Dementsprechend heftig waren die Reaktionen gegen ihre Stellungnahmen. Eine von ihr initiierte islamkritische Konferenz 2019 führte sogar zu Forderungen, sie ihres Professorenamtes zu entheben. Ein Musterbeispiel für Cancel Culture oder jedenfalls ein veritabler Versuch in dieser Richtung! Lob verdient vor allem ihr Einsatz für freie Debattenräume.
Schröter ist eine bekennende Anhängerin der westlichen Wertegemeinschaft. Diese universalistische Position ermöglicht Distanz zu den »woken« Identitätskämpfern wie zu rechten identitären Positionen. Ungeachtet solcher Affinitäten kennt die Frankfurter Gelehrte natürlich die Aporien im Diskurs über die Westernisierung. Offensichtlich ist besonders folgender Widerspruch: Einerseits greifen Länder wie die USA seit eh und je weltweit aus und haben dementsprechend eine lange Blutspur hinterlassen, die auch in letzter Zeit immer wieder kritisch erörtert wurde (Bernd Greiner, Daniele Ganser); andererseits ist die »einzige Weltmacht« genauso wie Frankreich und Deutschland nicht in der Lage, die eigenen Grenzen zu schützen, weil der herrschende politmediale Komplex überwiegend der Meinung ist, humanitäre Ziele zu verwirklichen, wenn er Gefahren für die offene Gesellschaft im Inneren ignoriert.
Die hypermoralistische Doktrin, die weit über die Garantie individueller Grundrechte hinausgeht, richtet innen- wie außenpolitisch nicht geringe Schäden an. Rechts- und sozialstaatliche Bastionen werden in erheblichem Ausmaß geschliffen. Nicht nur in diesen Bereichen zerstören westliche Gesellschaften ihre Ressourcen rückstandslos.
Die neueste Publikation Schröters behandelt in einem Rundumschlag aktuelle Brennpunkte der Debatte: Ukrainekrieg, Afghanistan-Desaster, Postkolonialismus-Theoreme, Identitätskontroversen, Schattenseiten der Migrationspolitik, geopolitische Machtspiele, allgemeine Zeitenwende und die Zukunft des Westens.
Wer sich vorbehaltlos den Positionen des westlichen Universalismus anschließt, gerät bei der Bewertung des Ukrainekrieges in Versuchung, die bekannten einseitigen Propagandaparolen undifferenziert zu vertreten. Die Narration, die Schröder präsentiert, blendet das Vordringen der NATO nach dem Zerfall des Warschauer Paktes aus, weiter die massiven Versuche, die Ukraine ins westliche Bündnis einzubeziehen. Ebenso werden die meist russischen Opfer in den Separatistengebieten zwischen 2014 und Anfang 2022 übergangen.
Die Vorgeschichte des »Aufmarsches« (Jörg Kronauer) wäre also differenzierter zu schildern, als dies bei Schröter geschieht. Insgesamt fällt es einer so klar positionierten Autorin wie Schröter natürlich schwer, zu konstatieren, daß viele derzeitige Ereignisse auf ein Ende der überkommenen unipolaren Weltordnung hindeuten. Nicht zuletzt das russisch-chinesische Abkommen vom 4. Februar 2022 wird im nachhinein wohl als ein wichtiges Schlüsseldokument im Kontext dieses epochalen Umbruchs gelten.
Kleinere Flüchtigkeitsfehler – so kehrte beispielsweise Ruhollah Musawi Chomeini 1979, nicht 1978 in den Iran zurück; der Kubaner Fidel Castro siegte 1959, nicht 1958 – ändern nichts daran, daß sich die Beschäftigung mit der streitbaren und fundiert argumentierenden Professorin lohnt – selbst dann, wenn man nicht alle ihre Positionen teilt.
– – –
Susanne Schröter: Global gescheitert? Der Westen zwischen Anmaßung und Selbsthass, Freiburg i. Br.: Herder. 234 S., 20 €
Dieses Buch können Sie auf antaios.de bestellen.