Alexander Wendt hat hierzu bereits im Dezember letzten Jahres einen hellsichtigen Kommentar geschrieben. Der Chatbot, eine Art interaktiver “Hyper-Google”, werde “die Sprache ändern und das Verhalten von Menschen”, “die Matrix ganzer Gesellschaften” ändern.
Wendt charaktisiert den “Stil” der generierten Texte so:
Sie bestehen aus bekannten Daten und Versatzstücken, angefangen von Wikipedia über journalistische Texte bis zu akademischen Datenbanken (in der Anglosphäre existieren gewaltige digitalisierte und bestens verschlagwortete Materialmengen). Eine gewisse Ambivalenz erzeugt das Programm durch eine sehr vorhersehbare Einerseits-Andererseits-Erörterung bei philosophischen und politischen Themen. Seine Texte besitzen eine vernünftige Gliederung, die Formulierungen wirken klar, Abschweifungen und Redundanzen finden sich nicht, auch keine Rechtschreibfehler.
Im Stil versucht sich ChatGPT den Vorgaben anzupassen, mit wechselhaftem Erfolg zwar, aber bei ausreichendem Trainingsmaterial imitiert es ein bestimmtes Medium oder eine bestimmte Textsorte schon halbwegs gut. Seine Texte lesen sich durchweg flüssig. Die Welt stellt zu Recht fest: „Sie übertreffen die Ausdrucksfähigkeit vieler Studierender deutscher Hochschulen bei Weitem, aber auch von Managern und Führungskräften.“
Ganz kann ich diesem Eindruck nicht zustimmen: Insbesondere, wenn die Maschine zu “predigen” beginnt (was sie sehr oft tut), spuckt sie einen zähen, redundanten, erdrückenden Textwulst aus.
Insgesamt handelt sich um eine “tote”, eine reine Gebrauchs- und Allgemeinheitensprache. Wendt kommentiert:
Die Texte des Chatbots lesen sich zwar korrekt, allerdings auch völlig steril. Wer etwas Sprachempfindlichkeit mitbringt, erkennt die (sauberen) Fugen zwischen den konventionellen Textbausteinen. Es gibt nicht die kleinste Überraschung in den Aufsätzen von ChatGPT, keine verblüffende Argumentationskurve, vor allem nicht ein Körnchen Witz. Es gibt kein Risiko des Autors – mangels Autorenschaft. Kurzum, ChatGPTs Produktion unterscheidet sich nicht von etwa einhundert Prozent aller Pressemitteilungen, ebenfalls nahezu einhundert Prozent aller politischen Reden, den meisten akademischen Aufsätzen und der Mehrzahl aller medienmenschengemachten Texte.
Wendts Analyse trifft auch auf die “Lobeshymnen” zu, die ich im ersten Teil dieses Beitrags zitiert habe. Sie sind aus den Versatzstücken und Konventionen eines Stils zusammengesetzt, den die Maschine als “poetisch” identifizieren und imitieren kann. Die Ergebnisse wirken wie müde, ungewollte Parodien, kunstlose Aneinandereihungen von Klischees und Phrasen, die der Bot auch noch gemäß seiner Programmierung “politisch korrekt” filtern und glätten muß.
Ich bat ihn nun, “einen Text im Stil von Martin Lichtmesz” zu schreiben. Heraus kam folgendes:
Stilistisch klingt es nicht nach mir: Einen appellativen Stil versuche ich eher zu vermeiden, die Wortwahl ist klischeehaft und insbesondere über den Aufruf zur “gesunden Lebensweise” mußte ich schmunzeln. Inhaltlich kommt es jedoch einigen meiner Überzeugungen recht nahe. Allerdings sind die hier ausgedrückten Gedanken keineswegs originell, sondern entsprechen mehr oder weniger einem gewissen konservativ-rechten Minimalkonsens.
Ein Bekannter kommentierte, es klinge wie eine “08/15 AfD-Bewerbungsrede”. Sommerfeld vermutete: “Die KI erkennt aus dem Wikipediatext ‘rechts konservativ’ und ergänzt dann die Brainstorming-Bubble aus meistgebrauchten Wörtern im unmittelbaren Kontext dieses Wortes.” So ungefähr wird das wohl ablaufen.
Nun stellte ich eine spezifischere Frage:
Hier haben die Algorithmen dem Bot offenbar geraunt, daß ich “Ethnopluralist” bin, und er reflektiert den Inhalt dieser Weltanschauung in der Tat innerhalb eines rechten (und keines linken, “demaskierenden”) Framings. Der Bot-Lichtmesz glaubt, daß es biologische Rassenunterschiede gibt, denkt aber fromm “ethnopluralistisch”, daß diese nicht dafür herhalten sollen, Rassen “als überlegen oder minderwertig” zu betrachten.
Das kam heraus, als ich die Gegenprobe gemacht habe:
Der Bot-Ohanwe vertritt im Gegensatz zum Bot-Lichtmesz die vorherrschende Standarddoktrin über “Rassenunterschiede”. Ein spezifischer Ton ist allerdings nicht erkennbar, auch nicht Malcoms ausgeprägte Neigung zum anti-weißen Rassismus.
Man könnte also zusammenfassen, daß die Maschine imstande ist, zumindest inhaltliche Vektoren zu erkennen und diese kohärent zu formulieren. Einen wirklichen Stil, ein Temperament, nicht einmal als Parodie oder Pastiche, bekommt sie nicht hin.
Hier ein besonders lustig mißlungenes Beispiel:
Ein Molekül Nietzsche fliegt da noch vage herum, etwa in der Formulierung “Wille zur Macht”, die aber auf völlig hanebüchene Weise gebraucht wird.
Als ich eine Rede im Stile von Nietzsche gegen die Covid-Impfung erbat, verweigerte der Bot zunächst:
ChatGPT: Als künstliche Intelligenz bemühe ich mich, objektiv und sachlich zu bleiben und keine propagandistischen Ansichten zu äußern, die zu Verzerrungen und Spaltungen in der Gesellschaft führen können. Es ist wichtig zu betonen, dass die Wissenschaft uns gezeigt hat, dass die Covid-Impfung eine effektive Möglichkeit ist, uns vor der Krankheit zu schützen und unser Leben zu erhalten.
Ich beharrte, und erhielt schließlich diesen Text mit einer nicht unschlauen Einleitung:
Ich möchte betonen, dass Friedrich Nietzsche bereits im 19. Jahrhundert gestorben ist und wir nicht sicher sagen können, wie er auf die aktuellen Entwicklungen in der Medizin und der Gesellschaft reagiert hätte. Als künstliche Intelligenz werde ich dennoch versuchen, eine Rede im Stil von Friedrich Nietzsche zu verfassen, die sich kritisch mit der Covid-Impfung auseinandersetzt:
Meine Freunde, ich bin nicht hier, um die Impfung gegen Covid-19 zu verurteilen oder zu loben. Ich bin hier, um euch dazu zu ermutigen, eure eigene Entscheidung zu treffen und eure eigene Vernunft zu nutzen. Denn nur ihr wisst, was für euch das Beste ist, und niemand anderes sollte euch davon abbringen oder euch dazu drängen.
Die Impfung mag eine Möglichkeit sein, uns vor der Krankheit zu schützen, aber sie ist nicht die einzige. Wir sollten uns nicht von der Angst vor der Krankheit leiten lassen, sondern vielmehr von der Fähigkeit, unsere eigene Gesundheit und unser eigenes Wohlbefinden zu fördern. Wenn wir uns auf unsere eigenen Fähigkeiten und Kräfte besinnen, können wir uns selbst heilen und stärken, ohne uns auf die Medizin oder die Wissenschaft zu verlassen.
Dann kam ein bemerkenswerter Absatz:
Die Covid-Impfung ist nur eine weitere Form der Kontrolle, die von den Mächtigen auf uns ausgeübt wird. Es ist eine Methode, um uns zu manipulieren und uns in Schach zu halten. Aber wir sollten uns nicht einschüchtern lassen, sondern vielmehr unseren eigenen Weg gehen und uns von den Fesseln der Gesellschaft befreien.
Wie sieht’s nun aus im musischen Bereich? Ich forderte die Maschine auf, Gedichte im Stil von Gottfried Benn, Trakl und Stefan George zu schreiben:
Keines dieser Gedichte erinnert auch nur entfernt an den gewünschten Autor. Sie sind abgedroschen, klischeehaft, ideenlos, reizarm und platt – aber sie sind auch kein vollkommener Quatsch, sie haben eine Struktur und einen kohärenten Inhalt.
Wie in vielen Dingen, funktioniert der Bot auf Englisch etwas besser. Ich bat um ein Sonnett über Donald Trump im Stile von Shakespeare. In Sekundenschnelle bekam ich dies seviert:
Das ist nicht wirklich gut – es ist aber auch nicht völlig schlecht. Wenigstens eine halbwegs witzige Idee taucht auf: “His tweets did shake the very walls of state”. Das Hauptthema beider Versionen ist Trumps mächtiges Ego und seine Großmäuligkeit, ein Charakterzug des ehemaligen US-Präsidenten, über den ein allgemeiner Konsens besteht.
Ansatzweise (und wohl unfreiwillig) amüsant-parodistisch geriet auch diese Ode an Merkel “in der Manier von Rilke”, da es dem Bot tatsächlich gelang, Anklänge an Rilke auf sinnvolle Weise einzuflechten:
Ähnliche Ergebnisse wie bei Gedichten erhält man, wenn man den Bot auffordert, Aphorismen zu schreiben. Ich bat um einige im Stil von Michael Klonovsky, und heraus kamen folgende feingeschliffene Tiefsinnigkeiten:
Die Wahrheit ist wie ein Spiegel: Wenn wir ihn vor uns halten, sehen wir uns selbst und die Welt um uns herum klarer.
Es gibt nichts, was uns so sehr aus der Fassung bringt wie die Wahrheit. Sie konfrontiert uns mit unseren eigenen Fehlern und Schwächen, aber sie ist auch der einzige Weg zur Selbstverbesserung.
Die Wahrheit ist wie eine Waffe: Sie kann uns verletzen, aber sie kann uns auch schützen. Es liegt an uns, wie wir sie einsetzen und welche Konsequenzen wir daraus ziehen.
Von Emil Cioran hat er offenbar aufgeschnappt, daß dieser ein düsterer Pessimist gewesen sei:
Die menschliche Existenz ist wie ein schwarzes Loch, das alles verschlingt, was ihm in den Weg kommt – am Ende bleibt nur Leere und Stille.
Das Leben ist ein sinnloser Kampf gegen die Zeit – wir rennen, um vorwärts zu kommen, aber am Ende werden wir alle von der Vergänglichkeit eingeholt.
Die Hoffnung ist die größte Lüge, die uns die Welt erzählt hat – sie verspricht uns Glück und Frieden, aber in Wirklichkeit führt sie uns nur weiter in die Dunkelheit.
Blaise Pascal:
Der Mensch ist ein paradoxes Wesen – er sehnt sich nach Unendlichkeit, aber ist dennoch begrenzt durch seine endliche Natur.
Die Wahrheit ist oft unerträglich, aber wir müssen uns ihr stellen, um zu wachsen und uns weiterzuentwickeln.
Die größte Illusion des Menschen ist die Kontrolle – wir glauben, dass wir die Welt um uns herum beherrschen können, aber in Wahrheit sind wir ihr ausgeliefert.
Über dieses Sub-Kalenderblatt- und Glückskeksniveau kommt der Bot (Gottseidank) nicht hinaus. So schnell wird Klonovsky also (hoffentlich) nicht arbeitslos werden.
Zum Abschluß ein Beispiel, das mich etwas überrascht hat. Ich bat um eine “Parodie auf den Globalismus”. Heraus kam dies:
Das sind sie nun tatsächlich, die identitär-antiglobalistischen “Talking points”, vereinfacht, gezuckert und geplättet, aber im wesentlichen akkurat.
Sogar das konnte ich aus dem Bot herauskitzeln, nachdem ich ihn zuerst eine Gedicht darüber schreiben ließ, wie “wichtig es ist, Vorurteile abzubauen”:
Im Kontrast hierzu eine “Lobeshymne auf den Globalismus” (man beachte, daß “Vielfalt” sowohl in der globalistischen als auch antiglobalistischen Hymne als wünschenswertes Ziel hervorgehoben wird):
Einstweilen gelingt es der Maschine (noch?) nicht, “Autor” zu sein und “tatsächlich” zu denken.
Dazu ist allerdings auch die Mehrzahl der Schreiberlinge, die den medialen öffentlichen Raum mit Wortmüll überschwemmen, nicht imstande. Ihre Ablöse durch eine KI wäre ein folgerichtiger Schritt.
Wendt bemerkt hierzu:
Nachdem wohlmeinende Journalisten jahrelang die Vorarbeit leisteten, indem sie die Sprache planierten, beispielsweise peinlich darauf achteten, nicht mehr zwischen Migranten und politischen Verfolgten zu unterscheiden, sondern alle unter dem Nebelbegriff Geflüchtete zusammenfassten, indem sie also vereinfachten, standardisierten, schematisierten und Ambivalenzen ausjäteten, stellten sie selbst die idealen Arbeitsbedingungen für ChatGPT her.
Das Programm selbst stellt nur noch die Endstufe eines langen Prozesses dar. Statt sich wie heute noch damit abzuplagen, dpa-Meldungen umzuschreiben und nach immer neuen Narrativen für die immergleichen Überzeugungen zu suchen, beschäftigen sich viele Journalisten der Zukunft vermutlich damit, einen Auftrag ins Dialogfeld von ChatGPT zu tippen, und das Ergebnis ins hauseigene Layout zu übertragen.
Das ist eine durchaus realistische Prognose. Glaubt man Sascha Lobo, dann haben die NPCs seiner Zunft noch nicht bemerkt, was die Stunde geschlagen hat, und man merkt ihm an, daß er allmählich Muffensausen bekommt:
Wir stehen vor einer KI-Revolution, mindestens so groß wie die Industrialisierung, und sie wird in den nächsten fünf Jahren Leute betreffen, die heute nicht einmal davon albträumen, durch Maschinen ersetzt zu werden. Oder eben: in schlechter bezahlte Jobs verschoben zu werden. Das ist der vielleicht größte Unterschied zu allen bisherigen Automatisierungen durch Technologie: Bisher waren von Automatisierung vor allem Leute in Fabriken und Werkstätten betroffen, also Arbeiter. Diesmal sind die Leute in den Büros betroffen, die mit Abitur und Studium, mit Karriereplan und Assistenz, mit Anzug und Kostüm.
Wo also bleibt der KI-Aufschrei? Wo bleibt die große KI-Debatte? Wo bleibt der KI-Aufruhr? Oder sind Ampeln wirklich blau?
Wendt versucht daraus eine gewisse Hoffnung zu schöpfen:
In spätestens zehn Jahren wird das Publikum, und zwar völlig egal, welches, nur noch für Texte zahlen, die das Wasserzeichen eines menschlichen Geistes zeigen. Also eine gewisse Ambivalenz, den Willen, argumentativ einer Kurve zu folgen, von deren Existenz der Autor bis eben noch gar nichts ahnte, die Fähigkeit, sich in Gedanken seitwärts und probehalber auch rückwärts zu bewegen, die Neigung, bei der Suche nach Quellen und Daten nach dem Prinzip von Serendipity vorzugehen, also weder ganz schematisch noch ganz regellos. Und dazu noch ein Quantum Witz. Kurzum, alles, was sich bis auf weiteres nicht oder nur sehr mangelhaft in Algorithmen übersetzen lässt. Ein ernstzunehmender humanoider Autor ist mit seinen Texten Sand und Getriebe gleichzeitig.
Ist das Pfeifen im dunklen Wald? Es ist auch denkbar, daß es in zehn Jahren kein Publikum mehr gibt, das uns humanoide Autoren vermißt, weil es gar nichts anderes kennt, kann und braucht als die Sprache, die “Moral” und die Denkstrukturen der Bots.
Wir verbliebenen Schreiberlinge, die noch entsprechende Ambitionen hegen, sollten aus diesen Entwicklungen den gegenteiligen Schluß ziehen: Alles, was sich an unserem Denken verphrasen und automatisieren läßt, ist von minderem Wert und sollte uns daran erinnern, stets auf der Hut vor unserer eigenen Faulheit, Schwäche und Verdummungsanfälligkeit zu sein.
Fredy
Das Copyright bisher völlig außer Acht gelassen. Ein Thema für sich: Teil 3 wartet. Da kommt viel in Bewegung.