Hundertvierzig Gesichter, gruppiert und einzelne, manche wenden sich, jeder, der da ist, hat seine Gründe, da zu sein. Man wünscht sich den Teilnehmer, der zugleich liest und dieses Lesen nicht zu ernst nimmt, sondern dieses Angelesene mit dem Leben und der Intuition abzugleichen weiß und die Wahrnehmung so schwer nimmt wie die Theorie.
Die Scheu: Sie rührt aus dem Unvermögen zum raschen Gespräch, zum Smalltalk, zur Zufriedenheit mit dem, was wieder gelang. Einen großen Saal in einem Ort in der baumlosen Pampa am Südzipfel Sachsen-Anhalts zu füllen, ohne Scharlatanerie, sondern so gut und ernsthaft vorbereitet und zugerüstet wie irgend möglich.
Es ist die Scheu zu genügen, die jeder kennt, der sich nicht selbst der Maßstab ist.
Behaglich die Gewohnheit: die Anreise der Mannschaft am Donnerstagabend, der Aufbau im leeren Saal, Technik-Check, und in der Gaststube große Portionen. Am Freitagmorgen um zehn die letzte Besprechung, längst Routine, aber wichtig, bevor jeder seinen Posten bezieht.
Dann trudelt es ein. Zehn Jahre AfD, hundert Jahre Parteienkritik – wen lockte das? Eine Menge junger Leute, gar nicht viel Partei, aber schon auch. Vor allem: junge Leser, das merkte man gleich, und aus virtuellen Projekten solche, die sich hier mal wirklich treffen, um nicht zu sagen: kennenlernen, so, wie man sich früher kennenlernte.
Drei erste Gespräche: mit einem jungen Mann, der sich tierisch über eine Lehrerin aufregte, weil sie ihm einen Vortrag über die Nazis aus Schnellroda aufdrückte, zehn Minuten im Sozi-Unterricht; half ihm das über, weil er ein paar falsche Fragen gestellt hatte. Also forschte er los und fand keine Nazis, sondern mal was anderes – und meldete sich an.
Ein anderer lernt Gärtner. Erdhände, Draußengesicht. Sehr gut, das Gespräch über den Wechsel aus Schule und Feld und den intensiven Blume- und Gemüseanbau auf kleinen Flächen. Der Hof als Mittelpunkt für die Versorgung im Dorf und am Rande der Stadt – nicht der Netto und der Rewe. Kurze Wege, saisonal – dieselben Grundsätze wie vor Jahrzehnten, man muß nichts dazuerfinden, bloß machen muß es einer.
Der dritte: aufbrausend und deutlich, als er sich zu Wort meldete, um die Frage zu stellen, warum wir allesamt hier seien und nicht woanders. Kennt man: die Abwertung von Lektüre und Debatte vor dem Hintergrund der Tat. Aber auch er war ja hier und nicht woanders. An seinen steilen Tisch setzte ich mich gleich zum Abendbrot – eine gute, wertvolle Stunde unter jungen Männern, mit denen über die Aufladung der Idee, den sozialen Mythos, die Wiederbelastung des Lebens und die Abschätzigkeit zu reden war. Solche müssen wiederkommen.
Welche nicht? Da gab es eine Phase, am ersten Akademietag, als am Abend vorn an der Bühne und nebenan in der Tresenecke sich Gespanne bildeten und das Netzwerk sichtbar und hörbar wurde: Flechtarbeit, Namen, Gewichtung, Liste und List, dazu das Gewische auf den Handys und die absurde Vorstellung, jeder sei an derlei interessiert.
Natürlich: Da wird verteilt und angeboten, ausgehandelt und plaziert, und zwar mit Folgen! Aber das könnte auch ganz woanders ablaufen, dazu braucht’s keine Akademie, und es läuft ja vor allem ganz woanders ab, zum Glück. Bloß ist man manchmal schon beeindruckt und ratlos, wenn man mitkriegt, wer fast nur noch das im Kopfe hat.
Die Partei und ihr Vorfeld – mich brachte das zu einer deutlichen Aussage, von der ich noch nicht recht weiß, welche Konsequenz sie fordert. Jedenfalls: Wir haben hier unseren Abschnitt des Vorfelds vor der Partei zu schützen. Wir haben uns vielleicht sogar aus diesem Funktionszusammenhang zu lösen. Man wirkt in diesem Bild so ansteigend – als komme der Gipfel erst dann …
Im Gespräch mit dem Deutschlandkurier klingt es weniger blumig so:
Es geht nicht um Spenden und um Stellenangebote für unsere Leute. Solide Projekte wie unsere sind auf diese naheliegenden Unterstützungen nicht angewiesen. Ich bin eher darauf gespannt, ob die Partei begreift, daß zur grundsätzlichen Opposition auch ein grundsätzlich anderes Verhalten dem Establishment gegenüber gehört. Wenn auf einem Neujahrsempfang im Bundestag die ARD anwesend ist, die Vertreter der freien Medien hingegen nicht, dann sind essentielle Lektionen nicht gelernt worden.
Das notwendige Übel Partei – dieses Hauptwort mitsamt seinem rettenden Attribut: So zog es sich nicht durch jeden Vortrag, aber durch die Diskussionen heftig.
Die Partei und der Verfassungsschutz, die Frage nach dem Gründungsmythos der AfD und die nach der katastrophalen Perspektive einer demographisch ins Fremde gekippten Demokratie, in der ein ausgetauschter Souverän zur Wahl schreitet; Vorträge über die Klassiker der Parteienkritik, einer über die Programmatik aller Vorgänger der so erfolgreichen AfD, von 1948 bis heute, dann die Analyse von Wählerpotentialen, plastisch anhand von Balken und Tortenstücken und steigenden Kurven.
Man lernte dazu. Und so ertragreich und nüchtern wird es weitergehen mit dem, was wir können: oasige Unterweisung.
– – –
Die Vorträge und Inhalte der Winterakademie kann man in knapperer Form nachlesen im 112. Heft der Sezession, das zum Thema “Zehn Jahre AfD” gerade aus der Druckerei kam (hier bestellen, unbedingt). Und man wird alle Vorträge und zwei Podien im Kanal Schnellroda auf youtube finden, nach und nach (hier einsehen und abonnieren).
Fangen wir an mit der Abschlußrunde, dem politischen Podium. Land (Kircher und Tillscheider), Bund (Hartwig) und freie Medien (Bendels), moderiert von Erik Lehnert.
Heinrich Loewe
Oliver Kirchner kannte ich nicht - guter Mann, auch Roland Hartwig, der vielleicht auf einem Ticket in Brandenburg wieder in den Bundestag gehen sollte.
Herr Tillschneider: Die CDU ist nicht fremdgesteuert. Das Problem ist, die vernünftige CDU-Basis ist feige, statt und bequem wie das ganze Land, und hat einfach nicht die stones, ihre woken Kreisvoritzenden, Abgeordneten; die höheren Chargen halt, in die Wüste zu schicken. Die CDU-Basis ist das Hauptproblem; aber, wie gesagt, ein Spiegel der Gesellschaft.