Diese Konkurrenz zeigt sich bereits, etwa dort, wo der ehemalige AfD-Politiker André Poggenburg, der Publizist Jürgen Elsässer, der Organisator der “Freien Sachsen” Martin Kohlmann und der Dissident Anselm Lenz gemeinsam in Leipzig demonstrieren wollen und dabei “Die Linke” herausfordern, die am selben Tag auf demselben Platz mit Gregor Gysi auftreten wird.
Natürlich ist die AfD strukturell um Welten stärker, aber sie wirkt in Sachsen träger als etwa die “Freien Sachsen”, deren Unverfrorenheit und Direktheit die Anfänge der AfD widerspiegeln. Diese “Freien Sachsen” sind kein Gegner, sondern der Hinweis auf ein Potential, das die AfD an ihre originäre Aufgabe erinnern und sie aus ihrem Parteistaat-Modus aufschrecken sollte. Sie muß kämpfen und darf nicht nur ihren Status als starke Opposition verwalten.
Es gibt nur zwei Bereiche jenseits der ganz persönlichen und dadurch unpolitischen Vernetzung in Nachbarschaft und Freundeskreis, auf denen wir in den kommenden Monaten überhaupt mit Ausweitung rechnen dürfen: erstens dort, wo sich Wähler erstmals in ihrem Leben vom Kartell der Altparteien abwenden würden, wenn sich eine zugleich kämpferische und vertrauenswürdige Alternative präsentierte. Zweitens innerhalb systemrelevanter Strukturen.
Diese Zielsetzung ist bescheiden, aber realistisch. Denn wer von Systemstürzen fabulierte und den Bürgern die Leerung des Bundestags und seine rettende Neubesetzung in Aussicht stellte, mag Aufwallung hervorrufen und für den Moment stürmischen Applaus ernten. Aber das war schon zu Hochzeiten von Pegida und noch einmal im Zuge der Querdenker-Tage vor allem in Berlin kein verantwortungsbewußtes Handeln. Es produzierte Enttäuschung und ließ Frustrierte zurück.
Deutschland ist nicht die Ukraine, Berlin ist nicht Kiew, der deutsche Parteienstaat ist für jeden, der ihn ausbeuten möchte, eine sichere Bank. Es wird in der deutschen Hauptstadt keinen Euro-Maidan geben, es wird keine Unterstützung von außen eintreffen, weder medial noch finanziell oder auf diplomatischer Ebene.
Es geht auch in den kommenden Monaten nicht um Alles oder Nichts. Es geht um Mehr oder Weniger, um weitere Verschiebungen zu unseren Gunsten, um Stabilisierung und Konsolidierung, um Ausbau und Mobilisierung, um die Sichtbarkeit der Alternative und um Zuversicht, daß es noch nicht zu spät sei.
Diese Zielsetzung wird fruchtbar und mobilisierend wirken, wenn wir begreifen, daß sie das Ende einer bald dreijährigen Lethargie einläutet. Die Aufgabe der AfD ist der friedliche, aber vehemente Kampf um Mehrheiten, und nun kann und wird sie Gehör finden. Der Augenblick ist da, das Zeitfenster öffnet sich.
Daß die AfD das Zeug dazu hat, Machtfragen zu stellen, beweisen die vielen Direktmandate, die sie in Thüringen und Sachsen, in Teilen Brandenburgs und Sachsen-Anhalts auch bei den letzten Wahlen in direkter Konkurrenz zu den Kandidaten der Altparteien holte.
Im Westen kann es nur um Stabilität und um die Sicherung der Fraktionsstrukturen in den Landtagen gehen, außerdem um die Klärung der Frage, welchen Kurs man wagen oder eben nicht wagen möchte. Wer die Botschaft des Riesaer Parteitags nicht begriffen hat, kann es mit seiner eigenen Partei nicht gut meinen. Niemand aus dem alten Bundesvorstand, der unter Meuthen Karriere machen wollte und sich an den Säuberungen gegen die eigene Basis beteiligte, wurde erneut gewählt. Meuthens Abgang sollte die letzte Häutung gewesen sein.
Nun geht es um Zuwachs, um die Besetzung des einen großen Themas: Wie sieht eine Politik zum Wohle des deutschen Volkes aus? Wer ist dieses Volk und was ist sein Wohl? Diese Frage muß von denjenigen beantwortet werden, die mithilfe ihrer Partei nur ein Ziel haben können: Den Amtseid abzulegen und nicht gegen, sondern endlich für Deutschland an die Arbeit zu gehen.
Kampf um jede Stimme, um das ganze Widerstandspotential, um Entteufelung alternativer Politik: Es wird schlechte Bilder geben, schlechte Presse, es wird zu Unterstellungen kommen, zu Orgien der Arroganz derjenigen, die sich für klüger, entspannter, disziplinierter und reifer halten als diejenigen, die auf die Straße gehen. In diesen Spalt muß die AfD ihre Keile treiben. Diejenigen, die etwas anrichten und diejenigen, die es auszubaden haben, müssen einander noch fremder werden.
AfD-Mandatsträger und Funktionäre werden in Versuchung geraten, sich selbst auf die Seite dieser “Verständigeren” zu schlagen und öffentlich mit dem Finger auf “Fehler” in der eigenen Partei verweisen. Es gibt diese billige Form der Anbiederung an die Macht und an die Deutungshoheit der Medien. Sie ist allzumenschlich und blüht dort, wo das Selbstvertrauen, das Bewußtsein für die Aufgabe und das Stehvermögen fehlen.
Gefährlicher, zum Verzweifeln verfänglich ist das, was wir als “Funktionärsvernunft” bezeichnen. Es gibt eine plötzliche Übernahme von Vokabeln, Gewohnheiten, von Flüsterton und staatstragender Argumentation durch Parteileute, die das Parteiensystem zu “tragen” beginnen.
Sie vergessen darüber zweierlei: erstens ihre Wähler und zweitens die so notwendige Einordnung einer Partei als bloßes Mittel, nie aber als Zweck. Woher diese Funktionärsvernunft rührt? Aus der Korrumpierungsmacht der Struktur und aus einem Harmoniebedürfnis des Neulings, der in ein sättigendes Gefüge tritt. Wer etwa Björn Höcke in den vergangenen Jahren etwas genauer zugehört hat, wird bemerkt haben, daß gerade er vor dieser Harmoniefalle warnt.
Es ist nicht die Aufgabe der Opposition, Harmonie zu verbreiten. Es ist nicht die Aufgabe der Opposition, Berufsgruppensolidarität mit denjenigen zu üben, die unser Land in den Ruin treiben. Es ist noch nicht einmal Aufgabe der Opposition, unter den Bedingungen einer völlig falschen Politik Almosen für die eigene Wählerschaft zu fordern und sie zu beklatschen, wenn sie gespendet wurden.
Es geht nicht um Abmilderung, Verständnis und Harmonie, es geht nicht darum, sich im Erreichten einzurichten. Es geht um eine andere Politik, um mindestens die Rückeroberung von Normalität, eigentlich aber um die Stillegung hybrider Strukturen, um die Sicherung des Bestands.
Machtfragen also. In Niedersachsen wird der Herbst die AfD ins Parlament heben. Entscheidend ist jedoch, ob es gelingen kann, Werte jenseits der 30 Prozent zu erringen und sich noch tiefer im Land zu verankern. In Sachsen und in Thüringen (vor allem dort, mit einem eben nicht von außerparteilicher Harmonie geblendeten Höcke an der Spitze) ist dieser Schritt möglich, in Sachsen-Anhalt und Brandenburg vielleicht auch.
Entscheidend wird sein, daß die Empörung über die nationsvergessene Politik der Altparteien in eine Wahrnehmung der Alternative umgelenkt wird. Die Botschaft lautet: Es gibt ein Auffangbecken für den Protest und den Zorn, einen ersten, sehr naheliegenden Schritt aus der Enttäuschung – die Auswanderung aus der politischen Heimat, die längst keine mehr ist.
Die Chancen für die AfD stehen gut, sich selbst als die einzige, in sich geschlossene Opposition und als glaubwürdige Alternative FÜR Deutschland zu zeigen. Sahra Wagenknecht möchte seit Jahren Die Linke in dieselbe Richtung bewegen, aber nach ihrer gescheiterten Machtprobe ist klargeworden, daß sie das nicht schaffen wird. Die Linke ist aus dem Rennen.
In Sachsen und Thüringen und darüber hinaus spricht das Vorfeld aus Bürgerinitiativen, Protestbündnissen und regionalen Initiativen längst dieselbe Sprache wie die Partei. Hier kann es zu dem kommen, was Benedikt Kaiser in seinem strategischen Buch über Die Partei und ihr Vorfeld als Mosaik beschreibt: zu einer Arbeitsteilung, die unabgesprochen funktioniert, weil sie so naheliegt.
Wo Handwerkerverbände, Belegschaften insolventer Betriebe, Selbständige aus Innenstädten in Briefen und auf Demonstrationen ein Ende der Zerstörung ihrer Wirtschaftsfähigkeit fordern, muß die Partei weder mitformulieren noch den Vorreiter spielen. Sie muß naheliegen, sie muß sich als Möglichkeit verankern, muß sichtbar sein und helfen, muß den Mut aufbringen und die Zuversicht wecken, die dort noch fehlen, wo Bürger erstmals das wagen, worauf sie gerne verzichtet hätten.
Parolen, Bilder, Persönlichkeiten, Aktion und Wendestimmung: Die AfD hat mit ihren Apparaten, ihren Möglichkeiten, Privilegien, Mitteln, ihrem recht gesicherten Status die Aufgabe, die ganze Klaviatur zu bespielen. Sie muß aufhören, für den Papierkorb zu arbeiten und Fleißpunkte im parlamentarischen Betrieb zu sammeln. Sie muß Wahlkreisbüros zu Rückzugsräumen für den Protest ausbauen und neue eröffnen. Sie muß Säle füllen, Präsenz zeigen und die Abwiegelungstreffen der Macht stören.
Die AfD muß dort sein, wo sich Kreise für sie öffnen, die das von sich selbst nie dachten. Sie hat alles Recht dazu und muß es selbstbewußt in Anspruch nehmen. Denn sie hat noch nie dazugehört und hat sich noch nie am Auffächerungstrick der Parteien in Regierung und Scheinopposition beteiligt.
In der AfD bündeln sich Hoffnungen. Sie darf sie nicht enttäuschen.
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Gotlandfahrer
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Dem Geschriebenen möchte ich zu 100% zustimmen. Danke für die präzise Aufforderung. Sie möge Gehör finden.
Meine Hoffnung ist, dass angesichts des aber nur zu Erwartenden die Enttäuschung nicht in Autoaggressionen umschlägt, sondern sich mit allem, was erreicht wird, mindestens die eigene Lebendigkeit erhält und stärkt. Der Tag wird kommen, an dem sie gefragt sein wird. Bildhaft ausgedrückt sehe ich unser Volk in einem Kerker an Ketten, wobei man sein Auskommen als Kapo haben kann. Darüber hinaus ist die Kost auf wässrige Verfettung ausgelegt. Wir nun hier stören diesen Betrieb durch Liegestütze und Klimmzüge, den apathischen oder miesen Rest mit Erinnerungen an eine selbstbestimmte Zukunft provozierend. An verschlankten Gliedern sitzen Ketten lockerer, mancher mag in der Lage sein, sie abzustreifen – aber ach, es bleibt ein Kerker doch. Denn wer von den Apathischen oder Funktionshäftlingen wird von den Entbundenen nun Hilfe erbitten, solange der Ausgang verriegelt bleibt? Sagen die nicht „mit Recht“ zu uns: Das habt ihr nun davon!?
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