Den eigentlichen Job „in den Linieneinheiten“ erledigen die Unteroffiziere und der Grundwehrdienst, also die Gefreiten und Soldaten.
Wo es an der nervösesten Stelle Europas schnell mal entzündlich wurde, gar dramatisch, wo es prinzipiell um Leben und Tod gehen konnte, ganz vorn, standen die Unterchargen, denen die Verantwortung übertragen war. Lief’s schief, drohte Militärknast in Schwedt.
War eine Heimkind ausgerissen oder ein Russe aus einer der Alptraum-Kasernen der GSSD desertiert und dabei meist hinreichend bewaffnet, wollte ein DDR-Bürger keinen Umweg mehr über eine Ausreiseantrag in den Westen nehmen, sondern gleich Luftlinie durch, mußten „die da vorne“ es irgendwie hinbekommen, eben nicht nur „befehlsgemäß“, sondern möglichst in Vermeidung eigener furchtbarer Schuld.
Hinten, im Bataillons- und Regimentsstab, saßen die Offiziere, die wohl verwalteten, planten und koordinieren, vielleicht sogar mal strategisch und taktisch irgendwas bedachten, aber eben den Kopf nicht hinhielten.
Alfred Preißler von Borussia Dortmund hat’s in anderem Zusammenhang treffend auf den Punkt gebracht: „Grau is’ im Leben alle Theorie – aber entscheidend is’ auf’m Platz.“
Was wir an der deutsch-deutschen Grenze erlebten, war glücklicherweise nur der Kalte Krieg, gewissermaßen ein so superteures wie verschleißendes Spiel, aber nicht einer der Welt- oder anderweitig heißen Kriege. Dort starben die niederen Dienstgrade zuerst, so gewissermaßen die „Vereinbarung“; sie kämpften für die Heimat, weiter hinten konnte man meist ungefährdeter die Heimkehr erwarten.
Ernst Jünger war Stoßtruppführer im Feuer zwischen den Gräben und am Ende des Ersten Weltkriegs Leutnant. Ja, ich weiß, Jünger wollte eigeninitiativ vorn dabei sein. Seine Gründe dafür hat er lebensphilosophisch beschrieben, als Existentialist ganz eigener Art. Wir verstehen ihn, aber wer denn könnte und wollte ihm folgen?
Mein Großvater Martin Bosselmann, Landarbeiter, Jahrgang 1906 und von 1939 bis 1945 durchgehend Soldat, wollte nicht unbedingt nach vorn, war’s aber, pflicht- und befehlsgemäß, bis zu einem Steckschuß an den Seelower Höhen, der ihm einen Platz im Lazarettzug und damit im letzten Akt das Leben sicherte. –
Insgesamt gilt, den einfachen Soldaten, den Arbeiter, den Handwerker und, ja, die Putzfrau aufmerksam zu ehren. Sie alle sind „vorn“.
Nach dem Wehrdienst wurde ich Lehrer. Was im Beruf trotz der politisch betriebenen Regressionen von Bildung noch erreichbar war, immer weniger nämlich, wurde in den Fach- und Klassenräumen vor der Tafel geleistet, in eigener Verantwortung, allein, die Kultusbürokratie und ihre „Institute“ standen dabei eher im Wege, als daß sie im Sinne der Sache auch nur irgendwie hilfreich zu wirken verstanden.
Im Gegenteil: Es lief am besten, wenn man ohne die wechselnden Moden gehorchenden Maßgaben arbeitete oder besser noch gegen sie an. Das war im Sinne eines einsamen und daher unmittelbar selbstverantwortlich zu gestaltenden Jobs nahezu immer möglich, antizyklisch, denn es ließ sich glücklicherweise niemand aus den Ämtern je sehen.
Besser so. Sie blieben an ihren Espresso-Automaten und hielten sich raus. Sie waren aufgestiegen, weil sie’s zwischen Tafel und Klasse schlecht ausgehalten hatten und in den vielfältigen spezifischen Anforderungen und Auseinandersetzungen nicht bestanden.
Eine Orientierung half mir beruflich an Schulen immer jene, die Albert Camus in „Die Pest“ gibt:
Dr. Rieux, der Held des Romans, bleibt auf seinem Posten als Arzt. Weil er eben Arzt ist; auf „Strukturen“, gar auf „Teamwork“ verläßt er sich nicht, schon gar nicht auf übergeordnete Behörden; er denkt nicht mal darüber nach. Er steht – im Absurden.
Aber er versucht, so menschlich wie möglich zu handeln, ohne Maßgaben aus einer Befehlskette, ohne politische Phrasen und ideologisches Gewäsch, sogar ohne Bezug zu irgendeiner angeblich komplexen Situation, sondern einfach nur in der gegenwärtigsten Unmittelbarkeit.
Gerade für Deutschland scheint bei zunehmender Ideologisierung der gesamten Gesellschaft zu gelten: Wer versagt, steigt auf. Bedingung dazu ist die Identifizierung mit den politisch längst wieder zentral und einheitlich ausgegebenen Parolen. Niemand ist verwundert, nimmt die Kompetenz nach oben hin ab statt zu. Oder es wirkt die Fatalität des Peter-Prinzips.
Die aufgeblähten praxisfernen Ministerien und all die dubiosen Institute der Bildungsbürokratie sind mit schulflüchtigen Lehrern besetzt. Es gibt tatsächlich genug gute Gründe, den Anstrengungen an den Schulen besser auszuweichen, denn viele Kollegen werden daran krank: Überlastungssyndrom.
Nur wird vielfach nicht seitlich ausgewichen, was souverän wäre, sondern nach oben ausgewichen, in die Bürokratie und in die politische Administration hinein. Wird man sogar links von der AfD irgendwo Parteimitglied, schafft man’s flott zum Minister, ohne auch nur irgendwie als Profi ausgewiesen zu sein. Man muß nur die politisch verordneten Bekenntnisse nachsprechen.
Auf Ministerebene, so das arrogante Selbstverständnis, wird besser gewußt, was allerdings nur unten verstanden werden kann. – Und dank des Föderalismus gibt es in Deutschland eine Menge Ministerien.
Hinter den wenigen Befähigten der zahlreichen Parlamente lagert der Sumpf, der „Marais“ der Hinterbänkler, deren Kompetenz allein darin besteht, sich auf Listenparteitagen durchzukungeln, dann die Legislaturen irgendwie zu überstehen, dabei fette Diäten einzustreichen, für ein paar satte Jahre das höfische Wohlleben zu genießen und bei den nächsten Wahlen die alten Seilschaften doch noch mal so zu mobilisieren, daß dreisterweise auf abermaliges Glück in einer nächste Runde Wichtigkeit zu hoffen ist.
Sollen solch mediokre Schwätzer und Teillegastheniker der hehren Idee der Legislative entsprechen oder gar in der Exekutive in Verantwortung stehen, bedürfen sie eines ganzen Trosses sogenannter Referenten, die über hinreichend Sachverstand verfügen und jene Sätze bilden, die dann am Pult verlautbart werden. Wir erleben gerade eindrucksvoll, daß kaum ein Regierungsmitglied der Berliner Republik für sich allein zu sprechen wüßte.
Wieder sind es befähigte Dienstleister niederen und mittleren Ranges, die den vom System hochbezahlten Narzißten soufflieren, was sie entscheiden und verkünden. – Schon hinter den hochwohlgeborenen Exponenten des alten Reiches wuselte ein Heer von Schreibern sowie sophistischen Sach- und Rechtskundigen, die das Regnum gedanklich trugen, das die Majestäten recht und schlecht nur symbolisierten.
Die mit den Federn am Hut lebten von denen mit der Feder in der Hand. Wer eigene Bedeutung wünschte, sie aber talentfrei nicht selbst erarbeitete, bedurfte immer der verschmitzten Helfer, die ihren Verstand und ihr Sprachvermögen verkauften, so wie Landsknechte ihren Mumm.
Dank einer starken Reichsidee und identitätsstiftenden Symbolik, dank nicht zuletzt der Religion hatte das noch Art, was heute, zumal in den Provinzparlamenten und ‑regierungen der Bundesländer, nurmehr als Karikatur unter Regenbogenbeflaggung erscheint.
Hauptaufgabe der intellektuellen Dienstleister:
Mindestens die Blamagen vermeiden, die der Dummheit immer drohen, insbesondere wenn sie zur Herrschaft gelangt. Bestenfalls weiteren Aufstieg des Herrn oder der hohen Dame sichern, den Abgeordneten oder gar Minister mit Geschick heil durchkommen lassen, ihm stets Gesichtswahrung ermöglichen und Kompetenz vortäuschen.
Politiker sind Narzißten. In der Regel sind ihre Befähigungen so gering wie andererseits ihr Geltungsdrang enorm. Solche Figuren suchen die Bühne, wo sie fast zwangsläufig früher oder später der Lächerlichkeit preisgegeben sind. Dies so lange wie möglich zu vermeiden ist vordringliche Aufgabe der Referenten, Pressesprecher und Spin Doctors.
Gelingt das nicht, fallen die Dienstleister in Ungnade. Sie haben zu liefern, was der Pappkamerad vorn selbst nicht zu erbringen vermag, obwohl er im Stande der Würde des Amtes bald sogar selbst meint, er könnte es. Wem von Lakaien die Türen aufgerissen werden, der meint schnell, er wäre im Schloß schon richtig.
Der beflissene Referent, idealerweise vitaler und sensuell hellwacher Schnelldenker, nickt zu dieser Illusion und bestätigt den bizarr-schönen Irrglauben – wissend, am Ende steht fast jeder Politiker als unfreiwillig komische und gescheiterte Figur da.
Was die Physiognomie schon andeutete, beweist am Ende eindrucksvoll die desaströse Lebensbilanz: Weitgehend versagt, trotz aller Ehrungen und aufgesteckter Orden.
Selbst Frau Merkel, jahrzehntelang das Gesicht der Berliner Republik, hochgeehrt, beinahe als die Sphinx mit den charakteristischen Mundwinkeln geltend, ging diesen Weg von der Scheinbedeutung zur komischen Komparsin, die sie an sich trotz ihrer unbestrittenen Intelligenz immer war.
Lauterbach würde als Landarzt bei seinen Patienten in hoher Achtung stehen, Habeck wäre als Kinderbuchautor vermutlich geschätzt, Merkel war auf ihrem Fachgebiet wohl eine passable Physikerin, aber das reicht diesen Charakteren nicht; sie verlieren ihr Maß. Letztlich werden sie daher unweigerlich zum Gespött der Leute, weil sie offen vorführen, was man sogar unter Vertrauten vermeiden sollte.
Größe mag wiederum nur jenen Wenigen zukommen, die den Kopf hinhielten, Nelson Mandela beispielsweise, einer der seltenen echten Helden. Ferner denen, die in schwierigster Zeit zu führen verstanden und die so notwendigen wie riskanten Korrekturen vornahmen, Margaret Thatcher etwa, The Iron Lady. Selbst grausame Diktatoren, extremer Verbrechen schuldig, haben immerhin Format: Augusto Pinochet, der manchen als Retter, anderen als Schlächter Chiles gilt.
Ja, es gibt Politiker, die sich selbstlos als Diener einer großen Sache, als Anwalt ihres Volkes und ihrer Nation verstanden haben und deren Werk mit Ernst gewürdigt wird, nur sind solche namentlich in Demokratien selten. Einer, der aus kleinen Verhältnissen kam, es ehrlich meinte, sich nicht bereicherte, den Prunk vermied und tugendhaft wirkte, war Antonio de Oliveira Salazar.
Aber in unserer „Demokratie“?
Im Stande des Mandatsträgers oder des hohen Amtes sind selbst Kretins ähnlich sakrosankt, wie es früher nur Edelleute waren. Wenngleich die Macht portioniert in der Befristung von Legislaturen ausgereicht wird, bilden sich innerhalb dieser Zeiträume im Bund und in den Ländern Hofstaaten heraus, die ihrem Lebensstil nach ebenso dekadent erscheinen wie einst in Duodez-Fürstentümern. Die Statussymbole und Vorlieben sind vergleichbar, die Maßlosigkeit ist dieselbe, ebenso all die Operetten-Lächerlichkeiten.
Sobald der Mantel der Macht umgelegt ist, beginnt eine Metamorphose zum Herrschaftlichen, das Bedienstete braucht, die diese Herrschaft und damit das luxuriöse Auskommen sichern, indem Befähigte den Angebern Geist und Stimme leihen. Das war immer so. Bei Bankett und Empfang regiert die Eitelkeit, in den Schreibstuben der Zynismus darüber.
Keiner ist höher zu schätzen als der „gemeine Mann“ oder die einfache Frau. Das ist keine Sozialromantik; und wenn es banal wäre, so ist’s eine wesentliche Banalität, die man nie vergessen sollte. Mehr noch: Fehlt einem das Gen zum Machterwerb und zum Vordrängeln, dann achte man darauf, selbst möglichst unter den einfachen Leuten zu bleiben, unter den „Erbärmlichen“, im „basket of deplorables“, wie Hilary Clinton sie nannte.
Brechts Gedicht „Fragen eines lesenden Arbeiters“ ist längst aus den Schulbüchern verschwunden. Nach wie vor aber sind die darin formulierten Fragen wesentlich zu stellen, auch jenseits des historischen Materialismus, mit dem Brecht literarisch experimentierte.
Spätestens seit Thomas Müntzers Fürstenpredigt von 1524 bestand ein linker Traum darin, die Macht im Staate möge dem gemeinen Manne gegeben werden. Es besteht eine gewisse Lebensweisheit vielmehr aber darin, diese Macht besser gar nicht zu wollen. Sie korrumpiert nicht nur, sie birgt die Gefahr, als lächerlicher Wicht abzutreten. Das passiert einem redlichen Handwerker nie.
Niekisch
"Größe mag wiederum nur jenen Wenigen zukommen, die den Kopf hinhielten, Nelson Mandela beispielsweise, einer der seltenen echten Helden."
Wir sollten allerdings nicht vergessen, wer sonst noch den Kopf hinhielt, bis er allerdings verkohlt war: Nelson Mandela tot…ein Vorbild für die Welt der Zukunft? | Metapolitika (wordpress.com)
Ansonsten guter Artikel!