Die Vorstellung ethnokulturell rückgebundener Völker als organisch gewachsener Gemeinschaften, welche die eigentlichen Subjekte der menschlichen Geschichte darstellen, ist jenes Fundament, das zu dekonstruieren und zu überwinden sich nicht schickt; es ist sowohl Ausgangspunkt als auch Minimalkonsens einer authentischen Rechten.
Zugleich ist dieser Volksbegriff jene Kluft, die das volksverbundene Lager von allen anderen politischen Strömungen in der BRD trennt. Gewiß kann es Annäherungen und sogar offene Übereinstimmungen mit konkurrierenden weltanschaulichen Zusammenhängen geben und dadurch zu temporären Blockbildungen kommen; fehlt indes ein positives Grundverständnis vom Volk als erhaltenswerter Entität, das weit bedeutender ist als ökonomistische Kennzahlen und andere materialistische Parameter, ist eine tatsächliche – partielles und situationskonkretes Zusammengehen überschreitende – Kooperation undenkbar.
Das erschwert die Lage insbesondere deshalb, weil sich die Vorstellung von Völkern durch liberale Denkwelten – in Westeuropa im allgemeinen und in Deutschland im besonderen – geächtet und bisweilen offen kriminalisiert sieht. Um diese gewaltige Hürde für rechtes Engagement zu umgehen, bleiben zwei Hauptwege: Aufgabe des ethnokulturell grundierten Volksbegriffs, und dies betreiben insbesondere sogenannte gemäßigte Kräfte, oder eine »deutsche Renaissance aus europäischem Geist«, und dies ist v. Waldsteins Fernziel.
Sein neues Buch, Der Zauber des Eigenen, kann hierfür einen von vielen Bausteinen darstellen. Der Autor leistet dabei Herausragendes und Unverzichtbares zugleich, denn auch dem Thema prinzipiell aufgeschlossenen Rechten fehlt bisweilen der Wissens- und Kenntnisschatz zur Genese des eigenen Volksbegriffs sowie zur Entstehung der eigenen Vorstellungswelten von Nationen als den politischen Rahmenstrukturen der Völker. Thor v. Waldsteins Ansatz ist diesbezüglich politpädagogisch, ohne belehrend zu sein, und historisch-wissensvermittelnd, ohne mit dem triumphalistischen Gestus eines Universalgelehrten den Leser zu verunsichern.
Mitte des 18. Jahrhunderts beginnt mit Johann Gottfried Herder, Friedrich Schiller, Ernst Moritz Arndt, Friedrich Ludwig Jahn und weiteren porträtierten Köpfen deutscher Geistesgeschichte die erste »Blütezeit« des Volksgedankens. Auf diese herausragenden Gelehrten und Dichter des Idealismus folgten im »Interregnum« der Kaiserreichzeit 1871 bis 1918 unterschiedliche Akteure wie Paul de Lagarde, Julius Langbehn, Werner Sombart und Max Weber, ferner, in einer »zweiten Blütezeit« des Volksbegriffs von 1918 bis 1932, die Köpfe der »Konservativen Revolution« um Oswald Spengler, Carl Schmitt und Hans Freyer, von dem v. Waldstein das »Strukturgesetz der Gemeinschaft« übernehmen kann.
Unter ebenjenem verstand der Leipziger Soziologe die Formel, wonach ein jedes Volk »als ein eignes Wesen im eignen Schicksalsraume lebt, sich beständig erneuert, aber sich als dieselbe [Gemeinschaft] erhält«. Dieses Urprinzip der Rechten des 19. und 20. Jahrhunderts kann als Keimzelle jenes Konzepts verstanden werden, das im 21. Jahrhundert als »Ethnopluralismus« ebenso leidenschaftliche Anhänger wie Ankläger findet und dabei das Primat des Volkserhalts akzentuiert, ohne Völker als starre, unveränderliche Gemeinschaften mißzuverstehen (weil sich ein Volk »beständig erneuert«).
Ein wenig (zu) kurz fällt v. Waldsteins Beschäftigung mit dem Volksbegriff der Jahre 1933 bis 1945 aus. Das mag daran liegen, daß der Autor die biologistisch-materialistische Volkskonzeption des hitleristischen Mehrheitsflügels der Nationalsozialisten im Kern als »undeutsch« wahrnimmt und insbesondere französische sowie englische Rassevorstellungen sozialdarwinistischer Köpfe am Wirken sah, weshalb der Terminus »Volk« für die Zeit des Hitlerwirkens »rassetheoretisch entkernt« worden sei und seinen ersten »Verfall« erlebt habe.
Seinen zweiten, anhaltenden, erlebte dieser dann ab 1945, wobei v. Waldstein die DDR-spezifische von der BRD-spezifischen Volksaversion scheidet. Ohne die Entwicklung im neuen Ostdeutschland der Nachkriegsjahre zu verherrlichen oder die SED-Herrschaft zu affirmieren, wird bei dieser konzisen Gegenüberstellung für den Leser deutlich, weshalb die politische Rechte seit 1990 im Osten bessere Arbeitsvoraussetzungen im Hinblick auf Volk und volksbezogene Politik finden kann als im wohlstandsverwahrlosten und weitgehend seinsvergessenen Westen: In der DDR, vor allem ab Erich Honeckers Machtübernahme 1971 bis zu ihrem Untergang, erschien das Volk als propagandistische »Leerformel«, das in seinen Beständen aber unangetastet blieb; in der BRD hingegen wird die »verbliebene Volkssubstanz liberalindividualistisch und multikulturell aufgelöst«.
Auch Thor v. Waldstein hat für Gegenmaßnahmen keine politischen Handlungsanleitungen parat. Aber das Ansinnen der Arbeit ist es zuallererst, dem eigenen Milieu die Lust am Volk anhand der deutschen Geistesgeschichte zu vermitteln. Da dies vortrefflich gelingt, ist das bibliophil gestaltete Buch Der Zauber des Eigenen fortan als Standardwerk und »Pflichtlektüre« anzusehen.
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Thor v. Waldstein: Der Zauber des Eigenen. Volk und Nation in der deutschen Geistesgeschichte, Lüdinghausen / Neuruppin:
Landtverlag 2021. 366 S., 36 €
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