Es stecke in einer tiefen Krise, sagte die FDP-Politikerin. Bund, Länder und Kommunen müßten in der Bildung endlich an einem Strang ziehen.
Die übliche Forderung: Mehr Mittel, also mehr öffentliche Gelder – für die Sanierung der angeblich maroden Schulgebäude und für die Digitalisierung, von der man sich ohnehin nicht weniger als die Heilung der gesamten Gesellschaft verspricht.
Nur: In der Krise steckt unser Bildungssystem seit Jahrzehnten. Dabei immerfort auf mangelnde Digitalisierung und marode Schulbauten zu verweisen mag aktuell zwar hier und da richtig sein, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die eigentlichen Ursachen der Misere weniger in der Ausstattung als in langfristig verfehlter Bildungspolitik liegen.
Alle bisherigen Bildungstests und ‑studien führten bisher fatalerweise nur dazu, daß genau jene Fehlentwicklungen forciert wurden, die genau in das Dilemma hineingeführt haben.
Ausgehend von einem fragwürdigen Menschenbild wurde immer mehr auf Substanz und Inhalte verzichtet, wurden Anforderungen abgesenkt und Bewertungen inflationiert. Die wohlklingenden Phrasen von „Kern-“ und „Methodenkompetenzen“ ließen vergessen, daß echtes Können über Anstrengungsbereitschaft und Selbstüberwindung aufwendig und gründlich eingeübt werden will.
Die Inklusionskampagne verstärkte überdies die Illusion, allen Schülern wäre in einer Art neuen Einheitsschule alles möglich, anstatt weiter auf Differenzierung und neben aller Förderung endlich wieder auf Forderungen zu setzen.
Teure Smartboards und Tablets allein sichern keinen guten Unterricht. Medien bleiben letztlich nur Instrumente, die Inhalte transportieren, für die primär mit anspruchsvoller, interessanter und inspirierender Vermittlung erst zu sorgen wäre. Das deutsche Bildungssystem war viel erfolgreicher, als es technisch und baulich weit mangelhafter als heute ausgestattet war. Nur folgte es da mit engagierten Lehrern einer echten Bildungsidee, die heute fehlt:
Sicherung des Lesens, Schreibens und Rechnens sowie naturwissenschaftlicher Grundlagen als einer Basis, auf die ein gegliedertes Schulsystem aufbaute – erweitert um handwerkliche und technische Befähigungen in Pestalozzischer Einheit von Kopf, Herz und Hand. Die DDR versuchte sich in durchaus diesem Sinne mit Erfolg an einer polytechnischen Bildung, über die eine Vermittlung berufspraktischer Fähigkeiten in den Stundenplan einbezogen war.
Der Realismus jedoch, daß Bildung mit der systematischen Sicherung von Inhalten beginnt und des so ruhigen wie gründlichen Übens bedarf, stellt gegenwärtig den blinden Fleck der Bildungspolitik dar. Vergessen ist ferner, daß Unterricht und Erziehung eine Einheit bilden müssen, insofern Lehrer mit Vorbildwirkung zu Gründlichkeit und Ausdauer erziehen sollten.
Unsere nurmehr schlecht improvisierende Bildung verspricht sich von innovativer Ausstattung das, was nur ein veränderter Ansatz im Kern und Wesen leisten kann. Es müßte also heißen: Zurück zu den Inhalten, zur echten Könnensentwicklung und wissenschaftlicher wie technischer Praxisrelevanz, um so endlich dem Fachkräftemangel wirksam mit eigenen Kräften zu begegnen.
Das Gegenteil ist der Fall: Selbst Abschlußprüfungen im Fach Deutsch werden mittlerweile im Multiple-Choice-Verfahren durchgekreuzt. Das Prinzip: Wenn wir immer weniger vermitteln, können wir nur das Simpelste prüfen. Für die Erlangung der sogenannten Berufsreife in Mecklenburg-Vorpommern sind erst gar keine eigentlichen Prüfungen vorgesehen.
Die Anforderungen an die Mittlere Reife wurden indessen reduziert: Auch mit zwei Fünfen ist man zur Prüfung zugelassen, eine schriftliche kann bei guter bisheriger Bilanz weggelassen werden, und die früher obligatorisch zu schreibende Jahresarbeit, mit ihrer Verteidigung gleichfalls prüfungsrelevant, schaffte man einfach ab, so wie grundsätzlich auf alles verzichtet wird, was gesicherte Kenntnisse und Engagement voraussetzt. Daß man an Prüfungen wachsen kann, daß die eigenen Bewährung beflügelt, ist völlig vergessen.
Es gibt nicht etwa deswegen so viele Schulabbrüche, weil Schüler an Prüfungen scheitern, nein, es fehlt u. a. aus mangelnder Erziehung am Willen durchzuhalten. Über 27 Prozent brechen gleichfalls die Grundausbildung bei der Bundewehr ab. In diesem Zusammenhang erscheint es interessant, sich die veränderten Anforderungen auch im Fach Sport anzusehen.
Mein Bildungsgang führte bis zum Abitur 1982 durch Schulgebäude, die, gemessen am heutigen Standard, als extrem marode gegolten hätten und deren Sanitärtrakte ich möglichst mied.
Aber die Lehrpläne waren – bei aller ideologischen Überfrachtung und Schwächen im Fremdsprachenunterricht – anspruchs- und gehaltvoll. Aus meiner Genration wurde nicht nur jeder alphabetisiert, sondern sogar befähigt, weitgehend richtig und ausdrucksvoll zu schreiben und zu sprechen. Wer in die Berufsausbildung eintrat, verstand zu rechnen und zu messen und wußte Maschinen zu bedienen; Studenten konnten qualifiziert lesen und anspruchsvolle Texte formulieren. Demgegenüber sind mittlerweile enorme Kulturverluste eingetreten.
Bildungsgerechtigkeit wird gegenwärtig als Bildungsreduzierung verstanden. Maßstab ist nicht mehr die starke, sondern die schwache Leistung. Wenn daraufhin immer mehr Schüler bei immer besseren Abschlüssen immer weniger konnten, sah es den Noten nach dennoch immer besser aus. Nur beklagten sowohl Berufsausbilder als auch Hochschulprofessoren, daß die Absolventen sich weder auf das Einfache noch auf das Anspruchsvolle verstanden und verspätet nachzuqualifizieren waren.
Die Bildungsbürokratie gründete sich in den Bundesländern eigene „Institute“, die das verhängnisvolle „Weiter so!“ zu legitimieren hatten und selbsterfüllende Prophezeiungen verstärkten. Wurde die Schule mit schwindendem Anspruch zunächst zu einer sozialpädagogischen, so wird sie mittlerweile zu einer mehr und mehr politischen Veranstaltung:
Die neuen Lehrer, selbst in einem dysfunktionalen, aber politisierten Bildungssystem aufgewachsen, sind durch gute Gehälter korrumpiert und in die Ideologisierung eingebunden. Sie mögen von den systembedingten Stressoren – Ganztagsschule, Bürokratie, Inklusionskampagne – erschöpft sein, identifizieren sich aber kritiklos mit den Umständen, weil sie keine anderen kennen und weil auch sie mit einer Art Bekenntnis an den verwalteten Mißstand gebunden sind.
Zur erforderlichen Umsteuerung bedürfte es einer kritischen Revision, die weder in der Bundesregierung noch in den Ländern irgend jemandem zuzutrauen ist. Eher werden, wie von Saskia Esken verlangt, abermalige Sondervermögen verlangt, die gewährt werden, weil man ja „irgendwas machen“ will. Einhundert Milliarden, die man in falscher Richtung investieren wird, wo mit weniger Geld, aber inhaltlicher Redlichkeit weit mehr zu bewegen wäre.
Um sich dann zu wundern, daß sich nichts ändert, wenn zwar die technische und bauliche Peripherie aufgehübscht wurde, aber das Wesen des Inhaltlichen und Substantiellen brüchig bis hohl bleibt. Ein gutes Cello nützt nur dem etwas, der darauf spielen kann, und selbst das beste Tablet schreibt kluge Essays nicht von allein.
Majestyk
Die Bildungskrise hat ein Geschlecht und einen weltanschaulichen Namen. Ich darf das sagen. Ich war der erste Mensch meiner Familie, der 1990 Abitur machen durfte. Und wenn ich zurückblicke, Vergleiche zu anderen Ländern, auch der DDR anstelle, dann wäre meine in NRW erlangte Hochschulreife, während oder nach dem Krieg nicht mal als Notabitur durchgegangen. Dabei habe ich sogar eine katholische Privatschule besucht. Deren Lehrpersonal erscheint mir heute, bis auf einige wirklich gute Ausnahmen, selber nicht hochschultauglich. Besser dürfte es seitdem nicht geworden sein, "Abi für alle" bedeutet übersetzt aber auch "Abi für keinen". So ist das, wenn ein Land einer Kulturrevolution unterzogen wird.