Albert Wass zum 25. Todestag

Die Abonnenten der Sezession fanden im 112. Heft Jörg Seidels Porträt des Autors Albert Wass vor. Er starb heute vor 25 Jahren, am selben Tag wie Jünger.

 Druckausgabe

Beitrag aus der Druckausgabe der Sezession. Abonnieren Sie!

War­um Wass? Die Bedeu­tung die­ses Schrift­stel­lers wird aus Sei­dels Autoren­por­trät ersicht­lich, und es gibt aus die­ser Bedeu­tung her­aus etwas zu ver­mel­den: Den Roman Gebt mir mei­ne Ber­ge zurück, in dem Wass den Ver­lust sei­ner sie­ben­bür­gisch-unga­ri­schen Hei­mat beschreibt, ist Teil einer neu­en Roman-Rei­he, die ab März bei Antai­os erscheint. Jörg Sei­del hat die­sen Roman neu für uns übersetzt.

Lesen Sie hier mehr zu die­sem Buch, außer­dem mehr zur Roman­rei­he, die man abon­nie­ren soll­te. Nun aber Jörg Sei­dels Autoren­por­trät – in gedruck­ter Fas­sung hier in der 112. Sezess­si­on erhält­lich.

– – –

Hei­mat – ein geheim­nis­vol­les Wort, das schwer in ande­re euro­päi­sche Spra­chen zu über­set­zen ist. Das Wort „Hei­mat“ hat immer einen Sinn­über­schuß, den ande­re Spra­chen kaum fas­sen kön­nen. Die meis­ten wei­chen auf einen Bezug zum Haus – dom, casa, mai­son – oder zur Mut­ter- und Vater­schaft, zur Ver­wur­ze­lung aus: fat­her­land, patri­as, родина.

Nur die Ungarn haben ein Äqui­va­lent, einen eben­so bedeu­tungs­schwan­ge­ren Begriff, ein Urwort: hon. Im hon­véd, dem „Hei­mat-Ver­tei­di­ger“, kann man es noch hören. Oder in hon­tal­an­ság, der Hei­mat­lo­sig­keit. Unter die­sem Titel hat­te Albert Wass eines sei­ner pro­gram­ma­ti­schen Gedich­te ver­faßt. Dar­in heißt es:

Ich bin hei­mat­los, weil ich ver­kün­de, daß alle Men­schen Brü­der sind und daß wir ein für alle Mal zuein­an­der fin­den müs­sen, alle, die Gutes tun wol­len. Ich bin hei­mat­los, weil ich an das Gute, das Wah­re und das Schö­ne glau­be. In jeder Reli­gi­on und in jedem Volk und in Gott, der tri­um­phie­ren wird.

Albert Wass? Wer nun zu Wiki­pe­dia greift, geht den fal­schen Weg. Man erfährt dort vor allem, daß Wass ein „unga­ri­scher Schrift­stel­ler und Dich­ter völ­ki­scher Prä­gung“ und ein zum Tode ver­ur­teil­ter Kriegs­ver­bre­cher gewe­sen sei – die Sache ist erle­digt. Hört man sich hin­ge­gen in Ungarn oder gar bei den Ungarn in Erdé­ly (Sie­ben­bür­gen) um, so wird die­ser Name oft mit begeis­ter­ten und glän­zen­den Augen aus­ge­spro­chen. Sei­ne Bücher lie­gen in allen Schau­fens­tern, sei­ne Leser­schaft ist rie­sig und zählt in die Mil­lio­nen, es gibt zahl­rei­che Inter­net-Grup­pen mit jeweils zig­tau­sen­den Mit­glie­dern … Wass gehört zu den ganz Gro­ßen der unga­ri­schen Literatur.

Das war nicht immer so. Vor der Wen­de war er selbst dem hei­mi­schen Publi­kum gänz­lich unbe­kannt, sei­ne Roma­ne, Novel­len, Gedich­te und Mär­chen stan­den auf dem Index, ihre Exis­tenz wur­de von den unga­ri­schen und rumä­ni­schen Kom­mu­nis­ten ver­schwie­gen und bekämpft, mit einer Vehe­menz, die ver­däch­tig ist und neu­gie­rig macht.

Noch immer läßt sich sei­ne Leser­schaft welt­an­schau­lich tei­len: Die offi­zi­el­le Lite­ra­tur­ge­schichts­schrei­bung igno­riert ihn, stellt nicht nur sei­ne Per­son, son­dern auch sein künst­le­ri­sches Schaf­fen ins Zwie­licht; sei­ne wei­te Leser­schar und das poli­ti­sche Ungarn ver­göt­tern ihn hin­ge­gen, Vik­tor Orbán selbst zählt zu sei­nen eif­ri­gen Lesern.

Es ist nicht leicht, objek­ti­ves Wis­sen zu erhal­ten, auch gro­ße Tei­le der noch immer spär­li­chen Sekun­där­li­te­ra­tur sind durch Gesin­nung gefärbt. So viel steht fest: Wass ent­stammt einer uralten unga­ri­schen Adels­fa­mi­lie (Wass de Cze­ge), deren Wur­zeln bis in die Árpá­den­zeit zurück­zu­ver­fol­gen sind und deren Hei­mat immer Erdé­ly war.

Wass wur­de 1908 in einem Schloß gebo­ren, sei­ne gräf­li­chen Eltern leb­ten getrennt, die Mut­ter in Wien ver­wei­ger­te die Erzie­hung, der Vater über­ließ sie dem Groß­va­ter, der zur prä­gen­den Gestalt in Wass‘ Leben und spä­ter Vor­bild für meh­re­re lite­ra­ri­sche Figu­ren wur­de und die grund­le­gen­den Wer­te der Auf­rich­tig­keit, Ehr­lich­keit und Pünkt­lich­keit einpflanzte.

Als 10-jäh­ri­ger erlebt er per­sön­lich die blu­ti­ge Nie­der­schla­gung eines unga­ri­schen Volks­auf­stan­des in Kolozsvár (Klau­sen­burg, heu­te Cluj-Napo­ca) und sieht rumä­ni­sche Offi­zie­re in die Men­ge schie­ßen. Stu­di­en der Wirt­schafts- und Forst­wirt­schaf­ten füh­ren ihn nach Deutsch­land und Frank­reich, neben Unga­risch und Rumä­nisch beherrsch­te er Deutsch, Fran­zö­sisch, Latein. Die gro­ße Lei­den­schaft sei­nes Lebens – vom Groß­va­ter ererbt – war die Jagd. Wass war ein preis­ge­krön­ter Scharf­schüt­ze. Eine qua­si-dynas­ti­sche Ehe führt ihn mit der deutsch­stäm­mi­gen Eva Sie­mers zusam­men; der Ehe ent­sprin­gen sechs Jun­gen, wovon einer im Kin­des­al­ter verstirbt.

Nach frü­hen lyri­schen Ver­su­chen und einer ein­jäh­ri­gen Dienst­zeit im rumä­ni­schen Heer erschien 1934 sein ers­ter Roman: Wolfs­gru­be. Auch wenn es sich um eine kon­ven­tio­nel­le lite­ra­ri­sche Form han­delt und der Roman kom­po­si­to­ri­sche Schwä­chen zeigt, war das jun­ge schrift­stel­le­ri­sche Talent sofort erkenn­bar, sei­ne iro­ni­sche Ader – die auch das Pathos nicht scheut – sicht­bar. Das Buch um einen genia­lisch ver­an­lag­ten Dich­ter, der durch inne­re Antriebs­lo­sig­keit und Trunk­sucht pri­vat und künst­le­risch kläg­lich schei­tert, ist eine har­te Ana­ly­se des Ver­sa­gens des unga­ri­schen Adels in Erdé­ly. Es ent­hält groß­ar­ti­ge Sze­nen, gip­felnd im Tod der Prot­ago­nis­tin, einer alten när­ri­schen Grä­fin, die von ihren Haus­tie­ren, Wöl­fen, zer­fleischt wird.

Der Roman fand viel Auf­merk­sam­keit, wur­de sowohl in Buda­pest als auch in Kolozsvár ver­legt, erhielt einen nam­haf­ten Lite­ra­tur­preis, wur­de von pro­mi­nen­ten Autoren hoch­ge­lobt und war letzt­lich das Entré­e­bil­let in den illus­tren Kreis des „Heli­kon“, einer Ver­ei­ni­gung, in der sich die bedeu­tends­ten sie­ben­bür­gi­schen Künst­ler ver­sam­mel­ten und ein gleich­na­mi­ges Peri­odi­kum her­aus­ga­ben. Das Neue dar­an war die dop­pel­te Adels­per­spek­ti­ve: Wass wag­te es, aus erfah­re­nem Hori­zont die eige­ne Klas­se, deren Stan­dard er hoch­hal­ten woll­te, zu kri­ti­sie­ren und zu ridikülisieren.

Aber nicht nur der Ver­fall und das Ver­sa­gen der Klas­se, son­dern auch der Ver­lust der Hei­mat stand im Mit­tel­punkt: das gro­ße Trau­ma der jün­ge­ren unga­ri­schen Geschich­te, die Ver­lus­te an Land und Men­schen durch das Ver­dikt von Tria­non. Nach dem Kol­laps des Habs­bur­ger­rei­ches im Zuge des ver­lo­re­nen Welt­krie­ges muß­te Ungarn in den Ver­trä­gen von St. Ger­main und Tria­non zwei Drit­tel sei­nes Gebie­tes an die Nach­bar­staa­ten abge­ben, schrumpf­te sei­ne Bevöl­ke­rung von 22 auf 9 Mil­lio­nen Men­schen, wur­den Mil­lio­nen Ungarn über Nacht gezwun­gen, unge­lieb­te Min­der­heit zu sein.

Man wur­de als Kriegs­ver­lie­rer, nicht als Ver­trags­part­ner behan­delt, Pro­tes­te, Vor­be­hal­te und Vor­schlä­ge – etwa eine Volks­be­fra­gung – wur­den igno­riert. Damit wur­de Ungarn de fac­to eine grö­ße­re Last auf­er­legt als Deutsch­land im Ver­trag von Ver­sailles. Beson­ders die fast zwei Mil­lio­nen Szé­k­ler und Ungarn in Erdé­ly hat­ten zu lei­den – sie waren nun vom Mut­ter­land abge­schnit­ten, einem ande­ren Staat zuge­schla­gen und hat­ten die rumä­ni­schen Repres­sio­nen zu ertragen.

Ganz expli­zit han­delt davon Wass‘ zwei­ter Roman Csa­ba, der den Kampf eines jun­gen Man­nes um die Grün­dung einer unga­ri­schen Schu­le in rumä­ni­scher Umge­gend dar­stellt. Wass‘ hohes Ethos kommt hier wun­der­bar zum Vor­schein. Schon der Acht­zehn­jäh­ri­ge hat­te eine kur­ze Para­bel von einem Man­ne geschrie­ben, der aus Sand­kör­nern, nicht aus Mar­mor oder Stein, zu Got­tes Ehren Säu­len baut. Sie wer­den von sei­nem Glau­ben zusam­men­ge­hal­ten. Die Men­schen hal­ten ihn für ver­rückt und als die Säu­len die Win­de und Stür­me über­ste­hen, rei­ßen sie die­se in ihrer Wut und Ohn­macht mit eige­nen Hän­den ein.

Der Mann jedoch klagt nicht, son­dern beginnt den Bau erneut, getra­gen vom uner­schüt­ter­li­chen Glau­ben an Gott und an sei­ne Sache. Ganz ähn­lich bau­te Csa­ba – Prinz Csa­ba, ein Hun­nen­krie­ger, war der mythi­sche Anfüh­rer der Szé­k­ler – die­se Schu­le auf, die das sprach­li­che und kul­tu­rel­le Erbe sei­ner Vor­fah­ren gegen die poli­ti­schen Wider­stän­de ver­tei­di­gen sollte.

Was Wass damals noch nicht ahnen konn­te, war die Tat­sa­che, daß sein Lebens­kampf die­sen bei­den lite­ra­ri­schen Figu­ren ähneln wür­de … Sei­ne Leh­re: Kul­tu­ren wer­den Stein für Stein erbaut, zusam­men­ge­hal­ten von mensch­li­chen Bezie­hun­gen; zuerst im klei­nen Kreis, dann in der Gemein­schaft, getra­gen von Gott; zer­stört wer­den sie vom Haß.

Nach dem Zwei­ten Wie­ner Schieds­spruch (30. 8. 1940) wur­de der nörd­li­che Teil Erdé­lys – in dem die Mehr­zahl der Ungarn leb­te – dem Mut­ter­land zurück­ge­ge­ben. Damit wur­den Staat und Regie­rung zwar Spiel­ball Hit­lers, erlebt wur­de dies frei­lich als beglü­ckend. Die Grenz­füh­rung ging mit­ten durch die Län­de­rei­en der Familie.

Albert Wass ent­wi­ckel­te nun eine regel­rech­te Arbeits­wut. In kur­zer Fol­ge erschei­nen meh­re­re Roma­ne, von denen nur eini­ge hier Erwäh­nung fin­den, das viel­fäl­ti­ge the­ma­ti­sche und sti­lis­ti­sche Spek­trum andeu­tend. Bis die Bäu­me wach­sen ist eine ergrei­fen­de Geschich­te eines Neu­an­fangs nach tota­ler Ver­nich­tung, die melan­cho­lisch endet, näm­lich in der bit­te­ren Ein­sicht, daß der Kampf der Alten von den fort­schritt­li­chen Jun­gen nicht fort­ge­setzt wird, daß die Gene­ra­tio­nen sich mit der Moder­ne immer wei­ter von­ein­an­der entfremden.

Spä­ter wei­tet er die Geschich­te in Im Schat­ten des Schlos­ses zur Fami­li­en­chro­nik aus. In sei­nen per­sön­li­chen Erin­ne­run­gen Sie kom­men! beschreibt Wass die unbän­di­ge Freu­de über die Rück­kehr zum Hei­mat­land, aber auch die Grau­sam­kei­ten, die in jenen zwei Wochen auf bei­den Sei­ten statt­fan­den, als Men­schen- und Mili­tär­mas­sen in lan­gen Zügen die Sei­ten wechselten.

Der geheim­nis­vol­le Reh­bock wie­der­um stellt eine per­sön­lich gefärb­te Novel­len­samm­lung dar, in der unter ande­rem das Lied der mys­ti­schen Schön­heit der sie­ben­bür­gi­schen Natur gesun­gen wird. Natur ist bei Wass immer mehr als man sieht, etwas Unbe­greif­li­ches; er ist ein sen­su­el­ler Autor, der alle Sin­ne anspricht.

Die poli­ti­sche Kon­zes­si­on des Wie­ner Schieds­spru­ches war, wie erwähnt, die enge­re Bin­dung Ungarns an Hit­ler­deutsch­land. Hor­thys und Tele­kis außen­po­li­ti­scher Ver­such, zwi­schen Deutsch­land und den Alli­ier­ten zu lavie­ren, muß­te nun schei­tern – Ungarn wur­de ins Kriegs­ge­sche­hen ver­wi­ckelt. Auch Wass dient seit 1942 im Heer, anfangs an der öst­li­chen Front in der Ukrai­ne, was ihm zwei Mal das Eiser­ne Kreuz ein­bringt, spä­ter als Adju­tant des eigen­sin­ni­gen Gene­rals Lajos Veress.

Zum Kriegs­en­de erlebt er die Beset­zung sei­nes Hei­mat­lan­des durch die Rus­sen und muß schmerz­haft den lan­gen Rück­zug mit­er­le­ben. Nach der Nie­der­la­ge ent­schei­det er sich für die Emi­gra­ti­on, ein letz­ter Flücht­lings­zug und der Zufall füh­ren ihn und sei­ne Fami­lie nach Blai­bach im Baye­ri­schen Wald, wo er vier Jah­re bei einer Bau­ern­fa­mi­lie arbei­ten wird. Hier, in Deutsch­land ent­ste­hen sei­ne bei­den bedeu­tends­ten und erfolg­reichs­ten Roma­ne: Gebt mir mei­ne Ber­ge zurück und Die Hexe von Fun­ti­nel.

Mit die­sen Wer­ken fin­det Wass einen voll­kom­men neu­en und ein­zig­ar­ti­gen Ton – sie ste­hen ein­sam inner­halb sei­nes Oeu­vres, das am Ende über vier­zig Roma­ne und mehr als sech­zig Bän­de umfas­sen wird und noch immer nicht voll­stän­dig erschlos­sen ist, ja, sie ste­hen auch ein­sam in der unga­ri­schen und sogar der euro­päi­schen Literatur.

Von bei­den Wer­ken gab es deut­sche Über­set­zun­gen: die eine, in klei­ner Auf­la­ge in der Schweiz erschie­nen, ist wir­kungs­los geblie­ben und kom­plett vom Markt ver­schwun­den, die ande­re in einer sehr frei­en und stark gekürz­ten Über­set­zung, der es nicht gelingt, die See­le die­ser geheim­nis­vol­len Pro­sa einzufangen.

Woll­te man an ein lite­ra­ri­sches Vor­bild erin­nern, so müß­te der Name Knut Ham­sun fal­len. Man darf die­se Bücher als Weis­heits­li­te­ra­tur bezeich­nen. Mit rät­sel­haft kar­gen sprach­li­chen Mit­teln gelingt es Wass, eine Atmo­sphä­re zu schaf­fen, die den Leser unmit­tel­bar ergreift, und Situa­tio­nen her­bei­zu­füh­ren, deren Lehr­ge­halt etwas Meta­phy­si­sches und Tran­szen­den­tes hat.

Wass ent­wirft in vie­len sei­ner Geschich­ten – als ein Stil­mit­tel – star­ke sinn­tra­gen­de und als Leit­fa­den genutz­te Bil­der. Immer wie­der beschäf­tigt ihn die Fra­ge nach der Exis­tenz Got­tes – in sei­nem gro­ßen euro­päi­schen Roman Die Spur ver­liert sich, einem lite­ra­ri­schen Got­tes­be­weis, wird sie expli­zit behan­delt und beant­wor­tet. In fast allen Roma­nen geht er der Fra­ge nach der Unab­seh­bar­keit der Fol­gen mensch­li­chen Han­delns nach. Die Bedeu­tung von Ord­nung, Haus und Hei­mat, die Schön­heit und Ein­fü­gung in die Natur, die Wäl­der, die Ber­ge, das Wild, der Wech­sel der Jah­res­zei­ten sind wie­der­keh­ren­de Motive.

Ein natür­lich und tra­di­tio­nell gere­gel­tes Leben, das durch die Befrei­ung des Wie­ner Schieds­spru­ches nach jenen „zwan­zig Jah­ren freud­lo­ser Trau­er“ auch volk­lich glü­cken kann, wird durch den gewalt­sa­men Ein­bruch der kon­kret his­to­ri­schen Ereig­nis­se – etwa die Erobe­rung durch die Rus­sen – oder der des „Fort­schritts“ und der Tech­nik in einen Alp­traum ver­wan­delt, eine schein­bar end­lo­se Lei­dens­ge­schich­te, in der nicht nur das „Was ist der Mensch dem Men­schen“ abge­han­delt wird (das wäre noch der Ham­sun­sche Raum), son­dern es wird auch das Anthro­po­lo­gi­sche in den his­to­ri­schen Hori­zont und damit die Fra­ge nach dem mensch­li­chen Wesen und Ver­hal­ten unter ver­schie­dens­ten poli­ti­schen Sys­te­men gestellt.

Am Ende gibt es kei­ne Fügung, die han­deln­den Per­so­nen müs­sen die Ver­ti­kal­span­nung in sich sel­ber auf­bau­en, um wei­ter­le­ben zu kön­nen. Das Leben ist als ein je Indi­vi­du­el­les in den Zeit­strom gewor­fen. Es kann nur glü­cken, wenn der inne­re Wer­te­ka­non sta­bil bleibt, denn das Wesent­li­che bleibt unver­än­dert, mögen sich die äuße­ren Bedin­gun­gen auch wan­deln. Auf­rich­tig­keit und Wahr­haf­tig­keit dürf­ten die Zen­tral­ka­te­go­rien die­ses Lebens und Wer­kes sein. Wass gelingt es fast mira­ku­lös, selbst ein­fachs­te Sät­ze und Dia­lo­ge zu spür­ba­ren Lebens­er­fah­run­gen zu machen.

Die­se bei­den Bücher allein rei­hen ihn in die ers­te Rei­he der Welt­li­te­ra­tur ein. Einem Brief kön­nen wir ent­neh­men, daß er 1949 davon aus­ging, für den Lite­ra­tur­no­bel­preis nomi­niert wor­den zu sein.

Schließ­lich emi­grier­te Wass 1952 mit vier sei­ner fünf Söh­ne in die USA, der jüngs­te blieb mit der Mut­ter in Ham­burg und wur­de Deut­scher. In Ame­ri­ka erfährt Wass von sei­ner Ver­ur­tei­lung zum Kriegs­ver­bre­cher durch die rumä­ni­schen Behör­den. Die­se Tat­sa­che wur­de immer wie­der gegen Wass und sein Werk ange­führt. His­to­ri­sche Unter­su­chun­gen wei­sen hin­ge­gen dar­auf hin, daß es sich um einen poli­tisch moti­vier­ten Schau­pro­zeß handelte.

Auch ame­ri­ka­ni­sche Behör­den wider­leg­ten spä­ter die Vor­wür­fe. Ins­be­son­de­re das kom­mu­nis­ti­sche Rumä­ni­en hat­te ein vita­les Inter­es­se, einen Autor, der die magya­ri­sche Iden­ti­tät der unga­ri­schen Min­der­heit stärk­te, zu ver­teu­feln. Mehr­fach wur­de von Secu­ri­ta­te-Agen­ten ver­sucht, den Autor in sei­nem neu­en Domi­zil zu töten.

Dort, in Flo­ri­da, ver­brach­te er den zwei­ten Teil sei­nes Lebens, mehr als 45 Jah­re, euro­päi­schen Boden betrat er nicht mehr. Sei­ne Bücher zei­gen nun auch oft einen anti­kom­mu­nis­ti­schen Affekt, etwa sei­ne bei­den Schel­men­ro­ma­ne, in denen ein schlau­er Szé­k­ler die Apo­rien kom­mu­nis­ti­scher Nomen­kla­tu­ra ausnutzt.

Im Hei­mat­land wur­de Wass ver­ges­sen, der umtrie­bi­gen Arbeit, sein Werk und sei­ne Ideen in den USA bekannt­zu­ma­chen, war nur wenig Erfolg beschie­den. Uner­müd­lich schrieb er auf Unga­risch und Eng­lisch wei­ter, zahl­rei­che Bücher und unzäh­li­ge Arti­kel. Mit dem drei­bän­di­gen Schwert und Sen­se, einer die Jahr­hun­der­te über­span­nen­den Fami­li­en­chro­nik und der Bericht eines Bevöl­ke­rungs­aus­tau­sches, gelang ihm noch ein­mal ein gro­ßer Wurf. Die Samm­lung sei­ner auto­bio­gra­phi­schen Schrif­ten beweist die enge Ver­knüp­fung von kon­kre­ter Lebens­er­fah­rung und lite­ra­ri­schem Geschehen.

Die unga­ri­sche Öffent­lich­keit erfuhr davon erst nach dem gesell­schaft­li­chen Wan­del und nach sei­nem Tode 1998. Am 17. Febru­ar been­de­te Wass sein stets selbst­be­stimm­tes Leben durch den Freitod.

In sei­nem Hei­mat­land wur­den sei­ne Wer­ke neu ent­deckt und erlang­ten plötz­lich hohe Auf­la­gen. Sei­ne bei­den wich­tigs­ten Roma­ne gehö­ren nun zum natio­na­len Kanon und wur­den unter die belieb­tes­ten unga­ri­schen Roma­ne aller Zei­ten gewählt. Es ist an der Zeit, Wass als Autor und Mensch auch in Deutsch­land wie­der zu entdecken.

– – –

Gebt mir mei­ne Ber­ge zurück – 248 Sei­ten, gebun­den mit Schutz­um­schlag – hier bestel­len.

Und die gesam­te, auf fünf Bän­de ange­leg­te, neue Roman­rei­he bei Antai­os – hier ein­se­hen und bestellen.

 Druckausgabe

Beitrag aus der Druckausgabe der Sezession. Abonnieren Sie!

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (8)

Franz Bettinger

18. Februar 2023 07:47

Weil Albert Wass diesen Dingen nachspürte, hier ein paar anthropologische Konstanten: Glaube (an Höheres & Tieferes), Angst, Philosophie, Spielen, Bauen, Wohnen, Ackerbau, Viehzucht, Medizin (= Heil-Versuche), Schule (Lern-Methodik), Tier und Mensch als Freund, Tier und Mensch als Untertan (Sklaverei), …  

dojon86

18. Februar 2023 17:43

@Franz Bettinger Albert Wass war ein Aristokrat mit großem Besitz in Siebenbürgen. Er spürte Dingen nach, die anthropologische Konstanten waren und sind und die eigentlich für eine artgerechte Menschenhaltung Vorraussetzung wären. Für ihn waren diese Dinge unmittelbar erfahrbar. Für den in den  gemieteten Legebatterien unserer Großstädte aufgewachsenen Menschen ist das fast so fremd wie die Lebensformen australischer Aborigines. Er wird vieles nicht verstehen und manches verkitschen.

Laurenz

18. Februar 2023 21:38

@Redaktion
Der Name Albert Wass, mir bisher unbekannt, klingt deutsch & klingt jetzt nicht wirklich nach was magyar-ungarischem, wie zB die Familie Eszterházy. Die Ungarn haben sich aus ca. 12 unterschiedlichen Volksgruppen gut zusammengerauft, wobei die Magyaren ca. 25% stellten. Die Deutschen waren/sind eine dieser 12 Volksgruppen. Wissen Sie bei Wass dazu näheres?
@Dojon86
Für den in den  gemieteten Legebatterien unserer Großstädte aufgewachsenen Menschen ist das fast so fremd wie die Lebensformen australischer Aborigines.
Da haben Sie ja mal wieder einen rausgehauen. Laut den Relotius-Umfragen über die eigene Agentur Civey, würde die Mehrheit der Deutschen Stadtbewohner lieber im ländlichen Raum leben.

Volksdeutscher

18. Februar 2023 22:23

"Von beiden Werken gab es deutsche Übersetzungen: die eine, in kleiner Auflage in der Schweiz erschienen, ist wirkungslos geblieben und komplett vom Markt verschwunden, die andere in einer sehr freien und stark gekürzten Übersetzung, der es nicht gelingt, die Seele dieser geheimnisvollen Prosa einzufangen."
Ich könnte mir vorstellen, beide Bücher zu übersetzen, bräuchte dazu jedoch etwas mehr Zeit als ein Übersetzer, der sich nur mit Übersetzungen beschäftigt. Über das Honorar könnte man sicher einen für beide Seiten akzeptablen Weg finden. Bei Interesse melde man sich bitte hier im Kommentarbereich (da das mit SiN verknüpfte Konto nicht mehr existiert). Der volle Name des Schriftstellers mitsamt den Adelstiteln lautet: vitéz gróf szentegyedi és czegei Wass Albert.

Franz Bettinger

18. Februar 2023 22:37

Auch die Ungleichheit ist eine Natur-Konstante (und nicht nur eine anthropologische). Wobei die Wert-Beimessung von Ungleichem notwendiger Weise subjektiv bleiben muss. Eine Nessel hat andere Prioritäten als ein Jasmin-Strauch, eine Stechmücke einen anderen Lebenssinn als ein Schäferhund. Dem Menschen sind zu allen Zeiten die Gesunden, Schönen und Starken und Klugen lieber gewesen als ihr Gegenteil.

Volksdeutscher

19. Februar 2023 10:53

@Laurenz - "Die Ungarn haben sich aus ca. 12 unterschiedlichen Volksgruppen gut zusammengerauft, wobei die Magyaren ca. 25% stellten."
Was wollen Sie damit behaupten?

nom de guerre

19. Februar 2023 11:46

„Der volle Name des Schriftstellers mitsamt den Adelstiteln lautet: vitéz gróf szentegyedi és czegei Wass Albert.“
Wieso steht der Vorname am Schluss? Hat das etwas mit dem Adelstitel zu tun oder ist das bei allen ungarischen Namen so?

Volksdeutscher

19. Februar 2023 14:42

@der gehenkte - Was macht Sie so nervös, daß ich mit der Übersetzung der Werke von Wass eine freundliche Empfehlung an SiN mache? Ist es Ihres Amtes, das anzunehmen oder abzulehnen? Oder müßten Sie sich etwa die Arbeit mit der Übersetzung machen? Ich danke Ihnen trotzdem für die Übersetzung des Autors Namen, ich kann meine Verblüffung kaum unter Kontrolle halten, möchte mich deshalb im Gegenzug revanchieren und Ihnen etwas zum Lesen empfehlen, damit Sie Ihre Ungarischkenntnisse vertiefen können:
http://www.vitezirend.co.hu/CV%20&%20Award/vWass%20Albert.htm

Für diesen Beitrag ist die Diskussion geschlossen.