Ein Sturm vom Paradiese her …

Erscheint allen Menschen von ein paar Jahrzehnten Daseinslänge ihr früheres Leben nicht nur seltsam, sondern sogar unwirklich?

Heino Bosselmann

Heino Bosselmann studierte in Leipzig Deutsch, Geschichte und Philosophie für das Lehramt an Gymnasien.

Was ich als Kind und Her­an­wach­sen­der erlebt habe, ist das, war das wahr? Es ist ver­gan­gen, heißt es; es war alles ein­mal wahr. Frü­her eben. Ein paar Kulis­sen mögen noch ste­hen, aber was in ihnen an Leben war, ist fort, über­wach­sen, ver­weht, ver­west, hat also sein Wesen verloren.

Kann man die­ses Ver­lo­re­ne aber noch immer für eine Tat­sa­che hal­ten, gewis­ser­ma­ßen eine ohne Bestand?

Wesen soll einst als eige­nes Verb im Gebrauch gewe­sen sein; exis­tiert aber über das Par­ti­zip anwe­send hin­aus nur­mehr mit dem Ver­gäng­lich­keit anzei­gen­den Prä­fix: ver­we­sen. Was ich frü­her erleb­te, was ich einst war, was mein Leben aus­mach­te, das ist ver­west, ver­lor also, was sein Wesen aus­ge­macht hatte.

Wo von Ver­we­sung gespro­chen wird, geht es im enge­ren Sin­ne um den Tod und das ein­ge­sarg­te oder in Urnen ver­schlos­se­ne Ver­gäng­nis auf Fried­hö­fen, die vor allem eines bie­ten – die­sen Frie­den des Nicht-mehr-seins.

Wo nichts Wesent­li­ches mehr ist, jeden­falls nichts mensch­lich Wesent­li­ches, da bleibt der Frie­den der sich selbst über­las­se­nen Natur, das stil­le Dasein der Pflan­zen, das som­mer­li­che Gezirp der Gril­len, das Rau­schen und Kna­cken in den Bäu­men, der Gesang der Vögel, die Geräu­sche des­sen, was immer ist, obwohl die von uns geschun­de­ne Natur selbst lei­ser wur­de und man­cher­orts zu ver­stum­men droht.

Hei­li­ge Hai­ne wären nicht hei­lig mit dem Fort­plap­pern mensch­li­cher Stim­men und all den Ver­ren­kun­gen ihrer angeb­li­chen Ver­nunft. Sie bedür­fen des Schwei­gens und des Befreits­eins vom Homo sapi­ens. In die­sen Hai­nen west fort, was wesent­lich ist; der Mensch selbst, schon gar das Indi­vi­du­um ist’s nicht.

Daß wir an der Hand der Mut­ter ins Leben gin­gen, in Wol­le gestrickt in ofen­ge­heiz­ten Klas­sen­zim­mern saßen, som­mers von der hohen Eisen­bahn­brü­cke gefähr­lich tief in den Fluß spran­gen, dazu all die Geräu­sche, die Düf­te, die mit dem Ein­set­zen des Bewußt­seins begin­nen­den Ängs­te, das Herz­klop­fen der Hoff­nun­gen und Begier­den, der Hun­ger und die Satt­heit der frü­hen Jah­re, das alles war unmit­tel­bar emp­fun­den; aber je unmit­tel­ba­rer es war, um so ent­fern­ter, ja unwah­rer, fern aller ech­ten Tat­sa­chen­haf­tig­keit erscheint es, wenn es längst nicht mehr gegen­wär­tig ist.

Aber eigen­ar­tig:

Das, was jetzt gera­de ist, all die gegen­wär­ti­gen Tat­sa­chen, wol­len mir weni­ger stark und echt vor­kom­men als die gewe­se­nen, deren Wesen nun mal dahin scheint. Weil alles dahin­geht, ist vom Jet­zi­gen gewiß, daß es eben­so ver­schwin­det wie das, was wir frü­her, also ursprüng­lich, wohl für ech­ter und unver­gäng­li­cher hiel­ten, bevor wir uns an das bestän­di­ge, sich sogar beschleu­ni­gen­de Ver­gäng­nis gewöhnten.

Mag sein, als Kind, noch nicht so schwer ange­füllt mit Ver­gan­gen­heit, trau­ten wir dem Sein mehr zu und hat­ten erst recht kei­ne Vor­stel­lung von all dem Ver­we­sen­den, was bereits vor unse­rer Ankunft ange­häuft war, denn das Ver­gan­ge­ne ist eben­so uner­meß­lich wie das Zukünftige.

(Ach so, Bos­sel­mann, du suchst nach dem Bestän­di­gen! Lächer­lich. Klar, das gibt es nicht. Pan­tha rei. Weißt du doch. Nichts bleibt. Alles fließt. Alle ver­meint­li­che Sta­tik ist letzt­lich insta­bil, bald zei­gen sich Ris­se. Zudem die Entro­pie, die Boltz­mann-Kon­stan­te, an der Lud­wig Boltz­mann selbst litt, die uner­bitt­li­che Rich­tung auf den Zer­fall, den Käl­te­tod des Uni­ver­sums hin. Sieh dich nur an: Es ist auch in dir. Ril­ke beschrieb es. Du ver­fällst … – Und Boltz­mann selbst erhäng­te sich schließ­lich an einer Eisen­stan­ge sei­nes Fensters.)

Ja, ja, weiß man alles – bis in bin­sen­wei­se Sprü­che hin­ein. Nichts bleibt. Bes­ser an das Ver­ge­hen gewöh­nen und wis­send wei­se über jene lächeln, die gera­de auf­blü­hen und tita­nisch ver­mes­sen mei­nen, ihre Kraft wür­de wach­sen und sie immer noch sta­bi­ler wer­den las­sen. Man spürt ja, wie man sich wie­der der Erde zuneigt, der Mut­ter Erde. Staub, von dem wir genom­men, Staub, zu dem wir wer­den. Ja, uner­bitt­lich, ande­rer­seits trostreich.

Das Abster­ben, die Rich­tung auf den Zer­fall hin eben nicht als Bit­ter­nis auf­zu­fas­sen gilt als stoi­sche Übung. Wer sich nicht ein­fach damit abfin­det, sucht Hoff­nung im meta­phy­si­schen Rau­nen und in den Gebe­ten und Gesän­gen des Reli­giö­sen. Reli­gi­on bin­det das gna­den­lo­se Ver­ge­hen an die ver­hei­ße­ne Gna­de eines neu­en Lebens und sogar einer neu­en Erde. Künf­ti­ges Heil, das uns Zweif­lern jedoch noch weni­ger wahr erschei­nen will als das, was nach­weis­lich hin­ter uns liegt und selbst längst nicht nur als Heil erleb­bar war.

Nach­weis­lich? Was davon hast du denn von Gewicht in der Hand? Es gibt Doku­men­te, ja, dein Kin­der­ge­krit­zel, dei­ne unge­len­ke Schrift als Erst­kläß­ler, all die Zeug­nis­se und eine Men­ge Fotos, die dei­ne Ober­flä­che abbil­den und dein Dasein lang, lang über­dau­ern wer­den. Jeder Ein­kaufs­zet­tel, ein nich­ti­ges Papier, exis­tiert, wird er nur auf­ge­ho­ben, län­ger als du selbst. Aber wovon denn legt ein Zeug­nis wirk­lich Zeug­nis ab, was an ech­ter exis­ten­ti­el­ler Wahr­heit ver­brieft es dir, wenn doch alles vor dir zurückweicht?

Wal­ter Ben­ja­min mag so ähn­lich emp­fun­den haben:

„Es gibt ein Bild von Klee, das Ange­lus Novus heißt. Ein Engel ist dar­auf dar­ge­stellt, der aus­sieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu ent­fer­nen, wor­auf er starrt. Sei­ne Augen sind auf­ge­ris­sen, sein Mund steht offen und sei­ne Flü­gel sind aus­ge­spannt. Der Engel der Geschich­te muß so aus­se­hen. Er hat das Ant­litz der Ver­gan­gen­heit zuge­wen­det. Wo eine Ket­te von Bege­ben­hei­ten vor uns erscheint, da sieht er eine ein­zi­ge Kata­stro­phe, die unab­läs­sig Trüm­mer auf Trüm­mer häuft und sie ihm vor die Füße schleu­dert. Er möch­te wohl ver­wei­len, die Toten wecken und das Zer­schla­ge­ne zusam­men­fü­gen. Aber ein Sturm weht vom Para­die­se her, der sich in sei­nen Flü­geln ver­fan­gen hat und so stark ist, daß der Engel sie nicht mehr schlie­ßen kann. Die­ser Sturm treibt ihn unauf­halt­sam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, wäh­rend der Trüm­mer­hau­fen vor ihm zum Him­mel wächst. Das, was wir den Fort­schritt nen­nen, ist die­ser Sturm.“ (Wal­ter Ben­ja­min, Über den Begriff der Geschich­te, The­se IX, 1940)

Was aber hal­ten wir in die­sem Sturm fest? Ist die när­ri­sche Lie­be zum Gold so bestän­dig, weil die­ses schö­ne Ele­ment Bestän­dig­keit sug­ge­riert? Ver­mut­lich. So bestän­dig wie ein Dia­mant hart ist und eher alles ande­re schnei­det, als daß er selbst zer­schnit­ten wer­den könn­te. Denk­mä­ler wer­den errich­tet für die Ewig­keit, Grab­ma­le sind des­we­gen aus Gra­nit. Und für ein Leben soll wenigs­tens ein Tat­too wäh­ren und über­dau­ern, bis es mit uns end­lich verwest.

Ich lie­ge noch nicht auf dem Fried­hof. Aber das, was mein Leben frü­her aus­mach­te, ist dahin und längst schon dort, wenn es über­haupt irgend­wo ist. Eher ist es nir­gend­wo. Nir­gend­wo – wie die Hand der Mut­ter, an der wir so unsi­cher los­lie­fen, wie die Wol­le, von der wir umstrickt waren, wie der Ofen, der uns einst wärm­te, wie das Klas­sen­zim­mer, in dem wir mal saßen. Fort alles, übrig nur wabern­de Erin­ne­run­gen, undeut­li­che Spuren.

Und längst springt kei­ner mehr von der Eisen­bahn­brü­cke gefähr­lich in den klei­nen Fluß darunter.

Nur eben die Eisen­bahn­brü­cke ist noch da, die Glei­se und die viel, viel schnel­ler über sie hin­weg­ja­gen­den Züge. Noch! Denn mit ihrem Tem­po, mit allem sich for­cie­ren­den Tem­po scheint sich das Ver­gäng­nis sogar zu beschleu­ni­gen, obwohl man meint, das Ziel in immer kür­ze­ren Zei­ten zu errei­chen, wäh­rend es sich jedoch tückisch ent­zieht, auf eine Wei­se, daß man es sich lachelnd, ja kichern vor­stellt, wie ein Mäd­chen, das einen ver­spot­tet, wäh­rend es flink auf lei­sen Soh­len ent­weicht, so daß wir nur noch sein fer­nes per­len­des Lachen von irgend­wo­her hören. Bis selbst die­ses spöt­ti­sche Kichern lei­se ver­klun­gen ist.

Trost, wenn man ihn über­haupt nötig hat, mag dar­in lie­gen, daß eines nicht ver­gäng­lich ist, näm­lich: Mit mir stirbt nicht das Prin­zip, das mich – wie alles ande­re auch – her­vor­ge­bracht hat.

Span­nend ist eigent­lich nur eines, die Unab­seh­bar­keit der Kon­tin­gen­zen. Was geschieht, das kann so, aber auch anders gesche­hen, wie die von mir nicht zu über­bli­cken­den Kau­sa­li­tä­ten nun mal als Schick­sals­fa­den von den drei Moi­ren gespon­nen sein mögen. Unter­schied der Wider­fahr­nis­se: Das Glück kann eben­so in mei­nem Weg lie­gen wie die Falle.

Auch das Unge­schick gehört zu mei­nen Geschi­cken, und in jeder Sum­me gibt es vie­le Dif­fe­ren­zen. Inter­es­sant auch, daß wir das eine fürch­ten, sich ein ande­res, etwas Unge­ahn­tes und plötz­lich uns Ent­ge­gen­ste­hen­des aber als viel furcht­ba­rer erweist – oder das gefürch­te­te Furcht­ba­re sich plötz­lich ver­blüf­fend als Glücks­fall und Chan­ce herausstellt.

Was den Tod betrifft, so wei­te man den Fokus, etwa mit Arthur Scho­pen­hau­ers Gedanken:

„Die Schre­cken des Todes beru­hen gro­ßent­heils auf dem fal­schen Schein, daß jetzt das Ich ver­schwin­de, und die Welt blei­be. Viel­mehr ist das Gegen­t­heil wahr: die Welt ver­schwin­det, hin­ge­gen der inners­te Kern des Ich, der Trä­ger und Her­vor­brin­ger jenes Sub­jekts, in des­sen Vor­stel­lung allein die Welt ihr Daseyn hat­te, beharrt. Mit dem Gehirn geht der Intel­lekt und mit die­sem die objek­ti­ve Welt, sei­ne blo­ße Vor­stel­lung, unter. Daß in andern Gehir­nen, nach wie vor, eine ähn­li­che Welt lebt und schwebt, ist in Bezie­hung auf den unter­ge­hen­den Intel­lekt gleichgültig.“

In Vari­an­te:

„Sehe ich nun auf die­se Wei­se Eines sich mei­nem Bli­cke ent­zie­hen, ohne daß ich je erfah­re, wohin es gehe, und ein Ande­res her­vor­tre­ten, ohne daß ich je erfah­re, woher es kommt; haben dazu noch Bei­de die sel­be Gestalt, das sel­be Wesen, den sel­ben Cha­rak­ter, nur allein nicht die sel­be Mate­rie, wel­che jedoch sie auch wäh­rend ihres Daseyns fort­wäh­rend abwer­fen und erneu­ern; – so liegt doch wahr­lich die Annah­me, daß Das, was an sei­ne Stel­le tritt, Eines und das­sel­be Wesen sei, wel­ches nur eine klei­ne Ver­än­de­rung, eine Erneue­rung der Form sei­nes Daseyns, erfah­ren hat, und daß mit­hin was der Schlaf für das Indi­vi­du­um ist, der Tod für die Gat­tung sei. (…) Einem unver­gleich­lich län­ger leben­den Auge, wel­ches mit EINEM Blick das Men­schen­ge­schlecht, in sei­ner gan­zen Dau­er umfaß­te, wür­de der ste­te Wech­sel von Geburt und Tod sich nur dar­stel­len als eine anhal­ten­de Vibra­ti­on, und dem­nach ihm gar nicht ein­fal­len, dar­in ein stets neu­es Wer­den aus Nichts zu Nichts zu sehen; son­dern ihm wür­de, gleich­wie unse­rem Blick der schnell gedreh­te Fun­ke als blei­ben­der Kreis, die schnell vibrie­ren­de Feder als behar­ren­des Drei­eck, die schwin­gen­de Sai­te als Spin­del erscheint, die Gat­tung als das Sei­en­de und Blei­ben­de erschei­nen, Tod und Geburt als Vibrationen.“

Nicht die Vor­stel­lung bleibt, das Wesen schon, das also, was bestän­dig, woher auch immer rüh­rend, blind oder als Betriebs­sys­tem Got­tes zum Dasein drängt. Die­se Kraft ruht nicht. Sie will und will. Ich bin nur eine unmaß­geb­li­che Objek­ti­va­ti­on dar­in, ver­gäng­lich, nicht wesent­lich, allein ein Aus­druck die­ses Wesens, ein Blatt am Baum, viel ähn­li­cher den ver­welk­ten als den neu sprie­ßen­den, als ich’s selbst wahr­ha­ben möch­te, weil ich gleich allen ande­ren Indi­vi­du­en nun mal in mein Ich gemäß pri­ni­ci­pi­um indi­vi­dua­tio­nis ver­narrt bin.

Heino Bosselmann

Heino Bosselmann studierte in Leipzig Deutsch, Geschichte und Philosophie für das Lehramt an Gymnasien.

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Kommentare (28)

AndreasausE

26. April 2023 10:49

"Wesen soll einst als eigenes Verb im Gebrauch gewesen sein" - nur so kleiner Einwurf: Mir ist das ganz üblicher Sprachgebrauch, etwa "die wesen so vor sich hin". Man könnte auch sagen "die leben so vor sich hin", aber ich sage lieber "wesen", und in aller Regel werde ich von Mitmenschen verstanden, werde also deswegen nicht als im Frühmittelalter vor sich hin wesender Vormensch wahrgenommen.

Umlautkombinat

26. April 2023 10:59

Danke fuer die verschiedenen Auslassungen zu "wesen". Der Rest - so ist das halt im Alter. Mein bester Umgang damit ist der Umgang mit den Kindern heute. Wenn ich meine kleinste Tochter und ihre kleine Welt sehe und die Vollstaendigkeit, mit der sie sowohl davon ausgefuellt wird als auch wie sie sie selbst ausfuellt, dann ist das troestlich, diese Invariante.
 
Ihre Vergangenheit ist schon noch da. Es ist die Wurzel, egal wie gross die Aeste heute sind. Ihre Wuchsform und Aufteilung ist frueher bestimmt worden.
 
Zum Kaeltetod. Geben Sie sich doch mal richtig die Kante in Raum (update) und Zeit.
 

MARCEL

26. April 2023 11:02

 "Du sollst nicht unter einer Notwendigkeit leben, denn es gibt keine Notwendigkeit zu leben." Krass und stoisch, stammt von Seneca.
Gnosis ist immer "Zerfallsprodukt" einer untergehenden Epoche, sagt aber damit nichts aus über ihre Plausibilität oder gar ihren Wahrheitsgehalt. 
Welche Epoche ginge nicht irgendwann unter? 
Und jetzt noch ein Schuss Fernost: "My body is my guest, I am the host" (Sri N. Maharaj)

Franz Bettinger

26. April 2023 11:48

Ein Segen, in einer Epoche zu leben, in der Jahr für Jahr alles besser wird, z.B. in der Vorkriegszeit oder in der Nachkriegs-Ära des WW2. Ein Trauerspiel, in einer Phase zu leben, in der ständig alles schlechter wird wie in der Merkel- und Nach-Merkel-Ära, in der Verrückte definieren, was für normal gelten soll. Wir nach 1945 Geboren) haben beide Epochen kennen -gelernt. Aber das verrückte Spiel mitmachen? Das wäre noch blöder! Über die MItspieler kann ich nur lachen. Ich lasse mir doch nicht vorschreiben, was wahr & wirklich, gut & böse und schön ist. Das alles weiß ich aus mir heraus. Dazu brauche ich keine Bär-bock. Anders gesagt, ich verstehe den Zweifel nicht, den, wenn ich’s richtig verstehe, Herrn Bosselmann quält, wenn er sich & die Welt betrachtet. Wer noch außerdem aufrichtig an Gott oder an Re-Inkarnation glaubt, dem kann die Geschmacksverirrung  des hier und jetzt völlig schnuppe sein! (Oder glaubt ihr nicht wirklich?) Schaut euch die Moslems an. Die glauben an ihren Allah. Deshalb kann man denen auch nicht kommen mit Gender, Drag und ähnlichem Dreck. Da fliegen schnell die Fäuste. Nur die Sprache versteht das grüne Polit-Gesocks. DAS ist echte Freiheit. Ich beneide die Moslems darum. (Nur darum.) 

Gotlandfahrer

26. April 2023 12:34

1/2
Ein echter Punkt, ohne Ausdehnung, nutzte, dächte er von sich, mit diesem aus-sich-Heraustreten, die nächste, die erste Dimension. Er hätte damit eine Ahnung, was eine Linie ist, wäre selbst aber noch nicht linienhaft.  Er könnte Linienhaftigkeit nie erfahren und wäre erst recht nicht in der Lage, sich die nächsthöhere Dimension, die Fläche, überhaupt vorstellen zu können.
Die Linie müsste, um sich „von“ sich selbst ein Bild machen, die zweite Dimension erahnen.  Sie spannte damit eine Fläche auf.  Jedoch wieder, ohne selbst jemals eine sein zu können.
So geht es weiter: Flächen erreichen niemals Raum, müssten sich diese dritte Dimension jedoch vorstellen können, um ihr Wesen zu verstehen. Der Raum erführe nichts von sich, spürte er nicht, dass es Zeit braucht, um sich zu „erfahren“.
Alles braucht also Vorstellung von einem Level mehr als den, den das eigene Etwas einnimmt, um sich selbst „begreifen“ zu können.
Der Mensch ahnt nicht nur etwas von der Zeit und nimmt sich nicht lediglich als Körper wahr. Er versteht sich vielmehr als Wesen über die Zeit.  Denn jeder sieht sich als etwas, was mindestens von der Wiege bis zur Bahre reicht. HB beschreibt es wunderbar. Der Mensch ist also vierdimensional, so wie die Fläche zweidimensional ist.  
Wie aber konnten wir erfahren, dass wir vierdimensional sind?

Gotlandfahrer

26. April 2023 12:38

2/2
So, wie die Fläche eine zwar von ihr unabhängig existierende, für sie aber nicht erfahrbare, dritte Dimension gedanklich einnehmen müsste, ohne sie selbst ausfüllen zu können, schaffen wir das dadurch, dass wir eine existierende, durch uns aber nicht ausfüllbare, fünfte Dimension gedanklich nachbauen. Das ist die Erinnerung, mittels der wir Vergangenheit, Gegenwart und sogar Zukunft (eine Erinnerungsvariation) zusammenkleben. Das kann im Nachhinein trügen, wichtiges im Jetzt übersehen oder falsch prognostizieren. Es ist ja eben auch nur der Nachbau einer fünften Dimension, die davon unabhängig existiert. Wenn es aber diese fünfte Dimension gibt, ist in ihr die Vergangenheit nie vergangen und die Zukunft nicht noch nicht da.
Dafür spricht auch, dass wir einen vergleichsweise riesigen Batzen nahe beieinander befindlicher Raumzeitgitterpunkte zu „Gegenwart“ zusammenfassen, etwas, das wir für das „Jetzt“ halten.  Dieses „Jetzt“ ist aber in kleiner werdende Richtung nur durch die neuronale Arbeitsgeschwindigkeit bestimmt, in größere Richtung gar nicht (man versuche „Jetzt“ von „eben noch“ und „gleich“ zu unterscheiden).
Das alles sollte Ihrem Trost dienen, werter HB: Die Hand Ihrer geliebten Mutter ist nicht fort, sie berührt die Ihre, kleine, auf ewig. Das zugehörige Signal ist in Ihrem Kopf nur bereits erkannt, verarbeitet und in die Erinnerungsstrecke eingeklebt. Aber kein Kopf ist die Welt. Alles ist da, auch wenn wir gerade nicht hinkönnen.

Laurenz

26. April 2023 13:09

Die Übersetzer von Carlos Casteneda sprechen meist von Wesenheiten, organischen oder anorganischen. HB, Ihre Vergangenheit macht Sie doch als Person aus. Fragen Sie doch mal einen Menschen, der nach 1995 geboren ist, ob er sich ein Leben ohne mobiles Telefon vorstellen kann? In Europa gibt es übrigens noch genügend Regionen, in denen Sie so leben können, wie Sie einst Selbst gelebt haben, also gewesen sind. Noch immer verfügen 20% aller Russen nicht über ein Wasser-Klosett. Sowas gab es allerdings schon vor über 5k Jahren auf den Faroern. Jedem das seine. Ziehen Sie einfach in eine solche Region & alles ist wieder wie früher.

Hesperiolus

26. April 2023 15:06

Erst der seelenverdampfende Terror einer ubiquitären antitranszendenten Moderne, ihr entmenschend gewollter Totalverlust jener hier grade noch als abschiedlich-nostalgisch möglich erlebten, schon aber angegriffen und widerständig aufgerufenen Ungleichzeitigkeiten in einer absoluten Gegenwart, beschleunigt zu dem, was neuerding als „Solastalgie“ benannt wird und kulturell in den metapolitischen Zettelkasten ausbuchstabiert gehört. Gegen das „Du warst nichts, deine Gegenwart fordert alles“ der lifelong learning-Zurichter gehört die Entheutigung gesetzt. 

Ein Fremder aus Elea

26. April 2023 15:24

Nun, alles, was ich aus meiner Jugend kannte, ist noch da, nicht an derselben Stelle, aber weiterhin in der Welt, wofür ich lebe, ändert sich ebensowenig wie ein Musikstück, und am Ende muß ich in dem Wissen sterben, was ich diesbezüglich erreicht habe.

Hesperiolus

26. April 2023 15:33

@ Bettinger - „Nur darum“: Wenns durchgeht, erlaube ich mir mal ein hemdsärmliges Nebenbei in Richtung Anti-Thule: Bloch bringt die islamische Eschatologie auf das Binom „Weib und Garten“. Beides ja auch nicht zu verachten. 
MINT-ler, wie etwa neuerdings eine Astrophysikerin für sich verlautete, trösten sich dazu vielleicht mit der Vorstellung eines „block universe“. 

Hartwig aus LG8

26. April 2023 15:34

@Gotlandfahrer
SiN lese ich ihrer Autoren wegen; das Kommentariat wegen Ihresgleichen.

Ein Fremder aus Elea

26. April 2023 15:35

MARCEL,

"Du sollst nicht unter einer Notwendigkeit leben, denn es gibt keine Notwendigkeit zu leben." Krass und stoisch, stammt von Seneca.

was ist daran kraß? Man muß sich doch nur überlegen, daß man jederzeit sterben könnte. Also kann man doch nichts, was man tut, eine absolute Wichtigkeit zuschreiben. Mehr heißt es doch nicht.

LetzteGoten

26. April 2023 15:36

Mir ist dieser Text zu abstrakt, zu tiefsinnig, zu melancholisch, zu negativ - angesichts der aktuellen Verwerfungen braucht es positivere Stimmungen, Bilder und Empotionen. Wohlan, ans Werk!

Carsten Lucke

26. April 2023 15:55

Sehr ergreifender Text mit großem Tiefgang - Dank dafür !
Schopenhauer hätte es hier gar nicht bedurft - Bosselmann geht näher.

brueckenbauer

26. April 2023 16:42

Meine örtliche Pfarrerin schreibt ähnliche besinnliche Artikel für das örtliche Anzeigenblatt - okay, mit weniger Bildungswissen, Boltzmann und Benjamin kommen nicht vor, aber spielt das eine Rolle? Man könnte fragen: Braucht "SiN" solche besinnlichen Artikel? Und die Antwort wäre wohl: Ja - "SiN" ist nämlich eine Art Anzeigenbaltt für die rechtsoppositionelle Szene.

Gracchus

26. April 2023 20:50

Erinnert stimmungsmässig an Brahms' Deutsches Requiem. Oder an dieses Gedicht.
Das Benjamin-Zitat ist ein bisschen kitschig. 
Mir geht es teilweise anders. Kindheits-Erinnerungen stehen mir bisweilen viel wirklicher vor Augen als die Gegenwart; die ist oft wesenlos. Ich denke, irgendwelche Geschehnisse gewinnen erst im Erinnern ihre volle Wirklichkeit und Wesenhaftigkeit. 

Gracchus

26. April 2023 22:00

@LetzteGoten
"zu tiefsinnig"? Ziehen Sie den grassierenden Flachsinn also vor? Tiefsinn galt doch mal als deutsches Markenzeichen.
"zu abstrakt" - es ist ja ein interessantes Bewusstseins-Phänomen, dass der Gedanke an den eigenen Tod immer abstrakt, ja unvorstellbar bleibt. 
Einige Hirnforscher und Neurophilosophen behaupten ja, dass das Ich nur eine vom Gehirn erzeugte Illusion sei. Anthroposophen wiederum, dass das, was wir als Ich erleben, nur eine Abspiegelung des Ich ist. 
Rätsel über Rätsel. Jetzt sehen wir durch einen Spiegel nur ein dunkles Bild, und alles Erkennen ist Stückwerk. Allein deshalb fände ich ein Fortleben nach dem Tode nur fair - um endlich des Rätsels Lösung zu erfahren.

Franz Bettinger

27. April 2023 03:27

@Gotlandfahrer: Sie haben den stetig zunehmenden Erkenntnisgewinn vom Punkt über die Linie zu Raum und Zeit - gut erklärt. Ich verstehe die Zunahme an Kenntnis (der Wirklichkeit) so, dass der Mensch und übrigens auch viele höhere Tiere die 4. Dimension als Zeit emotional und sehr bewusst erfahren, denn sie erleben sich und ihre Welt als sich verändernde Dinge. Aber hat der Mensch eine Ahnung von der 5. Dimension? Ich eher nicht. Soll das die geistige Welt sein, die Verbundenheit und die Unsterblichkeit der Seelen? (Hach, da ist sie wieder, die alte Sehnsucht: das mir immer höchst verdächtige Versprechen aller Religionen.) Schöne Vorstellung, aber für mich eben nur eine Fantasie. Dumm, wahrscheinlich werde ich als Schachtelhalm wiedergeboren. 

Laurenz

27. April 2023 07:20

@Franz Bettinger @Gotlandfahrer
Wie sagte in etwa Tschechow, "es gibt kein Glück, nur die Sehnsucht danach oder Die Menge glaubt, alles zu wissen & alles zu begreifen. Je dümmer sie ist, um so weiter ist der Horizont, den sie zu haben vorgibt oder Das Leben wiederholt sich nicht, man muß sorgsam damit umgehen." Wie Tschechow auch, denke ich, Sie beide überschätzen den Menschen. Castaneda ist noch einfacher als Tschechow, Er teilt die Welt des einzelnen in das bekannte & das unbekannte. Jetzt ist immer jetzt & jetzt ist der wichtigste Augenblick im Leben, so, wie das jetzt auch vor 50 Jahren in unser aller Leben der wichtigste Augenblick war, aller derjenigen, die bereits älter sind. Mit meiner Großmutter mütterlicherseits hatte ich wohl das engste emotionale Verhältnis. In Ihren späten Jahren brauchten wir nicht mehr verbal kommunizieren, wir taten das einfach mit der Berühung der Hände & alles war gesagt. Jetzt, HB, ist meine Großmutter schon über 20 Jahre nicht mehr in dieser Welt, aber die Nähe zu Ihr, ist dieselbe geblieben. Nähe, wie Ferne, so Castaneda, hat auch immer einen Preis. Freiheit gewinnt man nur, wenn man die emotionalen Brücken hinter sich abbricht. Das ist natürlich nicht politisch gemeint.

Gotlandfahrer

27. April 2023 09:27

@Franz B., @ Laurenz
Ich meinte es eher ganz pragmatisch: Man kann sich die Welt als einen 3D-Film auf einem Zelluloidstreifen vorstellen, der aus einer Unmenge Einzelbildern besteht. Irgendwann treten Sie ins Bild, dann der Abgang, obwohl der Film weiterläuft, um genauer zu sein: Unverändert als Streifen existiert. Ihr gesamter Auftritt ist dabei Ihr vierdimensionales Sein. 
Der Würfel in meinem Modell könnte sich erst durch die Vorstellung von etwas zeitartigem als Körper begreifen, jedoch nur als ewig stilles Etwas, ohne Entstehung und Verendung, ohne Beziehungen zu etwas anderem, allein seinen dreidimensionalen Zustand erahnte er auf diese Weise. 
Wir können unser vierdimensionales Wesen, obwohl es das „zu jeder Zeit“ gibt, nur erahnen, weil wir die Einzelbilder, die wir durchlaufen, „künstlich“ zu einer "Story" zusammenkleben, denn wir können nie den ganzen Film gleichzeitig erfassen. Unser Bewusstsein durchläuft die Szene unseres Lebens wie der Funke einer brennende Lunte, die Lunte ist aber vor und hinter uns. Auf unser vierdimensionales Wesen können wir nur als Ganzes schauen, weil wir der Klebebildstrecke im Hirn eine Bedeutung, einen Sinn, zumessen. Der Sinn ist in dem Modell die fünfte Dimension, die wir künstlich „nachbauen“, um auf unser vierdimensionales Sein schauen zu können, z.B. „der Sprung von der Brücke in den Fluss war schön…“

Franz Bettinger

27. April 2023 09:52

Lieber @Laurenz: Das Jetzt ist immer der wichtigste Moment im Leben? Nein, keinesfalls. Der wichtigste Moment in meinem Leben war der erste GV (mit 17). Der zweitwichtigste war, die verdammt schwierigen Examina an der UCL zu bestehen, damit ich Arzt werden konnte. Ohne es zu ahnen, gab es weitere Sternstunden, die ich nicht missen und schon gar nicht mit heutigen Augenblicken tauschen würde: meine Frau, mein wunderbarer Arzt-Kollege, die Entdeckung des Paddelns, und die der Cochrane Collaboration…  Im Prinzip könnte ich jetzt beruhigt abdanken. Alles, was erreicht werden konnte, wurde erreicht. (Sorry. Kann nix dafür. Das alles muss mit meinen Vorleben zu tun haben.)  

Laurenz

27. April 2023 11:14

@Gotlandfahrer @Franz Bettinger & L.
die Welt als einen 3D-Film
Das ist ja auch so. Jede Sekunde Ihres Lebens ist in Ihrem Hirn gespeichert, außer die Schlafenszeiten oder Delirium. Allerdings sind Filter des Vergessens vorgeschaltet, damit die Festplatte/SSD weiterhin schnell funktioniert. Es gibt Menschen, bei denen der Schalter des Vergessens zB durch einen Unfall kaputt gegangen ist. Die können Ihnen dann genau sagen, was sie am 27.04.1993 gegessen haben & wie das Wetter war.
@Franz Bettinger @L.
Ich erinnere mich natürlich auch noch an meinen ersten GV. Das war 1983 am hellichten Tag direkt vor einem Kriegerdenkmal in Usingen. Zwar besser als kein GV, aber so der Bringer, bis auf die Örtlichkeit, war das jetzt auch nicht. Um mich auf den Artikel zu beziehen, die Wahrheit der eigenen Vergangenheit ist quasi in Stein gemeißelt, auch wenn die Wissenschaft sagt, daß unsere Erinnerung Begebenheiten nach & nach verändert. Was morgen ist, wissen wir nicht. Deine Frau ist ja noch da & paddeln kannst Du auch noch. Ist denn jetzt der GV & das Paddeln schlechter als früher? Jetzt gerade schreibe ich Dir, was kann es in diesem Augenblick wichtigeres geben? Genau, nichts. Ich habe das entschieden.

Maiordomus

27. April 2023 11:38

Mir wäre lieber, Kositza würde ein Buch von Bosselmann lektorieren.  Diese Art Schreiben hat literarische Authentizität, sie geht über das Meinen, Gleichmeinen oder Andersmeinen hinaus. Ich überlege mir gleich, ob, wiewohl ich nicht vergleichbare politische Verhältnisse durchleben musste wie HB, es auch in meinem Leben Brüche gab und es notwendig sein könnte, seine Heimat zu vergessen, um sie neu zu finden oder zu erfinden. Autobiographische Reflexionen auf dem Niveau von HB scheinen mir lohnend. 99% die Sie für "gesichert rechtsextrem halten", sind geistig mit Sicherheit unterste Schublade, mit den 1% ergäben sich vielleicht doch noch anregende Gespräche. Wann wird in Deutschland das Feld endlich "von hinten" aufgerollt?

Umlautkombinat

27. April 2023 13:21

Gedaechtnis hat aber noch andere Aspekte. Stand der Neurowissenschaft ist, dass es ueber den Hippocampus (fast die einige Hirnregion, die auch im Erwachsenen gesichert neue Neuronen bilden kann) vermittelt wird. Ein Ereignis gelangt danach in drei Schritten ins Langzeitgedaechtnis:

Kodierung
Speichern
Konsolidierung 

Warum ist das wichtig? Weil der umgekehrte Vorgang - der Abruf - genauso funktioniert, der letzte Schritt ist dann eine Dekodierung. Damit wird, wie gleich zu sehen, Gedaechtnis aenderbar. Bei beiden Vorgaengen, Kodierung und Dekodierung, wird aktueller Kontext Teil der Prozedur und damit zwangslaeufig des Ergebnisses. 
 
Einfaches Beispiel:
Ich esse Reis schon jahrelang gern und habe das zusammen mit Geruch, Konsistenz, einem schoenen japanischen Stein fuer die Staebchen usw. abgelegt. Kommt das zusammen, kommt die - angenehme - Erinnerung.
 
Jetzt kommt ein Tag, an dem ist eine Kakerlake im Reis. Dann passiert Folgendes: Die normale Erinnerung wird dekodiert, dann wird allerdings die Kakerlake mit enkodiert und das Ganze als dieselbe Erinnerung abgelegt. Ist sie aber nicht mehr, beim naechsten Erinnern an Reis ist ein unangenehmer Teil dabei. Deswegen erinnern sich auch Leute an objektiv gleiche Ereignisse komplett anders. Aber auch die Einzelperson im Lauf der Zeit.

FreimuthGraubart

27. April 2023 14:06

@Franz Bettinger @Laurenz
Manche Menschen würden vielleicht sagen, das JETZT ist der einzige Moment, der existiert - ewig. Deshalb ist es auch "Der wichtigste" Moment.

Leipzigoma

27. April 2023 15:35

Gab es in der Goldenen Bulle nicht die Reichsverweser? Für Gebiete des sächsischen Rechts waren das die Sachsenherzöge, das hatte aber nichts mit Friedhof zu tun.
Die melancholische Stimmung von Herrn Bosselmann kann ich aber gut nachvollziehen, bin ja nur wenig älter als er.

Franz Bettinger

28. April 2023 07:10

@Laurenz: Ich lebe in diesem Moment nicht, weil ich gerade ein paar Rosmarins einpflanze. Was wäre so wichtig an Rosmarins? Ich lebe, während ich pflanze, in Erinnerungen, in Momenten der Vergangenheit, als ich jene Mauer mit 30 kg-Steinen baute und zu jener Insel schwamm, was ich nicht mehr schaffe. Die alte Zeit lebt in mir als wäre’s heute. Lachhaft, wer seinen Reichtum durch Geld definiert. Reichtum ist etwas ganz anderes; etwas, das dir keiner mehr nehmen kann. Und genau das macht frei. 'Es irrt der Mensch, solang er strebt‘, und doch ist die Zeit des Strebens, Lernens, Schaffens und Anschaffens keine vertane. Nein, sie ist die Basis für alles andere. Dieses Andere aber darf nicht über dem Karriere Machen vergessen werden. Das Andere ist das eigentliche, das auf ewig Bereichernde. 

Laurenz

28. April 2023 09:50

@Franz Bettinger @L.
weil ich gerade ein paar Rosmarins einpflanze.
Darum geht doch der ganze HB-Artikel. Natürlich ist jeder das Resultat des Erlebten. Aber die Erinnerung funktioniert doch jetzt nur, weil Du im jetzt lebst. Wenn Du nicht mehr zur besagten Insel schwimmen kannst, ist das ein Preis, den Du bezahlst, wie ihn ein jeder bezahlt. Frauen haben es da noch schwerer. Sic transit gloria mundi. Aber dafür hast Du auch etwas gewonnen, was nicht jeder in seinem Leben gewinnt, obwohl er den Preis bezahlt hat. Du bist weniger blöd als früher. Und wenn Du gerade ein paar Rosmarins einpflanzt, scheint es ja auch nichts wichtigeres zu geben. Sonst würdest Du es tun.