Alfred T. Mahan: Der Einfluß der Seemacht auf die Geschichte (1890), hrsg. von Gustav-Adolf Wolter, Herford 1967
The Influence of Sea Power upon History: 1660 – 1783, eine Geschichte der Seekriegführung, die 1890 von dem US-amerikanischen Konteradmiral und Historiker Alfred Thayer Mahan (1840 – 1914) veröffentlicht wurde, gilt heute als wegbereitende Arbeit geopolitischen Denkens und trug seinem Autor anerkennend die Bezeichnung »Clausewitz zur See« ein.
Zum Erfolg seines Buches trugen die stringente Gedankenführung, aber auch der technische Fortschritt bei, sei es nun mit Blick auf den Antrieb, die Schiffsgeschütze oder die Entwicklung neuer Schiffstypen. Mahans Werk, das zeitnah auch in Europa rezipiert wurde, wird als einer der Faktoren dafür angesehen, daß die Vereinigten Staaten zur Weltmacht aufstiegen.
Mahan, der der Auffassung war, daß die Durchsetzung der Monroe-Doktrin nur mit entsprechend schlagkräftigen Seestreitkräften möglich sei, fokussiert jene Faktoren, die zu einer Seeherrschaft auf den Meeren führten. Dabei versucht er aufzuzeigen, wie insbesondere Großbritannien zu einer Quasi-Dominanz auf den Meeren gelangen konnte.
Zu diesen Faktoren zählt er Geographie, Bevölkerung und Regierung. Seine Definition von Seemacht erschöpft sich nicht in einer starken Marine, sondern er sieht auch in der Handelsflotte einen wesentlichen Faktor maritimer Dominanz. Mahans Gedanken entfalteten auch im Deutschen Reich erhebliche Wirkung. In der Kaiserlichen Marine wurde sein Buch zunächst durch Admiral Ludwig Borkenhagen bekannt. Kaiser Wilhelm II. empfahl seinen Marineoffizieren, Mahan zu lesen. Nicht zuletzt Großadmiral Alfred von Tirpitz bezog sich auf Mahan, um energisch ein ambitioniertes Flottenbauprogramm voranzutreiben. (MW)
Halford J. Mackinder: Democratic Ideals and Reality. A Study in the Politics of Reconstruction, 1919
Der britische Zoologe, Geograph und Politiker Sir Halford John Mackinder (1861 – 1947) war einer der Begründer geopolitischen Denkens; er führte hier auch den Begriff »Manpower« ein. Haushofer wurde durch Mackinder ebenso beeinflußt wie Carl Schmitt.
Sein Aufsatz »The Geographical Pivot of History« (1904) geht angesichts einer vernetzten, zugleich politisch aufgeteilten Welt davon aus, daß diese nun ein »geschlossenes politisches System« bilde: »Jede Explosion sozialer Kräfte, statt in einem Umkreis unbekannter Ausdehnung und in barbarischem Chaos zu verpuffen, wird auf der anderen Seite des Globus ein lautes Echo auslösen, und schwache Elemente in der politischen und wirtschaftlichen Organisation der Welt werden in der Folgezeit zerschmettert werden.«
In einer verkehrsmäßig erschlossenen eurasischen Landmasse, deren ostwärtigen Kern er das »Herzland« nennt, erkennt er die potentielle Weltmacht der Zukunft: Erlangt diese Landmacht Kontrolle über wichtige Häfen, kann sie auch ferne Seemächte gefährden.
In seinem Buch Democratic Ideals and Reality. A Study in the Politics of Reconstruction (1919) greift er dies nach dem Ersten Weltkrieg auf und fordert eine »Reihe unabhängiger Staaten zwischen Deutschland und Rußland«, um den deutschen Zugriff auf Rußland zu verbauen, denn, so die später oft zitierten Leitsätze dieses Buches: »Wer über Osteuropa gebietet, beherrscht das Herzland. Wer über das Herzland gebietet, beherrscht die Weltinsel. Wer über die Weltinsel gebietet, beherrscht die Welt.« (IC)
Otto Maull: Das Wesen der Geopolitik (1936), Leipzig 1941
Zwei grundsätzliche Probleme der Geopolitik versucht die kleine Schrift des Geographen Otto Maull (1887 – 1957) zu beheben: zum einen ihr unklares Verhältnis zur Politischen Geographie, zum anderen ihre mangelnde theoretische Bestimmung.
Maull war zwischen 1925 und 1932 Mitherausgeber der von Karl Haushofer begründeten Zeitschrift für Geopolitik und hatte von 1929 bis 1945 den Lehrstuhl für Physische Geographie in Graz inne. Maull findet bereits bei Herodot die Einsicht der Geopolitik formuliert, daß es möglich ist, den Erfolg raumbezogener Politik aufgrund der geographischen Möglichkeiten abzuschätzen. Er verfolgt diese Idee bis in seine Gegenwart und würdigt dabei insbesondere die Vorarbeiten, die das 19. Jahrhundert zur Geopolitik geleistet hat.
Politische Geographie ist für Maull die theoretische Grundwissenschaft, auf der die Geopolitik als »angewandte Politische Geographie«, als »Wissenschaft von der raumbezogenen Politik« aufbaut. Geopolitik wird also weniger durch ihren Forschungsgegenstand als durch ihre Aufgabe bestimmt, die darin liegt, das Deutsche Reich zu heilen wie ein Mediziner.
Weiterhin liege die Aufgabe der Geopolitik in der Zusammenfassung der politisch relevanten Erkenntnisse zu einer allgemeinen Staatswissenschaft, die sich des überragenden Einflusses der geographischen Gegebenheiten bewußt ist. Der »glühendste Patriotismus« bringe nur »Gut und Blut in Gefahr«, wenn er die gegebenen Möglichkeiten mißachte, heißt es prophetisch. Maull verfolgt diese Möglichkeiten, ohne in einen geopolitischen Determinismus zu verfallen (dabei die damals heikle Frage nach der Priorität von Raum oder Rasse geschickt umschiffend), indem er der politischen Idee und der umsetzenden Persönlichkeit eine entscheidende Rolle zumißt. (EL)
Carl Schmitt: Land und Meer. Eine weltgeschichtliche Betrachtung (1942), Stuttgart 62008
Mit der Veröffentlichung dieser »Betrachtung« verläßt der Staatsrechtler Carl Schmitt (1888 – 1985) sein natürliches Habitat der wissenschaftlichen Prosa, da es sich hierbei um eine Geschichte handelt, die er seiner Tochter Anima (1931 – 1983) gleichsam als Gute-Nacht-Geschichte erzählt hat.
Allerdings sollte man sich von der lockeren Herangehensweise nicht täuschen lassen, Schmitt geht es um die Ursachen des Zweiten Weltkriegs. Ausgehend von der Dichotomie von Landtretern und Meerschäumern (ein altes Wort für Piraten), untersucht Schmitt das wechselvolle Verhältnis von Land und Meer, wobei er gleich zu Beginn den Determinismus ablehnt, weil ein neues Raumgefühl (eine »Raumrevolution«) sonst undenkbar wäre. Aber um den Wechsel der Struktur des Raumbegriffes geht es Schmitt, weil an ihm die politische Grundordnung, der Nomos, einer jeden Epoche hängt.
Die letzte, geschichtlich vollendete Raumrevolution ist die des 16. und 17. Jahrhunderts, als die europäischen Seefahrer den Rest der Welt in Besitz nahmen: das Zeitalter der europäischen Landnahme, das durch die britische Seenahme ergänzt und vollendet wurde. Letztere führte zu einem Wandel des Krieges, der auf See gegen den Handel und damit auch Zivilisten bis zur Vernichtung geführt wurde.
Mit der verkehrsmäßigen Erschließung des Meeres im Laufe des 19. Jahrhundert verloren die Briten ihren Status als Meerschäumer und wurden »Maschinenbediener«. Deshalb haben die Briten mit der im Entstehen begriffenen, neuen Raumordnung nichts zu tun, in der die Unterscheidung von Land und Meer aufgehoben ist. In dieser sich vollziehenden Raumrevolution sah Schmitt eine Ergänzung zur russischen Revolution, dem Ende der bürgerlichen Gesellschaft. (EL)
Nicholas John Spykman: The Geography of the Peace, 1944
Geboren in Amsterdam, seit 1928 US-Bürger, wirkte Nicholas John Spykman (1893 – 1943) zunächst in holländischen Diensten unter anderem als Agent, promovierte dann in den USA über die Sozialtheorie Georg Simmels und lehrte schließlich Internationale Politik in Yale.
Sein Buch America’s Strategy in World Politics (1942) steht am Anfang der »realistischen« Schule der US-Politologie. Aufgrund gründlicher, geographisch fundierter Analyse der Lage der USA in »kontinentaler Interdependenz« plädiert er gegen Isolationismus und für eine Gleichgewichtspolitik, ging von einer auch künftig in regionale Räumen geordneten Welt aus, in der einige Großmächte über Kontinente hinweg agieren.
Das von Kollegen nach seinem Tod kompilierte Buch The Geography of the Peace (1944) gilt als Manifest der späteren Politik der »Eindämmung« gegen die UdSSR. In Auseinandersetzung mit Mackinders »Heartland«-Theorie gewichtet es die Randregionen jener Weltinsel, das »Rimland«, als entscheidend: »Who controls the rimland rules Eurasia, who rules Eurasia controls the destinies of the world.«
Es widerspricht jedoch geopolitischem Determinismus: »Außer der Geographie« bedingten Bevölkerungsdichte, ökonomische Struktur, ethnische Zusammensetzung, Regierungsform, »Komplexe und Lieblingsvorurteile der Außenminister« sowie Ideale und Werte der Bevölkerung die Politik eines Landes. Abseits der bisherigen Fixierung auf das »Rimland«-Konzept ist das Denken von Spykman indes neu zu entdecken, zeigte Olivier Zajec in seiner Biographie (2016). (IC)
Samuel P. Huntington: Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert (1996), München 1998
Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Samuel P. Huntington (1927 – 2008) wurde im deutschsprachigen Raum durch seine kontrovers diskutierte These bekannt, daß künftig Konflikte nicht zwischen Ländern, sondern zwischen Kulturräumen entstehen und ausgetragen werden. Diese These stellte er erstmals 1992 in einem Vortrag auf und konkretisierte sie 1993 in einem Artikel in der Zeitschrift Foreign Affairs unter dem Titel »The Clash of Civilizations?«
Sein Beitrag verstand sich als Reaktion auf das 1992 erschienene Buch The End of History and the Last Man seines ehemaligen Studenten Francis Fukuyama. Huntington baute seine These einige Jahre später in seinem 1996 publizierten Buch The Clash of Civilizations and the Remaking of World Order aus.
Huntington, der unter anderem von dem pessimistischen Kulturtheoretiker Oswald Spengler beeinflußt war, konstatierte Anfang der 1990er Jahre zwar das Ende des Zeitalters der Ideologien, war aber der Auffassung, die Welt sei nur in eine Art Normalzustand zurückgekehrt, der künftig durch kulturelle Konflikte geprägt sei. Hierbei geht er von einer Reihe von Kulturräumen aus, die von einem Kernstaat dominiert werden.
Als »Bruchlinienkonflikte« bezeichnet Huntington Auseinandersetzungen zwischen Gemeinschaften oder Staaten, die unterschiedlichen Kulturräumen angehören. Aus ihnen können sich »Bruchlinienkriege« entwickeln. Ging es in der Vergangenheit hauptsächlich um Kämpfe zwischen Monarchen, Nationen oder Ideologien, wie sie innerhalb der westlichen Zivilisation zu beobachten waren, trete die Weltpolitik mit dem Ende des Kalten Krieges in eine neue Phase ein, in der sich die nichtwestlichen Zivilisationen von der westlichen Zivilisation emanzipierten und zu eigenständigen Akteuren heranwüchsen, die die Weltgeschichte beeinflussen.
Kritiker Huntingtons machten unter anderem geltend, daß sich Kulturen nicht bekämpften, sondern ineinanderflössen. (MW)
Tim Marshall: Die Macht der Geographie. Wie sich Weltpolitik anhand von 10 Karten erklären läßt (2015), München 2016
Der britische Journalist Tim Marshall, der unter anderem für die BBC und Sky News als Experte für Außenpolitik tätig war, konzentriert sich in dem Buch The Power of Geography. Ten Maps that Reveal the Future of Our World (2021), dem Nachfolgebuch zu Prisoners of Geography. Ten Maps that Reveal the Future of Our World (2015), erneut auf zehn Gebiete, die er aufgrund ihrer geographischen Lage als potentielle Krisenherde der Zukunft betrachtet, und zwar aus Gründen des Klimawandels, wegen ethnischer Konflikte oder des Wettbewerbs um Ressourcen. Dabei handelt es sich um Australien, Iran, Saudi-Arabien, das Vereinigte Königreich, Griechenland und die Türkei, die Sahelzone, Äthiopien, Spanien und den Weltraum.
Marshalls geographische Engführungen, die an Werke aus der Zeit der klassischen Geopolitik erinnern, haben teilweise für entschiedenen Widerspruch gesorgt. Der Berliner Geograph Hans-Dietrich Schultz beispielsweise attestierte Marshall bereits mit Blick auf dessen Studie Prisoners of Geography populärwissenschaftliches Niveau; Marshall reiche ein Blick auf zehn Karten, um die Weltpolitik zu erklären. In »provokanter Rhetorik« präsentiere er die »Geographie« als Letztbegründung geschichtlicher Vorgänge.
Ähnlich argumentierte der Geograph Helmut Schneider, der Marshall für seinen »kruden Geodeterminismus« kritisierte. Ein Vorwurf, der, neben der Kritik, die in Marshalls Büchern präsentierten zehn Karten seien unterkomplex, nicht von der Hand zu weisen ist. 2015 hat Marshall in seinem bereits im Titel unmißverständlichen Buch Prisoners of Geography – die deutsche Ausgabe titelte deutlich defensiver: Die Macht der Geographie – apodiktisch ausgeführt: Die Geographie fungiere immer auch als eine Art »Gefängnis«, das definiere, was ein Staat »ist oder sein kann«. (MW)
Pedro Baños: So beherrscht man die Welt. Die geheimen Geostrategien der Weltpolitik (2017), München 2019
Das Buch des spanischen Sicherheitsexperten stand in seiner Heimat lange auf den Bestsellerlisten. In Deutschland wurde es kurz nach dem Erscheinen wieder vom Markt genommen. Der Verlag reagierte damit auf eine hysterische Besprechung des Buches durch Alan Posener, der in dem Buch antisemitische Aussagen gefunden haben wollte. Das Buch gibt es seitdem nur noch antiquarisch zu entsprechenden Preisen.
Das Buch entpuppt sich, abgesehen vom reißerischen Untertitel, als grundsolide Einführung in die Geopolitik bzw. Geostrategie. Baños geht von der nüchternen Einsicht aus, daß die internationale Politik nach bestimmten Regeln funktioniere, die unabhängig von der dahinterstehenden Moral seien, da die Geopolitik nur den Maßstab des zeitweilig zu erreichenden Vor- bzw. Nachteils kenne. Der Autor nennt geopolitische Prinzipien (u. a. das Primat der Wirtschaft) und stellt 22 geostrategische Regeln auf, die von den bekannten der Abschreckung und der Einkreisung über die indirekte Herrschaft und die Möglichkeiten der Propaganda bis hin zu den Manipulationen reichen, die nötig sind, um jemanden mit den falschen Gründen in den Krieg zu schicken.
Hier denkt Baños nicht zuletzt an die Vasallen, die sich für den Hegemon in nutzlose Kriege am Ende der Welt verwickeln lassen, um ihm zu gefallen. Unter den geopolitischen Fehlern werden nicht nur die Mißachtung nationaler Eigenheiten und religiöser Gefühle genannt, sondern auch der Trugschluß vom schnellen Sieg ohne eigene Verluste. Der Charakter eines Lehrbuchs wird durch die zahlreichen Beispiele verstärkt.
Und: Wenn man nicht schon die Nennung eines jüdischen Namens in diesem Zusammenhang für antisemitisch hält, wird man bei Baños auch keinen Antisemitismus finden. (EL)