Reflexion und Propaganda

von Ivor Claire -- PDF der Druckfassung aus Sezession 108/ Juni 2022

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Ovid gibt uns in sei­nen Meta­mor­pho­sen vom Mythos des Nar­ziß aus­führ­lich Kun­de: Die­ser sech­zehn­jäh­ri­ge Jüng­ling war so schön, daß er von Männ­chen und Weib­chen glei­cher­ma­ßen begehrt wur­de. Nar­ziß aber erhör­te nie­man­den, und als ihm ein Ver­schmäh­ter an den Hals wünsch­te, er möge sich selbst ein­mal ver­lie­ben und nicht erhört wer­den, folg­te die ­Neme­sis, das Schick­sal, die­sem Fluch.

Als der Kna­be näm­lich sein eige­nes Spie­gel­bild im Was­ser erblick­te, ver­lieb­te er sich in die­ses, ver­sank voll­kom­men in sei­nem Ich als einem ande­ren, der auf alle sei­ne Regun­gen ana­log zu reagie­ren schien. Doch konn­te Nar­ziß sich nicht mit sei­nem Gegen­über ver­ei­nen – die Trä­nen, die er dar­über ver­goß, tropf­ten ins Was­ser und lie­ßen sein Bild ver­schwim­men. Schließ­lich begriff er: Iste ego sum, ich bin es selbst, der mir in die­sem Bild gegen­über­tritt. Nar­ziß starb dar­ob vor Kum­mer, und statt eines Leich­nams fand man spä­ter dort »ein Blüm­lein / Safran­gelb, um die Mit­te besetzt mit schnee­igen Blät­tern«: die Nar­zis­se. (1)

Einen sol­chen Spie­gel erken­nen wir »dann und nur dann als Spie­gel, wenn wir wis­sen, daß wir ein And­res in ihm sehen«, (2) lie­ße sich mit Joa­chim Schi­ckel eine gene­rel­le Ein­sicht aus die­sem Mythos for­mu­lie­ren. Indes hat sich der Mensch wohl durch Was­ser­scha­len den Spie­gel­ef­fekt schon in sei­ner Früh­zeit gezielt zunut­ze gemacht, also den Spie­gel als sol­chen erkannt und im Lau­fe der Jahr­tau­sen­de tech­nisch immer wei­ter ver­bes­sert: Zunächst polier­te er Obsi­di­an- oder Bron­ze­plat­ten so, daß die Licht­strah­len und ‑wel­len par­al­lel blie­ben, wenn sie auf die­se Ober­flä­che tra­fen, und in der Refle­xi­on ein exak­tes Abbild des sich davor Befin­den­den ent­ste­hen konnte.

Damit ist der Spie­gel ein genu­in tech­ni­sches Medi­um, mit­tels des­sen der Mensch sich selbst gegen­über­tre­ten und sich auch bewußt geis­tig reflek­tie­ren kann. Dem­entspre­chend nutzt die Ver­hal­tens­for­schung den ­Spie­gel für einen Test, der Indi­zi­en für das Selbst­be­wußt­sein und die Abs­trak­ti­ons­fä­hig­keit von Lebe­we­sen lie­fern soll: ob eben das Spie­gel­bild als Abbild, sodann ob es als Abbild der eige­nen Per­so­na erkannt wird oder nicht. Men­schen­kin­der bestehen die­sen Test in der Regel sicher im Alter von rund zwei Jah­ren; von den meis­ten Pri­ma­ten und von Raben­vö­geln ist die­se Fähig­keit auch bezeugt.

Die Gabe, sich selbst in einem Gegen­über, einem ande­ren zu erken­nen, hat sich im Lau­fe der Evo­lu­ti­on bei den Lebe­we­sen in unter­schied­li­chem Maße her­aus­ge­bil­det, bei den meis­ten Ver­tre­tern von Fau­na und Flo­ra indes offen­bar gar nicht. Die Fähig­keit jedoch, jenen Spie­gel­ef­fekt durch das tech­ni­sche Erzeu­gen eines Mit­tels gezielt her­bei­zu­füh­ren, scheint etwas spe­zi­fisch Mensch­li­ches zu blei­ben: Die Abs­trak­ti­ons­leis­tung des Homo sapi­ens sapi­ens, das Refle­xi­ons­ge­setz im Was­ser zu erah­nen und schließ­lich auch zu erken­nen, es auf polier­te Flä­chen zu über­tra­gen, die­se her­zu­stel­len und seit dem 19. Jahr­hun­dert durch avan­cier­te tech­ni­sche Ver­fah­ren zu per­fek­tio­nie­ren, das macht ihm bis­lang noch kein Affe und auch kein Rabe nach.

Der Spie­gel wird über­dies nicht nur als Refle­xi­ons­me­di­um benutzt, son­dern eig­net sich auch zur Über­mitt­lung von Infor­ma­tio­nen durch das Wei­ter­spie­geln des Son­nen­lichts: Schon in der Anti­ke soll der soge­nann­te Helio­graph ein­ge­setzt wor­den sein, um mili­tä­ri­sche Signa­le zu über­mit­teln. Wir haben hier eine wei­te­re Abs­trak­ti­ons­stu­fe vor uns, die sich im Medi­en­ge­brauch wie­der ver­ding­licht: Das Son­nen­licht wird mit­tels des Spie­gels als Über­tra­gungs­me­di­um zu einem Zei­chen, das not­wen­di­ger­wei­se in ein gan­zes Zei­chen­sys­tem ein­ge­bun­den sein muß, um erst ein­mal Bedeu­tung ent­fal­ten zu können.

Der Mensch, der sol­ches kann, erscheint uns nun nicht unbe­dingt als ein Lebe­we­sen, das »sin­nes­arm, waf­fen­los, nackt, in sei­nem gesam­ten Habi­tus embryo­nisch, in sei­nen Instink­ten ver­un­si­chert« ist, (3) wie es Arnold Geh­len for­mu­liert hat­te: Aus Geh­lens Per­spek­ti­ve sind ja tech­ni­sche Instru­men­te wie Medi­en dafür da, feh­len­de Orga­ne zu erset­zen oder vor­han­de­ne, aber schlecht aus­ge­bil­de­te zu ver­stär­ken oder zu ent­las­ten – was zwei­fels­oh­ne rich­tig und gera­de für den Medi­en­be­griff auch wich­tig ist. Geh­len mein­te aller­dings sei­ne Rede vom Men­schen als instinkt­un­si­che­rem Mängel­wesen »aus­drück­lich nicht als ›Sub­stanz­be­griff‹«, son­dern habe ihr »nur ›tran­si­to­ri­schen Wert‹ für die Ana­ly­se zuge­schrie­ben«, wie der Ger­ma­nist Karl Eibl in sei­ner Stu­die Kul­tur als Zwi­schen­welt fest­hält. (4)

Der Mensch wäre gleich­sam ein Män­gel­we­sen, wenn man sich Hand, Hirn­struk­tur, damit zusam­men­hän­gend Spra­che und tech­ni­sche Medi­en weg­däch­te, wie auch der Löwe ein Män­gel­we­sen wäre, wenn man sich ihn ohne Zäh­ne vor­stell­te. Der Witz ist aber eben der, daß der Mensch auf­grund sei­ner evo­lu­tio­nä­ren Aus­prä­gung genau die­se Aus­stat­tung hat, die ihn als eine Spe­zi­es in allen Räu­men der Welt über­le­ben läßt, wäh­rend etwa die Amei­se »nicht weni­ger als 12 000 hoch­spe­zia­li­sier­te Arten« braucht, »um die Welt zu besie­deln«. (5)

Was wir am Bei­spiel des Spie­gels als Medi­um gut erken­nen, ist jene »ex-zen­tri­sche Posi­tio­na­li­tät«, die Hel­muth Pless­ner in den 1920er Jah­ren als Wesen des Men­schen aus­mach­te und in sei­ner Anthro­po­lo­gie der Sin­ne und der Wahr­neh­mung zu ent­wi­ckeln such­te. (6) Wäh­rend die Tie­re für ihn zen­trisch geschlos­sen und Pflan­zen azen­trisch offen orga­ni­siert sind, geht der Mensch nicht auf im Hier und Jetzt sei­ner direk­ten Umwelt, son­dern kann ima­gi­när aus sich und ihr her­aus­tre­ten. Die­se typi­sche Ver­fas­sung des Men­schen funk­tio­niert vor allem über sei­ne Fähig­keit zur Media­li­tät, und hier ist der bis­her ent­wi­ckel­te mate­ri­ell-tech­ni­sche Medi­en­be­griff nun zu erwei­tern, wenn wir den Zusam­men­hang von Mensch und Medi­en, also einen medi­en­an­thro­po­lo­gi­schen Zusam­men­hang, bes­ser in den Griff bekom­men wollen.

Media­li­tät, also Medi­en und Medi­en­ge­brauch des Men­schen, von der Spra­che bis hin zum Gei­ger­zäh­ler oder dem Medi­en­ver­bund des Inter­nets, ist Fol­ge des­sen, was Geh­len den mensch­li­chen »Hia­tus« nann­te, einer Lücke, die sich zwi­schen sei­nen Bedürf­nis­sen und Antrie­ben einer­seits und den damit ver­bun­de­nen Hand­lun­gen ande­rer­seits auf­tut – der Antrieb führt bei uns Men­schen meist nicht gleich zur Hand­lung, ide­al­ty­pisch gespro­chen, son­dern es gibt dazwi­schen einen Moment des insti­tu­tio­na­li­sier­ten Inne­hal­tens. Der bal­ten­deut­sche Bio­lo­ge Jakob Johann von Uex­küll, der 1864 als Unter­tan des rus­si­schen Zaren im heu­ti­gen Est­land gebo­ren wur­de, ist der wohl wich­tigs­te Pate die­ser Ein­sicht, die nicht nur Geh­len, Pless­ner und ande­re auf­ge­grif­fen haben, um sie für das eige­ne anthro­po­lo­gi­sche Kon­zept zu nut­zen. Uex­küll übte mit sei­nen bio­lo­gi­schen und dar­aus ent­wi­ckel­ten phi­lo­so­phi­schen Ideen gro­ßen Ein­fluß auf die Phi­lo­so­phie und Lite­ra­tur in der ers­ten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts aus, auch auf Lite­ra­ten wie Alfred Döb­lin, Ernst Jün­ger oder Gott­fried Benn. Am prä­gnan­tes­ten hat sich der aus Bres­lau stam­men­de Phi­lo­soph Ernst Cas­si­rer in sei­nem spä­ten Ver­such über den Men­schen auf Uex­küll bezo­gen und den Men­schen auf die­ser Basis als »ani­mal sym­bo­li­cum« gefaßt: »Ver­gli­chen mit den ande­ren Wesen, lebt der Mensch nicht nur in einer rei­che­ren, umfas­sen­de­ren Wirk­lich­keit; er lebt sozu­sa­gen in einer neu­en Dimen­si­on der Wirk­lich­keit«, nicht mehr nur »in einem bloß phy­si­ka­li­schen, son­dern in einem sym­bo­li­schen Uni­ver­sum«. (7)

Die­ses »sym­bo­lisch« kon­sti­tu­ier­te mensch­li­che Uni­ver­sum, das sich gleich­sam aus Geh­lens »Hia­tus« aus­dif­fe­ren­zier­te, ist für uns unhin­ter­geh­bar, wes­halb auch die gän­gi­ge vul­gär­kon­struk­ti­vis­ti­sche, gern im Ent­lar­vungs­ges­tus vor­ge­tra­ge­ne Aus­sa­ge, sozia­le Gebil­de wie Nati­on oder Fami­lie sei­en »nur Kon­struk­te«, weder eine neue Erkennt­nis bil­den noch die­se Gebil­de ent­wer­ten: »Näher kommt man dem Kon­struk­ti­ons­cha­rak­ter, wenn man die kul­tu­rel­le Leis­tung in einer Inter­pre­ta­ti­on der bio­lo­gi­schen Vor­ga­ben sieht, die dann auch hand­lungs­lei­tend wer­den kann.« (8) In die­ser welt­of­fe­nen, zugleich auf die unab­läs­si­ge Arbeit des sym­bo­li­schen Ver­zeich­nens jener Welt ver­wie­se­nen Anla­ge des Men­schen liegt auch sei­ne Media­li­tät begrün­det, was Fol­gen hat.

Indem unser Geist tat­säch­lich sei­ne Funk­ti­ons­wei­se über die Medien­entwicklung via Wis­sen­schaft und Tech­nik zu einer sinn­lich wahr­nehm­ba­ren Maschi­ne ver­äu­ßer­licht und damit ver­ding­licht, neh­men wir die Welt auch über die­se exter­na­li­sier­ten For­men wahr, das heißt, die so kon­stru­ier­ten Model­le und Maschi­nen for­men und ver­än­dern unser Den­ken, was zunächst ein­mal eine Bana­li­tät ist. Medi­en­theo­re­tisch gese­hen, ist es aber so, daß tat­säch­lich die habi­tu­el­le Nut­zung bestimm­ter Medi­en, sei­en es Denk­mo­del­le oder tat­säch­lich greif­ba­re Medi­en­ma­schi­nen wie Smart­phone, Rech­ner oder Bücher, nicht nur unser Den­ken, son­dern auch unse­re Erfah­run­gen for­miert. Der Sys­tem­theo­re­ti­ker Niklas Luh­mann sprach in die­sem Sin­ne von »Guß­for­men für mög­li­che Erfah­run­gen«: Die­se kön­nen wir frei­lich nicht nur als Kon­ven­tio­nen, als »Vor­rat an bereit­ge­hal­te­nen Sinn­ver­ar­bei­tungs­re­geln«, (9) begrei­fen; der Medi­en­ge­brauch for­miert unse­re Wahr­neh­mun­gen, damit unse­re Erfah­run­gen, unser Den­ken und Füh­len auch ganz kon­kret – bei­spiels­wei­se wenn wir das mensch­li­che Den­ken vom Com­pu­ter her ver­ste­hen wol­len. (10)

Vom Spie­gel über die Came­ra obscu­ra zur Film­ka­me­ra, vom Buch über die elek­tro­ni­schen Medi­en bis zur digi­ta­li­sier­ten Welt, vom Spiel mit hand­fes­ten Din­gen und Men­schen im Dreck über das Brett­spiel, wo sym­bo­li­sche Figu­ren über ein sym­bo­li­sches Feld bewegt wer­den, zur elek­tro­nisch-digi­ta­len Spie­le­um­ge­bung und zur digi­ta­len Welt des »Second Life« (Lin­den Lab, 2003) ist nun eine kul­tu­rell-tech­ni­sche Evo­lu­ti­on die­ser Medi­en zu kon­sta­tie­ren, die sich in den letz­ten 200 Jah­ren unge­heu­er beschleu­nigt hat und in alle Rich­tun­gen wie auf allen Ebe­nen auf den Men­schen zurückwirkt.

Wie Nar­ziß im Spie­gel des Was­sers sei­ne Welt ver­lor und im Wider­schein sei­nes Bil­des ver­sank, so läßt sich heu­te ein sol­cher Welt­ver­lust bis­wei­len beob­ach­ten, wenn wir an das Agie­ren des Men­schen in digi­ta­len Medi­en-Ver­bün­den wie Face­book, Insta­gram, Whats­App, ­Twit­ter, ­Red­dit, Tik­Tok, Mine­craft e tut­ti quan­ti den­ken. Es soll hier kei­nes­falls einer grund­sätz­li­chen Ableh­nung die­ser Medi­en­evo­lu­ti­on das Wort gere­det wer­den, denn sie liegt, das soll­te deut­lich gewor­den sein, im Wesen des Men­schen begrün­det und läßt sich nicht ein­fach negie­ren – wie auch? Die Unver­meid­lich­keit und der Nut­zen vie­ler sol­cher Ent­wick­lun­gen sind kaum bestreitbar.

Das Pro­blem, das zu umrei­ßen ist, liegt viel­mehr in den Abhän­gig­keits­ver­hält­nis­sen, die sich aus der qua­li­ta­tiv neu­en Dich­te die­ses nach außen gestülp­ten »Sym­bol­net­zes« des Men­schen (Cas­si­rer) und der damit ver­bun­de­nen Durch­drin­gung der mensch­li­chen Lebens­welt erge­ben. Daß uns hier ein Welt­ver­lust droht, begrün­det sich ers­tens in einer per­fek­tio­nier­ten Kul­tur der Zer­streu­ung und der Auf­merk­sam­keits­zer­stö­rung durch die digi­ta­li­sier­te Kul­tur­in­dus­trie, zwei­tens in der digi­ta­len Bin­dung des Nut­zers, die ihn einer »sanf­ten«, schein­bar zwang­lo­sen Über­wa­chung und Dis­zi­pli­nie­rung ausliefert.

Dies ist mit einer schlei­chen­den Ent­eig­nung per­sön­li­cher Daten und Daten­ho­heit ver­bun­den, der Zer­stö­rung jener segens­rei­chen bür­ger­li­chen Tren­nung von Pri­vat­heit und Öffent­lich­keit, die schließ­lich in die Super­struk­tur eines Sur­veil­lan­ce Capi­ta­lism mün­det, wie sie Shosha­na Zuboff beschreibt. (11) Die durch das Coro­na-Regime eben­so beschleu­nig­te wie der mensch­li­chen Bequem­lich­keit will­kom­me­ne Ver­la­ge­rung des Han­dels samt Bezahl­vor­gän­gen auf digi­ta­le Platt­for­men sowie Recher­che, Lek­tü­re und Mei­nungs­äu­ße­rung im Inter­net bzw. in »Social Media« ver­an­kern das glo­bal aus­grei­fen­de neue Sys­tem des Über­wa­chungs­ka­pi­ta­lis­mus fest in unse­rem All­tag, so daß ein Weg ins »wil­de Drau­ßen« immer schwe­rer zu bah­nen sein wird.

Inzwi­schen tre­ten immer­hin Pio­nie­re die­ser Ent­wick­lung wie Jaron ­Lanier an, um die Mecha­nis­men der Ver­hal­tens­mo­di­fi­ka­tio­nen über die digi­ta­len Netz­wer­ke und deren öko­no­mi­sche Logik im tra­di­tio­nel­len Medi­um des Buchs her­aus­zu­stel­len und dafür zu wer­ben, man sol­le wenigs­tens eine Zeit­lang sei­ne Social-Media-Accounts löschen und etwas in der ana­lo­gen Welt tun. (12) Wenn wir Ber­nard Stiegler fol­gen, kann ein sol­cher indi­vi­du­el­ler Ent­schluß zur zeit­wei­li­gen Medien­enthaltsamkeit frei­lich nur einen ers­ten Schritt zur per­sön­li­chen Befrei­ung aus einer neu­en Unmün­dig­keit bil­den: Für ihn gilt es, viel­mehr eine »Schlacht der Intel­li­genz« für und um die Intel­li­genz zu füh­ren – die­se müs­se sich gegen jene »Psy­cho­po­li­tik« rich­ten, die »nicht län­ger von Natio­nal­staa­ten und ihren Programm­institutionen abhän­gig« sei, »son­dern viel­mehr von deter­ri­to­ri­a­li­sier­ten öko­no­mi­schen Kräf­ten« aus­ge­he. (13)

Damit ist frei­lich ein altes Pro­blem unter moder­nen Bedin­gun­gen auf­ge­ru­fen: Muß und kann die Wirt­schaft, die mit Walt­her Rathen­au zwei­fels­oh­ne unser Schick­sal ist, durch die Poli­tik gebän­digt wer­den, um ein frei­es Gemein­we­sen zu ermög­li­chen? Wel­che Poli­tik, und vor allem: wel­cher Poli­ti­ker wäre in der Lage, dies über­haupt als Pro­blem zu for­mu­lie­ren? Dar­über muß nach­ge­dacht wer­den, auch von jenen, die sich mit Lud­wig von Mises, Fried­rich August von Hay­ek oder Mur­ray Roth­bard in einer im Mit­tel­stand gegrün­de­ten Wirt­schaft den Hort der Frei­heit ange­sichts über­grif­fi­ger Staats­ge­walt erhof­fen. Wenn wir als Medi­en­tie­re die Funk­ti­ons­wei­sen unse­rer Medi­en sowie die damit zusam­men­hän­gen­den öko­no­mi­schen Ver­wer­tungs­me­cha­nis­men in Gegen­wart und Zukunft nicht durch­drin­gen, ist die Welt für unse­re Welt verloren.

– – –

(1) – Ovids Meta­mor­pho­sen. Über­setzt von Rein­hart Suchier. Ers­ter Theil. Stutt­gart 1858, S. 94 (V 509 f.).

(2) – Joa­chim Schi­ckel: Der Logos des Spie­gels. Struk­tur einer spe­ku­la­ti­ven Meta­pher, Bie­le­feld 2014, S. 23 f.

(3) – Arnold Geh­len: Die See­le im tech­ni­schen Zeit­al­ter. ­Sozi­al­psy­cho­lo­gi­sche Pro­ble­me in der indus­tri­el­len Gesell­schaft, Ham­burg 1957, S. 8.

(4) – Karl Eibl: Kul­tur als Zwi­schen­welt. Eine evo­lu­ti­ons­bio­lo­gi­sche Per­spek­ti­ve, Frank­furt a. M. 2009, S. 12.

(5) – Ebd., S. 47.

(6) – Vgl. Hel­muth Pless­ner: Die Stu­fen des Orga­ni­schen und der Mensch. Ein­lei­tung in die phi­lo­so­phi­sche Anthro­po­lo­gie, Ber­lin / New York 1975 (zuerst 1928), bes. S. 288 – 293.

(7) – Ernst Cas­si­rer: Ver­such über den Men­schen. Ein­füh­rung in die Phi­lo­so­phie der Kul­tur, Ham­burg 2007 (zuerst 1944), S. 51, 49, 50.

(8) – Eibl: Kul­tur als Zwi­schen­welt, S. 29.

(9) – Zit. nach ebd., S. 43.

(10) – Vgl. dazu Ber­nard Stiegler: Die Logik der Sor­ge. Der Ver­lust der Auf­klä­rung durch Tech­nik und Medi­en, Frank­furt a. M. 2008; ders.: Von der Bio­politik zur Psy­cho­macht. Die ­Logik der Sor­ge I.2, Frank­furt a. M. 2009.

(11) – Vgl. Shosha­na Zuboff: Das Zeit­al­ter des Über­wa­chungs­ka­pi­ta­lis­mus, Frank­furt a. M. / New York 2018.

(12) – Vgl. Jaron Lanier: Zehn Grün­de, war­um du dei­ne Social Media Accounts sofort löschen mußt, Ham­burg 2018.

(13) – Stiegler: Von der Bio­po­li­tik zur Psy­cho­macht, S. 12, 49.

 

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