Das meint nicht nur die immer wieder zu reproduzierende Kraft, um „sinnerfüllt“ weiterzuleben auf einem Planeten, der durch uns verschlissen wird, zunehmend fiebert und bereits dahinsiecht, sondern ebenso den Mut für die vermutlich vergebliche Illusion, unsere Geschichte könnte uns, als Menschheitsbiographie, vernünftiger werden lassen.
Um die Erde und unsere Mitgeschöpfe steht es schlecht. Wer das nicht erkennt, war die letzten Jahrzehnte mit verkleistertem Sensorium unterwegs oder hat kein Verhältnis zur Natur.
John Mc Neill meint, wir hätten vor allem seit 1945 „Ökosysteme mit solcher Intensität, in solchem Ausmaß verändert“ wie nie zuvor. Damit hätte „auf der Erde ein gigantisches, unkontrollierbares Experiment“ begonnen.
„Es wird sich zeigen, daß dieses Experiment bedeutender als alles andere im zwanzigsten Jahrhundert ist, bedeutender als der Zweite Weltkrieg, das kommunistische Experiment, das Aufkommen der Massenliteratur, die Verbreitung der Demokratie oder die Emanzipation der Frau.“ – Stichwort „Große Beschleunigung“:
Explosion des Wirtschafts- und Bevölkerungswachstums, des Konsums, des Tourismus, der Fahrzeugzahlen und nicht zuletzt der McDonald’s‑Filialen, damit Hochdrehen der Temperaturen, Schwund der Regenwälder und Tierarten, Progression billigen Genusses, Regression der Schöpfung. Von 2002 bis 2015, so Ulrike Herrmann, soll ein Drittel aller Rohstoffe verbraucht worden sein, die seit 1900 genutzt werden.
Im zwanzigsten Jahrhundert hat sich zudem der Energieverbrauch um das Dreizehn- bis Vierzehnfache erhöht, und seit dem Jahr 2020 übersteigt die Masse der menschengemachten Objekte die Biomasse. Das Gesamtgewicht aller von Menschen geschaffenen Dinge beläuft sich auf rund 30 Billionen Tonnen. Das sind fünfzig Kilogramm pro Quadratmeter Erdoberfläche. Solche Exzesse haben gravierende Folgen, so famos man die damit verbundene menschliche Leistung auch finden mag.
Die grünpolitisch geforderten Alternativen wiederum gehen fehl, indem sie meinen, der Biosphäre und dem Klima wäre mit technisch innovativ ausgestaltetem „grünen Wachstum“ zu helfen.
Politisch wird’s wieder spannender, wenn erst offenbar ist, daß die Habeck-Energiepolitik nicht aufgehen kann, weil die „Erneuerbaren“ für eine Industriegesellschaft nicht genügend Strom liefern.
Hilfreich allein wäre, worauf nie und nimmer zu hoffen war oder ist: reduzierter Verbrauch, neues Maßhalten, früher die allererste der Tugenden. Ohne Not gibt es das nicht. Allzu lange ist den Leuten suggeriert worden: Verbraucht mehr, das allein generiert jenes Wachstum, das unabdingbar ist. Dieses Wachstum selbst ist das Problem; es folgt der „Ideologie der Krebszelle“, wie Edward Abbey dies ausdrückt.
Daher schon interessant, was Ulrike Herrmann empfiehlt – Orientierung an englischer Kriegswirtschaft, also Zwangsmaßnahmen und Planwirtschaft unter Beibehaltung des Privateigentums. Denkbar, vielleicht wünschbar, aber politisch praktisch unmöglich. Die XXL-Verbraucher und Profi-Shopper, nicht mal zur Mülltrennung in der Lage, werden keine Partei wählen, die zu einem solchen Dirigismus bereit ist. Selbst die radikalökologischen Apokalyptiker und Klima-Ideologen leben mit Gebrauchsgewohnheiten des Unmaßes.
Täglich bedarf es der Abhärtung gegenüber politischem Lautsprech, Borniertheit, Kleingeisterei und dazu noch der Größe, sich beständig zu prüfen, ob man nicht zuallererst selbst ein dummer und bornierter Kleingeist ist.
Unser Existenzial ist die Sorge. Diesen Gedanken darf man sich bei Heidegger ausleihen. Er stimmt. Als einzige Wesen haben wir den Tod immer im Prospekt, sowohl den eigenen kleinen als auch jenen umfassenden der Gattung.
Wir standen schon immer vorm Ende, aber erst seit dem 20. Jahrhundert verfügen wir über das technische Besteck, uns dieses Weltende tatsächlich bereiten zu können.
Und die Macht dazu wissen wir allzu oft bei jenen, denen man Charakter schon wegen ihres würdelosen Bedürfnisses nach Macht weitgehend absprechen darf; aber wir selbst, die Machtlosen, die Nachdenklicheren und Melancholiker, meiden die Macht und überlassen sie abwinkend denen, die danach schreien.
Die Moderne hat im Vollzug der sogenannten Aufklärung den Egoismus offiziell zur Tugend erhoben. So, wie die Gier als legitim gilt und das Maßhalten als Wachstumsbremse, mithin als tendenziell staats- und gemeinschaftsgefährdende Handlung, erscheint die Verwurstung des Planeten nur folgerichtig:
Macht euch die Erde untertan! So begannen die Pilgrim-Fathers Amerika zu unterwerfen und ökologisch zu verhunzen, und so geschieht es dem gesamten Planeten. Unsre Natur liegt darin, alles zu verarbeiten und zu verstoffwechseln. Vermeintlich wertschöpfend. Letztlich aber zu unser aller Verderbnis. Individuell innerhalb des medizinisch-pharmakologischen Komplexes, global im Klima- und Ökodesaster.
So wie der Weg durch den Supermarkt für den Megaverbraucher im Dialyse-Zentrum endet, geht die Menschheit den ihren Richtung Selbstvergiftung. – Sicher, es wurde vieles besser, insbesondere ja technisch und mit Blick auf den Komfort. Nur, um welchen Preis? Und was uns einerseits vermeintlich entlastete, ließ uns genau deswegen andererseits anfälliger werden. Daß wir mittlerweile nicht nur das eigene Gebiß und unsere Orthopädie, sondern meist sogar unser Hirn überleben, muß man nicht erstrebenswert finden.
Und das Licht der Aufklärung, beschworen von ein paar Philosophen in Europa und Amerika, die das Bürgertum zur Menschheitsbefreiung aufbrechen sahen? In ihrem kalten Licht stand die Guillotine, und es lag ebenso auf den Lagern des GuLag wie auf den Gleisen vor Auschwitz.
Für die zunehmend skeptischeren Aufklärer haben Adorno und Horkheimer das 1944 zu beschreiben versucht, während die einfacheren Leute im 19. und 20. Jahrhundert in ihren noch immer engen Lebensumständen mit Lebensrettung beschäftigt waren oder sich mit neuen Welt-Anschauungen berauschten.
Den „neuen Menschen“ verhießen quasireligiös die Linke wie die Rechte, diese finster und mythisch, jene licht und moralisch.
Es fällt schwer, allein mit den Tatsachen des unmittelbaren Diesseits zu leben, es sei denn, eine Lebensschulung hat uns weitgehend desillusioniert zu einer stoischen Einstellung qualifiziert, aus der heraus schon die Freude auf einen wirklich guten Kaffee den Tag freudvoll beginnen läßt.
Was bleibt darüber hinaus? Qualifizierte epikureische Traurigkeit. Und der Versuch, sich trotz aller sich reproduzierenden Verzweiflung einer Herzensbildung zu befleißigen, die das eigene Leid auch im Mitmenschen erkennt, um ihm helfen zu können oder ihn mindestens zu verstehen und zu verschonen.
Weil das aus sich selbst heraus seit dem Abschied vom Primatenhügel schwierig ist, sucht der Mensch offenbar Offenbarungen, die ihm Räume über sich selbst hinaus und vor allem jenseits seiner Kleinlichkeit eröffnen: Religion, Esoterik Spiritualität, Mystik, mindestens aber deren Säkularvarianten Metaphysik und Transzendenz.
Oder eben die die Massen erotisierenden Platzhalter des Religiösen – die Ideologien, welche aus dem letzten Jahrhundert ein menschheitliches Drama machten. Schon interessant, wie namentlich der deutsche Idealismus des romantischen Zeitalters das Christentum philosophisch „upgradet“ und es damit nolens volens ideologietauglich aufrüstet.
Die gegenwärtigen Apokalypsen setzen dies fort. Schon dieses dritte Jahrzehnt des neuen Jahrtausends ist grünideologisch grundiert. Bei den einen weckt das irre Hoffnungen, bei den anderen vitalen Widerstand. Mindestens politisch wird aus dieser Spannung heraus für Bewegung gesorgt sein.
Es gehört schon Mumm dazu, sich den religiösen und sonstigen Glaubensbekenntnissen kritisch zu begegnen, wo doch außerhalb davon wenig zu glauben ist. Wer nicht zur Herde des Herrn gehört oder nicht einem der vielen Führer sehnsüchtig folgt, sondern stattdessen skeptisch im diesseitigen Denken und Erkennen wacker ausharrt, weil er sich auf Jenseitiges oder Endgültiges und die damit zusammenhängenden Verheißungen eines neuen Himmels und einer neuen Erde nicht verlassen mag, der unternimmt nach wie vor ein zarathustrisches Wagnis, bei dem er täglich vom schmalen Seil in den Abgrund stürzen kann.
Ecce homo! Seht diesen Menschen! Der das Leid der Welt eben nicht durch ein Mysterium wie auf Golgatha oder den Spuk in einer Höhle im Berg Hira erlöst sehen kann, sondern an deren Erlösung immer wieder neu für seine Frist und Aufgabe zu arbeiten bereit ist – am Beispiel von Albert Camus’ Dr. Rieux, der im pestverseuchten Oran bleibt, obwohl er gegen das Sterben nichts auszurichten vermag und weiß, daß er solcherart im Absurden steht. Existentialismus. Im Wortsinn.
Auf seinem Posten bleiben, auch wenn der längst verloren ist. Dem Linksgrünen fällt diese Einsicht am schwersten. Er ist – in Abwandlung von Molières Komödientitel – der eingebildete Glückliche und schleppt seinen Idealismus auf Prothesen weiter.
Ruhiger pessimistischer Lebensernst dürfte menschlicher sein als der Utopismus samt „Prinzip Hoffnung“, das vor der nächsten Grausamkeit oder auch nur vor der nächsten Enttäuschung einknickt.
Wo die Linke überhaupt mal erfolgreich war, agierte sie konservativ; und wo sie je Staat machte, war sie ganz bei Carl Schmitt.
Letztlich können wir nicht anders, als uns auf uns selbst zu verlassen, zurückgeworfen auf das, was vernünftigerweise unsere Pflicht ist und die Verantwortung für das eigene wie das fremde Leben, also selbstverständlich ebenso für das der Pflanzen und Tiere, die wir erfolgreich auszurotten begannen.
Es bedarf zur Einsicht in diese Pflicht eben nicht primär eines Glaubensbekenntnisses, ebenso wenig des erfolgreichen Studiums der Philosophie, sondern lediglich des common sense und vor allem eines couragierten Handelns, das unsere einzige Chance ist. Was befreit? Die Bereitschaft, viel aufzugeben.
Schopenhauer, der ungeliebte deutsche Denker, dachte die Aufklärung in seinem Sinne zu Ende. Mut zu einem Pessimismus, der optimistisch Hoffnung macht.
Und wenn die anderen nicht mitziehen? Dann suchen wir uns die Nische, die bleibt, und leben dort nach unserem Maß. Das hält für uns die Schäden in Grenzen und dürfte wenigstens seelisch gesund sein. Dafür braucht man weniger, als den meisten nötig erscheint. Die Welt wird nicht genesen, schon gar nicht an unserem Wesen. Oder anders: Die Welt schon, aber nur ohne uns …
Ein Fremder aus Elea
"Um die Erde und unsere Mitgeschöpfe steht es schlecht. Wer das nicht erkennt, war die letzten Jahrzehnte mit verkleistertem Sensorium unterwegs oder hat kein Verhältnis zur Natur."
Herr Bosselmann, ich schätze Sie durchaus, und gerade deswegen: Haben Sie noch alle Tassen im Schrank?
Unsere leidenden Mitgeschöpfe fallen gerade wieder über mich her, um mir mein Blut auszusaugen, und mein Haus, um mein Dach durch holzverzehrende Nestbauten zum Einsturz zu bringen, wie beim Nachbarhaus, wo die Hornissen die unangefochtenen Herrscher sind.
Wer hier wohl das verkleisterte Sensorium hat! Mußte etliche Bäume fällen, weil sie dabei waren, über Haus und Elektroleitung zu wachsen, die Bärenpopulation hier hat sich in den letzten Jahren vervielfacht. Wirklich, Sie ticken nicht richtig!