Grégor Puppinck: Der denaturierte Mensch und seine Rechte

von Eva Rex

Der französische Jurist Grégor Puppinck hat aus Anlaß des 70. Jahrestages der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ein Buch geschrieben,...

des­sen Titel auf­hor­chen läßt. Um es vor­weg­zu­neh­men: Dena­tu­riert bedeu­tet nicht ent­ar­tet, viel­mehr geht es in die­ser hoch­phi­lo­so­phi­schen Betrach­tung dar­um, wel­che tief­grei­fen­de Trans­for­ma­ti­on der Begriff »Men­schen­wür­de« in den letz­ten Jahr­zehn­ten erfah­ren hat.

Ein ver­zerr­tes Bild vom Men­schen wird offen­bar, das dra­ma­ti­sche Aus­wir­kun­gen hat: Die dar­aus abge­lei­te­ten neu­en Rech­te wer­den ein­sei­tig auf den indi­vi­du­el­len Wil­len redu­ziert oder auf den Geist im Gegen­satz zum Kör­per, was dazu ver­lei­tet, jede Über­win­dung natür­li­cher Schran­ken als Befrei­ung und Fort­schritt vor­an­zu­trei­ben. Der Mensch wird zum Gegen­stand sei­nes Pla­nens, Gestal­tens, Mani­pu­lie­rens bis zu dem Punkt, an dem er tat­säch­lich zu ent­ar­ten droht – weil er Gefahr läuft, sei­nen eige­nen Leib zu verlieren.

Wie konn­te es dazu kommen?

Dies führt uns der Autor, der unter ande­rem als Ver­tre­ter des Hei­li­gen Stuhls 20 Jah­re lang die Recht­spre­chung des Euro­päi­schen Gerichts­hofs aus nächs­ter Nähe ver­folgt hat, in einem kennt­nis­rei­chen Streif­zug durch die Ent­wick­lung der Men­schen­rech­te vor Augen.

So erfah­ren wir, daß es sich nicht um einen kon­ti­nu­ier­li­chen Pro­zeß han­del­te, der heu­te zu sei­nem glor­rei­chen Abschluß gelangt, son­dern daß bei der Aus­ar­bei­tung der grund­le­gen­den For­mu­lie­run­gen in der Nach­kriegs­zeit von Anfang an zwei ein­an­der ent­ge­gen­ge­setz­te Auf­fas­sun­gen im Wider­streit lagen. Da war zum einen der christ­lich inspi­rier­te Per­so­na­lis­mus, der besagt: Wür­de kommt uns zu, weil wir Eben­bil­der Got­tes sind, weil wir einen Kör­per und eine unsterb­li­che See­le besitzen.

Der Mensch ver­dankt sei­ne Exis­tenz nicht sich selbst. Er nimmt sich als ein not­wen­di­ger­wei­se beschränk­tes Geschöpf in Emp­fang und hat sorg­sam mit dem ihm anver­trau­ten Gut umzu­ge­hen. Wür­dig zu leben heißt, im Ein­klang mit der mensch­li­chen Natur zu leben.

Den Gegen­part dazu stell­te die mate­ria­lis­tisch-athe­is­ti­sche Auf­fas­sung jener von der Evo­lu­ti­ons­theo­rie beein­fluß­ten Huma­nis­ten und Euge­ni­ker wie Juli­an Hux­ley dar, die auf dem Grund­satz beruh­te: Über Wür­de ver­fü­gen wir, weil wir imstan­de sind, zu den­ken und zu ent­schei­den. Die­ser Ideo­lo­gie zufol­ge ist die Mensch­wer­dung ein lan­ger Befrei­ungs­pro­zeß des Geis­tes von der Mate­rie, der in außer­or­dent­li­chen kogni­ti­ven Leis­tun­gen gip­felt. Im Drang zur unbe­schränk­ten Selbst­über­schrei­tung unter Aus­blen­dung aller irdi­schen Bedingt­hei­ten, in der Fähig­keit, sich zum Gött­li­chen zu erhe­ben, also nicht mehr Geschöpf, son­dern eige­ner Schöp­fer zu sein, liegt dem­nach die Wür­de des Men­schen begrün­det. Es gilt somit nicht mehr das mit den gött­li­chen Geset­zen über­ein­stim­men­de Natur­recht, son­dern der Vor­rang des Wol­lens vor dem Sein.

Die Ori­gi­nal­fas­sung der All­ge­mei­nen Erklä­rung von 1948 brach­te zunächst die christ­li­che Ver­si­on zur Gel­tung. Dort kom­men vor allem die natür­li­chen Rech­te des Men­schen zum Aus­druck. Im Ver­lauf der fol­gen­den Jahr­zehn­te indes setz­te sich immer mehr der post­mo­der­ne Indi­vi­dua­lis­mus mit neu­en wider­na­tür­li­chen Rech­ten durch, wie z. B. dem Recht auf Eutha­na­sie und jenem auf Abtrei­bung. Die­se wie­der­um beför­dern in unse­rer Gegen­wart die Ent­ste­hung ­trans­hu­ma­ner, zur Neu­de­fi­ni­ti­on der Natur ermäch­ti­gen­der Rech­te, die zutiefst ver­stö­rend wir­ken: das Recht auf Ster­be­hil­fe, auf ein Kind ohne Vater, auf Ände­rung des Geschlechts.

Gré­gor Pup­pinck hat ein Meis­ter­werk vor­ge­legt, das fes­selnd zu lesen und mit zahl­rei­chen Bei­spie­len unter­füt­tert ist. Dabei gelingt ihm das Kunst­stück, nie ins Tro­cke­ne abzu­glei­ten, wie es bei einem Juris­ten zu befürch­ten wäre. Mit atem­be­rau­ben­der Ein­dring­lich­keit seziert er das Para­do­xon, daß aus­ge­rech­net die mate­ria­lis­tisch-posi­ti­vis­ti­sche Welt­an­schau­ung danach strebt, den Men­schen zu ent­ma­te­ria­li­sie­ren und ihn in letz­ter Kon­se­quenz auf »rei­nes Bewußt­sein« zu reduzieren.

Beson­ders erhel­lend auch die spi­ri­tu­el­le Dimen­si­on hin­ter dem Trans­hu­ma­nis­mus. Es tritt eine seit der Anti­ke bekann­te Denk­rich­tung her­vor, die früh von der Kir­che als Häre­sie ver­wor­fen wur­de: die gnos­ti­sche Leh­re von der Ver­wor­fen­heit alles Irdi­schen und der mora­li­schen Ver­pflich­tung, das kör­per­haft Natur­ge­ge­be­ne als nied­rig zu erach­ten und hin­ter sich zu lassen.

So trägt eine alte Idee im Gewand pro­gres­si­ver Huma­ni­tät den Sieg davon: Mit Hil­fe der neu­en Rech­te fei­ert der neue Mensch den ­Tri­umph des Wil­lens über den Kör­per. Beden­ken­lo­ses Ver­stüm­meln durch Täto­wie­run­gen, Pier­cings und ope­ra­ti­ve Ein­grif­fe macht ihn zum Schöp­fer sei­ner selbst – auch das Recht, sein Geschlecht durch einen (nun­mehr blo­ßen) Sprech­akt neu zu bestimmen.

Sich über das tat­säch­lich Gege­be­ne im Erschei­nungs­bild des Men­schen hin­weg­zu­set­zen (Haut­far­be, Geschlecht, Alter, kör­per­li­che Befä­hi­gung) ist das Gebot der Stun­de – jeder­mann ist ver­pflich­tet, sein Gegen­über als »rei­nes Geist­we­sen« zu betrach­ten. Die Kehr­sei­te davon: Ist der Mensch noch nicht oder nicht mehr im Voll­be­sitz sei­nes Bewußt­seins, kann man mit ihm ver­fah­ren, was die Will­kür gebie­tet: Embryo­nen­for­schung, Aus­schlach­tung von Hirn­to­ten als Ersatzteil­lager und – seit neus­tem – die welt­weit ers­te Kom­pos­tier­an­la­ge für mensch­li­che Leich­na­me (in Seat­tle) stel­len kein mora­li­sches Pro­blem dar.

Das Ver­ständ­nis für die Hei­lig­keit des mensch­li­chen Lei­bes scheint end­gül­tig der Ver­gan­gen­heit anzugehören.

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Gré­gor Pup­pinck: Der dena­tu­rier­te Mensch und sei­ne Rech­te, aus dem Fran­zö­si­schen von Jakob Corn­ides, Hei­li­gen­kreuz im Wie­ner­wald: Be+Be-Verlag 2021. 276 S., 21,90 €

 

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