Immer dann, wenn das politische Establishment mit größeren Problemen zu kämpfen hat, kann die Alternative für Deutschland zulegen.
Das war 2015 so, als die Migrationskrise das Land traf, und das ist jetzt so, im Zeichen der Energie‑, Versorgungs- und Inflationskrise. Tritt man einen Schritt zurück, kann man hier noch die Eurokrise verbuchen – ohne diese wäre bekanntermaßen die Ursprungsalternative gar nicht gegründet und etabliert worden.
Nun ist die Krise da, und sie wird sich aller Voraussicht nach in den kommenden Wintermonaten zuspitzen. Vorboten des »Wutwinters« sind Spaziergänge und Demonstrationen in Ostdeutschland, wobei Gera mit 10.000 und Chemnitz mit 8.000 Teilnehmern in den letzten Tagen hervorstachen.
Zehntausende gehen bereits jetzt, Anfang Oktober, montags auf die Straße in Sachsen und Thüringen, aber auch in anderen Bundesländern. Die FAZ (v. 8.10.2022) schreibt dazu:
Bei dutzenden Kundgebungen in den ostdeutschen Bundesländern waren es schätzungsweise insgesamt mehr als 100 000 [Demonstranten].
Der Funken, den diese versprühen, kann jederzeit auf neue Regionen überspringen, wenn sich engagierte Akteure auftun, die eine geregelte Plattform für legitimes und legales Aufbegehren schaffen.
Parallel zum Aufbegehren auf der Straße kann die AfD in Umfragen zulegen: Ob Rheinland-Pfalz, Hessen oder Nordrhein-Westfalen – selbst auf diesen eher schwierigen Terrains sind derzeit Zugewinne zu prognostizieren, ganz zu schweigen von Thüringen, wo die AfD konsequent stärkste Kraft ist, und neuerdings auch Brandenburg, wo man als Spitzenreiter nun bei 25 Prozent steht und die SPD in der eigentlich »roten Mark« auf Abstand hält (22 Prozent).
Alles in Butter also?
Mitnichten. Es besteht kein Grund zur Euphorie, zumal der Eigenanteil an der prozentualen Positiventwicklung, ob bei der Landtagswahl in Niedersachsen oder bei Umfragen in anderen Bundesländern, noch denkbar gering ist.
In einer früheren »Sammelstelle« führte ich das »Drittelprinzip« aus und gebe es hier zur Erinnerung gestrafft wieder:
Ein Drittel der Stimmungslage hängt von objektiven Gegebenheiten ab, vom allgemeinen politischen Zustand des Landes und der Wirtschaft. Ein zweites Drittel hängt von der »Performance«, der Leistungsbilanz, der politischen Gegner ab. Welche Skandale liegen vor, was ging schief, wo liegt totales Versagen vor. Und ein drittes Drittel hat man selbst in der Hand. Die AfD kann und muß dieses selbst gestalten.
Ohne die nachhaltige Aufbau- und Strukturarbeit beispielshalber in Erfurt und Potsdam zu schmälern: Aber es gibt gute Gründe anzunehmen, daß die derzeitigen Zuwächse krisenbedingt sind; viele Wähler entfremden sich der herrschenden Parteien und bekunden Protestabsichten.
Das muß nicht so bleiben, das kann aber so bleiben – vorausgesetzt, die AfD erledigt ihre Hausaufgaben als greifbare, bürgernahe und soziale Volkspartei, wie sie durch die AfD-Landeschefin in Brandenburg erneut ausgerufen wurde. Eine solche Kraft bewahrt den Alleinvertretungsanspruch als Alternative zum falschen Ganzen.
Und links der Mitte, wo man stets auf soziale Krisen »hoffte«, um nun gänzlich leer auszugehen, was tut sich da?
Alles kreist sich, man kennt das Spiel, um Sahra Wagenknecht. Ein Teil der Linkspartei betreibt weiter ihren Ausschluß, weil sie das Problem darstelle, ein anderer, kleinerer Teil unterstützt sie und verweist auf innerlinken Pluralismus.
Nun kommt Bewegung in die Sache. Die Bild-Zeitung (v. 6.10.2022) meldet:
Während die Linke in Umfragen und bei Wahlen eher schlecht abschneidet, würden nach einer repräsentativen INSA-Umfrage für BILD zehn Prozent der Wahlberechtigten („sehr sicher“) eine „Wagenknecht“-Partei wählen.
30 Prozent der Wahlberechtigten könnten sich vorstellen, dies zu tun.
Das ginge zweifellos nicht nur auf Kosten der Linkspartei, sondern auch auf Kosten der AfD.
Denn Umfragen zufolge ist sie in der AfD-Wählerschaft überaus beliebt. Sie vertritt denn auch einige Standpunkte, die hervorragend zur AfD, mindestens im Osten, passen. Es sind souveränistische, populistische und globalisierungskritische Aspekte, die ich in meinem kaplaken-Band Blick nach links analysiere und Schritt für Schritt auf Kompatibilität mit dem Solidarischen Patriotismus abklopfe.
Wagenknecht öffnet somit einerseits – zum Ärger antifaschistischer Türsteher – den Diskursraum für entsprechende weltanschauliche Ansätze aus dem »rechten« Kontext und speist zudem realpolitische Impulse in die politische Öffentlichkeit ein. Da kann man ansetzen; das hilft.
Andererseits führt sie mit volksnahen Argumenten und konsequent sozialem Kurs potenzielle Wähler ausgerechnet zu einer Partei, in der volksverneinende, woke und linksglobalistische Programmatik weiterhin dominiert. Das ist eine Art Etikettenschwindel, den es als solchen zu benennen gilt.
Nun also schwirrt das Gerücht durch das politische Deutschland, wonach die Parteigründung Wagenknechts näher rücke.
Der Westen (v. 12.10.2022) fragt ein wenig zugespitzt:
Sahra Wagenknecht: Zerstört sie AfD und Linke jetzt mit eigener neuer Partei?
Dafür benötigt sie freilich erst die passenden Startvoraussetzungen. Ins Blaue hinein würde ein Politprofi wie sie nichts (mehr) starten; das kraß gescheiterte Experiment »Aufstehen« dürfte Warnung genug sein.
Der Westen sondiert daher die Lage:
Die Chancen auf Erfolg mit der Gründung ihrer eigenen Partei stehen nicht schlecht für Wagenknecht. So stiegen die Zustimmungswerte der Linken-Abgeordneten zuletzt konträr zu dem politischen Abstieg der Linken. Ende September katapultierten sie Teilnehmer einer INSA-Umfrage für die „Bild“ auf Platz vier im Spitzen-Ranking der beliebtesten Politiker,
was diametral entgegengesetzt ist zum Standing der Linkspartei im Umfragekosmos (bundesweit zwischen 3,5 und 5 Prozent).
Zunächst, und da hat Der Westen recht, würde eine Liste Wagenknecht folglich die Linkspartei »zerstören«: 66 Prozent der Links-Wähler würden eine Partei von Wagenknecht begrüßen. Selbst wenn dann nicht jeder von diesen Wählern auch tatsächlich Wagenknecht gegenüber der Linkspartei bevorzugen würde: Die Fünfprozenthürde bundesweit wäre potentiell unerreichbar für eine Linke mit Martin Schirdewan und Janine Wissler, aber ohne Wagenknecht.
Das Problem aus unserer Perspektive teilt Der Westen indes ebenfalls mit, denn
auch AfD-Wähler zeigten sich bei der Umfrage begeistert von der Vorstellung. 63 Prozent der befragten AfD-Wähler würden eine derartige Partei-Neugründung ebenfalls befürworten.
Nun kann »befürworten« vieles heißen: Man mag die Parteigründung favorisieren, um die Linkspartei endgültig im Nirvana versenkt zu wissen, oder um die starre Parteienlandschaft aufzubrechen, indem eine linkspopuläre Kraft das Feld erweitert.
Es kann aber auch heißen, daß sich eine erkleckliche Zahl von Wählern von der AfD abwendet. Die Wahrscheinlichkeit für ein entsprechendes Verhalten ist naturgemäß bei jenen AfD-Wählern am größten, die die AfD ausschließlich mangels besserem wählen, um die Altparteien »abzustrafen«. Niedersachsen hat ganz aktuell gezeigt, daß dies für eine erhebliche Prozentzahl, wohl mehr als die Hälfte der Wähler, ausschlaggebend war. Der Zulauf ist da, aber ob er nachhaltig ist, bleibt offen.
In der FAZ (v. 8.10.2022) wird dazu Forsa-Chef Manfred Güllner konsultiert:
Sein Institut zeigt in einer aktuellen Analyse, woher der Zulauf kommt. Neben Wählern vom rechten Rand der anderen Parteien, die sich dort laut Güllner vorübergehend “versteckt” haben, sind es vor allem einstige Nichtwähler. Das passt zu der Erkenntnis aus zurückliegenden Wahlen, wonach die AfD zuletzt vor allem deshalb Stimmen verloren hat, weil ihre Wähler zu Nichtwählern wurden,
was erneut die Notwendigkeit unterstreicht, die eigenen Wähler an sich zu binden, Milieubildung zu betreiben und aus Protest- und Wechselwählern Stammwähler zu machen, bevor man in neue Gefilde ausgreifen kann. Bleiben die AfD-Sympathisanten oberflächlich »dabei«, droht jederzeit die Abwanderung bei besserem Alternativangebot auf dem Markt der politischen Mitbewerber.
Nicht nur Die Linke, sondern auch die AfD müßte daher mit Verlusten rechnen, wenn es Wagenknecht gelingen sollte, die mühlselige Arbeit eines Parteiaufbaus zu bewerkstelligen. Wieviele Deutsche würden dann Wagenknecht tatsächlich wählen?
Der Westen meint:
Die Antwort könnte das gesamte politische System umkrempeln. So gaben 30 Prozent der Befragten an, eine Wagenknecht-Partei möglicherweise zu wählen. Sie könnten sich das vorstellen. 10 Prozent seien sich diesbezüglich sogar „sehr sicher“,
wobei man bedauerlicherweise nicht erfährt, auf welche Kosten diese 10 Prozent zu verbuchen wären. Die Wahrscheinlichkeit, daß Linkspartei und AfD getroffen würden, ist jedoch immens.
Schon allein aus diesem Grund ist Gegnerbeobachtung angeraten; es gibt keine Garantie für die AfD, ein Monopol auf Protestwahl zu bewahren. Auch wenn eine Liste Wagenknecht dabei keine Erfolgsgarantie für sich beanspruchen kann, dürfte sie damit zur Bedrohung für die AfD werden. Grund genug, das eigene »Drittel« (siehe oben) bestmöglich zu bearbeiten.
Die AfD ist hier auf einem guten Weg; sie sollte sich aber auch dann nicht von ihm abbringen lassen, wenn die medialen, politischen und womöglich auch repressiven Störfeuer größer werden. Und mit jedem Prozentpunkt, den die AfD zulegt, ob in einem bestimmten Bundesland oder im Bund, werden diese größer. Vor allem in der Konvergenz der Krisen bedarf es daher kühler Köpfe, brennender Herzen und eines langen Atems.
Dieter Rose
. . und plötzlich wären die von der AfD abgesprungenen Wagenknechtpartei-Wähler keine Nazis mehr!!!
Ein Grund auf diesen Parteizug aufzuspringen???