Du wirst, du sollst, du kannst

PDF der Druckfassung aus Sezession 106/ Februar 2022

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Die Geschich­te von Kain und Abel ist berühmt und rät­sel­haft. Sie erzählt vom Urmord, vom Bru­der­mord, sie beschreibt eine ver­gif­te­te Nähe, die in Bru­ta­li­tät, in Ver­nich­tung umschlägt, und sie berich­tet davon, daß Kain, der Mör­der, von Gott mit einem Mal gezeich­net wur­de, das ihn zugleich brand­mark­te und schützte.

Her­mann Hes­se über­trägt in sei­nem Roman Demi­an das Kains­zei­chen auf eine Grup­pe aus­er­wähl­ter, erwach­ter, jeden­falls beson­de­rer Men­schen, die er anders leben, tie­fer emp­fin­den und den je eige­nen Gott suchen läßt. Das Mal ist dort kein Schand­zeichen mehr, und es ist nicht mehr für jeden sicht­bar, son­dern nur für jene, die ein­an­der zu erken­nen ver­mö­gen. Vom Stam­me Kains zu sein bedeu­tet nun, der Mas­se auf­grund von Beson­der­heit, Bega­bung, natür­li­chem Adel suspekt und ver­haßt zu sein.

Kain hat in der Deu­tung Hes­ses zu Recht getan, was er tat, denn er ver­moch­te es, es stand ihm zu, und das Gesetz lag in ihm selbst. Außer­dem war er der­je­ni­ge, der übrig­blieb – das schla­gen­de Argu­ment des Täters gegen­über dem Toten. Nach­dem ihn Gott ­gezeich­net hat­te, ging er fort und begrün­de­te eine Dynastie.

In der Geschlecht­er­fol­ge nach Kain sei­en, so Hes­se, seit­her immer wie­der sol­che auf­ge­tre­ten, die das Mal ererbt und sich ihm wür­dig erwie­sen hät­ten – die also taten, was sie woll­ten, und sich nicht um das scher­ten, was Gott im Dia­log mit Kain war­nend als gut und böse von­ein­an­der schied. (Es ist mehr als inter­es­sant zu beob­ach­ten, wel­cher Leser die Ver­ein­nah­mung der Kains­ge­schich­te durch Hes­se als Befrei­ung begreift und wer sie als Über­spannt­heit ablehnt.)

Jeden­falls: Die war­nen­den Wor­te Got­tes an Kain, inne­zu­hal­ten und der Ver­su­chung durch den Dämon zu wider­ste­hen, ste­hen im ­Zen­trum eines ande­ren Romans. In John Stein­becks ­Jen­seits von Eden bil­det die Geschich­te von Kain und Abel über­haupt das Gerüst der Erzäh­lung. Brü­der­paa­re sto­ßen auf­ein­an­der, der eine Sohn wird vom Vater mehr geliebt als der ande­re – ­war­um, bleibt uner­gründ­lich, so wie es uner­gründ­lich blieb, daß Gott Abels Opfer­lamm mit Wohl­ge­fal­len betrach­te­te, wäh­rend er Kains Gabe kei­nes Bli­ckes würdigte.

Lie­be, Miß­ach­tung, grund­lo­se Zunei­gung, fata­le Hier­ar­chie – alles dies ist zuge­teilt, es ist von Anfang an und von Grund auf nicht gerecht ver­teilt, und Leid und Haß und Mord wach­sen daraus.

In Stein­becks Roman ist es der Chi­ne­se Lee, den die Geschich­te von Kain und Abel so sehr beein­druckt, daß er sie wie­der und wie­der liest und die ver­schie­de­nen Über­set­zun­gen zu ver­glei­chen beginnt. Dabei stößt er an ent­schei­den­der Stel­le auf zwei Ver­sio­nen, deren unter­schied­li­che Bedeu­tung ihn ver­stört. Undenk­bar sei doch, daß in solch einer zen­tra­len, für jeden ein­zel­nen Men­schen grund­le­gen­den Erzäh­lung Deu­tungs­spiel­raum bleibe.

Lee bezieht sich auf die Wor­te Got­tes, der den erzürn­ten Kain lehrt, indem er ihm sei­ne Lage vor­hält. In ­Luthers Über­set­zung lau­tet die­se Stel­le: »Ist’s nicht so: Wenn du fromm bist, so kannst du frei den Blick erhe­ben. Bist du aber nicht fromm, so lau­ert die Sün­de vor der Tür, und nach dir hat sie Ver­lan­gen; du aber herr­sche über sie.« (Gene­sis, 4,7)

Ent­schei­dend ist der letz­te Halb­satz. Es gibt Über­set­zun­gen, die – wie die Luther­bibel – auf die Ver­su­chung durch die Sün­de »Du sollst sie beherr­schen« sagen, also einen ­Befehl, einen Auf­trag ertei­len. Ande­re Über­set­zun­gen spre­chen eine Zuver­sicht aus: »Du wirst sie beherr­schen« (so die Über­tra­gung in der King-James-­Bi­bel), und es mag sein, daß die­se Über­zeu­gung Got­tes, jeder wer­de stark genug sein und der Ver­su­chung wider­ste­hen, die Men­schen dazu ver­lei­tet, eine zu hohe Mei­nung von sich selbst zu haben. Für Lee ist die­ser Unter­schied so schwer­wie­gend, daß er Hebrä­isch lernt, um den Urtext zu befra­gen. Nach zwei­jäh­ri­ger Mühe stellt er fest, daß das hebräi­sche Wort »tim­schal« weder »Du sollst« noch »Du wirst«, son­dern »Du kannst« bedeutet.

Die Freu­de Lees über die­se Wür­di­gung des Men­schen und sein Lob­lied auf ihn als Geschöpf, dem Gott es anheim­stellt, sich für das Gute oder das Böse zu ent­schei­den, gehö­ren zu den schöns­ten Pas­sa­gen einer Geschich­te, die weit jen­seits von Eden spielt. Viel­leicht soll­te man sagen: Zu begrei­fen, wel­ches Gott­ver­trau­en hin­ter dem »Du kannst« steckt, mag eine der wich­tigs­ten Leh­ren in einer Zeit sein, in der das »Du sollst« in einen fal­schen Gehor­sam führt und das »Du wirst« in die Hybris.

 

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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