Richard Wagner hat mit seiner Musik und Ästhetik einen Sonderweg eingeschlagen. Die Beharrlichkeit, mit der er diesen zu Ende zu gehen verstand, zeugt nicht nur von seinem im besten Sinne deutschen Eigensinn, der ihn widerständig machte gegen zeitgeistige Fremdbestimmung; sie verrät auch einen heiligen Ernst, der einen Komponisten, der immer wieder klagte, zum Schriftsteller nicht geschaffen zu sein, auch zu einem Kunst- und Kulturphilosophen von Rang und am Ende sogar zum Verkünder einer ästhetischen Religion werden ließ. Genuiner Religionsstifter allerdings wollte er erklärtermaßen nicht sein – gegen die Vergottung seiner Person im späteren Wagnerkult aber konnte er sich nicht mehr wehren. Gewiß liebte der Musikdramatiker die erhabene Freiheit, mit seinen Figuren zu spielen wie die griechischen Götter mit den Schicksalen der Sterblichen. Im Unterschied jedoch zu der Götter grausamem Spiel nahm das Werk Wagners tiefen Anteil am Leid der Menschen, zu dessen Linderung die Kunst einmal erfunden wurde und zu dessen Heilung er seine Kunstreligion befähigt sah. Nicht wenigen freilich erschien Wagners Musiktheater bedrohlich, denn seine Dramaturgie glich mitunter einem Schlachtenplan, und das Stahlgewitter der Klänge, dem er seine Zeitgenossen aussetzte, schien eine ästhetische Apokalypse einzuläuten. Gleichwohl stand selbst die Götterdämmerung mit ihrem heillosen Untergang der Menschenwelt im Zeichen einer heilsamen Katharsis. Wenn diese sich zunächst auch nur im Weltinnenraum der Musik ereignen konnte, so wollte deren inwendig schlummernde Erlösungsmacht zuletzt doch auch die äußere Welt durchdringen und im Karfreitagszauber des Parsifal noch die unerlöste Natur verwandeln.
In solchem hybrid oder auch blasphemisch anmutenden Pathos lag von Anbeginn das Faszinosum wie Skandalon von Wagners Kunstreligion. Dabei zog Wagner nur die letzten Konsequenzen aus in der deutschen Kulturtradition bereits vorhandenen Tendenzen, die mit der Reformation grundgelegt worden waren und in Barock, Klassik und Romantik ihre bedeutendsten Ausprägungen fanden. Die Frage nach dem deutschen Wesen verfolgte ihn zeitlebens, und am Ende geriet er in eine „sonderbare Skepsis“, die ihm dieses als ein in der Weltgeschichte ganz einzigartiges „reines Metaphysikum“ erscheinen ließ. So war die von Wagner beanspruchte Deutungshoheit des Deutschen in den letzten kulturphilosophischen und weltanschaulichen Fragen für ihn eine Selbstverständlichkeit angesichts der allseitigen Durchdringung der griechischen Antike durch deutsche Dichtung und Philosophie, vor allem aber im Blick auf die „in der reinsten Sprache aller Völker redende deutsche Musik.“ Weniger selbstverständlich, aber um so charakteristischer für Wagners unermüdlich forschenden philosophischen Geist war sein Interesse an der Philologie Jacob Grimms, der „deutsch“ etymologisch von „deuten“ und „deutlich“ hergeleitet und derart als Sprachbegriff aufgefaßt hatte. Wenn die Sache eines nicht volks‑, sondern sprachgemeinschaftlich bestimmten Deutschtums aber das Deuten ist, so konnte die höchste Bestimmung des deutschen Geistes für Wagner nur in metaphysischer Sinnstiftung und ästhetischer Welterschließung beschlossen liegen.
Die Reformation hatte die Keime hierfür gesät, die nicht nur auf religiösem Gebiet fruchtbar geworden sind, suchte die lutherische Frömmigkeit doch auch in der profanen Lebenswelt nach weltanschaulichem Ausdruck. Indem protestantische Energien insbesondere in den Kulturbereich eindrangen, nahm dieser seinerseits religiöse Züge an, so daß die deutsche Hochkultur geradezu als ein „säkularisiertes Luthertum“ (Helmuth Plessner) imponieren konnte. Kunstreligiöse Anschauungen im engeren Sinne fanden ihre klassische Grundlage in der Idee einer „Ästhetischen Erziehung des Menschen“ und in der Konzeption einer autonomen Kunst, wie Kant und Schiller sie entwickelt hatten. In der Kunst einen höchsten humanen Wert zu sehen, der um seiner selbst willen zu schätzen sei, wurde nicht zufällig im ökonomisch zurückgebliebenen Deutschland zum bürgerlichen Bildungsprogramm. Daß hier der kapitalistischen Kolonialisierung der Lebenswelt und der Ausbreitung des Warencharakters auch auf die geistige und künstlerische Sphäre ein größerer Widerstand entgegengesetzt wurde als in anderen europäischen Ländern, hatte seinen Grund aber auch in jenem Ethos, das die als heilig angesehene Kunst vor der profanen Kommerzialisierung des Lebens zu schützen auftrug.
Und in diesem konservativen Auftrag erkannte Wagner, was wahrhaft deutsch sei: nämlich „die Sache die man treibt, um ihrer selbst und der Freude an ihr willen treiben; wogegen das Nützlichkeitswesen, das heißt das Prinzip, nach welchem eine Sache des außerhalb liegenden persönlichen Zweckes wegen betrieben wird, sich als undeutsch herausstellte.“ Die hierin angemahnte „Tugend des Deutschen“ fiel für Wagner konsequent mit dem „höchsten Prinzip der Ästhetik zusammen, nach welchem nur das Zwecklose schön ist“. Und dieses selbstzweckhaft und sinnstiftend aufgefaßte ästhetische Prinzip, um dessentwillen es überhaupt äußere Lebenszwecke zu verfolgen lohne, suchte Wagner wiederum mit dem „höchsten religiösen Prinzip der Kirche“ in Einklang zu bringen. Allerdings erwartete er das Heil nicht mehr von der durch Herrschaft korrumpierten katholischen Kirche selber, sondern von einer ihre religiöse Mission beerbenden deutschen Kunst.
Wagners „deutsche Renaissance“ mußte daher auch mehr und anderes sein als ein weltfrommer bürgerlicher Kulturprotestantismus. Was die religiöse Reformation eingeleitet hatte, galt es vielmehr durch eine ästhetische Regeneration zu vollenden, die eine neue Kunstblüte auf der Grundlage einer wahrhaften Moralität herbeiführen würde und insofern einen kulturrevolutionären und zugleich radikal christlichen Zug tragen mußte. Immerhin hatte Wagner den Begriff „Regeneration“ vom lateinischen Ausdruck für das Taufwasser, dem lavacrum regenerationis, hergeleitet.
Eine so tiefgreifende Regenerationsleistung aber konnte nicht mehr von in traditionellem Sinne religiöser Kunst erbracht werden. Die Utopie einer Kunst jedoch, die sich ihre religiöse Bestimmung von Kirche und Theologie nicht mehr vorgeben läßt, sondern diese aus sich selbst hervorbringt, dämmerte bereits in der Frühromantik auf. Im Gegensatz zu Hegel, der im Sinne seines Diktums vom „Ende der Kunst“ die hohe Zeit der Kunstreligion auf die klassische Antike eingegrenzt wissen wollte, zielte die romantische Rettung des alten Mythos auf dessen ästhetische Anlagen, die in einer im Zeichen eines „Kommenden Gottes“ stehenden „Neuen Mythologie“ zur Entfaltung gelangen sollten. Bei Schelling, der im Christentum nur mehr eine historische Synthese der griechischen Mythologie sah, wurde die Kunst zur legitimen Erbin der Religion inthronisiert, und Schopenhauer fand insbesondere die Musik zur Offenbarung des Absoluten berufen. Aber erst Wagner verbindet die literarische „Arbeit am Mythos“ in Gestalt des Kunstmythos mit dessen musikalischer Aufhebung in einer Kunstreligion zu einem kulturrevolutionären Programm und bringt so den religiösen Impuls romantischer Kunstmythologie und – philosophie resümierend zum Austrag – nicht ohne zu bedeuten, daß es ihm nicht um die Stiftung einer neuen Religion, sondern nur um die Rettung des wahren Kerns der alten zu tun ist. Entsprechend lautet Wagners kunstreligiöses Credo, „daß da, wo die Religion künstlich wird, der Kunst es vorbehalten sei, den Kern der Religion zu retten, indem sie die mythischen Symbole, welche die erstere im eigentlichen Sinne als wahr geglaubt wissen will, ihrem sinnbildlichen Werte nach erfaßt, um durch die ideale Darstellung derselben die in ihnen verborgene tiefe Wahrheit erkennen zu lassen“.
Seine Wahl, vornehmlich die Musik mit der Rettung des religiösen Erbes zu betrauen, rechtfertigt Wagner zunächst im Sinne Schopenhauers damit, daß die anderen Künste nur „die Ideen der Welt und ihrer wesentlichen Erscheinungen“ zum Gegenstand hätten, wohingegen die Musik selbst „eine Idee der Welt ist, in welcher diese ihr Wesen unmittelbar darstellt“. Mit einer an gnostische Emanationslehren erinnernden Wendung charakterisiert Wagner seine eigenen Musikdramen geradezu als „ersichtlich gewordene Taten der Musik“, bringt in ihnen doch die Musik als „Idee“ der Welt das Drama als deren „Erscheinung“ aus sich hervor. Der metaphysische Vorrang der Musik vor den übrigen Kunstformen liegt für Wagner aber vor allem in ihrer Affinität zur weltverachtenden Heilsmission des noch nicht von der weltlichen Herrschaftsgeschichte der Kirche diskreditierten ursprünglichen Christentums begründet. Wie in der Verfallsperiode der römischen Weltzivilisation Christus aufgetreten sei, so breche aus dem Chaos der modernen Zivilisation die Musik hervor und verkünde wie jener ein Reich, das nicht von dieser Welt ist.
Die Musik ist somit für Wagner „die einzige dem christlichen Glauben ganz entsprechende Kunst“, wobei diese sich zu den übrigen Künsten verhalte „wie die Religion zur Kirche“, da sie dem inneren Wesen, nicht dem äußeren Schein der Dinge entstamme. Wie die Tonkunst im Zuge ihrer Selbstbehauptung gegenüber den einer „Ästhetik des Schönen“ verpflichteten Kunstformen Dichtung und Malerei eine „Ästhetik des Erhabenen“ hervorgebracht habe, so vermochte sie durch ihre Emanzipation von einer in katholischem Verfall und protestantischer Verweltlichung befindlichen Kirche „das edelste Erbe des christlichen Gedankens in seiner außerweltlichen neugestaltenden Reinheit zu erhalten“.
Diese weltabgewandte Reinheit zeigt sich im Selbstverständnis insbesondere der deutschen Musik als einer von allen repräsentativen und kommerziellen Zwecken befreiten Sache, die um ihrer selbst willen zu treiben sei. Im Verzicht auf schönen Schein und unverbindliches Spiel aber tendiert sie zu einem religiösen Ernst, in dem sich endlich eine heilsame Regeneration vollziehen kann. Denn allein im ästhetischen Ausnahmezustand erhabener Entrückung vermag sich der moderne Mensch noch von der Gottlosigkeit seiner profanen Existenz zu erlösen und wieder zu seinem heiligen Wesen zurückzufinden. Ausdrücklich stellt sich Wagner in die Tradition der deutschen Mystik, wenn er von dem „unnahbar eigenen Gott in uns“ spricht, der uns „nach seinem Verschwinden zu seinem Andenken die Musik zurückgelassen“ habe. Als „alles klagende, alles sagende, tönende Seele der christlichen Religion“ aber ist die heilige deutsche Musik nicht nur zur moralischen Erbauung des Einzelnen, sondern zur kulturellen Regeneration der gesamten Menschheit berufen, deren zivilisatorische Degeneration Wagner in der „Entgöttlichung der Menschenwelt“ fortschreiten sieht.
Sein Bühnenweihfestspiel Parsifal hat Wagner als geradezu exemplarisches Regenerationsmysterium in Szene gesetzt. Nach dem Zeugnis Cosimas führt die gemeinsame Versenkung in dieses religiöseste Werk Wagners stets zu dem Ergebnis, „daß der Gral und seine Sage die Sehnsucht der christlichen Seelen ausspricht, abseits von der Kirche, ohne Hierarchie, mit dem Erlöser zu verkehren – keine Protestation, aber eine Gegenschöpfung“. Während in der Unmittelbarkeit des Gottesbezugs das mystische Element von Wagners ästhetischem Christentum zum Ausdruck kommt, tritt in dem Gedanken der Gegenschöpfung eines Reiches, das nicht von dieser Welt ist, dessen gnostische Tendenz zutage. Daraus spricht kein ästhetizistisches l’ art pour l’ art, denn der Rückzug in quietistische Gnosis und entrückende Mystik steht letztlich im Dienste einer erneuten Weltzuwendung. So erkennt Wagner den Unterschied zwischen der katholischen Abendmahlsfeier und seiner häretischen Gralsfeier darin, daß hier „das Blut zu Wein wird, dadurch wir also gestärkt der Erde uns zuwenden dürfen, während die Umwandlung des Weins in Blut uns von der Erde abzieht“. Mit seinem Bezug zur Erde sucht Wagner indessen keine neuheidnische Naturreligiosität anzubahnen, denn „die Natur ist herz- und fühllos“ und insofern ihrerseits erlösungsbedürftig; vielmehr hebt Wagner auf eine neuchristliche Kunstreligiosität ab, die durch die Klage der Musik Herz und Gefühl für das Leid von Mensch und Tier öffnen soll.
Eine solche „Religion des Mitleidens“ aber entspringt im tiefsten Grunde der „Erkenntnis der Einheit alles Lebenden“, wie sie Wagner nicht erst in der Philosophie Schopenhauers, sondern bereits im Brahmanismus und Buddhismus ausgesprochen findet. Im Christentum dagegen gelangen das „Gefühl der Unseligkeit des menschlichen Daseins“ und die „Erkenntnis der Hinfälligkeit der Welt“, die jeder „wahren Religion“ zugrunde liegen, zu ihrem höchsten Ausdruck. Mit Wagners Verklärung der ihm zufolge wahlverwandten indischen und christlichen Erlösungsreligiosität allerdings geht eine Verwerfung der jüdischen Gesetzesreligion einher. Bekenntnishaft behauptet Wagner, „daß der ursprüngliche Gedanke des Christentums seine Heimat in Indien hat: die ungeheure Schwierigkeit, ja Unmöglichkeit, diesen reinen, durchaus weltverachtenden und dem Willen zum Leben abgewandten Gedanken auf den fruchtlosen Stamm des Judentums zu pfropfen, hat einzig alle die Widersprüche verursacht, die bis heute das Christentum so traurig entstellt und fast unkenntlich gemacht haben. Der eigentliche Kern des Judentums ist aber jener geist- und herzlose Optimismus …“ Das hier noch im Geiste der nach der Entdeckung des Sanskrit wirkmächtig gewordenen „Indomanie“ aufgefaßte christologische Kernproblem, daß die christliche Erlösungsidee mit dem jüdischen Schöpfungsgedanken unvereinbar ist, sollte dem späten Wagner durch Ernest Renans Neudeutung des Christentums im Lichte der marcionitischen Gnosis noch klarer aufgehen: Nachdem der Schöpfergott eine Welt erschaffen und für gut befunden hat, die in Wahrheit jedoch „grundschlecht“ ist, kann nur von einem Erlösergott, der nicht nur nicht eins mit jenem, sondern geradezu dessen weltfremder Gegengott ist, erhofft werden, ein von der schuldhaften Weltgeschichte erlösendes Heilsgeschehen zu bewirken. Dabei verleitet Wagners anthropologische Entzauberung dieses theologischen Problems ihn zu keiner heidnischen Selbstvergottung des Menschen, vielmehr hat dessen ästhetische Selbsterlösung sich im Zeichen einer gnostisch radikalisierten christlichen Mitleidsreligiosität zu vollziehen.
Von tiefem Mitleidsethos erfüllt ist auch Wagners christliche Kulturutopie, die er einer barbarischen Zivilisation entgegenhält, welche sich seit Anbeginn von „Blut und Leichen“ nährt und eine „Welt der Gewalt und des Schreckens“ hervorgebracht habe. Wenn das „Rasen der Raub- und Blutgier“ aber auch die Krankheit ist, welche die Menschheit „in stets zunehmender Degeneration“ erhält, so stellt diese Verfallsgeschichte doch zugleich eine „Schule des Leidens“ dar, welche die Menschen durch die Lehre des Mitleids zu einem Wissen führen kann, das schließlich eine „wahrhafte Regeneration des der Kriegszivilisation verfallenen Menschengeschlechtes“ einzuläuten vermöchte.
Nicht zuletzt aber sieht Wagner im Christentum einen aktuellen „Aufhalter“ der neuen Rassenlehre Gobineaus, nachdem es seinerzeit schon die alten Rassenreligionen zu überwinden vermochte. Während Wagner den „einzigen Fehler“ der im übrigen so geschätzten brahmanischen Religion darin erblickt, „daß sie eine Rassenreligion war“, welche der „Befestigung der Herrschaft einer bevorzugten Rasse“ gedient und „eine Auflehnung der Bedrückten undenklich gemacht“ habe, erkennt er den eigentlichen „Fluch“ des auch sonst feindselig abgeschätzten Judentums in dessen endogamer Selbstrassifizierung. Indem Wagner, dem jede Bezugnahme auf eine biologische Erbmasse fremd ist, das Judentum gleichwohl als Rasse kennzeichnet, kritisiert er das der Reinhaltung des jüdischen Blutes dienende Verbot der Mischehe, das nicht nur im nationalreligiösen Selbstverständnis des traditionellen und orthodoxen Judentums wirksam war, sondern noch in der Lebensform des reformierten und assimilierten Judentums fortwirkte. Der rassische Partikularismus der Juden aber verhindere ihre Emanzipation zu einem reinmenschlichen Universalismus, wie er allein aus deutschen Anlagen und christlichem Geist heraus entfaltet werden könne. Konsequent fordert Wagner daher, von einem deutschen Rasseninstinkt abzusehen, denn „der echte deutsche Instinkt fragt eben nur nach diesem Rein-Menschlichen“.
Nach dieser Maßgabe weist Wagner, der sich von der rassischen Degenerationslehre Gobineaus zunächst nicht unbeeindruckt gezeigt hat, dann aber um so entschiedener dessen Regenerationspostulat zurück, den „Rassenverfall“ durch Endogamie aufzuhalten, scheint ihm doch bereits die Institution der Ehe als solche mit ihrer Unterordnung der Liebe unter das Eigentum Mitschuld an dem Verfall der Menschheit zu tragen. Dagegen soll das mystische Liebesopfer Christi für eine echte moralische Regeneration des rassisch verdorbenen Blutes der Menschheit und ineins damit für die theologische Überwindung des anthropologischen Rassendenkens selber einstehen: „Das Blut des Heilandes – wer wollte frevelnd fragen, ob es der weißen, oder welcher Rasse sonst angehörte? – konnte nicht für das Interesse einer noch so bevorzugten Rasse fließen; vielmehr spendet es sich dem ganzen menschlichen Geschlechte zur edelsten Reinigung von allen Flecken seines Blutes.“ Immer wieder sprach Wagner sich „zu Gunsten des Christlichen gegenüber dem Rassengedanken“ aus, um dem Vordringen des progressiven französischen Rassismus durch ein konservatives deutsches Christentum Einhalt zu gebieten. In seinen letzten Lebensjahren allerdings konnte er beinahe nur noch im christlichen und kaum mehr im deutschen Geist eine würdige Stellvertretung des Reinmenschlichen erkennen: „Bei den Deutschen ist alles im Ersterben, eine traurige Einsicht für mich, der ich an die noch vorhandenen Keime mich wende. Eines ist aber sicher, die Rassen haben ausgespielt, nun kann nur noch das Blut Christi wirken.“
Im Dritten Reich indessen wurde das antirassistische Bollwerk von Wagners deutschem Christentum zerschlagen, und nach dessen Untergang fand sich seine Kunstreligion zudem der Anklage ausgesetzt, für die Selbstinszenierung des Nationalsozialismus als politischer Religion einen Resonanzboden geschaffen zu haben. Wagner selber freilich hätte sich zu solcher Usurpation des allein ästhetisch einlösbaren religiösen Heilsversprechens durch politische Herrschaftsanmaßungen widerständig quergestellt – suchte er seinen ästhetischen Ausnahmezustand musischer Entrückung doch einem auratischen Wunder gleich zu inszenieren, um dessen heiligen Bezirk vor einem profanen politischen Ernstfall zu schützen. So verhielt sich Wagners Musik solidarisch mit Religion im Augenblick ihres Sturzes. Aus der deutschen Geschichte aber läßt sich anscheinend nur lernen, daß sie, wie die griechische Tragödie, stets die schlimmstmögliche Wendung nimmt gerade durch das, was die Katastrophe aufzuhalten verspricht.