Das kann ein kohärentes Ganzes ergeben, weil die Themen harmonieren oder weil sie sich, im besten Fall, durch die Anordnung einen eigenen Spannungsbogen geben. Allerdings kann so eine Anthologie bereits im Ansatz scheitern, indem die Texte so kombiniert werden, daß man zwischen jedem Einzelbeitrag einen Sinnbruch wahrnimmt.
Dieses Verdikt trifft den Sammelband Die Herrschaft der extremen Mitte des frankokanadischen Philosophen Alain Deneault (*1970). Es beginnt bei der Titelwahl. Das Original, bereits 2015 in Montreal publiziert, hieß schlicht La médiocratie (Wortspiel mit der Herrschaft der Mittelmäßigkeit, frz. médiocrité), in der deutschen Fassung plaziert man direkt im Haupttitel den hierzulande bekannteren politischen Fachbegriff der »extremen Mitte«.
Deneault begründet das im Vorwort an seine deutschsprachigen Leser sogar präzise: Die liberale »Mitte« greife in alle Bereiche aus, setze die Normen im Alleingang, und alle »anderen Positionen« würden »an den Rand gedrängt, werden schließlich als sekundär, idealistisch oder extremistisch angesehen«. Das Resultat sei eine »aus mehreren Parteien bestehende extreme Mitte, die das immer gleiche Produkt anbietet, das die Wähler nur aufgrund unterschiedlicher Verpackungen zu akzeptieren vermögen«.
Das ist korrekt, könnte man auch als »Alternativlosigkeit« beschreiben, und doch bleibt der Leser nach diesem konstruktiven Aufgalopp unbefriedigt zurück. Deneault unterliegt altlinken Denkblockaden und reiht die »extreme Rechte« schlichtweg als rohe und ursprünglich gewalttätige Strömung in die Ausläufer der extremen Mitte ein. Grotesk erscheint dies nicht zuletzt dann, wenn man sich vergegenwärtigt, wie speziell in Deutschland die gesamte politische Rechte der einzige Konsensstörer wider die falsche Harmonie des linksliberalen, neu-mittigen Einheitsbreis bleibt.
Aber das ist eben das nächste Problem des vorliegenden Bandes: Deneault hat eine stark frankophone Perspektive, sein oftmals adornitisch aufgeladener, kulturkonservativ-linker Argwohn gegenüber der Herrschaft der Mitte samt ihrer ostentativen Mittelmäßigkeit (bzw. Mediokrität) entstammt eben eher dem Diskurs aus Quebec.
Läßt man sich darauf ein, stehen gleichwohl einige lesenswerte Passagen bereit: Ob die Kritik des ökonomisierten Universitätsbildes inklusive der »Gehaltlosigkeit wissenschaftlicher Produktion« oder die Beanstandung fehlender »Konzentration des Denkers«, wenn dieser stärker auf Drittmittelanträge als auf Quellenforschung fokussiert sein muß – das alles ist lesenswert.
Und auch die erfolgreiche hayekianische »Entthronung der Politik« zugunsten des Primats der Wirtschaftsnetzwerke und entsprechender Einflußkräfte seziert Deneault. Sie habe zu einer Postdemokratisierung geführt, deren gegenwärtigen Zustand man als »Plutokratie« oder »Finanztotalitarismus« fassen könne. Den Autor empört es regelrecht, daß eine so mittelmäßige Kraft wie die extreme Mitte als Statthalter der führenden Kapitalfraktionen politisch stabil erscheint. Sein Gegenmittel? »Uns kollektiv befreien. Gemeinsam Schluß machen«, eine »korrumpierende Kraft« formieren, um neue Ansätze offensiv zu vertreten.
Nur wo sind diese in vorliegendem Band jenseits entsprechender Gemeinplätze? Man findet sie nicht. Und so bleibt diese (zu) inkohärente Präsentation verschiedener Aufsätze am Ende selbst nur tristes Mittelmaß.
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Alain Deneault: Die Herrschaft der extremen Mitte, Frankfurt a. M.: Westend Verlag 2021. 188 S., 18 €
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