Literaturadaptionen sind nichts Ungewöhnliches für das Medium Comic. Darum verwundert es nicht, daß man sich auch an die Umsetzung von Opernzyklen heranwagt – obwohl dies von der dramaturgischen Erzählweise her noch mal ein anderes Kaliber darstellt als eine bloße Romanübertragung.
Philip Craig Russell hat sich als Autor und Zeichner im Jahr 2000/01 der Verwirklichung von Richards Wagners „Der Ring des Nibelungen“ als sequenzielle grafische Erzählung angenommen. Dafür wurde er mit zwei Eisner-Awards ausgezeichnet, eine wichtige Auszeichnung innerhalb der Comicbranche – die allerdings in den letzten Jahren durch gewisse „woke“ Preisträger enorm entwertet wurde.
Der Ring des Nibelungen, Russells Opus Magnum, erschien soeben erstmals in deutscher Übersetzung beim Comicverlag Cross Cult.
Deutschen Comiclesern dürfte Russell kein Unbekannter sein, was die zeichnerische und inszenatorische Gestaltung mythischer und sagenhafter nordischer Lebenswelten innerhalb der Neunten Kunst angeht. Er hatte – teils unterstützt von anderen Künstlern, u.a. Mike Mignola – den Roman „Norse Mythology“ von Neil Gaiman in Comicform umgesetzt, der auf deutsch in mehreren Bänden unter dem Titel: Nordische Mythen und Sagen im Splitter Verlag in drei Bänden (eins, zwei, drei) erscheint. Gaimann selbst bezeichnete wiederum den Nibelungen Comic als „ultimative High-Fantasy-Saga“.
Daher tauchen Wassermädchen (Nixen), Drachen, blonde Walküren, ein strahlender weißer Held Namens Siegfried, Nibelungen (Zwerge), Götter auf, und allesamt sind sie fantasievoll und anmutig umgesetzt. Ihre Wesensursprünge beeinflussen bis heute bekannte Superhelden.
„Durch unzählige kulturelle Adaptionen und über alle Zeiten hinweg haben diese vielfältigen [griechischen, nordischen, germanischen] Heldendarstellungen bis in unsere Gegenwart fortgewirkt“. (Thomas Nehrlich, in:Reader Superhelden. Theorie, Geschichte, medien, 2018)
Wer bei einer Gestalt, die aussieht wie Gollum und einen verfluchten goldenen Ring begehrt, Reminiszenz an J.R.R. Tolkien verspürt, unterliegt also gewiß keiner mißgedeuteten Wahrnehmung.
Denn Tolkien beschäftigte sich mit der europäischen Sagenwelt, die in seine Werke hineinflossen. Der Skandinavist Armand Berger schrieb passend zu jenem Schriftsteller, daß er „dem modernen Menschen ein großes Fresko der alten Zeiten durch neu gestaltete Traditionen zu präsentieren“ vermochte.
Zuvor bedient sich bereits Wagner der facettenreichen Mythologie Europas für seine Motive, Handlungen, Personen usw.
Daher ist der Mythos, der [in „Der Ring des Nibelungen“] erzählt wird, kein alter, sondern ein neu erschaffener, so alt er auch erscheinen mag“, so Egon Voss. (Richard Wagner, Der Ring des Nibelungen, 2009)
Diese Einschätzungen lassen sich auf den vorliegenden Comic übertragen, weil die mystischen Ursprünge hier respektiert wurden. Das ist keine Selbstverständlichkeit.
Heute herrschen oft progressive Interpretationen vor, wo man im Zeichen der Diversität schon mal einen farbigen Siegfried und eine asiatischstämmige Walküre Brunhilde krampfhaft unterbringt, wie es jüngst in DC Comics Wonder Woman – Die Amazone von Asgard (2022) geschah. Einige moderate Anpassungen wurden in der deutschen Ausgabe zwar vorgenommen – die einen großen Geist freilich nicht stören!
Beim Comic handelt es sich keineswegs um eine sprachliche eins-zu-eins- Umsetzung, was nicht nur ein kühnes Unterfangen hinsichtlich dessen gewesen wäre, Wagners Sprachgewalt in überladene, die Illustrationen verdeckende Sprechblasen zu verschachteln, um schlußendlich die Worte nur unleserlich hineinzuquetschen.
Patrick Mason übernahm hier die textliche Anpassung ins Englische – sprich, jenes Zurechtschneiden in Comicform, wobei ein gewisser sprachlicher Habitus bewahrt werden wollte, an dem wiederum Russell an wenigen Stellen Änderungen vornahm.
Dies tat er ebenfalls unter der gleichen Prämisse, den originellen Nukleus unangetastet zu lassen, damit das Wesen der Szene nicht verletzt wird.
Kein einziges Element ist in Craigs Kunst verschwendet, denn Farben, Linien, Sprechblasen und Panels nehmen stilvoll den Platz von Noten, Akkorden, Bühne und Liedern ein,
so der Eisner-Award-Träger Matt Wagner in seiner Einführung zum Comic. Stefanie Pannen hat bei der Rückübersetzung behutsam geglättet. Das Musikalische der Oper wird so kongenial mit dem Comic amalgamiert.
Das Motiv der zeitlosen Gier aus dem Original, „ohne Ruh und Rast den Hort zu häufen dem Herrn“, das der Zwerg Mime beschreibt, wird beispielsweise beibehalten, aber umgewandelt in gängige Ausdrucksweisen: „um seinen Reichtum zu vergrößern. Nie ist es genug.“
Wohl nur Puristen würden abstreiten, daß die Definition von Walhall:
Was mein Mut, über Angst triumphierend, in die Welt gebracht hat
eindeutig einen angenehmeren Lesefluß auslöst als es in diesem Format die Wagnersche Fassung täte:
Was, mächtig der Furcht, mein Mut mir erfand, wenn siegend es lebt – leg´es den Sinn dir dar!
Natürlich könnte man über enige wenige Ausdrücke wie „Ihr schamlosen Schlampen!“ streiten, wenn Alberich (der erwähnte Gollum) von den Rheintöchtern verschmäht wird – obwohl es treffend ist, weil sie nur mit ihm spielen, während die Betonung der geschmacklosen Liebe zwischen zwei Geschwistern mit „Inzest“-Gedankenblasen, die Fähigkeiten des hochverehrten Publikums, gewisse Andeutungen durchs vorige Lesen der Bild- und Textebene zu erfassen, doch sehr tiefstapelt.
Hinsichtlich der grafischen Gestaltung wurde sich damals von Russell womöglich an bestimmten Vorstellungen orientiert, die man aus klassischen Walt-Disney-Zeichentrickverfilmungen kennt, die aber trotzdem Wagners Fantasiegebilde würdevoll und ansprechend zu Papier bringen.
Denn eine Operninszenierung kann viele Bewegungen von Figuren, wie das Durch-den-Himmel- Galoppieren der Walküren nie verwirklichen, weil dort die Kreativität naturgemäß eingeschränkt ist.
Der Comic punktet also ungemein: Wenn die Rheintöchter, deren namentliche Unterscheidung durch eine jeweils anders gefärbte Haarpracht unterstrichen wird, durchs blau-grüne Naß toben, dann spritzt einem das Wasser entgegen; ein verfluchter goldener Ring wird in kräftiger roter Glut geschmiedet, da lodert das Feuer, da sprühen die Funken auf den Seiten; Wälder kommen in facettenreichen Grün- und Brauntönen daher, und Rückblenden werden passenderweise in schwarz-weiß skizziert.
Gerade letzteres ist eine Besonderheit, weil dies auf der klassischen Theaterbühne nicht dargestellt, sondern lediglich erzählt wird, wie z.B. wenn Siegmund von der Zerstörung seines Heims berichtet, was im Comic für den Leser graphisch eingefangen wird.
Die Farben aller Handlungsorte sind im Großen und Ganzen eher blaß gehalten. Wie es scheint, wurde diese für die jetzige deutsche Ausgabe nicht nachkoloriert um es knallig-poppiger zu gestalten- die Zeichnungen sind ohnehin mondän in ihren Ausführungen.
Der Leser wird so durchaus an den Comic und seinen Inhalt gefesselt. Man merkt ihnen die Detailverliebtheit und die intensive Auseinandersetzung mit der Vorlage an. Am Ende ist ein Kompromiß für ein „hybrides Werk zwischen Oper und Comic“ entstanden, wie es der Wagner-Comic-Sammler Heiko Jacobs ausdrückte, das in seiner deutscher Übersetzung mit modernen linguistischen Elementen aufgelockert wurde, damit es nicht zu gestelzt wirkt, aber dennoch einer „Graphic Opera“ gerecht wird. Cross Cult schafft es mit seinem Comic von Russell für seine Leser (die höchstwahrscheinlich keine Operngänger sind) einen spannenden Zugang zu der deutschen und europäischen Sagenwelt zu gewährleisten.
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P. Craig Russell: Der Ring des Nibelungen, 2023, 448 S., 49.99 € – hier bestellen.
AndreasausE
Man mag ja trefflich streiten, inwieweit derlei Adaptionen für zeitgenössisches Publikum förderlich seien. So wie es ja auch Bach, Mozart und Beethoven "auf Techno" gibt.
Ich weiß es letztlich nicht, halte aber nichts davon. Das gilt es als Fließtext zu lesen (so wie erwähnte Musik in Kozert oder wenigstens auf Langspielplatte), im Idealfall in schöner, deutscher Fraktur, und die Bilder mögen sich dan im Kopfe bilden.
Absolut nichts gegen Comics, ich mag das durchaus, aber diese Herangehensweise "is nix". Original, ode eben nicht.
Ansonsten, was Comics betrifft, halte ich nach wie vor die Yps-Hefte für richtungsweisend, die lese ich immer wieder gern.