Am 21. Mai dieses Jahres feierte das Theaterstück Die Laborantin der englischen Bühnenschriftstellerin Ella Road seine deutschsprachige Erstaufführung im Staatsschauspiel Dresden.
Der Programmhinweis versprach den Zuschauern, die achtsam vom heimischen Sofa aus die Aufführung digital mitverfolgten, schwierigen Stoff: »In einem optimierten Gesellschaftssystem funktioniert Gesundheit ganz einfach – sie wird gesteuert.
Bluttests geben Auskunft über erbliche Belastungen, Herzinfarktrisiken und genetische Potentiale. Wer einen niedrigen Wert hat, darf nicht studieren, keine angesehene Arbeit annehmen und wird im Notfall nicht reanimiert. Damit gesunde Eltern gesunde Kinder bekommen, werden Partnerschaften auf der Grundlage von Blutwerten vorgeschlagen.«
Das Stück handelt also von einer Zukunftsgesellschaft, in der alle Fragen des persönlichen Lebens vom übermächtigen Staat auf Basis gesundheitlicher Daten entschieden werden. Diese Daten entstammen dem Genom und werden aus der DNS einer Blutprobe abgelesen. »Was wäre, wenn wir in unserem Blut mit absoluter Sicherheit ›lesen‹ könnten, welche Krankheiten wir erleiden und wie lange wir noch leben werden? Welche kommerziellen Begehrlichkeiten würde so ein Wissen wecken?«
Es ist die Dramaturgin Kerstin Behrens, die im Gespräch mit Adrian Figueroa, dem Regisseur der deutschsprachigen Erstaufführung, für die Website des Staatsschauspiels Dresden solche Fragen stellt. Die Formulierung im Konjunktiv – »wenn wir in unserem Blut mit absoluter Sicherheit ›lesen‹ könnten« – rückt die Geschichte in den Raum phantastischer Dystopien.
Im Verlauf des Interviews wird indes klar, daß die Inspiration für das Theaterstück die realpolitische Ankündigung war, im englischen Gesundheitswesen in Zukunft auf Erkenntnisse der Gentechnik zurückzugreifen. 2017 hatte die oberste Beamtin des nationalen, zentral organisierten Gesundheitsservice (NHS) dafür plädiert, DNS-Tests ebenso routiniert einzusetzen wie Blut- und Urintests, um Erkrankungen effektiv vorbeugen zu können. Allein die unwissenschaftliche Aussage, Voraussagen »mit absoluter Sicherheit« machen zu können, ist eine Übertreibung und ein typischer Strohmann.
Warum aber unser Erbgut gerade jetzt auf deutschen Bühnen thematisiert wird, läßt sich erahnen: Corona läßt Fragen zu, die zuvor nicht gestellt wurden, und der medizinische Kampf gegen diese vermeintlich tödliche Gefahr hat dem technokratischen Treiben in der Medizin Tür und Tor geöffnet. Das Thema Genetik ist uns also plötzlich auf den Leib gerückt. Figueroa wirft wichtige Fragen auf – gerade im Hinblick auf die jüngsten gentechnisch-medizinischen Anwendungen.
Er tut das möglicherweise, ohne sich des Ausmaßes selbst bewußt zu sein: Die sogenannte Covid-Impfung, die eigentlich eine neuartige Gentherapie darstellt, beschreitet bereits Pfade, welche in Deutschland bisher gemeinhin kritisch gesehen und mit »Gott spielen« assoziiert wurden. Fachbegriffe wie genome editing und CRISPR (clustered regular interspaced short palindromic repeat) beschreiben Prozeduren, die weit über das Auslesen des Erbgutes hinausgehen. Es sind Verfahren, mittels derer DNS in Körperzellen und sogar Keimzellen manipuliert werden kann.
Davor, daß es alsbald um mehr gehen könnte als um die Möglichkeiten konkreter medizinischer Eingriffe, warnt die Dramaturgin Kerstin Behrens, die im selben Interview folgendes sagt: »In der Laborantin gibt es die Grundannahme: Ich untersuche dein Blut und sage dir genau voraus, wann du woran erkranken wirst. Die DNA als Schicksalsmacht zwingt dich in ein Rating, das dann wiederum darüber entscheidet, welchen Job du bekommst, welche Partner dich wählen, ob du arm oder reich sein wirst. Damit ist nicht nur die Zukunft schicksalsschwer, sondern auch die Gegenwart chancenlos. Entkommen? Fast unmöglich!« Damit sind wir nicht mehr nur im Bereich der Medizinethik, sondern sprechen über Kernfragen unserer Existenz: Wie stark bestimmt unser Erbgut unser Leben als einzelner und das unserer Gesellschaft, und wie gehen wir damit um?
Die Laborantin ist nicht der erste fiktive Stoff, der solche Fragen behandelt. Ein verwandtes Szenario zeichnete bereits der 1997 erschienene Film Gattaca: In einer nahen Zukunft werden Menschen fast nur noch künstlich erzeugt und direkt nach Geburt hinsichtlich ihrer genetisch veranlagten Stärken bewertet. Nun führt in Gattaca das Präimplantationsscreening zur Selektion und Gentechnik direkt zur Diskriminierung.
Der Protagonist der Geschichte, Vincent, wird wie folgt bewertet: neurologischer Zustand: 60 Prozent; Wahrscheinlichkeit einer manischen Depression: 42 Prozent; Wahrscheinlichkeit einer Herzerkrankung: 99 Prozent; Lebenserwartung: 30,2 Jahre. In dieser schönen neuen Welt wird Vincent als »invalid« bezeichnet, als ein Mensch zweiter Klasse. Er hätte eigentlich gar nicht geboren werden dürfen. Jede Chance, seine Träume zu erfüllen, wird ihm (künstlich) verwehrt.
Doch unser Held widersetzt sich: »Schließlich gibt es kein Gen für das Schicksal«, sagt er und behält im Film recht damit – allerdings auf Grundlage einer falschen Prämisse. Vincent, der sich als Jerome ausgibt, hat einen Computercode fehlerfrei programmiert: »nicht einen Fehler in einer Million Tastenanschläge«. Trotz seiner unterdurchschnittlichen Werte für Intelligenz schafft er mit bloßem Willen den Aufstieg zum genialen Wissenschaftler und Astronauten. Vincent kann sich im Laufe der Filmhandlung als Jerome ausgeben, der den Intelligenzquotienten eines Genies hat.
Daß so etwas möglich sein soll, ist reines Wunschdenken. In Gattaca wird damit der Eindruck erweckt, als wären allgemeine kognitive Fähigkeiten nicht im geringsten von Genetik beeinflußt. Die Bewertung des Genoms wäre ein nicht ernstzunehmender Spuk. Die Message von Gattaca ist klar: Nicht unsere Gene bestimmen unser Leben. Am Ende des Tages kann jeder alles schaffen.
Die Laborantin zeichnet ein komplexeres Szenario als Gattaca: Die Hauptfigur Bea ist Teil einer Gesellschaft, welche uns auf unsere Gene reduzieren will. Im Angesicht ihres neugeborenen Kindes hält Bea einen Augenblick inne und verwehrt sich dem System aus Liebe zu ihrem Kind. Es bleibt offen, ob sie dies nur für einen Moment tut oder ob die Realität sie wieder einholen wird. Die Botschaft lautet: Wir stehen an einem Scheideweg. Nicht allein Gene bestimmen das Schicksal, sondern auch wir selbst. Die Wirkmächtigkeit der Gene steht außer Frage, aber die Kälte und die Grausamkeit einer bornierten Gesellschaft, welche Menschen materialistisch auf Zahlen, Prognosen und Wahrscheinlichkeiten reduziert, werden aufgezeigt.
Die Protagonistin kennt die Relevanz der Gene und ihre Bedeutung für eine Gesellschaft, der sie angehören will. Ist Aussteigen eine Option? Das Stück endet mit dem Wegsehen, also damit, der Konfrontation mit der Realität auszuweichen, sich zu entziehen, möglicherweise nur kurzzeitig.
1997 hoffte mancher wohl noch, die Genforschung würde eines Tages bestätigen, daß der IQ nicht genetisch bedingt sei. Man täuschte sich gewaltig. Heute weiß man: Intelligenz ist eines der am stärksten erblichen psychologischen Merkmale überhaupt. Das Genom wie ein »Buch des Lebens« lesen zu wollen (wie es die britische Chief Medical Officer Sally Davies 2017 vorschlug) setzt die Bedeutung der DNS für die Ausprägung menschlicher Eigenschaften voraus. Was kann man also realistischerweise aus dem Genom herauslesen?
Die Erblichkeit von Eigenschaften ist quantifizierbar. Alle bekannten Merkmale sind stark abhängig von Genen. Im Durchschnitt sind etwa 50 Prozent der Varianz, also der Unterschiede bezüglich eines Merkmals (in vergleichbarer westlicher Umwelt), genetisch bedingt. Sogenannte genome-wide association studies (GWAS) untersuchen, welche Genetik einem bestimmten Merkmal zugrunde liegt.
Komplexe Merkmale werden in der Regel additiv von vielen Genen mit jeweils kleinem einzelnen Effekt beeinflußt. Mehr als 1000 Gene wirken beispielsweise bei kognitiven Fähigkeiten zusammen. Mittels GWAS wird nun identifiziert, welche Varianten im Genom mit welchen Ausprägungen assoziiert sind. Die Studien erlauben schließlich quantifizierende Prognosen (polygene indices) darüber, welche Krankheiten einen Menschen wahrscheinlich heimsuchen werden und welche Eigenschaften er vermutlich haben wird.
2001 kostete die Vollsequenzierung eines gesamten menschlichen Genoms noch 100 Millionen Dollar. Heute (Stand: Februar 2021) beziffert China die Kosten mit etwa 100 Dollar. In China werden derzeit angeblich 70 Millionen Chinesen voll sequenziert. Durch die stetige Kostensenkung einer DNS-Sequenzierung gewinnen GWAS in den letzten Jahren zunehmend an statistischem Gewicht und Voraussagekraft.
Die Möglichkeit und die Genauigkeit, allein anhand der DNS einem Menschen Eigenschaften zuschreiben zu können, hängen direkt mit der Datenmenge bereits sequenzierter, ausgelesener und ausgewerteter individueller DNS und der Zuordenbarkeit von Merkmalen und Eigenschaften eines Individuums zusammen.
Das bedeutet: Wer (wie Google) auf Millionen Benutzerprofile zurückgreifen und die dazugehörende DNS analysieren könnte, wäre optimal ausgerüstet, die DNS eines Individuums »lesen« zu lernen. Schon heute kann man allein auf Grundlage des Genoms Merkmale einer Person abschätzen. Dieses »Abschätzen« muß, wie es wissenschaftlicher Standard ist, als Wahrscheinlichkeit ausgedrückt und verstanden werden.
Die immer größere Zahl vorhandener Datensätze, die für GWAS genutzt werden können, erlaubt mittlerweile auch Prognosen komplexer Eigenschaften. Neben der Möglichkeit, individuelle genetische Dispositionen oder Prädispositionen für Krankheiten zu benennen, gewinnt also auch die Bestimmung komplexer Charakteristika wie Körpergröße, Temperament und Intelligenz zunehmend an Bedeutung. Seit der Vollsequenzierung des menschlichen Genoms vor 20 Jahren wurden derartig revolutionäre Fortschritte gemacht, daß es tatsächlich möglich ist, aus den Genen z. B. Herkunft, Krankheiten, Merkmale und komplexe Eigenschaften in gewissem Rahmen vorauszusagen – ganz ähnlich wie in Gattaca dargestellt.
Wer weiß in Europa von solchen Entwicklungen? Warum werden in den Medien die Zusammenhänge nicht diskutiert? Aktuelle Forschungsergebnisse widersprechen gleich zwei großen ideologischen Lügen der Gegenwart: dem »Jeder kann alles schaffen« der Liberalen und dem »Alle sind gleich« der Linken. Die links-liberalen Dogmen enthüllen Wunschdenken, da in Wirklichkeit die angeborene Genetik unsere Möglichkeiten beschränkt.
Die utopischen Ideale werden aber vom Mainstream wie ein Mantra wiederholt: Sie scheinen moralisch alternativlos zu sein und einen gesellschaftlichen Konsens abzubilden. Unter diesem Licht betrachtet, ist Die Laborantin Teil der Propaganda des links-liberalen Mainstreams: Wer die Wirkmächtigkeit der Gene akzeptiere, gerate in einen materialistisch- technischen Sog und unterliege unausweichlich der Versuchung, dieses Wissen kommerziell auszuschlachten.
Mittels Übertreibung und der Illustration eines scheinbar alternativlosen Schreckensszenariums werden relativ stimmige Aussagen mit abgeräumt. Dabei ist es eigentlich ganz naheliegend, daß Intelligenz auch oder sogar vor allem vererbt wird (und nichts anderes bedeutet es, zu sagen, Intelligenz ist »genetisch veranlagt«). Große Eltern kriegen im Schnitt größere Kinder als kleine Eltern; blonde Eltern kriegen regelmäßig blonde Kinder. Dasselbe gilt für Persönlichkeitsmerkmale und eben auch für die Intelligenz. Ein großer Teil unseres Genoms ist für unser Gehirn verantwortlich, und die Eigenschaften unseres Gehirns werden genauso vererbt wie die restlichen Eigenschaften unseres Körpers auch.
Wann und warum ging unser intuitives und unaufgeregtes Verständnis für solche Zusammenhänge verloren, wann unsere Fähigkeit, mit solchen Ungleichheiten leben zu können? Was ist so unerträglich an den wissenschaftlichen Erkenntnissen, daß sie verleugnet werden müssen?
Nicht allein Links-Liberale sind abgestoßen, weil sie ihre politische Agenda in Frage gestellt sehen. Die in Gattaca dargestellte Gesellschaft ist ja in der Tat grausam, steril und behandelt Gene als determinativ. Kaum ein ernstzunehmender Wissenschaftler würde aber so weit gehen, die biologischen Entwicklungsprozesse nach genetischem Bauplan als deterministisch zu beschreiben.
Eineiige Zwillinge teilen ja dieselbe DNS, sind jedoch nicht identisch. Winzige zufällige Störungen (welche Ingenieure noise nennen) beeinflussen den Aufbau eines Organismus, auch wenn es sonst streng nach genetischem Bauplan zugeht. Einige Wissenschaftler verwenden das Wort »probabilistisch«, um die Auswirkung unseres Genoms auf unser Schicksal zu beschreiben, und kontrastieren dies bewußt mit »deterministisch«. Die meisten Forscher machen schlicht keine Aussage zum Spielraum für Eigenwillen oder das Wirken Gottes, weil es die Wissenschaftlichkeit überschreitet.
Die Laborantin jedenfalls unterstützt die Politik des Wegsehens und reproduziert implizit das Mantra des Mainstreams. Die Unmöglichkeit, dem Thema »Bedeutung der Gene« weiter auszuweichen, wird immer sichtbarer, weil diverse Anwendungen gentechnischer Forschung zunehmend in unser Leben hineinwirken. Spätestens seit »Corona« kennt jeder die Bedeutung der mRNA (Boten-RNS) zur Bildung von (Spike-) Proteinen, seit dem Unternehmen 23andMe kennt man die Bedeutung der DNS für die individuelle Abstammung.
Einen großen Erfolg feierte die genetische Forensik bei der Ergreifung des »Golden State Killers«. Dieser hatte in den 1970er Jahren zahlreiche Frauen vergewaltigt und ermordet. Über DNS-Spuren ist es heute quasi möglich, ein digitales Phantombild zu erstellen. Alter, Geschlecht, Größe, Haar- und Augenfarbe sowie die biogeographische Herkunft lassen sich anhand der DNS eingrenzen. (Schließlich ließ sich ein entfernter Cousin des Mörders in einer Datenbank aufspüren.)
Mit Gentechnik kann man heute den Grünen Star heilen. Ein durch CRISPR/Cas verändertes Protein setzt den Augeninnendruck herab. Im Zuge von In-vitro-Fertilisation wird unter verschiedenen Embryonen das jeweils »beste« ausgewählt und implantiert. Soll das Kind gesunder, größer, klüger sein? Die moderne Technik ist auf dem besten Wege, vieles möglich zu machen – medizinische und technische Anwendungen nutzen die Wirkmächtigkeit der Gene und schaffen Fakten.
Ein Beispiel dafür, was machbar ist, stellt die Empfehlung der Berater Boris Johnsons dar: Andrew Sabisky (mußte 2020 zurücktreten) und Dominic Cummings (schied im November 2020 aus) schlugen unter anderem vor, die Kosten für Embryonenselektion von der staatlichen Krankenkasse NHS (National Health Service) übernehmen zu lassen. Die Welteliten würden diese technischen Möglichkeiten ohnehin bereits nutzen, und ohne Unterstützung durch den NHS könnte die Menschheit irreversibel in eine Zweiklassengesellschaft abdriften, so die Berater.
Angesichts der Faktenlage kann auch die Dramaturgin in Dresden nicht anders, als angeborene genetische Unterschiede und neue technische Möglichkeiten anzuerkennen. Ist sie damit Vorreiter? Sind wir jetzt, ohne je eine kritische öffentliche Debatte geführt zu haben über die Bedeutung der Gene, die technischen Möglichkeiten, sie zu manipulieren, und die Entscheidung, wie wir eigentlich leben wollen, in eine Zeit der gentechnischen Anwendungen gerutscht? Haben diejenigen, die damit arbeiten und wirtschaften, die Bedeutung der Gene nicht schon längst verstanden und damit begonnen, ihr Wissen einzusetzen? Wie wird es sich auf unsere Gesellschaft auswirken, wenn Eltern zukünftig basteln dürfen?
Die Spitze der Hybris sind die Bestrebungen eines Klaus Schwab. Anscheinend glauben Vertreter dieser globalen Eliten, die Welt besser machen zu können als die Evolution oder Gott. Wenn der von Klaus Schwab vorgesehene »Great Reset« kommt, stehen wir in seinen Worten vor dem Ausbau »digitaler Produktionstechnologien zur automatisierten Interaktion mit der biologischen Welt: Ingenieure experimentieren mit synthetischer Biologie, um eine Symbiose zwischen Mikroorganismen, unseren Körpern, den Produkten, die wir konsumieren, und selbst den Gebäuden, in denen wir wohnen, zu erzielen.«
Und so hilft letztendlich die linke und grüne Politik der Ignoranz den globalen Eliten, ihr eigentliches Ziel der Umverteilung zu erreichen. Das weltweite Eigentum soll sich in den Händen einiger weniger Konzerne konzentrieren. Eine deutsche Mittelschicht, Antipode und Ärgernis dieser Globalisten, wird es dann nicht mehr geben. Störende Nationalstaaten, die diese bürgerliche Mittelschicht zu schützen wußten, werden nur noch auf dem Papier bestehen. Destabilisierende Migration wird befördert. So entsteht auf lange Sicht der leicht zu beherrschende Einheitsmensch.
Das immerhin bringt die Theaterleute in Dresden ins Grübeln: »Grundsätzlich ist zu fragen, was passiert, wenn sich der Staat immer mehr zurückzieht und nur noch private Unternehmen gegeneinander konkurrieren und damit unser Leben bestimmen, weil es keine andere Kontrolle gibt.« Selbst sie kommen also zum Schluß, daß man einen starken Staat gegen die globalen Eliten in Stellung bringen müßte.
Dies kennzeichnet auch die Position der politischen Rechten: die Forderung nach einem starken, wehrhaften Nationalstaat zum Schutz vor der sanft anmutenden, tatsächlich aber knallharten und ausweglosen Übergriffigkeit der großen (Gott-)Spieler. Daß sich dieser Staat heute mit Vehemenz genau gegen seine Befürworter wendet, ist reine Ironie und deutet auf die Achillesferse machtvoller Strukturen hin, die ein Eigenleben entwickeln, wenn es an regelmäßiger Eindämmung mangelt. Aus biologischer Sicht würde eine subsidiär organisierte Gesellschaftsstruktur sinnvoll erscheinen – zur Einhegung totalitärer Entwicklungen.
Die Laborantin handelt also nicht von der Zukunft. Das Stück ist vielmehr ein Hinweis. Worauf? Weil es die Zuschauer überrascht und schockiert, verweist es darauf, wie gründlich die Wissenschaft und ihre folgenschwere Entwicklung aus der allgemeinen Wahrnehmung herausgehalten werden können. Ein globaler medizinisch-industrieller Komplex bugsiert uns auch in höchstpersönlichen Fragen des Lebens auf gewünschte Pfade. Er ist übermächtig und hat die Staaten längst im Griff. Die Basis dieser ungeheuren Macht sind personenbezogene Daten (wie sie Google und Amazon zur Verfügung stehen) und ebenjene Daten, die aus der DNS einer Blutprobe abgelesen werden können.
Was tun? Wie immer sind wir zugleich bescheiden, voller Skrupel und hilflos. Grundlage eines jeden Gegenentwurfs wäre nämlich die Akzeptanz der Natur und der Biologie des Menschen. Daraus ergäben sich ganz andere, uralte Möglichkeiten.
Sobald neben Selbstbehauptung eines Individuums auch seine Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft Bedeutung erhält, löst sich die brutale eindimensionale Bewertung eines Menschen nämlich auf. Die Chance ist groß, daß ein Mensch geschätzt und glücklich ist, an seinem Platz, in seiner Position in seiner Gemeinschaft, sofern er denn seine Stellung akzeptiert und dadurch sich selbst annimmt.
Wie ein Baß sich nicht mit dem Solotenor vergleichen will und kann, muß nicht jeder der wirkmächtigste Unternehmer werden. Keiner kann alles sein. Dies liegt nicht am Mangel an Fleiß oder gutem Willen, sondern zu einem erheblichen Teil an der Natur, an den Genen, die einen Menschen verorten. Der einzelne ist damit Teil eines größeren Ganzen, und eben nicht unabhängig von seiner Gemeinschaft, Kultur, Sprache und Heimat.
Wo wird das Individuum durch sein Genom verortet? Idealerweise in einer Gesellschaft, die versteht, akzeptiert und trägt, was man ist – in einer Heimat, die den gegebenen Eigenschaften und Talenten entgegenkommt. Jene solidarische Gemeinschaft verzeiht, wenn man alters- oder krankheitsbedingt nicht mehr viel leisten kann – oder dies nie konnte.
Diese Barmherzigkeit ist aber nicht selbstverständlich, sondern nur in wenigen Kulturen so realisiert. Denn selbstverständlich macht uns unsere DNS nicht mehr oder weniger wert – Wertzuschreibungen sind gesellschaftlich, und sie sind eine Frage der Ethik. Die traditionelle christliche Ethik etwa macht den Wert eines Individuums nicht davon abhängig, ob es besonders stark oder intelligent ist, sondern davon, ob es seinen rechten Platz in der sozialen Ordnung hat. Der körperlich Starke hat eine andere Aufgabe als der intelligente Denker oder die fürsorgliche Mutter, doch jeder von ihnen ist gleich wichtig, und jeder von ihnen besitzt einen intrinsischen Wert.
Wer sich als Teil eines größeren Ganzen versteht, kann auch aus Erfolgen der Gemeinschaft Bestätigung erfahren. Auf Grundlage der Anerkennung unserer Natur, des solidarischen Umgangs mit unseren individuellen Unterschieden und eines positiven Gefühls für Herkunft, Heimat und Zugehörigkeit können wir eine gute und lebenswerte Gesellschaft werden.
Eingriffe in den genetischen Code Ungeborener aber, nach privaten oder staatlichen Präferenzen, bergen nicht nur die Gefahr, bewährte, jahrhundertealte Gleichgewichte zu zerstören, sondern auch, sich wie Gott zu fühlen.
Bloß: Wen hätte dieser Vorbehalt je gestört?