Ausgerechnet dem Streaming-Portal Netflix ist es zu verdanken, daß der Cristero-Krieg einem breiteren internationalen Publikum bekannt gemacht worden ist.
Der 2012 herausgekommene Film Gottes General, im Original For a Greater Glory, beschreibt mit Andy Garcia als Cristero-General und Eva Longoria als dessen Gattin (sowie einem uralten Peter O’Toole in einer Gastrolle) den grausamen Bürgerkrieg, der Mexiko von 1926 bis 1929 heimsuchte.
Neben dieses kommerziell erfolglose Drama kann noch Graham Greenes Roman Die Kraft und die Herrlichkeit von 1940 gestellt werden, der ebenfalls diesen blutigen Konflikt, wenn auch verfremdet, thematisiert. Und last, not least berichtete damals ein junger belgischer Journalist namens Léon Degrelle für eine rechts-katholische Zeitschrift vom Ort des Geschehens.
Der Cristero-Krieg blieb weitgehend unbekannt, obwohl er in die Ahnenreihe der modernen gegenrevolutionären Volksaufstände seit der Vendée bis zu den Contras und darüber hinaus gehört. Mexiko war das erste Land der Neuen Welt, in dem sich ein Verfassungskonflikt zu einem verheerenden Kulturkrieg auswuchs, der auch nach Ende der Kampfhandlungen weiterschwelte. Die Mobilisierungsenergie der katholischen Volksfrömmigkeit zwang den Staat zu einer behutsameren Kirchenpolitik.
Gleichzeitig blieb dieser dreijährige, überaus grausam geführte Bürgerkrieg ein traumatischer Präzedenzfall, zu dem sich alle nachfolgenden Eruptionen im Land in ein Verhältnis setzen mußten, seien es die Zapatistas von Chiapas mit ihrem legendären, stets vermummten Subcomandante Marcos, seien es in jüngster Zeit die Autodefensas, jene schwerbewaffneten Bürgermilizen, die sich der Terrorherrschaft der Drogenkartelle mitsamt der korrumpierten Politikerkaste zu erwehren suchen.
Mexikos Staatswerdung verlief nach der Unabhängigkeit von Spanien nicht geradlinig. Nach Wegfall des Mutterlandes geriet das Land in den Fokus ausländischer Interessen. Der Einfluß des vom Napoleonischen Krieg geschwächten Mutterlandes blieb zwar durch die hohe katholische Geistlichkeit, die noch aus ethnischen Spaniern bestand, weitgehend gewahrt, doch das kurzlebige, von französischen Gnaden errichtete Kaisertum Maximilians von Habsburg sowie die robuste ökonomisch-militärische Expansion der benachbarten USA mitsamt ihren Freikirchen als Kulturvehikel griffen an die Wurzeln des Landes.
Aus Frankreich waren die Freimaurerlogen in die dünne gesellschaftliche Elite eingedrungen, die zu großen Teilen aus den nördlichen, an die USA grenzenden Gebieten stammte, während die katholische Kirche in der Masse der Bevölkerung, im Zentrum und im Süden, verankert blieb. Der Kult um die Jungfrau von Guadalupe verband das hispanische Erbe auf kongeniale Weise mit dem indianischen Mutterboden und sollte zur leidenschaftlichen Mobilisierung der Cristeros wesentlich beitragen. Die internen Spannungen, die aus diesen heterogenen Einflüssen resultierten, entluden in der Folgezeit immer wieder ihre innewohnende Dynamik.
Schon Benito Juárez, ein Abkömmling von Ureinwohnern, wollte den Staat auf moderne Säulen gründen und begann die Kirche, die er als Mexikos importierten »Ersatz-Adel« betrachtete, juristisch wie institutionell zurückzudrängen. Er suchte die Nähe der Freikirchen und trug sich mit dem Gedanken einer eigenen, von Rom entbundenen mexikanischen Nationalkirche. Eine Idee, die erst nach ihm rücksichtslos durchgesetzt wurde. Der Staat sollte in allem zum Motor der Modernisierung Mexikos werden.
Dieses Reformwerk sorgte immer wieder für seismische Erschütterungen der in den Traditionen verharrenden Gesellschaft. Aber ein autoritäres Präsidialregime unter General Porfirio Díaz sorgte für eine Zeit relativer Ruhe. Es war denn auch Díaz, der immer wieder vor der Gefahr eines Religionskrieges in Mexiko warnte und sein Regime als Bollwerk dagegen konstituierte. Díaz regierte mit einer kurzen Unterbrechung von 1876 bis 1911.
Das, was später die Mexikanische Revolution genannt werden wollte, waren Aufstände gegen dieses Regime, politisch gelenkt von wenigen bürgerlichen Parteigängern einer liberalen Verfassung und militärisch angeführt von legendären Volkstribunen wie Emiliano Zapata und Pancho Villa, die beide einem diffusen Frühsozialismus anhingen. Beide Warlords achteten in ihren Kampagnen jedoch das religiöse Volksempfinden, vermieden jeden Riß in ihrer Basis und hatten sogar Feldgeistliche in ihren Reihen. Ihre Ermordung machte sie für Generationen zu populären Märtyrern, ersparte ihnen aber auch eine klare Stellungnahme im folgenden Verfassungskonflikt und nahm der Volksbewegung die Galions- und Integrationsfiguren. Der bald ausbrechende Cristero-Krieg war denn auch in seiner ersten Phase führerlos.
Die Präsidenten des Landes verstanden sich bald als Verwalter der Revolution. In der Nach-Díaz-Ära gingen sie daran, das langgehegte Verfassungsprojekt zu vollenden. Besonders ambitioniert war ein Mann, der wie kein anderer gleichsam Tabasco-Öl ins mexikanische Feuer goß und den letzten Anlaß für den Cristero-Krieg lieferte: Plutarco Elías Calles. Er wurde 1924 Präsident Mexikos. Der aus einer spanischen Einwandererfamilie mit sephardischen Wurzeln stammende energische Mann war nacheinander Lehrer, Journalist, Militär und Minister.
Er gehörte wie die gesamte clan-artige Oberschicht einer Freimaurerloge an und nahm sich Mussolini zum Vorbild. Schaut man sich sein Reformwerk genauer an, drängt sich eher der Vergleich mit Atatürk auf, der bereits einen unerbittlichen Kulturkampf in seinem Land ausfocht, als sich Calles dasselbe für Mexiko vornahm. Neben großangelegten (durchaus erfolgreichen) Infrastrukturprojekten stand eine mexikanische Art des social engineering auf seiner Agenda.
1926 wurde das sogenannte Gesetz Calles (Ley Calles) öffentlich verkündet. Es ordnete die Kirche dem Staat in allen Bereichen unter und stellte sie mit anderen Kulten gleich. Die katholische Kirche verlor ihre Vorzugsstellung. Orden, katholische Privatschulen sowie das öffentliche Tragen von Soutane und religiösen Symbolen wurden untersagt. Alle Geistlichen mußten sich staatlich registrieren lassen. Ihre Anzahl sollte begrenzt werden. Mit diesem Gesetz wurde der Laizismus-Artikel 130 der »liberalen« Verfassung von 1917 brachial in den Alltag übertragen. Mexikos föderale Struktur erlaubte es den Bundesstaaten darüber hinaus, dieses Gesetz in Nachbesserungen noch einmal zu radikalisieren. Jalisco, Michoacán, Yucatán und andere Regionen machten davon Gebrauch, und es waren besonders jene Staaten, in denen die Cristero-Bewegung mit besonderer Vehemenz reagierte.
Die Reaktionen der katholischen Kirche auf die Offensive des Staates erfolgten auf mehreren Ebenen und brachten (vorerst) Hierarchie und Kirchenvolk dazu, an einem Strang zu ziehen. Die erste folgenschwere Maßnahme, zu der sich das mexikanische Episkopat durchrang, war die landesweite Einstellung öffentlicher Gottesdienste. Für das persönliche Gebet wollte man die Kirchen hingegen geöffnet lassen. Gleichzeitig versicherte man von seiten der Kirchenleitung der Regierung grundsätzliche Dialogbereitschaft. Erste Verhandlungen scheiterten an der unnachgiebigen Haltung der Regierung, vor allem des Innenministers, Oberst Tejeda, eines erklärten Feindes der Kirche.
Unterstützung erhielten die Bischöfe aus Rom, von wo aus Papst Pius XI. Episkopat und Gläubige aufrief, die Kirche tief in Mexikos Gesellschaft zu verankern und besonders auf sozialer Ebene die christliche Botschaft gegen die Staatsgewalt aufzurichten. Zur Besonderheit der Situation der Kirche in Mexiko gehörten ihre frühe Beschäftigung mit der sozialen Frage und die Popularität der katholischen Soziallehre auf der Basis der Enzyklika Rerum Novarum von Papst Leo XIII. Die Kirche unterhielt im Land vom Staat unabhängige Gewerkschaften und zahlreiche karitative Einrichtungen. Von hohem symbolischen Wert war darüber hinaus, daß Mexiko Christus, dem König, geweiht wurde, was die Bischöfe des Landes schon im Jahr 1914 unter reger Beteiligung der Bevölkerung vorgenommen hatten.
Politisch wirksam und für den Staat bedrohlich wurde die Kirche erst durch die Gründung politischer Plattformen, wie beispielsweise der katholischen Partei PCN (Partido Nacional Católico). Geistlicher Vater des politischen Katholizismus in Mexiko war ein belgischer Jesuit, P. Bernard Bergöend SJ, ein Bewunderer von Charles Maurras und beseelter Sozialarbeiter. Bereits 1913 hatte er die Jugendbewegung ACJM (Acción Católica de la Juventud Mexicana) ins Leben gerufen, welche später in die katholische Verteidigungsliga mit Namen LNDR (Liga Nacional de Defensa por la Libertad Religiosa) eingehen sollte. Vor allem diese Organisation spielte eine entscheidende Rolle als politische Brücke zu den Cristeros.
- Bergöend betrieb seine politischen Aktivitäten weitgehend unter dem Radar seiner Kirchenoberen, die jede nur mögliche Eskalation fürchteten. Er lieferte den empörten Massen der Gläubigen einen genuin mexikanischen Gründungsmythos, der den säkularen Staat in letzter Konsequenz delegitimieren sollte. Alles drehte sich dabei um die Jungfrau von Guadalupe, die 1531 dem Indio Juan Diego erschienen und bald zur Schutzpatronin Mexikos erhoben worden war. Für P. Bergöend vereinte die Gottesmutter Indios, Mestizen und Spanier unter ihrem Mantel und wurde so zur eigentlichen, gleichsam übernatürlichen Gründerin Mexikos. Diese Gründungsmystik versorgte den Widerstand mit der nötigen Anschubenergie, führte aber auch zu einem immer größer werdenden Kontrollverlust: Bewaffnet mit diesem Glauben, widersetzte sich eine junge Generation von Liga-Führern der staatlichen (und bald auch kirchlichen) Einschüchterung immer offener. Zu Ostern 1926 kam es vor allem in Jalisco zu heftigen Unruhen, es gab Tote, und die Liga rief dazu auf, freie Kommunen zu wählen und dem Staat die staatsbürgerliche Gefolgschaft zu verweigern.
Die Eskalation war eingetreten und bald machten in verschiedenen Gegenden bewaffnete Gruppen von sich reden, die sich die unterschiedlichsten Bezeichnungen zulegten: Defensores (Verteidiger), Libertadores (Befreier) und schließlich Cristos Reyes (etwa Christkönigs-Krieger). Die letzte Bezeichnung setzte sich als Verballhornung allgemein durch: Cristeros.
Im Sommer des Jahres 1927 waren es bereits 20 000 Guerilleros, die spontan, ohne Zentralkommando oder militärische Struktur ihrem Zorn gewaltsam Ausdruck verliehen und dabei über die Stränge schlugen. Der Ruf der Cristeros blieb während des Krieges nicht »unbefleckt«, daran änderte auch die Anwesenheit von zumeist einfachen Geistlichen in ihren Formationen nichts. Es gab unter ihnen echte Glaubenszeugen und Märtyrer, doch manche vergaßen auf den Feldzügen ihre Würde. Viel an gewöhnlichem Banditentum hatte sich unter die Cristeros gemischt, was die Liga schon bald zum Einschreiten nötigte.
Gesucht wurde ein fähiger Berufsmilitär, der den Cristeros Disziplin, Struktur und eine militärische Strategie zu geben vermochte. In General Enrique Gorostieta (Held des eingangs erwähnten Films), einem Sproß baskischer Einwanderer, fand die Liga den Mann mit der benötigten Expertise. Er hatte als Karrieresoldat auf seiten der Regierung gegen Zapata gekämpft und war zum jüngsten General der Regierung aufgestiegen. Sein militärisches Talent, das selbst den US-Botschafter mit Bewunderung erfüllen sollte (»a formidable fighter«), machte den vermeintlichen Mangel an Glaubenstreue wett, der ihm stets nachgesagt wurde.
Sein von der Liga bewilligter, exorbitant hoher Sold sollte zudem Gerüchte um seine Person weiter anheizen. Die persönlichen Beweggründe, sich der Cristero-Bewegung anzuschließen, sie zu formen, sie zu unerwarteten Erfolgen zu führen und letztlich für sie das Leben zu opfern, bleiben im dunkeln. Fest steht, daß es Gorostieta gelang, weitgehend Disziplin in die heterogenen Haufen zu bringen: Gorostieta war ein Meister der Guerilla und pochte in seinen regelmäßigen Sendschreiben an seine Unterführer darauf, den Kampf nur bei klarer Siegchance zu beginnen und die Orts- und Kräfteverhältnisse nicht aus den Augen zu verlieren.
Der Krieg wurde mit unbeschreiblicher Grausamkeit ausgetragen. Die USA unterstützten Calles zwar mit Ausrüstung, doch die föderale Armee des Staates bestand zum großen Teil aus zwangsrekrutierten, unmotivierten Soldaten, dem Alkohol oder dem Marihuana verfallen. Viele desertierten und marodierten. Viele Cristeros standen dem in nichts zurück, vor allem, je länger der Krieg dauerte. Für die Zivilbevölkerung waren beide Parteien oft von Wegelagerern nicht mehr zu unterscheiden.
Während der Krieg wütete, wurde hinter dem Rücken der Cristeros (und der Liga) verhandelt. Der Kirchenstaat setzte nun auf eine vermittelnde Rolle der USA, maßgeblich mit angestoßen von Botschafter Dwight Morrow. In den USA hatte ein amerikanischer Jesuit, P. Wilfrid Parsons SJ, diesen Krieg als einen Krieg gegen den christlichen Glauben beschrieben und in der US-amerikanischen Öffentlichkeit bekanntgemacht, die nun eine weitere Unterstützung für Calles ablehnte.
Beide Seiten kamen in Geheimgesprächen überein, jeweils die Radikalen bei den anstehenden Verhandlungen außen vor zu lassen. Der Krieg wurde beigelegt, als Präsident Calles 1929 zurücktrat. Die Vereinbarung zwischen Kirche und mexikanischem Staat sah vor, daß der Staat auf die Durchsetzung der antikirchlichen Gesetze verzichten und den Bundesstaaten die Befugnisse in der Kirchenpolitik beschneiden würde. Im Gegenzug verzichtete die Kirche auf politische Agitation und »befahl« den Cristeros die Einstellung der Kämpfe. Rasch wurde noch Gorostieta ermordet, wie zuvor schon Zapata und Villa.
Die Übereinkunft (auch Modus vivendi genannt) zwischen Kirche und Staat war alles andere als eine Versöhnung. Der politische Katholizismus wurde in den 1930er Jahren kurzzeitig wiederbelebt durch eine Bewegung, welche die seltsame Bezeichnung Synarchismus trug und auf Mexiko beschränkt blieb. Immer wieder wurde sie mit faschistischen Bewegungen in eins gesetzt, wozu zweifellos die verwandte Symbolik (Uniformierung, Aufmärsche, Gruß, charismatische Führer) beigetragen hat. Der Synarchismus (wörtlich »mit Autorität«) wollte den Katholizismus unter den Laien militanter aufstellen, obwohl er einen bewaffneten Arm sowie generell Gewalt ablehnte.
Seine Ideologie war nicht explizit ausgearbeitet, doch bestimmte Eckpunkte wie Antikommunismus, konfessioneller Nationalismus und ökonomischer Distributismus steckten ihn ab. Der Synarchismus pflegte zwar freundschaftliche Beziehungen zur spanischen Falange, doch blieben die Unterschiede bestehen. Es gelang ihm, unter den mexikanischen Einwanderern im Süden der USA einen gewissen Einfluß zu erlangen, doch ein wirklicher Durchbruch blieb ihm versagt, nicht zuletzt aufgrund staatlicher Repression.
Mexikos Cristero-Krieg war eine Episode, die weitgehend im toten Winkel der kollektiven Erinnerung verblieben ist. Er durchkreuzt die klaren Zuschreibungen, wie sie linke Revolutionäre so gerne in Stein meißeln, war er doch ein veritabler Volksaufstand, der zudem viele Indigene ansprechen konnte, was der sich revolutionär gebärdenden Regierung versagt blieb. Linke Revolutionäre gegen die Staatsgewalt wiederum störte die Verankerung in der katholischen Religiosität, die nicht ungeschickt als die authentische Befreiung von (jeder) staatlicher Übergriffigkeit propagiert wurde. Daß diese Bewegung schließlich auch vom theokratischen Vatikan-Staat als Übel angesehen wurde, gehört zur Tragik eines jeden Gläubigen, der immer wieder mit ansehen muß, wie auch in divinis »dem Cäsar gegeben wird, was des Cäsars ist« (vgl. Mt 22).