Soweit ich erkennen kann, trägt Sellner drei zentrale Kritikpunkte vor, zu denen ich nachfolgend Stellung beziehen möchte:
I. Sellner wirft mir vor, die positiven Beispiele von Polen bis Japan, von Ungarn bis Israel und von Pakistan bis Indonesien nicht berücksichtigt zu haben, die sich der Multikulturalisierung erfolgreich widersetzen; diese Länder, schreibt Sellner, treten täglich den Beweis an, daß der „seltsame Tod“ Deutschlands/Westeuropas durchaus nicht alternativlos ist und es auch in unserer Zeit sehr wohl möglich ist, eine Volkssubstanz zu erhalten. Sich zu Vorstellungen wie der des „Neuen Volkes“ zu versteigen, sei von daher weder zielführend noch erforderlich.
Doch sind die von Sellner angeführten Beispiele wirklich passend, helfen sie uns wirklich weiter? Immerhin fällt auf, daß sämtliche Beispiele explizit nicht dem abendländischen (westlichen) Kulturraum entstammen, auf den sich die Bestandsaufnahme und der Interpretationsrahmen des „Neuen Volkes“ ausschließlich beziehen.
Insofern die genannten Völker den abendländischen Geschichts- und Entwicklungsprozess im Spengler’schen Sinne nicht durchschritten haben, ist ihre geschichtliche Lage mit der unseren schwerlich vergleichbar. Im Falle der Türken, Japaner, Pakistaner oder Indonesier liegt dies auf der Hand.
Bei Polen und Ungarn handelt es sich um Länder bzw. Völker, die in der Geschichte des Abendlandes immer nur peripher eine Rolle gespielt haben. An den großen geistigen, technischen, wirtschaftlichen und sozialen Revolutionen des Abendlandes haben sie immer nur am Rande teilgenommen.
Es entbehrt nicht einer gewissen Logik, daß sich ihre randständige Stellung im abendländischen Geschichtsverlauf heute darin niederschlägt, daß sie auch von der Multikulturalisierung und ethnischen Bestandsauflösung (vorerst) nicht mit voller Wucht getroffen werden. Uns, die wir dem Kernbereich des Abendlandes zugehören, seinem Schicksal vollumfänglich unterliegen und nicht in seinem Windschatten segeln können, helfen die Verweise auf Ungarn oder Polen nur wenig weiter.
Und Israel, auf dessen staatlich-kulturelle Renaissance sich Sellner immer wieder positiv bezieht? Nun sind die Juden unter den Völkern seit jeher ein absoluter Ausnahme- und Sonderfall gewesen. Unter den zahllosen Völkern des Altertums sind sie nicht von ungefähr das einzige, das sich bis in unsere Tage erhalten hat.
Die prinzipielle Andersartigkeit, ja Singularität ihres geschichtlichen Schicksals stand zu allen Zeiten außer Frage. Für ihre Todlosigkeit (Unsterblichkeit), die die Juden einerseits über alle anderen Völker hebt, zahlen sie andererseits einen nicht unerheblichen Preis. Denn erst das Bewußtsein der Endlichkeit verleiht dem Leben nicht nur des einzelnen, sondern auch der Völker die höchste Essenz.
In den Schützengräben des Ersten Weltkrieges läßt Walter Flex seinen Patroklos Ernst Wurche die Reflexionen Gottfried Kellers deklamieren:
Wie es dem Manne geziemt, in kräftiger Lebensmitte zuweilen an den Tod zu denken, so mag er auch in beschaulicher Stunde das sichere Ende seines Vaterlandes ins Auge fassen, damit er die Gegenwart desselben umso inbrünstiger liebe; denn alles ist vergänglich und dem Wechsel unterworfen auf dieser Erde. Oder wollt ihr einst ein Dasein dahinschleppen wie der ewige Jude, der nicht sterben kann, dienstbar allen neu aufgeschossenen Völkern, er, der die Ägypter, die Griechen und die Römer begraben hat? Nein! Ein Volk, welches weiß, dass es einst nicht mehr sein wird, nützt seine Tage umso lebendiger und hinterlässt ein rühmliches Gedächtnis; denn es wird sich keine Ruhe gönnen, bis es die Fähigkeiten, die in ihm liegen, ans Licht und zur Geltung gebracht hat, gleich einem rastlosen Manne, der sein Haus bestellt, ehe er denn dahinscheidet.
So kann das unsterbliche Volk der Juden, dessen geschichtliche Aufgabe sich von der aller anderen Völker fundamental unterscheidet, für uns späte Abendländer nicht als Blaupause der Selbsterhaltung dienen – so wie es auch den Völkern des Altertums nicht als Blaupause ihrer Selbsterhaltung dienen konnte.
Die Einzigartigkeit seines geschichtlichen Charakters verbietet und verunmöglicht es, an ihm das Maß zu nehmen. Überhaupt wäre es für uns späte Abendländer zu einfach, auf andere Völker zu verweisen, die außerhalb unseres Kulturraums und geschichtlichen Schicksalsbogens stehen, und gleichsam zu erklären: wenn diese in der Lage sind, sich zu behaupten und bestehen zu bleiben, warum sollten wir nicht auch dazu imstande sein?
Doch gehen diese Völker von anderen geschichtlichen Voraussetzungen aus. Sie stehen auf anderen (teils früheren, teils späteren) Stufen ihres geschichtlichen Lebens- und Entwicklungszyklus, während wir alleine berufen sind, im Zeichen einer untergehenden hochkulturellen Sonne zu leben. Die Fragen und Herausforderungen, denen sie sich zu stellen haben, unterscheiden sich fundamental von denen, die über unser Überleben/Weiterleben entscheiden.
Antworten auf unsere speziellen, westeuropäisch-atlantischen Problemlagen finden wir nicht, indem wir uns darauf berufen, was andere Völker in anderen Weltteilen momentan vollbringen. Antworten, die auf unsere spezielle geschichtliche Situation zugeschnitten sind, können wir, wenn überhaupt, nur selber finden, nur selber formulieren.
II. Nach Sellner sterben Deutschland und Westeuropa keines natürlichen, schicksalhaften Todes, sondern werden durch bewußte, volkszerstörende Angriffe künstlich zu Tode gebracht.
Sie fallen einer „willkürlichen Politik zum Opfer“, deren Ergebnisse sich durchaus umkehren ließen, wenn es gelänge, die metapolitische Hegemonie des linken Universalismus zu brechen. Unsere Situation des orchestrierten „Völkerselbstmords“ sei geschichtlich beispiellos, Analogien etwa zur späten Römerzeit seien verfehlt:
Der Vergleich mit nationaler Altersschwäche im alten Rom hinkt. Damals gab es beispielsweise keine ‚antirömische Antifa’, die, mit durchgestrichenen Fasces als Feldzeichen, systematisch jeden patriotischen Römer verfolgte.
Jedoch sei daran erinnert, daß der Dichter Lukrez bereits im 1. Jahrhundert vor Christus eine universale Lehre vertrat, die gegen die „hohe Bewertung des Hiesigen“ polemisierte und das eigene Römertum „nicht hoch veranschlagen“ wollte; daß Tacitus, Sallust und Juvenal ihrer Überzeugung Ausdruck gaben, wonach das römische Imperium sich einer Raub- und Gewaltpolitik verdanke und der Welt vor allem Terror und Unterdrückung gebracht habe; daß Augustinus die römische Staatstradition herabwürdigte und das Morden und Brandschatzen der Goten an der eingesessenen römischen Bevölkerung herunterspielte, indem er darauf hinwies, die Proskriptionen Sullas seien doch weitaus verwerflicher gewesen; daß Rom den frühchristlichen Predigern und Lehrern, die oft aus angesehenen römischen Familien stammten, als die „große Babylon, die Mutter der Hurerei und aller Gräuel auf Erden“ erschien; daß man darauf hoffte, das römische Reich möge unter den Füßen der Barbaren zertrampelt werden, die als die Werkzeuge göttlicher Züchtigung und göttlicher Vorsehung erschienen, denn je eher es mit dem Rom zu Ende gehe, desto schneller komme das Gottesreich; und daß schließlich in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten Scharen religiöser Eiferer durch die römischen Lande zogen, um die alten Tempel und Heiligtümer niederzureißen, die antike Literatur und Wissenschaft zu verdammen, die Theater und Arenen zu schließen, die alten Bücher zu verbrennen und die Bibliotheken zu zerstören.
Von daher steht unsere Epoche durchaus nicht so singulär in der Weltgeschichte, wie es zunächst den Anschein hat. Alt, müde und ihrer selbst überdrüssig geworden, bildete schon die antike Welt ihre ureigene Todessehnsucht aus. Die selbstzerstörerische Wendung gegen das Eigene, gegen die überlieferten Traditionsbestände, ist kein Spezifikum unserer Zeit, sondern ein Wesensmerkmal aller späten Zivilisationen.
Ihnen muß der Selbsthaß nicht künstlich aufgezwungen oder listig aufgenötigt werden; der Boden, der die autoaggressiven Denkmuster, die selbstverneinenden Botschaften gierig aufsaugt, ist in ihnen längst bestellt (was nicht ausschließt, daß renitente, für die Bewahrung des Hergebrachten eintretende Minderheiten massiv unterdrückt, verfolgt und ggf. eliminiert werden).
Überhaupt sollte man die enorme Potenz der antideutschen, ethnomasochistischen Impulse unserer Tage nicht unterschätzen. Sie sind nicht weniger urmächtig, drängen nicht weniger schicksalhaft aus dem kollektiven Unbewußten als jene Energien, mit denen unsere Vorfahren einst die gotischen Dome errichteten, die Glaubenskriege austrugen oder die Völker zu Nationen schmiedeten.
Der unbändige Haß, der sich gegen das in organischen Zusammenhängen stehende Menschentum richtet, greift schließlich, wenn die Transsexualität sich zum Transhumanismus auswächst, auch unsere natürliche Existenz als Gattungswesen an.
Um diesen gewaltigen, subversiv-suizidalen Energien etwas Gleichwertiges entgegenzusetzen, wird das bloße Bewahren und Verteidigen, Konservieren und Erhalten nicht ausreichen. Die positive Vision, den neuen Mythos, den es dem Todeskult entgegenzustellen gilt, können die am Ende ihres Lebenszyklus angelangten weißen Völker nicht mehr aus sich selbst heraus bilden.
Vieles spricht dafür, daß sie es nur können werden, wenn sie sich mit jungen, vitalen, unverbrauchten, extern „barbarischen“ Potenzialen zusammenspannen. Dabei ist es weniger wahrscheinlich, daß ausgerechnet konservative, strenggläubige Muslime eine entscheidende Rolle spielen. Haben diese doch an der eigenen Religion, der eigenen Spiritualität schon ihr Genüge.
Zu denken wäre eher an jene, die sich als Suchende begreifen, die weder unter der Herrschaft des Globohomo noch unter jener der Scharia leben wollen: die, um es mit Friedrich Julius Stahl zu sagen, nicht zurück (in das vermeintlich heile Gestern) streben – sondern bereit sind, durch die große Krise hindurch ins Unbekannte vorzustoßen und ein neues, junges, geschichtlich wirkmächtiges Ethnos zu begründen: ein Neues Volk, das einen neuen Lebens- und Kulturzyklus einläutet – und das, dem Zerfallsphänomen des Multikulturalismus entwachsen, strenge Verbindlichkeit nach innen mit konsequenter Abgrenzung nach außen verbindet.
III. Schließlich wirft Sellner mir als dem Autor vor, zu vage und abstrakt geblieben zu sein. Zwar sei wiederholt von einem neuen Mythos die Rede, wie dieser auszusehen habe, bleibe jedoch im Wesentlichen unklar. Dies allerdings liegt gewissermaßen in der Natur der Sache.
Denn die Entstehung eines Neuen Volkes, sollte es jemals dazu kommen, wird man sich als langwierigen Prozess, als Mehrgenerationen-Geschehen vorzustellen haben, das in einer existenziellen ethnogenetischen Situation kulminiert.
Insofern wäre es essenziell verfehlt, einen neuen Mythos hier und heute gleichsam am Reißbrett entwerfen oder auch nur skizzieren zu wollen. Sellner ist insofern zuzustimmen, als ein neuer, volksbegründender Mythos nicht geplant, sondern allenfalls empfangen werden könnte. Nur existenzielle Not, existenzieller Kampf können den neuen Mythos gebären.
Wir wissen heute nicht, welche ans Existenzielle rührenden Situationen ggf. auf uns zukommen werden: ob die Lage in Westeuropa gänzlich außer Kontrolle geraten wird, wenn die ungeheuren Bevölkerungsüberschüsse Afroarabiens in immer neuen Wellen nach Europa schwappen? Oder ob wir uns eines Tages werden entscheiden müssen, unsere Existenz als Gattungswesen gegen den Versuch zu verteidigen, uns durch eine neue, maschinelle, superintelligente Spezies zu verdrängen?
All dies ist Zukunftsmusik, die weitestgehend im Ungewissen liegt. Was hingegen heute getan werden könnte, sind erste praktische, vorbereitende, hinführende, tastend unternommene Schritte: um erste Brücken zu bauen und, mit langem Atem und hoher Enttäuschungsresilienz ausgestattet, zu beginnen, jenseits ethnischer Grenzen diejenigen zu sammeln, die in sich den Wunsch verspüren, eines Tages nicht duldende Objekte, sondern gestaltende Subjekte der Geschichte zu sein.
Machen wir’s konkret, so gälte es etwa: auch an migrantische Widerstände zu appellieren, wenn der Globohomo sich anschickt, durch besonders provozierende, schockierende Aktionen nach den Seelen unserer Kinder zu greifen; das auch in migrantischen Kreisen grassierende Unbehagen anzusprechen, wenn im Zuge einer überhandnehmenden Holocaust Education eine weitere Straße oder Schule umbenannt wird, um schuldgetriebene Untertanen heranzuziehen, die den aufrechten Gang für immer verlernen; oder der türkisch-kurdischen Gemeinschaft zu signalisieren, dass die Ermordung der 14-jährigen Ece S., deren junges Leben am 5. Dezember 2022 in Illerkirchberg einer entgrenzten, falsch verstandenen „Weltoffenheit“ geopfert wurde, uns nicht weniger erschüttert, als wenn es „eine von uns“ getroffen hätte.
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Schlußsentenz
Wie Martin Sellner es vorgemacht hat, will auch ich meine Replik mit einer positiven, versöhnlichen Note schließen, die das trotz alledem Verbindende unterstreicht. Denn sowohl Sellner als auch ich sind der Auffassung, daß durchaus nicht „alles verloren“ ist und für uns als Volk auch weiterhin Handlungsoptionen existieren.
Dies ist durchaus keine Selbstverständlichkeit, stellt man in Rechnung, daß die großen konservativen Denker des 20. Jahrhunderts gegen Ende ihres Lebens in tendenziell resignative Fahrwasser einschwenkten. So Evola, dessen „absolute Persönlichkeit“ sich äußerlich dem Lauf der Dinge anpaßt, während sie sich zugleich innerlich (mittels Grenzerfahrungen) unangreifbar macht; so Jünger, dessen Anarch sich politische Positionen aus Prinzip nicht mehr zu eigen macht, da in einem Zeitalter der Posthistoire die Substanz der Geschichte aufgezehrt ist; und so Gehlen, dessen „Institution in einem Fall“ sich dareingefunden hat, daß sie den Entweihungsvollzügen der Massengesellschaft politisch nichts mehr entgegensetzen kann.
Weder Sellner noch ich sind bis dato bereit, sich auf diese Linien einer Weisheitslehre und Persönlichkeitssorge zurückzuziehen. Ich vermute, daß eine Substanzerhaltung nur noch realisierbar sein wird, wenn wir uns bereitfinden, das Eigene in eine neue, verwandelte Kulturgestalt aufzuheben und zu transformieren.
Sellner hingegen meint, daß dies nicht notwendig ist und eine bestandsmäßig intakte Volkssubstanz erhalten werden kann, auch ohne sich auf externe Energien einlassen zu müssen. Ich möchte abschließend die Prognose wagen, daß diese Diskussion noch nicht zu Ende geführt ist und in Zukunft eher an Brisanz gewinnen dürfte.
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Simon Kießling: Das neue Volk. Reihe Kaplaken, Band 83, 96 Seiten, 10 € – hier bestellen.
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Pasewalker
Dieser Text zeigt exemplarisch die Gefahren des übermäßigen Lesens und des Verlustes der Verbindung mit der schnöden Realität auf. Geschichtsphilosophische Entwicklungstendenzen sind reine Interpretationen der Wirklichkeit, sie sind keine Gesetze. Ebensowenig wie das Aussterben eines Volkes oder dessen Abstieg. Jederzeit kann es sich geistig und körperlich verjüngen. Es ist auch keinesfalls so, dass die große Masse der Deutschen schwach und träge geworden ist. Sie geht immer noch fleissig arbeiten und finanziert damit das Projekt einer kleinen Minderheit. Sobald diese kleine Minderheit von den politischen und medialen Schaltknöpfen verdrängt ist - und sei es nur in einem Bundesland, kann die Regeneration wieder einsetzen. Dann werden wir uns fühlen, wie jemand, der gerade aus einem schlimmen Albtraum erwacht ist.
Meine Empfehlung an den Autor: weniger lesen und sich mehr mit denen unterhalten, die das Land noch am Laufen halten und keineswegs vorhaben, sich aus der Geschichte zu verabschieden.