Als sich Ernst Jünger und Gretha von Jeinsen im Oktober 1922 in Hannover kennenlernen, ist sie noch minderjährig und er als 27jähriger Leutnant nicht in der Lage, von seinen Vorgesetzten eine Heiratserlaubnis zu bekommen.
Aber es findet sich: Jünger verläßt die Reichswehr, beginnt ein Studium in Leipzig und heiratet die nun neunzehnjährige Gretha im Sommer 1925. 1926 kommt der Sohn Ernst zur Welt, 1934 folgt Martin. Zwischen der Hochzeit und dem frühen Tod Grethas im November 1960 sorgen vor allem die zahlreichen Reisen Jüngers und der Zweite Weltkrieg dafür, daß sich die Eheleute Briefe schreiben, die jetzt in dem Band Einer der Spiegel des Anderen. Briefwechsel 1922 – 1960 erstmals veröffentlicht worden sind.
Es handelt sich um 358 Schreiben, die aus einem Gesamtbestand von fast 2000 Briefen ausgewählt wurden. Bedauerlich ist, daß es keinen richtigen Kommentar zu den Briefen gibt. Jedem Lebensabschnitt wird eine knappe Einleitung vorangestellt, der die Lebensumstände in diesem Zeitraum schildert. Diese Abschnitte sind nach den Lebensmittelpunkten Ernst Jüngers gegliedert.
Sie beginnen mit Leisnig, wohin Jüngers Eltern nach dem Ersten Weltkrieg gezogen waren, führen über Berlin und Goslar nach Überlingen, Paris, Kirchhorst und schließlich nach Wilflingen. Vereinzelt werden Abkürzungen aus den Briefen aufgelöst, es gibt ein ausführliches Personenverzeichnis, das zu jeder Person einige Erläuterungen enthält, und ein Nachwort. Aber viele Andeutungen und Sachverhalte, die in den Briefen vorkommen, muß der Leser selbst entschlüsseln. Und selbst bei den Namen sind die Herausgeber nicht besonders gründlich. Zu einem »Bark« heißt es »Identität unklar«, obwohl es sich bei diesem um Kurt Oskar Bark, Mitglied des Freikorps Roßbach, handeln muß.
Der Krieg spielt über den ganzen Briefwechsel, nicht nur in den Jahren nach 1939, eine große Rolle. Das beginnt im Januar 1924, als Jünger über seinen Abschied aus der Reichswehr resümiert: »Auf die Dauer hätte ich wohl doch nicht in die preußische Armee gepaßt; ein Heer, wie es unter dem jungen Napoleon in Italien kämpfte oder nach Ägypten zog, in dem junge und glühende Leute sich durch das Band wirklicher Kameradschaft gebunden fühlten, hätte eher Raum für mich gehabt.« Dort hätte man sich vor allem nicht mit den »Angelegenheiten des Privatlebens«, also der Heiratsfähigkeit, beschäftigt.
Beim Besuch in Bozen / Südtirol bemängelt er 1925 die italienischen Uniformen in dieser »urdeutschen Stadt« und hofft, »doch noch in dem Kriege die Waffen zu tragen, durch den es wieder in unsere Fäuste übergeht«. Erst 1935 schreibt er aus Norwegen: »Ich hatte kaum gemerkt, daß ich noch bis heute irgendwie im Schatten des Weltkrieges ging, aber ich glaube, daß ich in diesen Tagen auch den letzten Rest davon abgeworfen habe und in neue Heiterkeit eingetreten bin.«
Jünger ist viel auf Reisen, und die Frau kümmert sich um die Umzüge, begleitet von Hinweisen des Gatten: »Vorsicht um Gottes willen mit meinen Käfern, deren Anzahl ich jetzt erheblich vermehrte«, schreibt er von seiner Rückreise aus Brasilien, als Gretha den Umzug von Goslar nach Überlingen organisiert. Geldsorgen sind ein Thema, ebenso wie der Schulbesuch der Söhne, die zunächst beide keine guten Schüler sind. Viel geht es auch um die Suche nach einem geeigneten Haus, in dem man seßhaft werden könnte. In Goslar bewohnen sie lediglich eine Wohnung, Überlingen ist nur eine Zwischenstation und das alte Pfarrhaus in Kirchhorst kann nur gepachtet werden.
Aus Kirchhorst muß Jünger auch zur Wehrmacht einrücken. Der Krieg führt ihn erst an den Westwall, dann nach Frankreich und schließlich nach Paris, alles recht unspektakulär: »Um ähnliches wie im Weltkriege zu erleben, hätte ich bei den Fallschirm-Jägern eintreten müssen.« In Paris führt Jünger ein ziemlich luxuriöses Leben, das in einem starken Kontrast zu dem immer beschwerlicher werdenden Alltag in Kirchhorst steht.
Selbst wenn Jünger ständig irgendwelche Pakete dorthin absendet, wirkt es dissonant, wenn er von Champagner am Morgen berichtet, während Gretha über die schwere körperliche Arbeit in Haus und Garten klagt. Wenn Jünger ähnliche Tätigkeiten aus Paris meldet, klingt es unfreiwillig komisch: »Vorher ging ich in den Garten und frönte meiner alten Leidenschaft, grüne Erbsen vom Busche zu pflücken.«
Ein weiteres Thema, das sich durch den ganzen Briefwechsle zieht, sind Jüngers Frauengeschichten. Es beginnt 1937 mit kleinen Hinweisen, die Gretha launig kommentiert: »Ich erfuhr, daß Du sie in Hamburg angerufen hast – hähä – sage ich, um Dir zu beweisen, dass auch Dein Schwindeln nichts nützen kann. Gott mit Dir mein Teurer, Du weisst doch, dass ich mit mir reden lasse in dieser Beziehung.« Und immer wieder kommt eine gewisse Bitternis in die Briefe, wenn Gretha sich vernachlässigt fühlt. Einerseits sei ihm »für den Krieg über alles erlaubt, was Dein Herz und Dein Sinn begehrt«, sie will davon aber nichts merken und beklagt sich, wenn seine Briefe einen routinemäßigen Charakter annehmen.
Der Ton ändert sich, als Jünger in Paris stationiert bleibt und sich dort auf eine intensive Affäre mit Sophie Ravoux, einer deutschstämmigen, mit einem französischen Juden verheirateten Kinderärztin, einläßt, was in Kirchhorst nicht unbemerkt bleibt, weil Jünger seine zur Veröffentlichung bestimmten Tagebücher zur Aufbewahrung dorthin sendet. Das führt zu mehreren ernsthaften Verwerfungen in der Ehe, die Jünger mühsam wieder zu kitten versucht, indem er verspricht, Frau Ravoux abzuschwören (was er dann doch nicht tut), und seine Liebe zu Gretha bekennt (»auch als Witwer würde ich nie wieder heiraten können«, heißt es im Februar 1943).
Jüngers Bemühungen sind stellenweise von einer atemberaubenden Ungeschicklichkeit, wenn er beispielsweise anmerkt, ihm sei in Paris die Schönheit der Frauen gleichgültiger geworden: »Ich glaube, daß gerade durch diese neue Einsicht mein Verhältnis zu Dir auch viel gewinnen wird«.
Jüngers Werke kommen nur am Rande vor. Die Rezeption der Marmorklippen ist Thema, als Jünger im April 1940 berichtet, daß Carl Schmitt sich damit amüsiere, »den Leuten zu erzählen, daß unter dem Oberförster Fürst Bismarck zu verstehen ist. Ich finde diese Version nicht übel, die Ihr Euch zu eigen machen könnt.« Er plant eine Fortsetzung. Bei der Abfassung der Friedensschrift bekennt er: »Wenn ich das hinter mir habe, werde ich eben so erlöst sein wie nach der Beendigung vom Arbeiter.«
Interessant ist beider Einschätzung der Lage im Krieg. Gretha schreibt: »Soeben erhalten wir die ersten Nachrichten über die Besetzung von Dänemark und Norwegen; es hätte schon längst geschehen sollen, – dieser nordische Zipfel an unsrer Mütze ärgerte mich, man könnte ihn ganz gut noch einverleiben.« Der Vormarsch in Frankreich versetzt sie in einen »wahren Taumel«, dies seien Leistungen, »wie sie uns kein Volk der Erde nachmachen wird«.
Am 20. Mai 1940 schreibt Ernst: »Wir werden diesen Krieg gewinnen.« Gretha stimmt ihm zu, »aber ich rechne nicht mit einer kurzen Dauer. Von den ungeheuren Verlusten ganz zu schweigen«. Ende 1941, nach der Kriegserklärung an die Vereinigten Staaten, sieht Jünger das ähnlich: »Der Krieg kann damit noch einige Jahre länger werden, er nimmt immer mehr die Formen einer Weltkatastrophe an.« Im Januar 1943 heißt es kryptisch von seiner Reise in den Kaukasus: »Im übrigen habe ich einige der dunkelsten Blätter der menschlichen Geschichte gesehen.«
Auch zu der bekannten Burgunderszene, die Jünger unter dem 27. Mai 1944 in den Strahlungen abgedruckt hat, gibt es insofern eine Aufklärung, als daß er am 28. Mai an Gretha schreibt, er sei gestern »zwei Mal auf dem hohen Dache des Raphael« gewesen und habe »die Rauchwolken der Bomben hoch aufsteigen« sehen, »während oben die Geschwader, von Geschossen umblitzt, davonzogen«. Ein Jahr zuvor hieß es über einen Bombenangriff: »Das Schauspiel war schön und zugleich voll dämonischer Schrecken.«
Im August 1944 wird Jünger aus der Wehrmacht entlassen, und er kehrt nach Kirchhorst zurück. Das Kriegsende und die sich anschließende Besatzungszeit zwingen Jünger zur Häuslichkeit, so daß der Briefwechsel erst wieder Fahrt aufnimmt, als Jünger wieder regelmäßig auf Reisen gehen kann, was er grundsätzlich ohne seine Frau tut.
Auch aus dieser Zeit, seit 1950 lebten sie in Wilflingen, gibt es einige aufschlußreiche Stellen, so etwa wenn Gretha 1950 schreibt: »An Post ein Brief von Niekisch, den Mohler vorhin vorlas. Das Wort Oder-Neisse-Linie allein drin lässt mich wie einen Panther auffahren. Du siehst, ich bessere mich nicht.« Man blieb seinen Grundüberzeugungen treu, auch wenn man hier das Gefühl hat, daß die politischen Dinge Jünger nicht mehr besonders interessierten. Immerhin liest man noch 1957 von ihm: »Es fehlt eben die starke nationale Partei, zu der sich leider die F.d.P. nicht entwickelt hat.«
Jüngers Selbstbild kommt im Briefwechsel kurz vor, als er die Druckfahnen von Grethas Erinnerungen, die 1955 unter dem Titel Silhouetten erscheinen, durcharbeitet und dort zu seiner Person einiges anzumerken hat: »Was mich betrifft, so gewinnt der Leser den Eindruck eines Menschen, der sich mit Verschwörern und dunklen Existenzen umringt und ein fragwürdiges Dasein führt. Das Schießeisen spielt eine Hauptrolle. Daß ich vor allem und trotz aller materiellen und physischen Hindernisse eine höchste geistige Existenz geführt habe, tritt nicht hervor.«