Ein Großpolen von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer, bisher allein Polens ewiger Traum, sei die Chance für ein konservatives Europa, für die Rettung des Abendlandes. Daß diese Idee von Deutschen mitgetragen wird, ist nicht nur erst- und einmalig in unserer Geschichte, es zeigt auch den Defätismus, der sich in einigen Kreisen mittlerweile breitgemacht hat, und es ist ein trotz Professoren- oder Doktorentitel wirklichkeitsferner, geschichtsvergessener Defätismus, der in keinem anderen Volk als dem unseren – und erst recht nicht in Polen selbst – möglich wäre.
Stefan Scheil arbeitet indessen gründlich weiter an seinem Geschichtswerk. Wie kaum ein anderer deutscher Historiker konzentriert er sich. Er hat es nicht nötig, sich wie Lehrstuhlinhaber in Moden oder bei gerade aktuellen Jahrestagen mit flink geschriebenen Büchern auf dem Markt einzufügen.
Er bleibt beharrlich und legt immer weiter Bücher zur Geschichte der Diplomatie der Vorkriegszeit vor, darunter zuletzt die Detailstudie Abschreckungspläne. Der Hauptbericht Joachim von Ribbentrops als deutscher Botschafter in London vom Dezember 1937 (Aachen: Helios Verlag 2020).
Nun erschien sein höchst aktuelles Polens Zwischenkrieg. In detaillierter Erweiterung seines Gesamtwerkes zur europäischen Diplomatie – in der, wie es Scheil im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen richtig sieht, das Deutsche Reich ja nur einer unter mehreren Mitspielern und Verantwortlichen war – erforscht Scheil nunmehr stärker Polens Blickwinkel und Spiel innerhalb der Diplomatie zwischen 1918 und 1939. Und er räumt unter Hinzuziehung einer unglaublichen Akten‑, Lebenserinnerungs- und Literaturfülle einmal mehr auf mit jenem verklärenden Glauben an ein vermeintlich friedliebendes Polen, das 1939 überfallen wurde.
Scheil beginnt seine Studie mit der Wiedererrichtung des polnischen Staates, rezipiert bedeutende Forschungen für die Zeit zuvor, etwa Roland Gehrkes Der polnische Westgedanke bis zur Wiedererrichtung des polnischen Staates nach Ende des Ersten Weltkrieges, und kann zeigen, daß vieles schon lange angelegt war in polnischen Träumen. Und so spricht er die
faktische Eliminierung der existierenden ethnischen Minderheit auf dem Weg von Integrations- und Verdrängungsmaßnahme
ebenso an wie, daß
der polnische Nationalismus in den Jahren 1921 bis 1939 in den ukrainischen Gebieten der Republik einen vorher nicht vorhandenen ukrainischen Nationalismus erzeugte,
erwähnt, wie
Ukrainer, Litauer und Weißrussen […] polonisiert, die Deutschen und die Juden möglichst außer Landes getrieben werden
sollten, zeigt – wieder aktuell – den us-amerikanischen Einfluß auf die polnische Regierung und stellt die ständigen Forderungen und verschiedensten Denkschriften führender polnischer Politiker nach der schließlich 1945 erreichten Oder-Neiße-Linie lange vor 1939 heraus.
Scheil berichtet aus der von Großmachtideen bestimmten polnischen Innenpolitik, stellt uns nicht nur Piłsudskis noch an die Realitäten gebundene, vor allem aber kriegerisch erfolgreiche Politik vor, sondern auch die vieler sich selbst überschätzender polnischer Politiker, Botschafter, Journalisten, Historiker, und zeigt dabei jene Naivität eines Landes, das sich in das »britisch-französische Spiel« glaubte auf Augenhöhe einbinden zu können und eben doch nur – wie schon unter Napoleon – Spielball dieser Großmächte wurde und blieb. Polen hat nie durchdacht, warum es nicht bereits auf dem Wiener Kongreß als Staat wiederhergestellt worden war und warum es dann, von den Siegermächten geduldet, 1918 mit seinen willkürlichen Grenzen bestehen durfte.
Scheil arbeitet das, was sich Polen vormachte, anhand von offenen wie verdeckten diplomatischen Gesprächen, Geheimdiplomatie und Verträgen genau heraus, schildert dabei auch Polens Kriegswillen. Mehr muß nicht über den Inhalt verraten werden.
Ein Kritikpunkt darf folgen: So sollte Scheil besser darauf achten, daß die in Fußnoten gekürzte Literatur auch im Verzeichnis zu finden ist und Zitate, etwa Zeitungsartikel oder Reden, aus dem Original und nicht aus Lebenserinnerungen oder Sekundärliteratur ungeprüft zitiert werden – für einen Einzelforscher natürlich kaum zu bewältigen, bei der Fülle, die Scheil sowieso bereits meistert. Es gelingt ihm stets, seinen Stoff nicht nur zu ordnen und mit überraschenden Zitaten und Quellen aufzuwarten, sondern zugleich an den Leser zu denken und spannend zu schreiben.
Es ist zu wünschen, daß Scheils Werke in Zukunft bei einem Verlag und in einer Form erscheinen, und es ist zu hoffen, daß Stefan Scheil auch in den folgenden Jahren seine wichtigen Themen forschend ausweiten kann – in der uns Historikern notwendigen Unabhängigkeit, Genauigkeit und Breite des Lesens, Nachdenkens und Quellenstudiums.
– – –
Stefan Scheil: Polens Zwischenkrieg. Der Weg der Zweiten Republik von Versailles nach Gleiwitz, 2022. 318 S., 25,95 € – hier bestellen.
Laurenz
Zu glauben, daß ab 1918 eine informelle, ab 1926 formale Militärdiktatur friedlich gewesen sei, kann auch nur der Feder von zeitgenössischen & späteren Relotius-Schreibern & - Historikern in die Welt gesetzt worden sein. Polen besetzte 1938 den Westen des Teschener Schlesien & das Olsagebiet. Desweitern finden wir in der polnischen Geschichte den polnisch-sowjetischen Krieg https://de.wikipedia.org/wiki/Polnisch-Sowjetischer_Krieg
mit dem Angriff auf das sich im Bürgerkrieg befindliche Rußland, wie auch Milizen, welche sich mit den deutschen Freikorps Schlachten lieferten, die berühmteste am Annaberg https://de.wikipedia.org/wiki/Aufst%C3%A4nde_in_Oberschlesien
Hier dazu das imposante Video von EL & GK https://youtu.be/EeUXyhpQkkM
Im Prinzip überfiel Polen nach seiner Gründung jeden Nachbarn, wie man hier unter Konflikte mit den Nachbarländern nachlesen kann. https://de.wikipedia.org/wiki/Zweite_Polnische_Republik
Man kann das von Polen verursachte Leid für Mio. von Europäern auch bei Die Welt im Netz finden & nachlesen.
Da sich das bis heute nicht gebessert hat, kann man davon ausgehen, Polen ist verloren. Ob das eine gewagte These ist?