Altlinksneurechts hat wieder zugeschlagen. Der Chefredakteur für Überregionales der in Oldenburg ansässigen Nordwest-Zeitung, Alexander Will, stieß auf die von Sezession-Chefredakteur Götz Kubitschek moderierte Diskussionsrunde zwischen Sezession-Autor Martin Lichtmesz und meiner Wenigkeit, die wir anläßlich des Sommerfestes in Schnellroda zum Thema »Ökologie und Militanz« führten, und sah sich zu vulgärliberaler Abgrenzung verleitet:
“Askese, Demut, Disziplin, Pflichtbewusstsein, Sparsamkeit” – für den A… Dagegen setze man Genuss, das erhobene Haupt, Ungehorsam, Freiheit und Großzügigkeit.
— Dr. Alexander Will (@AF_Will) September 12, 2022
Was stieß Will so sauer auf, daß er seine Affinität zu Völlerei und infantiler Impertinenz – auf nichts anderes läuft seine Betonung von Genuß und Ungehorsam hinaus – auf Twitter derart unterstrich? Oder aus anderer Perspektive betrachtet: Was macht einen für Will zum »nationalen Sozialisten«?
Dafür muß man nicht viel tun. Es reicht schon, wie im Fall von Kubitschek, von drei Nackensteaks nicht zwei wegwerfen zu wollen:
Also die Frage, mit welchem unglaublichen Energieinput wir überhaupt so leben können, wie wir leben. Daß für 1000 Kalorien, die Sie essen, ungefähr 12.000 Kalorien Energie gepumpt werden. […] Ich habe die große Befürchtung, daß dieser Begriff der Freiheit, der Freiheit von der Gängelung durch die grüne Politik oder die Freiheit von der Gängelung durch andere Verbote und Formierungsversuche der Gesellschaft […] auf unserer Seite dazu führt, daß man nicht begreift, wie undankbar wir eigentlich leben.
Und wie fern von dem, was eigentlich so von rechts mit den Begriffen Askese, Demut, Disziplin, Pflichtbewußtsein, Sparsamkeit usw. umrissen ist. Und die Frage ist, ob das Idealistische in unserem Milieu ausreicht, um die materielle Möglichkeit trotzdem zurückzudrängen. Und da sehe ich im Moment beim Blick auf unsere Szene eher düster.
[…] Und das ist deswegen etwas, was wir in nächster Zeit auch stärker machen werden. Also die Frage, ob wir uns sozusagen jeder populistischen Bewegung an den Hals werfen müssen, die für die Freiheit kämpft, drei Nackensteaks zu essen und zwei davon wegzuwerfen.
Dieser die Diskussion zu »Ökologie und Militanz« abbindende Hinweis an das Publikum lockte, nach Wills Echauffieren ob der darin enthaltenen »Freiheitsfeindlichkeit«, sogar politische Geister hervor, denen seit der jüngsten Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen nicht einmal mehr die Gänge des Düsseldorfer Landtags zum Spuken bleiben:
Kubitschek verachtet Freiheit. Sie bedeutet ihm Untergang und Degeneration. Wie deutlich muss er noch werden, bis Sie das verstehen?
— Marcus Pretzell (@MarcusPretzell) September 13, 2022
Das führte Will wiederum ein paar Antworten später zu diesem individualistischen Extrakt:
Na – mir wäre kein Staat lieber. Ich möchte bitte kein Kollektiv haben, das – auch noch so wohlmeinend – “für mich da ist”. Das gruselt mich & das mache ich schon allein.
— Dr. Alexander Will (@AF_Will) September 14, 2022
»Kein Gott, kein Staat, kein Kalifat!«, wußte schon die Bremer Antifa. Den Auslöser dieser »Debatte« sehen Sie hier:
Damit die Nackensteaks im Überfluß verfügbar sind und einem die »Freiheit« gegeben ist, von drei Stücken zwei wegzuwerfen, muß die Produktionsseite – die Landwirtschaft – entsprechend liefern. Das hat soziale und ökologische Folgen. Wo einst Bauern das Land bewirtschafteten, leiten heute Landwirte rationalisierte Betriebe.
Ein wesentlicher Akteur, der diese Entwicklung in Europa seit dem Fall des Eisernen Vorhangs vorantreibt, ist die Europäische Union. Um die europäischen Landwirte in den Weltmarkt zu integrieren, hatte man die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) Anfang der 1990er liberalisiert und seitdem immer wieder dementsprechend angepaßt.
Eine neue, für das Jahr 2023 angesetzte Reform, soll nun das Manko, daß die GAP keine relevanten Anreize für eine ökologischere Bewirtschaftung der Fläche schafft, mindern und die Subventionsmechanismen an der Nachhaltigkeitsförderung orientieren.
Doch bereits die einleitende Selbsteinordnung der GAP-Reform macht deutlich, daß man sich diesbezüglich an der Quadratur des Kreises versucht:
Artikel 39 AEUV enthält die Ziele der GAP, nämlich
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die Produktivität der Landwirtschaft durch Förderung des technischen Fortschritts, Rationalisierung der landwirtschaftlichen Erzeugung und den bestmöglichen Einsatz der Produktionsfaktoren, insbesondere der Arbeitskräfte, zu steigern;
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auf diese Weise der landwirtschaftlichen Bevölkerung, insbesondere durch Erhöhung des Pro-Kopf-Einkommens der in der Landwirtschaft tätigen Personen, eine angemessene Lebenshaltung zu gewährleisten;
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die Märkte zu stabilisieren;
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die Versorgung sicherzustellen;
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für die Belieferung der Verbraucher zu angemessenen Preisen Sorge zu tragen.
Diese, der GAP vorangestellten Ziele haben die Landwirtschaft erst zu dem Moloch gemacht, der sie heute ist. Ein Moloch, in dem die zu Landwirten transformierten Bauern im Hamsterrad der Rationalisierung gefangen sind und die Kulturlandschaft als ökologischer Beitrag der Landwirtschaft abgeräumt wurde.
In Frankreich führte diese Politik wie andernorts zur sozialen Zerrüttung innerhalb der Bauernschaft, allerdings mit teils drastischeren Auswüchsen: Bauern wird das Vieh weggenommen. Wer sich nicht den bürokratischen Vorgaben der Behörden beugt, muß mit Maximalmaßnahmen rechnen.
Die linksalternative Bauerngewerkschaft Confédération Paysanne (Kurzportrait in der Kehre 5) stemmt sich gegen diese Entwicklung. Die Dokumentation Tod eines Viehzüchters beleuchtet den Widerstand, den die der Gewerkschaft nahestehenden Bauern leisten.
Ein Widerstand mit tödlichen Folgen:
Währenddessen wird es immer enger. Zwar wird aller Voraussicht nach für die ersten Wintermonate genügend Gas verfügbar sein, jedoch hat die politische Verknappung des Energiemarktes zu Preisen geführt, die die deutsche Wirtschaft an die Belastungsgrenze bringen:
Die Strompreise für 2023 sind aktuell auf mehr als 700 Euro pro Megawattstunde gestiegen – mehr als das 15-Fache des Preisniveaus der vergangenen Jahre. Der Gaspreis hat um 1000 Prozent auf mehr als 300 Euro pro Megawattstunde zugelegt. Die Lage ist für viele Unternehmen schon jetzt oder in Kürze toxisch, nicht nur wegen des Gasmangels, sondern vor allem wegen der aberwitzigen Preissteigerungen,
konstatierte der BDI-Präsident Siegfried Russwurm. Diese Preissteigerungen belasten die Ökonomie so stark, daß die globale Ölnachfrage und damit verbunden der Barrelpreis wieder sinken. Ungeachtet dessen zeigt die aktuelle Krise, daß die Energiemärkte sich beim Wegfall eines gewichtigen Förderers von fossilen Rohstoffen schwer damit tun, den Kapitalismus mit der für ihn essentiellen Ressource, billige Energie, zu füttern.
In dieser Situation torpedierte die taz-Redakteurin Ulrike Herrmann im Vorgang zur Veröffentlichung ihres Buches Das Ende des Kapitalismus, den Glaubenssatz des eigenen Lagers, die Abhängigkeit der Industrie- und Konsumgesellschaften westlicher Provenienz von fossilen Energieträgern mit erneuerbaren Energien (EE) überwinden zu können.
Erstens sei bei einer Umstellung auf 100 Prozent EE die gewonnene Energie zu teuer, um damit reibungslos Wachstum zu erzeugen, wie wir es die letzten Jahrhunderte gewohnt waren. Zweitens schössen die benötigten Energiemengen bei einer vollständigen »Dekarbonisierung« derart in die Höhe, daß der EE-Kapitalismus schon an der infrastrukturellen Umsetzung scheitern würde (siehe Verbindung zu hohen Energiepreisen aus EE).
Liberalkonservativen dient Herrmanns realistische Betrachtung der Situation als Argument, an den fossilen Energieträgern festzuhalten (u.a. bei Tichys Einblick), während sie selbst daraus die Notwendigkeit zur Schrumpfung ableitet.
Auch wenn sich Herrmann an der ein oder anderen Stelle davor sträubt, ihre eingeschlagenen Gedankengänge stringent zu Ende zu denken (die von ihr favorisierte stationäre Ökonomie würde mit großer Wahrscheinlichkeit eine konservativere Sozialstruktur annehmen als ihr das vorschwebt und lieb wäre), und man nicht von typisch linksliberalen Geschichtsmythen verschont bleibt – chaotischer Abbruch des wirtschaftlichen Wachstums führt zu 1933 und Hitler etc. – lohnt es sich, einem ihrer Vorträge zu folgen:
Adler und Drache
Wer bitte wirft von drei Steaks zwei weg? Ein Strohmann vielleicht ...