Das ist die einzige Querfront-Konstante der letzten Jahre.
Ändert sich das nun schlagartig, durch eine Demonstration am 25. Februar in Berlin? Immerhin fürchtet das Gesicht des Mainstream-Linksliberalismus Sascha Lobo beim Spiegel (22.2.2023), die »deutsche Querfront« der »Friedensschwurbler«, bestehend aus »Schwarzer, Wagenknecht und Co.«„
verlangt von der Ukraine, sich mit ihren Mördern und Vergewaltigern zu arrangieren.
Ist das so? Dazu gleich mehr.
Zunächst gilt es in Erinnerung zu rufen, was eine »deutsche Querfront« (Lobo) überhaupt ist, denn das ist im Handgemenge der publizistischen Fehden und Anwürfe irgendwie selten Gegenstand der Betrachtung.
Was die Querfront war, und zwar die realexistierende, wird in der 111. Sezession, erläutert. Man muß sie suchen
in den Trümmern der Weimarer Republik, als Gewerkschaften, Militärs und der antikapitalistische Flügel der NSDAP Ende 1932 versuchten, eine Kanzlerschaft Adolf Hitlers und dessen Zusammengehen mit der feudalen und großindustriellen „Reaktion“ durch ein quer zu den Fronten liegendes Bündnis zu stoppen. Bekanntgeworden als die historische Querfrontkonzeption ist demzufolge besagter Versuchsballon vor exakt 90 Jahren.
Wenn heute Lebende dies als reine Taktiererei innerhalb radikalrechter Kreise interpretieren, unterschätzen sie die Sprengkraft dieser avisierten Querfront, deren Versuch der bundesdeutsche Historiker Axel Schildt in einem Essay über „Militärische Ratio und Integration der Gewerkschaften“ (1986) als „eines der spektakulärsten Kapitel dieser von allerlei Geheimdiplomatie gesättigten Zeit“ bezeichnet hat.
Wer sich für dieses historische Kapitel der Ur-Querfront interessiert, wird in besagter Ausgabe der Sezession oder, weiterführend, im kaplaken-Band Querfront fündig.
Das war also die Querfront, aber was ist sie heute? Heute ist sie eine Schimäre, ein diffamierender Kampfbegriff der einen und eine hoffnungsvolle Sehnsucht der anderen.
Öfters natürlich ersteres: Denn wenn heute die Nachdenkseiten um Albrecht Müller, Compact um Jürgen Elsässer, Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht, der Demokratische Widerstand um den undogmatisch linken Schnellroda-Gast Anselm Lenz oder gar die »Neue Rechte« als Ganzes unisono für »Querfront« erklärt werden, veranschaulicht das die Problematik. Wenn alle diese Akteure Querfronter sind, bleibt der Begriff inhaltsleer.
Er verkommt zur Waffe des linksliberalen Mainstreams, um sich mit den Inhalten der Geschmähten nicht auseinandersetzen zu müssen. Mit Querfrontern spricht man nicht; man ächtet sie im Rahmen des entgrenzten Kampfes gegen rechts, indem man sie in den nebulösen Komplex »Rechtsextremismus« eingemeindet.
Ebendies praktiziert Sascha Lobo stellvertretend für den politmedialen Komplex, ebendies können wir angesichts der Demonstration und der Friedenspetition von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht beobachten.
Insbesondere das Leitorgan der grünen Milieus in der Bundesrepublik, die taz, arbeitet sich an der neuen Konstellation ab. Das ist wenig überraschend: Einstmals waren diese Milieus die Träger der wirkmächtigen Friedensbewegung der alten Bundesrepublik. Mit der rot-grünen Koalition ab 1998 transformierte sich die Szene sukzessive; seit dem völkerrechtswidrigen Krieg gegen Rest-Jugoslawien war es aus mit der Friedensmacht der grünalternativen Szenen.
Mittlerweile ist man längst Speerspitze eines moralpolitischen, menschenrechtsuniversalistischen Transatlantismus, der sich in seinen Folgen nur in Nuancen vom klassischen, interessengeleiteten Transatlantismus von CDU und Co. unterscheidet.
Die taz berichtet also konstant zur Querfrontgefahr der Friedensbewegten. Hervorzuheben ist zunächst der Beitrag »Zwei wie Pech und Schwefel« (v. 10.2.2023), in dem in das Thema Friedensdemo in Berlin eingeführt wird:
Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer haben zusammen eine Petition mit dem Titel „Manifest für Frieden“ gestartet und für den 25. Februar – auf den Tag fast genau ein Jahr nach Russlands Angriff auf die Ukraine – zu einer Demonstration am Brandenburger Tor aufgerufen. (…)
Unerwartet ist diese Allianz zwischen Links-Solistin Wagenknecht und Alt-Aktivistin Schwarzer schon. Doch auf den zweiten Blick ergibt sie Sinn. Beide gehörten in den letzten Monaten zu den prominentesten Stimmen in der deutschen Öffentlichkeit, die sich gegen Waffenlieferungen und für Verhandlungen mit Putin positioniert haben.
Damit waren sie lange Zeit im Establishment allein auf weiter Flur. Das änderte sich indes durch die Petition, wie wiederum die taz (v. 16.2.2023) zu berichten weiß. Das Feld der Unterzeichner reicht
von Satiriker und Politiker Martin Sonneborn über Theologin Margot Käßmann bis hin zum Ex-Vizepräsidenten der EU-Kommission Günter Verheugen.
Käßmann hat sich wieder streichen lassen, ähnlich taten es der Hallenser Politikwissenschaftler Johannes Varwick und einige mehr. Der Druck wurde zu groß. Woran lag’s? Man ahnt es:
Schon kurz nach Veröffentlichung des Aufrufs gesellten sich jedoch auch AfD-Chef Tino Chrupalla und Jürgen Elsässer, Chefredakteur des rechtsextremen Magazins Compact,
zu den Unterzeichnern.
Damit erlebte die Debatte ein weitere Verschärfung des Umgangstons: Nun fielen alle Hemmungen gegen die Altfeministin und die Linkspopulistin. Insbesondere Wagenknecht leistete dabei aber auch ihren eminenten Eigenanteil, wie die taz zusammenfaßt:
Auf die Frage, was sie machen, wenn Rechtsextremisten auf der Demo auftauchen und Fahnen schwenken, antwortete Wagenknecht: „Auf unserer Kundgebung ist jeder willkommen, der ehrlichen Herzens für Frieden und für Verhandlungen demonstrieren möchte.“
Noch deutlicher äußerte sich Wagenknechts Ehemann Oskar Lafontaine, dessen aktueller Bestseller den aussagekräftigen Titel Ami, it’s time to go home trägt:
Bereits am Mittwoch war ein Video auf Twitter aufgetaucht, in dem Wagenknechts Ehemann und Ex-Linken-Vorsitzender Oskar Lafontaine, ebenfalls Erstunterzeichner, in einem Interview sagte: „Da gibt es keine Gesinnungsprüfung, da wird auch niemand gefragt: ‚Welches Parteibuch hast du?‘ oder ‚Wen hast du gewählt?’“
Das verärgert die hegemoniale »Linke« und macht die politische »Rechte« eher neugierig. Dementsprechend ist der folgende taz-Aufmacher (v. 22.2.2023) durchaus folgerichtig überschrieben:
Rechte suchen Nähe zu Wagenknecht: Sehnsucht nach der Querfront
Wer diese Sehnsucht Monat für Monat in sein Magazin preßt, ist klar: Jürgen Elsässer. Er erklärte, so beobachtet es die taz, die Spannbreite der Friedensdemo in Berlin am 25.2. müsse von Björn Höcke bis Sahra Wagenknecht reichen:
Und Elsässer ist nicht allein. Auch die AfD-Spitze um Tino Chrupalla unterstützt den Aufruf von Wagenknecht und Schwarzer, der sich gegen Waffenlieferungen in die Ukraine stellt und „Kompromisse auf beiden Seiten“ fordert, um den russischen Angriffskrieg zu beenden. „Im Einsatz für den Frieden sollten Parteigrenzen keine Barrieren sein“, twitterte Chrupalla.
Aber nicht nur Compact und die AfD-Spitze,
Identitären-Anführer Martin Sellner frohlockt ebenso über die „Möglichkeit einer Antikriegsallianz von rechts und links“, die Entwicklung sei „sehr interessant“.
Interessant war es auch, was sich in München vor wenigen Tagen darbot. Mehr als 10.000 Menschen versammelten sich zu einer Friedenskundgebung. Sie kamen aus der alten Linken, der Querdenkerszene, der »Neuen Rechten« (oder dem, was man dafür hält) und klassischen Friedensgruppen. Compact dazu: »Die Querfront siegt«.
Derartige Triumphalismen erhalten Aufwind durch Beteiligung von Linksakteuren wie Dieter Dehm, der nicht nur vor den Tausenden Bürgern sang, sondern, wie die taz wiedergibt, sogar
erklärte, er habe schon in den Neunzigern vor Deutschlandfahnen gesungen.
Anders als Wagenknecht, Dehm und viele andere »Linkspopulare« unterstützt die Parteiführung der Linken den Aufruf zur Demo nicht. Es fehle klare Kante gegen rechts; man hat wohl Angst vor schlechten Bildern, wenn Wagenknecht und Chrupalla am selben Ort denselben Journalisten dieselben Standpunkte diktieren.
Aber ist das schon eine Querfront? Der Berliner »Protestforscher« Simon Teune sieht die Chancen gegeben.
Dass Wagenknecht und Schwarzer eine klare Abgrenzung explizit aufgegeben haben, ist ein Novum,
so Teune.
Es sei offen, ob eine größere Querfront-Bewegung entstehe; die Möglichkeit bestehe aber. Teune fürchtet, daß die aktuellen Entwicklungen Rechte stärke und diese »ihre Wirkung in breitere Kreise nochmal vergrößern«.
Dieser Meinung schließe ich mich an: Die gesamte Skandalisierung der Schwarzer-und-Wagenknecht-Demo, ihrer Petition (fast 600.000 Unterzeichner) und ihres Anliegens (wohlgemerkt: Der Aufruf ist völlig harmlos) wird nur der politischen »Rechten« dienlich sein.
Weshalb? Nun: Mit dem Übergang weiter Teile der Linkspartei zum Mainstream-Standpunkt in der Ukrainekrise hat die AfD um ihren hier strategisch geschickt vorgehenden Parteichef Tino Chrupalla die Marke »Friedenspartei« bzw. »Friedenskraft« parteipolitisch monopolisiert; Alexander Gaulands »Friedensplan« hat dies auch parlamentarisch unterstrichen. Eigentlich positiv gelabelte Begriffe wie »Frieden«, »Diplomatie« und »Verständigung« werden nun mit der AfD verbunden werden, mit der man ansonsten häufig nur Negativbegriffe assoziiert.
Jeder, der im parlamentspolitischen Terrain für eine verbale Abrüstung, ein Ende der Waffenlieferungen und eine größere Rolle deutscher Diplomatiebemühungen eintritt, wird ja seit geraumer Zeit nicht nur als »Putinist« und »Friedensschwurbler«, sondern eben auch als AfD-nah aus dem Diskurs der Herrschenden exkludiert.
Ich diskutiere an dieser Stelle die inhaltliche Frage nach der friedenspolitischen Positionierung der AfD und Teilen ihres Vorfeldes durchaus nicht. Es reicht festzustellen, daß objektiv das »Framing« abgeschlossen ist: Für mehr Verhandlungen und beiderseitige Gesprächsbereitschaft zwischen Kiew und Moskau plädiert in der BRD nur die AfD. Das wird ihr unter den »Friedensbewegten« neue Sympathien bringen bzw. hat sie bereits erbracht. Umfragedellen sind nicht zu beobachten.
Gewiß: Ein Gros der Berichterstattung fokussiert sich auf Wagenknecht. Aber solange sie weiterhin Teil einer Partei ist, die auf Kriegsfuß mit ihren Inhalten steht, verpufft der Anziehungseffekt völlig. Im Gegenteil: Linke aller Couleur blicken nicht mehr durch, was ihre Partei möchte und wohin sie möchte – da hat eine möglichst geschlossen agierende AfD einen natürlichen Vorteil in der kommenden Wählermobilisierung.
Abschließend: Kommt es jetzt zur Querfront? Wir erinnern uns:
Querfront kann einerseits als Versuch definiert werden, eine Links-rechts-Kooperation in einer bestimmten Lage zu einem bestimmten Zweck gegen einen bestimmten Gegner oder für ein bestimmtes Nahziel zu formieren.
Querfront kann andererseits als ein Verschmelzen von linken und rechten Parteien bzw. Bewegungen bzw. Personenkreisen verstanden werden; ein Verschmelzen als Synthese, das in etwas Neuem mündet.
Akzeptiert man Definition eins, so ist eine entsprechende Querfront ohne jedwede theoretische Unterfütterung praktisch bereits real. Die Ukraine-Russland-Krise zeigt das auf; die Demonstration am 25. Februar wird es unterstreichen; die Katze ist aus dem Sack: Lafontaine und Wagenknecht haben sie nicht in ihn zurückgeprügelt, was Bände spricht (– aber zugleich natürlich keineswegs bedeutet, daß Wagenknecht »eine von uns« ist).
Definition zwei ist hier zu verwerfen. Ein solches Zusammengehen wird es nicht geben; eine Liste Wagenknecht–Lafontaine–Höcke–Chrupalla oder vergleichbares bleibt gänzlich irreal. Aber das darf es auch bleiben: Die perpetuierte Selbstbeschäftigung und Selbstzerstörung der Linkspartei bei gleichzeitiger Monopolisierung der Friedens- und Diplomatiefrage durch die AfD ist mit andauerndem Krieg im Osten Europas ein parteipolitischer Selbstläufer.
Sich über diese Tendenzwende zugunsten der Alternative zu »freuen«, verbietet der Anstand angesichts Zehntausender Toter und Verwundeter auf ukrainischer wie russischer Seite. Sich diese Tendenzwende aber politisch bewußt zu machen, bleibt für eine realistische Lageanalyse erforderlich.
Laurenz
Historisch könnte man die gescheiterte Revolution von 1848 als Querfront bezeichen, den Bauernkrieg wiederum nicht, dann vielleicht noch den Großen Ritterkrieg 2 Jahre zuvor. Zu Sahra Wagenknecht darf man festhalten, daß Sie zu Beginn mit der Unterschrift Timo Chrupallas unter die Petition diesen ausladen wollte. Auf der SiN, wie auch sonst auf Alternativen Medien hagelte es aber fette Kritik, die Wagenknecht vorwarf, doch mehr Wert auf die eigene politische Profilierung als auf die Sache des Friedens zu legen. Das haben der kluge Oskar, wie auch Dieter Dehm wohl sofort verstanden & gegengesteuert. Solch kleine Taktik-Fehler, wie der von Wagenknecht passieren ganz schnell. Hatten sich die Tage doch die konservativ alternativen Medien, wie der Deutschlandkurier, über die Mietkündigungen zugunsten von Flüchtlingen in Lörrach echauffiert, so kam von den Lesern schnell die Keule per Retourkutsche. Den grün wählenden Lörrachern gönnt der konservative Leser noch mehr Mietkündigungen.