Um zu dieser Einsicht zu gelangen, braucht es die Lektüre von Pascals Wette nicht. Es genügt, sich vor Augen zu führen, mit welcher Todesverachtung, ohne die Verzweiflung des Gedemütigten oder die Duldsamkeit des echten Märtyrers, Selbstmordattentate immer wieder ausgeübt werden. Daß der Glaube „Berge versetzen“ kann, ist im säkularen Europa erst durch den 11. September 2001 wieder richtig zu Bewußtsein gekommen. Mit „Handlungsrationalität“ sind diese Ereignisse nicht zu erklären. Und so entdeckt selbst Jürgen Habermas die Religion für sich. Sein Ausgangspunkt ist das „verkümmernde normative Bewußtsein“, das sich nicht aus sich selbst heraus regenerieren könne.
Jedoch redet Habermas mit solchen Überlegungen nicht dem Glauben das Wort. Religion ist die neue Magd der Kulturkritik, weil sich die „reine praktische Vernunft“ nicht mehr so sicher sein kann, „allein mit Einsichten einer Theorie der Gerechtigkeit in ihren bloßen Händen einer entgleisenden Modernisierung entgegenwirken zu können“. Mit Religion geht es etwas besser so weiter wie bisher. Habermas brüht das beliebte Argument vom Nutzen der Religion auf, das Gehlen früher einmal mit „Umweltstabilisierung“ umschrieben hat. Doch wer wirklich glaubt, redet nicht vom Nutzen. Was fehlt, ist nicht ein bißchen Religion, sondern der Glaube, der „einst auch das verlor’ne Ich umschloß“ (Benn). Da aber die aussichtslose Sehnsucht nach Normativität ebensowenig weiterführt wie der lediglich kritische Blick in die Gegenwart, sollte die Philosophie um grundlegende Einsichten in das Problem des Glaubens angegangen werden.
Bereits im Titel „Der Glaube der Philosophie“ ist eine Dichotomie angedeutet, denn die Philosophie hat es eigentlich nicht mit dem Glauben zu tun. In ihrem heutigen Selbstverständnis ist sie eher ein Regulativ des Glaubens, das gleichsam durch Denken den Menschen vom Glauben frei machen möchte. Dieses Selbstverständnis der Philosophie ist allerdings noch nicht besonders alt. Letztlich hat erst der Rationalismus der Aufklärung mit Platos Überzeugung, daß die Philosophie dem Göttlichen verwandt sei, gebrochen und Glauben mit Meinen gleichgesetzt. Dagegen unterschied Kant „Meinen, Glauben, Wissen“ als drei Stufen des „Führwahrhaltens“: Ein „Meinen“ kann dabei jederzeit durch Erfahrungen oder Gründe geändert werden. Es ist auf eine bestimmte Situation bezogen und nicht verallgemeinerbar. Glaube und Wissen sind vom Meinen durch eine andere Art der Geltung oder Evidenz abgegrenzt. Der Unterschied zwischen Glauben und Wissen liegt in der intersubjektiven Überprüfbarkeit. Beim Glauben kann etwas für mich subjektiv evident sein, ohne daß ich in der Lage bin, einen anderen objektiv davon zu überzeugen. Als praktische Handhabe führt Kant an, daß wir für die Wette auf eine Meinung weniger einsetzen würden als für die auf einen Glauben oder ein Wissen.
Doch auch beim Wissen, das per Definition die apodiktische Gewißheit der Wahrheit mit sich führt, ist dadurch noch nicht gewährleistet, daß das für alle anderen so ist. In einem gewissen Sinne ist ja Glauben auch ein Wissen, wenn auch von anderen Dingen. Wir haben es also nicht mit unterschiedlichen Arten des „Fürwahrhaltens“ zu tun, sondern mit unterschiedlichen Wahrheitsbegriffen, die sich auf unterschiedliche Dimensionen der Wirklichkeit beziehen. Der Existenzphilosoph Karl Jaspers kehrt deshalb mit Blick auf Kant die Reihenfolge der Gültigkeit von Glaube und Wissen um: Ein Merkmal echten Glaubens ist für ihn die „Gewißheit von Wahrheit, die ich nicht beweisen kann wie wissenschaftliche Erkenntnis von endlichen Dingen“. Jaspers unterscheidet zwei Weisen der Wahrheit: das auf das eigene Leben bezogene Bekenntnis einerseits und eine im Nachdenken und im Experiment gründende andererseits. Erstere fordert den Menschen, weil sie unbedingt ist und den Einzelnen verpflichtet. Dies vermag die andere nicht, da allgemeingültige Einsichten gleichsam unabhängig davon gelten, ob sie erkannt werden oder nicht. Existentiell sind sie nicht relevant.
Ursprünglich umfaßte die Philosophie das gesamte Denkbare, Realität (Greifbares) und Wirklichkeit (Metaphysisches), wobei letztere den Vorrang hatte. Doch das Gewicht verschob sich im Laufe der Zeit. Obwohl also das Verhältnis zur Wirklichkeit konstitutiv für die Philosophie war, ist die Disziplin der Religionsphilosophie verhältnismäßig jung. Zwei Gründe sind dafür zu nennen. Erstens war die Philosophie bis in die Frühe Neuzeit lediglich die „Magd“ der Theologie. Und so lange es keine eigenständige Philosophie gab, konnte es auch keine Religionsphilosophie geben, die zunächst lediglich das Phänomen Religion ergründen und verstehen will. Zweitens hat die Religionsphilosophie ihren Grund in dem Bestreben, die Religion rein rational zu entwerfen, entweder um das Phänomen verstehbar zu machen, oder um die Offenbarungsreligion überflüssig zu machen, indem sie durch eine „Natürliche Religion“ ersetzt würde. Vor allem David Hume vertrat dieses Hauptanliegen der Aufklärung, aus den gemeinsamen Grundgedanken aller Religionen die natürliche und damit vernünftige Bestimmung der Religion überhaupt abzuleiten. Solches Bestreben kann es nur dann geben, wenn der ursprünglich selbstverständliche Bezug der Philosophie zum Glauben aufgegeben wird. Dies ist erst bei Descartes der Fall, bei dem – wie Hegel ihn nannte – „wahrhaften Anfänger der modernen Philosophie“. Descartes erhob die Autonomie des Erkennens und die Subjektivität des Menschen zu festen Prinzipien. Die Religionsphilosophie ist damit auch Ausdruck eines Mangels, den die vormoderne Philosophie nicht hatte.
Die Religionsphilosophie kann, da sie sich auf die Phänomene beschränkt, nicht nach Wahrheit und Wirklichkeit des „religiösen Verhaltens“ fragen. Sie kann sich aber das „begründete Reden von Gott“ (Wilhelm Weischedel), zum Thema machen, das es in der Philosophie immer gegeben hat, seit Platon als erster von Theologie sprach. Legt man das Verhältnis von Religion und Vernunft zugrunde, ergeben sich folgende Fragen: Wie kann bewiesen werden, daß Gott existiert? Wie kann man ihn näher bestimmen? In welchem Verhältnis stehen Vernunft und Offenbarung zueinander? Ist eine wissenschaftliche Theologie möglich? Diese letzte Frage nach einer philosophischen Theologie ist zentral für die Religionsphilosophie, sie ist die philosophische Frage nach Gott als eigentlichem Kern der Metaphysik.
„Wo die Philosophische Theologie zu dem ihr eigentümlichen Thema gelangt, verläßt sie den Ort, an dem die Religionsphilosophie verharrt.“ (Wilhelm Weischedel) Kant hatte von der „philosophischen Theologie“ im Unterschied zur biblischen oder christlichen gefordert, daß sie in den Grenzen der „bloßen Vernunft“ bleibt. Ist solch ein Vorhaben nicht unmöglich, wenn man die Bestimmungen der Philosophie und Theologie bedenkt? Wie soll, um noch einmal Weischedel zu zitieren, „auf dem Wege des radikalen Fragens, das jede Antwort überholt und alles in den Abgrund der radikalen Fraglichkeit hinabstürzt, dennoch auf die Frage nach Gott eine gültige Antwort“ gefunden werden? Und so sieht Weischedel die moderne Philosophie in diesem Bestreben scheitern. War Platons Denken noch im wesentlichen Vollzug einer Philosophischen Theologie, so können die modernen Versuche einer Wiederbelebung und Erneuerung nicht auf diesen Weg zurück.
Hegels Philosophie stellte gleichzeitig den Höhepunkt und beginnenden Verfall der Philosophischen Theologie dar. Nach seinem Tod war die akademische Philosophie in Deutschland lange Zeit wie gelähmt. Erst mit der Darwinschen Evolutionstheorie vollzog sich, begünstigt durch die hoffnungslose Lage der Philosophie, ein grundsätzlicher Wandel in der neueren Geistesgeschichte. Gottfried Benn machte mit der für ihn typischen, suggestiven Formulierungskraft einen „neuen menschlichen Typ“ in der Nachfolge Darwins aus: „der materialistisch organisierte Gebrauchstyp, der Montagetyp, optimistisch und flachschichtig, jeder Vorstellung einer menschlichen Schicksalhaftigkeit zynisch entwachsen“.
In Deutschland war diese Theorie aus verschiedenen Gründen besonders erfolgreich. War bis dahin eine kirchliche Bindung der Massen gleichsam selbstverständlich gewesen, so kam es im Zuge der Industrialisierung zu einer breiten Abwendung und damit Entchristlichung. Die Rede vom „Nihilismus“ und der „Entzauberung der Welt“ machte die Runde. Die normative Substantialität religiöser und metaphysischer Überlieferungen verliert sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, mit ihr verschwindet das bis dahin geltende Ethos. Die Philosophie, die hätte helfen können, war jetzt nicht mehr die Magd der Theologie, sondern die der Naturwissenschaften (Neukantianismus). Es war Nietzsche, der angesichts der Korrumpierung der Gesellschaft durch den Wohlstand und des blinzelnden Optimismus des sichtbar letzten Menschen die „Frage nach dem Echten“ stellte. In diesem Kontext steht die allgemeine Erneuerung der Philosophie, die durch den Ersten Weltkrieg gleichsam offenbar wurde. Die optimistische Lebensphilosophie wurde durch die tragisch gestimmte Existenzphilosophie abgelöst. Abgesehen von der konfessionell gebundenen Philosophie spielte die Philosophische Theologie eine eher untergeordnete Rolle. Ausnahmen sind Max Scheler, Karl Jaspers und Martin Heidegger. Alle drei versuchen in einer Zeit, in der sich der Mensch erstmals vollkommen fragwürdig geworden ist, eine Selbstvergewisserung des Individuums nicht zuletzt durch den Hinweis auf die Transzendenz, den „werdenden“ oder den „letzten“ Gott, zu schaffen.
Die Grundaussage jeder Philosophischen Theologie muß sich auf Gott beziehen. Wenn Philosophen über Gott reden, kann das auf verschiedene Weise geschehen, jedoch muß am Anfang stets die Aussage stehen: Gott ist. Ohne diese Annahme hätte Philosophische Theologie keinen Sinn. Wie kann ein Philosoph seine Annahme, daß Gott sei, begründen? Da sind zunächst die klassischen Gottesbeweise, aber sie scheitern alle logisch: die induktiven bleiben notwendig unvollständig, die deduktiven bleiben zirkulär, weil sie in den Voraussetzungen behaupten, was sie als Resultat erhalten wollen. Für die Scholastik war das kein Problem, weil Gott die Voraussetzung ihres Denkens war. Kant hat, wie bekannt, die Unbeweisbarkeit Gottes nachgewiesen, gleichzeitig aber auch die Unbeweisbarkeit der Nichtexistenz Gottes festgestellt.
Aus dieser unbequemen Situation heraus beginnt Scheler sein Nachdenken über Gott. Er definiert das „Göttliche“ als Sein an sich und als „absolut seiend und heilig“. Damit verbunden sei die allmächtige Wirksamkeit. Zwei Erlebnisse führt Scheler gleichsam als Beweis an: „das Erlebnis der partiellen Nichtigkeit und Unfähigkeit alles relativen Seins und das Erlebnis der Kreatürlichkeit“. Doch Scheler schwebt keinesfalls ein natürliches Gotteserlebnis vor, das sich jedem durch Nachdenken erschließen könne. Vielmehr muß auch hier die Offenbarung des Göttlichen als Sein an sich stattfinden. Damit wird eine wichtige Forderung der Philosophischen Theologie nicht erfüllt. Gleichzeitig ist jedoch ein wichtiger Punkt berührt: Ist es überhaupt möglich, voraussetzungslos über Gott zu reden? Mit anderen Worten: Wenn Gott nicht irgendwie schon da ist, kann ich ihn durch die Philosophie auch nicht finden.
Aber selbst wenn es nicht möglich ist, einen Gottesbeweis im philosophisch-logischen Sinn zu führen, ist die Beschäftigung mit Gottesbeweisen nicht sinnlos. Sie dienen der Vergegenwärtigung Gottes. Denn all diesen Beweisen liegt eine Erfahrung zugrunde. Die Widersprüche, zu denen sie führen, die aufscheinende Ungeschlossenheit der Welt und nicht zuletzt das Scheitern des Menschen in seinem Bemühen, Gott zu ergründen, verweisen auf eine Grenze: „Vor dem Abgrund wird das Nichts oder Gott erfahren“ (Karl Jaspers). Und erst hier beginnt die Philosophie, so daß man sagen muß: „Eine Gewißheit vom Sein Gottes, mag sie noch so keimhaft und unfaßbar sein, ist Voraussetzung, nicht Ergebnis des Philosophierens.“ (Karl Jaspers) Die Alternative wäre zu sagen, daß da nichts ist. Doch die einfachste Antwort auf die erste aller Fragen „Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts?“ (Martin Heidegger) lautet schließlich, weil von Nichts nichts kommt.
Aus dem Gesagten folgt zweierlei: Gott kann nicht bewiesen werden, und dennoch ist der Versuch, in Erfahrung und Denken Wege zu Gott zu finden, eine vornehme Aufgabe der Philosophie. Kant hat als Reaktion auf die Unmöglichkeit von Gottesbeweisen die Menschen vor die Wahl der „skeptischen Hoffnungslosigkeit“ oder des „dogmatischen Trotzes“ gestellt, beides jedoch als der Philosophie unwürdig abgewiesen. Da Gott im Geist des Menschen existiert und immer existiert hat, muß die Frage nach Gott an einem anderen Ort als dem der theoretischen Metaphysik gestellt werden. Kant verlegt sich auf die praktische Vernunft, in der er das Unbedingte des „kategorischen Imperativs“ entdeckt und das „höchste Gut“ postuliert. Die Möglichkeit dieses Gutes erzwingt die Existenz Gottes.
Doch: Nur wer die Erfahrung des „moralischen Gesetzes in mir“ gemacht hat, hat die Möglichkeit sittlich zu handeln, und das wiederum kann nicht jedem einsichtig gemacht werden. An dieser Stelle denkt Jaspers weiter: Neben bedingten Forderungen, die durch Zwecke oder eine Autorität bestimmt sind, gibt es Forderungen, die sich daraus nicht ableiten lassen. „Die unbedingte Forderung tritt an mich heran als die Forderung meines eigentlichen Selbst an mein Dasein, dessen, was ich gleichsam ewig vor der Transzendenz bin, an die Zeitlichkeit meines gegenwärtigen Lebens.“ (Karl Jaspers) Damit soll die Abhängigkeit der Philosophischen Theologie von der Moralphilosophie, wie sie bei Kant gegeben ist, aufgehoben werden.
Eine allgemeine Einsicht in die Existenz Gottes aber ist nur für denjenigen möglich, der – wie Kant – die Frage nach dem richtigen Handeln gestellt hat. Auf den ersten Blick also bietet Jaspers keine andere Lösung an, und die Allgemeingültigkeit seiner Aussage ist nicht einsichtig. Das ist jedoch gerade das Problem jeder Metaphysik im Unterschied zum Positivismus: Wer etwas nicht einsehen will, der wird es auch nicht einsehen. Auch der Positivismus sieht sich durch das Argument angefochten, daß selbst Naturgesetze, die experimentell und logisch bewiesen sind, nicht geglaubt werden müssen. Jaspers versucht sich in der Unterscheidung von „zwingendem Wissen“ und „existentiellem Wissen“ – und kommt in der Frage nach der Einsichtigkeit nicht weiter. Jedoch gelingt es ihm, die Konsequenzen seiner unterschiedlichen Wissensbegriffe deutlich zu machen: Auch wenn ich theoretisches Wissen anerkenne, bleibt mein Leben davon weitgehend unberührt. Wenn ich dagegen die unbedingte Forderung einsehe, muß ich dementsprechend handeln. Dieses Handeln fordert vor allem, sich im Selbstdenken der Selbsttäuschungen zu entledigen und damit erst die Voraussetzungen für dieses Handeln zu schaffen.
Jede Philosophische Theologie bleibt also zirkulär, weil sie nicht gleichzeitig radikal fragen und eine gültige Antwort finden kann. Dieses ihr innewohnendes Moment verweist auf die Beziehung von Gott und Mensch als Grundproblem der Philosophischen Theologie. Wie sind beide verbunden? Am Ende seines Lebens war Max Scheler davon überzeugt, daß „das Sein des Menschen als Mikrotheos auch der erste Zugang zu Gott“ sei. Im Mikrokosmos des Menschen, so Schelers Herleitung, begegnen sich alle Wesensbereiche und so kann am Menschen der „oberste Grund“ des Makrokosmos studiert werden. Der oberste Grund – Gott – sei selber nicht gegenständlich zu denken, sondern als „Aktualität“ zu begreifen. Der einzige Zugang zu Gott bestehe im „aktiven Einsatz des Menschen für Gott und für das Werden seiner Selbstverwirklichung“.
Anders als Scheler hatte es Heidegger zunächst vorgezogen, „im Bereich des Denkens von Gott zu schweigen“. Später sprach er davon, daß uns nur noch ein Gott retten könne. Und hier trifft sich Heidegger mit Scheler, den er immer verehrt hat. Scheler war davon überzeugt, daß das metaphysische Wissen ein Erlösungswissen sei, das der Umbildung des Absoluten diene: Der Mensch sei das „Seiende, in dessen freier Entscheidung Gott sein bloßes Wesen zu verwirklichen und zu heiligen vermag“. Hier setzt Heidegger an, wenn er unterstellt, daß dem Menschen die „Größe des Seyns“ verschlossen bleibe, weil „keine Entscheidungen mehr fallen über Wahrheit und Unwahrheit“. Heideggers Gott jedoch wartet auf „die Gründung der Wahrheit des Seyns und somit auf den Einsprung des Menschen in das Da-sein“. Die bisherige Geschichte muß um seinetwillen zu Ende gebracht werden. Der Mensch muß das Erscheinen des letzten Gottes vorbereiten. Indem Heidegger davon ausgeht, daß Gott anerkennt, daß der Mensch dem Seyn zugehörig ist, betont er dessen herausgehobene Stellung im Sein. Daraus aber, so Heidegger, folgt „das sich und seiner Größe nichts vergebende Eingeständnis des Gottes, des Seyns zu bedürfen“.
Dieses Reden von Gott, so aufschlußreich und anspruchsvoll es sein mag, genügt nicht der Forderung nach dem begründeten Reden von Gott. Schwerer wiegt jedoch, daß bei Scheler und Heidegger ein merkwürdiger Synkretismus zum Tragen kommt. Gut katholisch wird davon ausgegangen, daß der Mensch weiß, was Gott von ihm fordert, damit am Ende nicht das Fegefeuer steht. Es gibt Tätigkeiten, die gleichsam die Erlösung befördern. Gleichzeitig findet sich als Gegner ganz eindeutig der christliche Gott. Dies geschieht nicht auf die Weise, die man bei einem Philosophen erwarten dürfte: also etwa in der Ablehnung der Offenbarung als nicht-philosophischem Gegenstand. Vielmehr ist Heidegger polemisch. Im Mittelpunkt steht weniger Gott als der Mensch. Gott ist zugleich nicht mehr das Absolute, er ist bedürftig und veränderbar. Für das alles solle der Mensch aufkommen.
Ist Gott dem Menschen bei Scheler und Heidegger zu weit angenähert, so ist er ihm bei Jaspers zu fern. Jaspers’ Begriff der Transzendenz läßt das Personale fallen. Gott ist keine Person, an die sich der Mensch wenden kann. Jaspers steht dennoch stark in der Tradition des christlichen Gottesbegriffes, Christus aber bleibt ihm – weil philosophisch nicht zugänglich – notwendig unklar. Hintergrund von Jaspers’ Transzendenzbegriff ist der abgrundtiefe Unterschied zwischen Mensch und Gott. Der Mensch ist ein antinomisches Wesen, das seine Vorstellungen von der Welt nicht verwirklichen kann. Wir müssen leben und handeln, ohne zu wissen was die Transzendenz von uns will. Unsere menschlichen Maßstäbe gelten vor Gott nicht: „Verwirklichung im Scheitern kann so wirklich sein wie Erfolg. Was vor der Transzendenz den Vorrang hat, kann niemand wissen.“ Der Mensch muß die unbedingte Forderung hier und jetzt erfüllen, ohne eine Totallösung zu erstreben. Das menschliche Scheitern zeigt das Göttliche als das ganz Andere, auf das der Mensch dennoch angewiesen ist und ohne das er nicht Mensch sein kann.
Was also trägt der „Glaube der Philosophie“ zum Verständnis Gottes bei? Die Philosophie gibt in der Gottesfrage keine endgültigen Antworten, weil sie keine Gewißheit behaupten kann über etwas, das den menschlichen Geist notwendig übersteigt. Dennoch gibt es im besten Sinne einen Glauben der Philosophie, der sich als Haltung den Mitmenschen und der Welt gegenüber äußert. Durch die Bindung an die Transzendenz gewinnt der Mensch seine Freiheit. Er wird geistig frei von dem bloßen Gelenktsein durch materielle Interessen. Ohne den Glauben wird die menschliche Vernunft hochmütig. Die Philosophie festigt die Überzeugung, daß die handgreifliche Realität nicht die einzige und eigentliche Wirklichkeit ist und daß der Mensch erst Freiheit erlangt, wenn er die transzendente und metaphysische Wirklichkeit als seine echte Heimat begreift. Für die Philosophie kann die Offenbarung nicht Grundlage des Glaubens sein, sie wird möglicherweise wie ein krönender Schlußstein nur wenigen zuteil. Jeder Glaube muß sich in Grenzsituationen bewähren und so fragt sich, ob der philosophische Glaube in der Lage ist, in solchen Situationen einen Halt zu gewähren. Wie der Offenbarungsglaube kann er dafür nicht garantieren, aber er eröffnet immerhin die Möglichkeit dazu.