mut­ter von acht- bis sech­zehn­jäh­ri­gen Töch­tern ein paar der Clips die­ser (als Säug­lin­ge adop­tier­ten) eigen­tüm­lich, fast ­ali­e­nesk aus­schau­en­den, jun­gen Damen anzu­schau­en. So wird heu­te geju­belt, so gelacht, so posiert, so sich bewegt. Raus­ge­streck­te ­Brüs­te, Po und vor­ge­wölb­te Lip­pen (»Enten­schnä­bel­chen«), gern auch mal Kul­ler­trä­nen gehö­ren dazu: eine Mischung aus Nar­ziß­mus und Hilf­lo­sig­keit. Über die Pho­to­shop-Leis­tun­gen, die hin­ter den Auf­trit­ten ste­hen, wur­de bei­zei­ten und viel­fach alles gesagt.

Es ändert nichts im Hirn der jun­gen Afi­ci­o­na­da – wie es auch das Kon­sum­ver­hal­ten kaum beein­flußt, wenn vor dem Sna­cken auf­ge­zählt wur­de, wie­viel Palm­öl, Zucker und ande­re Min­der­wer­tig­kei­ten im Scho­ko­rie­gel ste­cken. Hier geht es um Hirn­re­gio­nen, die weit ent­fernt vom Zen­trum der Logik und der Ver­nunft liegen.

»Dagi Bee« zum Bei­spiel kürzt sol­che ­Kor­rekt­hei­ten des­halb glatt ab: In ihren Vide­os geht es um Zahn­auf­hel­lun­gen, Ent­haa­rungs­me­tho­den und ihre ganz per­sön­li­chen »Pro­blem­zo­nen«. »Dagi Bee« ist ver­hei­ra­tet. Ein brand­neu­es Video mit Lie­bes­schwü­ren an und von ihrem Mann haben bis­lang knapp zwei Mil­lio­nen Leu­te ange­schaut. »Unser ers­tes Shop­pen fürs Baby« fast 900 000.

Drei mei­ner Töch­ter schau­ten sich schon Vide­os der 26jährigen Dia­na zur Löwen an. Sie »fol­lo­wen« ihr nicht, kom­men also zu den knapp 700 000 Abon­nen­ten der gebür­ti­gen Gie­ße­nerin hin­zu, die nun nach Ber­lin gezo­gen ist, um mehr über »die Poli­tik« zu erfahren.

Dia­na hat eine klein­mäd­chen­haf­te Stim­me mit hohem Nied­lich­keits­fak­tor, kul­lert viel mit den Augen, kiekst und lacht. Ihre Bot­schaft: »Komm! Auf Augen­hö­he! Ich bin wie Du, Du bist wie ich!« Ihre The­men: der per­fek­te Agitationspropagandamix.

Es wird gegen­dert, es wird säu­selnd erklärt, daß es natür­lich unend­lich vie­le Geschlech­ter gebe, es geht um Cel­lu­li­te, Mens­trua­ti­ons­be­schwer­den, um Flir­ten und CO2, dann wie­der um Schmink­tips, um Sex­spiel­zeug und das Kopf­tuch als eman­zi­pa­to­ri­sches Acces­soire. Ihre Imp­fung hat sie »spon­tan geteilt«, weil das ein­fach ein »total posi­ti­ver Moment« für sie war. Frl. von Löwen ist als Peer so nah­bar und ver­füh­re­risch, wie sie zugleich robo­ter­haft regie­rungs­na­he Phra­sen drischt – eine Figur, wie sie sich ein E.T.A. Hoff­mann nicht hät­te bes­ser aus­den­ken können.

Die rei­nen Klick­zah­len all die­ser leicht ver­wech­sel­ba­ren Dia­nas, Pame­las, Dagis und ­Bibis zei­gen deut­lich, wie tie­fen­wirk­sam die Eman­zi­pa­ti­ons­feld­zü­ge der ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­te waren – so tie­fen­wirk­sam näm­lich wie ein beson­ders teu­res Pee­ling. Sprich: Nano­be­reich. Ein Main­stream­kör­per (der unan­ge­strengt wir­ken soll) und eine strom­li­ni­en­för­mi­ge Mei­nung (die unter Anstren­gung erwor­ben wir­ken soll) sind für Frau­en offen­kun­dig unaus­rott­bar erstrebenswert.

 

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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