Trotz sicht- und hörbaren Protests vieler Maßnahmenkritiker aller Schattierungen in Sachsen und anderswo scheint die Zustimmung zu den Handlungen der etablierten Politik konstant hoch: Im Auftrag des führenden deutschen Demoskopieinstituts Statista wurde Mitte Juli 2021 folgende Frage gestellt: »Sind die aktuell geltenden Corona-Maßnahmen Ihrer Meinung nach übertrieben, gerade richtig oder zu schwach?«
Die repräsentative Umfrage ergab dieses Bild: 63 Prozent der Befragten meinten »Gerade richtig«, 16 Prozent plädierten für »Müßten härter ausfallen«, wohingegen lediglich 19 Prozent die Coronamaßnahmen für »Übertrieben« hielten. Ähnliche Erhebungen folgten von weiteren Instituten; die Ergebnisse deckten sich.
Ein wichtiger Aspekt für die hohe Akzeptanz der Maßnahmen dürften die Überzeichnung und die Herabwürdigung der Maßnahmenkritiker als »Coronaleugner«, »Schwurbler«, »Coronazis« und ähnliches sein: In der pauschalen Eingemeindung aller Skeptiker der Staatsmaßnahmen in den entgrenzten »Kampf gegen rechts« findet dieser seine Potenzierung und neue Agitationsfelder. Er benötigt diese quantitative Steigerung, sonst drohen die zu ächtenden »Anderen«, die Toxic persons, zur Neige zu gehen.
Die lediglich im negativen Moment harmonisierte neue Bevölkerungsgemeinschaft bedarf eines mobilisierenden Elements; der kollektive Feind (»rechts«) ist für den Zusammenhalt einer zunehmend atomisierten Gesellschaft unverzichtbar. Dieser Kampf gegen rechts, der seit dem Ausklang der rot-grünen Ära Schröder / Fischer (1998 – 2003) als Kampf gegen Meinungen und Standpunkte rechts der Union angesehen werden kann, benötigt also für seine Selbstlegitimation die Genese neuer Antagonisten; einer permanenten Feindbilderzeugung entspricht folglich die Ausweitung der zu ächtenden Positionen.
Galt vor Jahrzehnten eine antiextremistische oder antitotalitäre Stoßrichtung, wonach gewaltbefürwortende oder gewaltausübende Akteure als »Extremisten« außerhalb des gesellschaftlich Akzeptierten zu stehen hatten, reicht mittlerweile die Inanspruchnahme des grundgesetzlich verbrieften Rechtes auf freie Meinungsäußerung (sei es zur Zuwanderung, sei es zu Coronamaßnahmen), um ins Visier von Verfassungsschutzämtern, »Zivilgesellschaft« und etablierter Politik zu geraten.
Ebendiese Verschiebung der Parameter – eingeleitet durch Rot-Grün, vollendet durch Schwarz-Rot – hat die bisherige Coronazeit geprägt. Kritiker der Coronaverordnungen von Bund und Ländern sehen sich unisono als »rechts« gerahmt, selbst wenn ihre Positionen aus genuin liberalen / libertären, grün-esoterischen oder apolitischen Tendenzen genährt werden. Der neue Kampf gegen Coronamaßnahmenskeptiker ab März 2020 wurde dem alten Kampf gegen rechts subordiniert.
Diese Eingemeindung war folgenschwer: Menschen, die sich an Protesten gegen die rigide Maßnahmenpolitik der Bundesregierung beteiligten (Zehntausende im April und Mai 2020 in Stuttgart, 30 000 im August 2020 in Berlin, 45 000 im November 2020 in Leipzig), erfuhren im Nachgang des Demonstrationsbesuchs, daß sie sich an »rechten« »rechtsradikalen« oder »rechtsextremen« Zusammenrottungen beteiligt hätten, obschon die nüchterne Betrachtung der Zusammensetzung von Coronademonstrationen etwas anderes unterstreicht: Es habe sich »nicht um eine, sondern um mehrere, häufig disparate soziale Gruppen, die über geteilte Mentalitäten verbunden sind«, gehandelt, wie in einer Studie festgestellt wird.
Gemeinsam sei den Demonstranten, daß es sich »mehrheitlich um gebildete Angehörige der Mittelschicht handelt«, wobei einige Zahlen bemerkenswert sind: 31 Prozent verfügen über Hochschulreife, 34 Prozent über einen Studienabschluß, und 25 Prozent sind als Selbständige tätig, obwohl in der Bundesrepublik nur etwa jeder zehnte Berufstätige selbständig ist; ein Beleg für die nunmehr prekäre Lage dieser Berufssparte.
Diese bildungs- und berufsbezogenen Details sagen für sich genommen noch nichts über die politische Zusammensetzung aus. Doch auch hier haben die Forscher Informationen zusammengetragen: Zur Bundestagswahl 2017 war keine Präferenz für Rechtsparteien zu konstatieren. Das Feld führen die Grünen an (23 Prozent), gefolgt von den »Sonstigen« (21) und der Partei Die Linke (18). Nur 15 Prozent seien 2017 als AfD-Wähler in Erscheinung getreten – nicht einmal jeder fünfte. Die Soziologen Nadine Frei, Oliver Nachtwey und Robert Schäfer verweisen schließlich auf »eine starke Entfremdung von den Institutionen des politischen Systems, den etablierten Medien und […] den alten Volksparteien«.
Die Demonstranten verkörperten einen Protest, der »eher von links kommt, aber stärker nach rechts geht«, womit die Wissenschaftler dann zurück im Einklang mit der einheitlichen Medienberichterstattung sind: Nur mit einem solchen Schwenk kann die Integration des Kampfes gegen Maßnahmenkritiker in den übergeordneten Kampf gegen rechts nachhaltig (d. i. hier: wissenschaftlich) abgesichert werden. Das vollzieht sich anhaltend seit Monaten, obschon Nachtwey die eigene Prämisse insofern relativiert hat, als daß er im Gespräch mit dem Deutschlandfunk die Schätzung äußert, daß »etwa 25 Prozent der Studienteilnehmer in Deutschland bei der nächsten Wahl die AfD wählen möchten«.
Von 15 auf 25 Prozent ist eine Steigerung, aber diese Zahlen belegen an und für sich keinen »Rechtsschwenk« der Coronaproteste; 25 Prozent bedeutet weiterhin, daß von 100 Coronamaßnahmenskeptikern nur jeder vierte AfD wählen würde und damit, im weitesten Sinne, als »rechts« einzugruppieren wäre. Doch ebendiese partielle Affirmation rechtsoffener Einstellungsmuster durch einen Teil der Coronamaßnahmenkritiker reichte der Bundesregierung aus, die Coronakrise zu ihren Zwecken zu instrumentalisieren, und das heißt as usual: den Kampf gegen rechts zu verstärken.
Bei der weithin meinungsbildenden »Tagesschau« hieß es Ende 2020: »Die Bundesregierung hat ein umfassendes Maßnahmenpaket für den Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus beschlossen. Ziel der 89 Einzelmaßnahmen sei es, ›unsere wehrhafte Demokratie zu stärken‹ […]. Vorgesehen sind unter anderem eine intensivere Präventionsarbeit, eine Stärkung der Sicherheitsbehörden, schärfere Strafgesetze, bessere Hilfen für Betroffene und ein engerer Austausch mit der Zivilgesellschaft«, wobei als »Zivilgesellschaft« im bundesdeutschen Kontext oftmals das Geflecht aus linken NGOs, antifaschistischen Initiativen und entsprechenden Lobbyvereinigungen firmiert. Auch von einem »Expertenrat« ist die Rede; dieser »soll die Bundesregierung zu Fragen der Integration, Teilhabe und bei der Bekämpfung von Rassismus beraten«. Allein in den Jahren 2021 bis 2024 »sollen insgesamt mehr als eine Milliarde Euro in diesen Bereich fließen«.
Von Edgar Franke, »Opferbeauftragter der Bundesregierung«, wird wiedergegeben, daß aus der Coronakrise keine Demokratiekrise werden dürfe, womit preisgegeben wird, daß man die Potenzierung des Kampfes gegen rechts unmittelbar mit Corona zu verbinden weiß. Dieser Schachzug ist das I‑Tüpfelchen auf der finalisierten Verschmelzung mainstreampolitischer und mainstreammedialer Blöcke zum politmedialen Einheitsblock, was sich nicht zuletzt in einer überwiegend gleichförmigen Coronaberichterstattung niederschlug: Journalisten – ob gebührenfinanziert oder Konzernen zugehörig – sendeten selten kritische Grundimpulse aus, sondern wirkten viel zu oft als quasiregierungsamtliche Verlautbarungsorgane von Merkel, Spahn und Co.
Zwei undogmatische Denker der Vergangenheit werden damit auf eine spezifische Art und Weise bestätigt: Zum einen ist Antonio Gramsci zu nennen, der in seinen Gefängnisheften als erster nachwies, daß in modernen Gesellschaften keineswegs allein ein (repressiver) Staatsapparat benötigt werde, um Macht auszuüben. Er verwies auf die zunehmende machtpolitische Rolle der staatsnahen Zivilgesellschaft (»società civile«), die unter anderem Kirchen, Schulen, Gewerkschaften und Einzelakteure umfasse. In Coronazeiten kann dies plastisch heißen: Druck (etwa: in bezug auf Impfungen oder auf die Akzeptanz der Lockdownmaßnahmen) wird nicht allein staatlicherseits ausgeübt, sondern durch all jene Pressure groups, die sich oftmals staatsfern wähnen, aber in einem gemeinsamen Block agieren, wobei die Generallinie eine einheitliche ist; es differieren Betätigungsfelder und Tonarten.
Zum anderen ist, auf den Schultern Gramscis stehend, Louis Althusser zu nennen, der den Terminus der »Ideologischen Staatsapparate« (ISA) prägte. Die ISA, die sich wiederum in religiöse (Kirchen), schulische (öffentliche, private) und kulturelle (Literatur, Sport) ISA scheiden lassen, ferner in die ISA der Interessenverbände (Gewerkschaften) und der Information (Presse), sind nicht Teil des repressiven Staatsapparates, sondern stellen eine Vielfalt von Ergänzungen desselben dar.
Die Trennung in »öffentlich« und »privat« wird zunehmend aufgehoben, verliert also an Bedeutung: »Private Institutionen können durchaus als ideologische Staatsapparate ›funktionieren‹«, wobei man heute beispielshalber an die Amadeu-Antonio-Stiftung denken könnte, die im Kampf gegen rechts eine entsprechende Rolle als ISA einnimmt. Während nun der repressive Staatsapparat seine Ziele mit dem Rückgriff auf sein Gewaltmonopol durchsetze (was in der Coronakrise dann geschah, wenn es zu harten Handlungen gegen Maßnahmenskeptiker kam), würden die ISA »auf massive Weise in erster Linie durch den Rückgriff auf Ideologie funktionieren, auch wenn sie« – gerade dies wird im Coronakontext, speziell in bezug auf Impfkampagnen und ähnliches, relevant – »in zweiter Linie durch den Rückgriff auf Repression arbeiten, auch wenn diese im Grenzfall […] in einer sehr abgemilderten, versteckten, ja sogar bloß symbolischen Gestalt auftritt«.
Ebendies vollzieht sich im Kampf gegen rechts im allgemeinen wie im eingegliederten Kampf gegen Coronamaßnahmenkritiker im besonderen: Die herrschende Ideologie samt ihren Verästelungen kann nicht »von oben«, par ordre du mufti, als Richtschnur erfolgreich durchgegeben werden, »sondern nur durch die Installierung von ISA, in welchen diese Ideologie realisiert ist und sich weiterhin realisiert«. Dieser Mechanismus prägt nicht nur die allgemeine bundesdeutsche Situation der letzten Jahrzehnte, sondern ganz konkret die Setzung der bis dato kaum angefochtenen Corona-»Narrative« seit März 2020. Eine »ganzheitliche« metapolitische Positionierung kann aus diesem Grund die tragende Rolle der ISA bei der Gesellschaftsprägung ebensowenig ausklammern wie eine Analyse der offiziösen Programmatik. Diese wird neuerdings unter dem Label »Great Reset« zu fassen versucht, in dem der Kampf gegen rechts insofern wirksam in Erscheinung tritt, als daß ja jedwede Kritik an selbigem Phänomenbereich als »rechts« denunziert bis kriminalisiert wird.
Mit dem »Great Reset« verbindet man dabei im deutschen Sprachraum Begriffe wie »Großer Neustart« oder »Großer Neuanfang«. Es ist ein vages Konzept, »mit dem die Herrschaft bestrebt ist, nach der Corona-Krise die ›neue Normalität‹ zu organisieren und ›Vertrauen wiederherzustellen‹«, wie der Philosoph Martin Stobbe in der Zeitschrift Bahamas zusammenfaßt.
In den Worten Ursula von der Leyens, Präsidentin der Europäischen Kommission, ist Corona »ein großer Beschleuniger der Veränderung, sei es in bezug auf Klima, Digitalisierung, Geopolitik natürlich, aber auch die Wirtschaft«. Die »Transformation unserer Gesellschaften«, so setzt sie eine Rede vor dem World Economic Forum (WEF; Weltwirtschaftsforum) fort, werde »täglich schneller«, worin sie ebenso eine »Chance« wie eine »Notwendigkeit« sehe.
Zieht man die üblichen Politikerfloskeln ab, erhält man den Eindruck, daß es um eine Neujustierung wesentlicher Politikfelder gehe, nicht um einen planmäßigen Umbau der Weltinnenpolitik. Und tatsächlich ist Abstand zu nehmen vom Überzeichnen der Dinge im Hinblick auf den »Great Reset«. »Wenn eine Krise zuschlägt, ordnet sich der Kapitalismus gewöhnlich neu«, schreibt der am King’s College London lehrende Nick Srnicek mit Recht.
Das erweist sich auch bezüglich des »Great Reset« als eine Konstante der jüngeren Geschichte. Die Karten werden in einer Krise neu gemischt, verschiedene Leitakteure der nationalen und der globalen Politik versuchen sich daran, ihre Vorstellungen der Zukunft einzubringen und damit die Geschehnisse stärker als ohnehin zu beeinflussen, indem reale Prozesse (Digitalisierung, Klimapolitik, Aushöhlung nationalstaatlicher Souveränität etc.) intensiviert werden.
Diese implizite Absage an den »Great Reset« als Verschwörungspraxis bedeutet keineswegs, die problematische Essenz der großen Transformation der Weltwirtschaft und ‑politik mit unmittelbaren Aus- und Wechselwirkungen auf die deutsche Innenpolitik zu negieren. Klaus Schwab, WEF-Motor und Vordenker eines liberalen »Globalismus«, schreibt mit seinem Co-Autor im Thesenbuch Covid-19. Der große Umbruch folgendes: »Viele von uns fragen sich, wann wir wieder zur Normalität zurückkehren. Die kurze Antwort ist: nie.« Nun hat Schwab polarisieren wollen – aber der Kern der Aussage bleibt: Es soll kein »Zurück« geben, die (bereits länger in Gang gesetzte) Transformation der Wirtschafts- und Lebensweise wird forciert.
Schwab ist als Gründer des »Young Global Leaders«-Programms, das nicht nur die Grünen-Chefin Annalena Baerbock durchlief, einer der Hauptakteure des durch die »Pandemie« neuen Auftrieb (aber auch: neuen Widerstand) erfahrenden Globalismus, wenngleich ohne formalen Rang eines nationalstaatlichen Ministers, Kommissionspräsidenten oder ähnliches. Aber ist das in Zeiten der Netzwerkmacht überhaupt noch notwendig? Niall Ferguson wies schon »vor Corona« auf neue Formen der Machtpolitik hin, die sich aus dem »Verschmelzen« bisheriger Netzwerke und Allianzen ergeben; ihr »Machtpotential« könnte »noch größer sein als das der totalitären Staaten des letzten Jahrhunderts«, so der britische Historiker.
Auf eine dezidiert ökonomische Gefahr im Kontext des großen Umbruchs verweist derweil der Ökonom Max Otte. Er begreift den »Great Reset« als »großen Neustart unseres Systems«, weil man seitens der herrschenden Klasse das Virus als Chance wahrgenommen habe, ihre ohnehin favorisierten Maßnahmen in Gang zu setzen. Otte nennt unter anderem »Konzentrationstendenzen« des Kapitals, die Entwicklung hin zum »essentiellen Minimum des selbständigen Mittelstands« und das »Deskilling« als Bausteine des »Great Resets«. Unter Deskilling versteht er, daß den Menschen die Selbständigkeit ihrer Lebensgestaltung genommen werde. Davon profitieren die obersten Schichten und ihre politisch handelnden Kooperationspartner.
Das, was man mit dem Projektnamen »Great Reset« beschreiben könnte, hat also eine politische (Netzwerkmacht, Zusammengehen nichtstaatlicher Akteure mit Staatsverantwortlichen, Machtkonzentration an der Spitze usw.) und eine ökonomische (Kapitalkonzentration bei digitalen Playern, Verschwinden des Mittelstandes, neuinstallierte Abhängigkeitsverhältnisse usw.) Hauptkomponente.
Man kann auf Entwicklungen aufbauen, die vor Corona in Gang gesetzt wurden, sieht durch das Virus indes die Gelegenheit, schneller zum Ziel zu gelangen. Die politischen Publizisten Erik Ahrens und Bruno Wolters erfassen demzufolge den »Great Reset« nicht als Planspiel und ebensowenig als ideologische Projektion, sondern als »aktuellste Zuspitzung der anhaltenden neoliberal-globalistischen Transformation« der Staaten- und Wirtschaftswelt.
Hierfür setze man seitens der globalistischen Eliten auf eine forcierte »Homogenisierung der Märkte« bei kultureller und machtpolitischer Durchdringung der Gesellschaften mit den (wirtschaftlichen, politischen, gesundheitsbezogenen, kulturellen etc.) »Narrativen« der Herrschenden. Der »Great Reset« sei somit als ein »anlaßbezogener Versuch« zusammenzufassen, »die politisch-ökonomische Ordnung des Globalismus unumkehrbar und krisenfest« abzusichern, was plastisch bedeute: »Vorangetriebene Auflösung der Nationalstaaten und ihrer historischen Staatsvölker, beschleunigte Partikularisierung ihrer Gesellschaften […] – kurz: Zuspitzung aller politischen, ökonomischen, sozialen und ideologischen Tendenzen der letzten Jahrzehnte.«
Anstatt also den »Great Reset« als Verschwörungstheorie (und ‑praxis) einer mal klandestin, mal offen agierenden, WEF-gestützten Elite zu denunzieren und damit das Feld politischer Lageanalyse zugunsten einer personalisiert-verkürzten Schmähkritik (gegen Schwab, Soros und Co.) zu verlassen, müssen die real existierenden, Corona-übergreifenden Prozesse beschrieben und kritisiert werden, »die in eine Art ›neofeudale Gesellschaftsordnung‹ (Joel Kotkin) münden«, wie der Journalist Björn Harms postulierte: »Big Tech beherrscht die Kommunikations- und Distributionskanäle, Staaten werden zum Handlanger eines ›woken‹, datenbasierten Überwachungssystems.
Die kulturelle Linke dient als Schutzschild vor einer entwürdigten und verarmenden einheimischen Mittelschicht«, was einmal mehr deutlich macht, daß aus dieser politischen Richtung kein Widerstand gegen das falsche Ganze zu erwarten ist, während man sogar das schmutzige Geschäft für die Herrschenden übernimmt – den Kampf gegen rechts, digital wie analog.
Diese skizzierten Entwicklungen sind problematisch; ob sie neuerdings mit dem Etikett »Great Reset« belegt werden oder mit einem anderen Begriff, ist für ihre faktische Wirkung nachrangig. Entscheidend sowohl für die politisch-theoretische als auch politisch-praktische Arbeit im hiesigen Kontext ist, daß kein »Plan« greift, der chronologisch durchgeführt wird, sondern daß ohnehin wirkende Zeittendenzen auf bewußte Entscheidungen treffen, die konkret gesetzt werden.
Einmal mehr gilt an dieser Stelle jenes Diktum Bernd Stegemanns, wonach »es keine alternativlosen Entscheidungen geben kann, da alle Entscheidungen von Menschen getroffen werden und darum auch anders zu treffen gewesen wären« – die wohl entscheidende Quintessenz der bisherigen Coronakrise. Daß in ihr einzig und allein die politische Rechte und das, was ihr zugeordnet wird, bekämpft werden, erscheint durchaus folgerichtig: Da es jede andere Form der Politik »schon lange aufgegeben hat, eine Gegenkraft wider die Großinteressen der Kartellkonzerne« und ihrer staatlichen Partner darzustellen, die sich qua Coronakrise das Gelände, das sie bereits besetzten, um so fester sicherten, bleibt zwangsläufig nur die Rechte als Aufhalter und Gegenspieler der hegemonialen Zeittendenz an sich, während die Mehrheitslinke im Einklang mit der großen Zeittendenz an kleineren Stellschrauben dreht, obwohl objektiv auch linke Politik wider den »Great Reset« vertretbar wäre.
Der Deutsch-Brite Markus Vahlefeld legt in diesem Kontext auch die Dimension der Coronazeit, die alte Dichotomien zersetzt, offen. Es gehe, konkludiert der Autor des Blogs »Achse des Guten«, »schon lange nicht mehr um links und rechts, sondern nur noch um Heiligtümer, die dem Ausverkauf entzogen oder eben die im Mahlstrom des wirtschaftlichen Geschehens aufgelöst werden sollen. Bindung, Bildung, Gesundheit, Alter, Geburt und Tod, am Ende auch Politik, die Nation und Heimat«.
Dies konnte man bereits bei einer früheren Krise – der Migrationskrise – erkennen, »als 2015 / 16 zwei Millionen Menschen nach Deutschland eindrangen, um, wie es allenthalben hieß, ›die Rente sicher zu machen‹«. Nach Ansicht Vahlefelds entspreche dies der Agenda eines »Neoliberalismus, der mit den Chicago-Boys, die unter Pinochet das gesamte Sozialsystem Chiles in den Ruin trieben, weder das pomadige Aussehen noch die direkte Renditeerwartung gemein hat, jedoch demselben zynischen Kalkül entspringt: Gewachsenes kurz und klein zu hauen, um es bindungslos, käuflich und für Rendite verfügbar zu machen«.
Zu korrigieren wäre bei dieser konzisen Beurteilung lediglich, daß man hier nicht länger »Neoliberalismus« im klassischen Sinne wahrnehmen kann, sondern sein explizites Folgeprodukt: einen digitalkapitalistisch überwölbten Staatsmonopolistischen Kapitalismus (Stamokap), der von den Füßen auf den Kopf gestellt wird, bei dem also nicht dem Staat die Autonomie des Handelns obliegt, sondern in dem er usurpiertes Ausführungsorgan insbesondere digitaler Riesen proprietärer Märkte ist.
Dieser »privatisierte Merkantilismus der Digitalkonzerne«, der erwiesenermaßen größten Coronanutznießer, erfordert, wie Philipp Staab bemerkt, neue Allianzen, deren Entstehen »der Kontingenz der Geschichte überlassen« ist. Doch anders, als der Berliner Arbeitssoziologe goutieren dürfte, müssen dies unterschiedliche Kräfte aus verschiedenen politischen Spektren unter einer Art Richtlinienkompetenz der alternativen Rechten sein, die einen neuen historischen Block bilden.
Dieser Block umfaßt weite Teile der just im Kampf gegen rechts gemeinsam befehdeten Akteursgruppen; er kann auch konstruktive »Querdenker«, vernunftorientierte Minderheitslinke, kooperative Ökologen oder verschiedene Regionalisten umfassen, wenn sich auf ein gemeinsames Primärziel, die »Entglobalisierung als Ermächtigung des Lokalen und Nationalen« (Wolfgang Streeck), geeinigt werden kann. Hierzu gilt es, Schnittmengen auszuloten und angesichts der durch Corona noch dringlicher gewordenen Notwendigkeit antiglobalistischer Theorie und Praxis neue Wege zu gehen.
Dafür spricht auch eine weitere durch die Coronakrise bewirkte Entwicklung: Denn das Diktum Ernst Blochs, wonach der »Jahrmarkt der Zerstreuung« nicht nur »ablenkt«, sondern auch »betäubt«, besaß nur solange seine Richtigkeit, wie sich der einzelne Gesellschaftsangehörige in die Sicherheit der eigenen vier Wände flüchten konnte. In der (weiterhin andauernden) aktuellen Phase, in der das globalistisch orientierte Coronamaßnahmenregime in die unmittelbarsten Intimsphären (Impffragen et al.) eingreift, ist die privatistische Flucht in eine verkümmerte innere Emigration künftig irreal: Die Probleme werden frei Haus geliefert.
Wo Flucht vor den Dingen als solche nicht mehr möglich scheint, bleibt nur die Flucht nach vorn: ins Politische, in Richtung eines »verantwortungsvollen Handelns« für Volk und Gemeinschaft, »denn unsere Zukunft hängt nur von uns selber ab«, wie die ungarische Historikerin Mária Schmidt bekräftigt.
In diesem Sinne sollte der sich verstärkende Kampf gegen rechts als Teil des »Great Reset« ins Positive gewendet werden, indem die gemeinsam bekämpften Akteure Unterschiede hintanstellen und Gemeinsames betonen: Da der Verlauf von Krisen naturgemäß ergebnisoffen und entscheidungsabhängig bleibt, wären Rückzug und Depression der Eigenen die grundfalsche Antwort auf Vormarsch und Repression seitens der anderen.