Im Fall der radikalen Linken seufzen die wenigen Gesprächspartner aus derselbigen, die man hat, jedenfalls regelmäßig auf, wenn man die »AG No Tears for Krauts« erwähnt. Als »arrogante Besserwisser«, »pseudolinke Neocons« oder auch »Spalter« werden sie dann abgetan. Vermutlich trifft alles zu.
Denn diese antideutsche Gruppierung (sinngemäß: »Keine Tränen für Deutsche«) die vor allem im akademischen Bereich von Halle/Saale seit mehr als zehn Jahren Wurzeln geschlagen hat und weit über Sachsen-Anhalt hinaus als Quertreiber gefürchtet ist, hat sich diesen Ruf hartnäckig verdient.
Ähnlich wie ihre Weggefährten der Redaktion Bahamas, dem selbsterklärten »Abrißunternehmen der deutschen Linken«, sind die Akteure aus Halle zwar so antifaschistisch wie antideutsch, aber just aus diesen Überzeugungen speist sich die Abneigung gegen die bundesdeutsche Mehrheitslinke, die anmaßend, übergriffig und klug gleichermaßen formuliert wird.
Wer Aufstieg und Fall des patriotischen Hausprojekts in Halle/Saale verfolgt hat, erinnert sich vielleicht an die Intervention der AG auf einer linken Demo gegen die eigenen Genossen.
Im April 2018 demonstrierten Antifas und Linksgrüne aller Schattierung gegen die »AK16«, das genannte Hausprojekt. Die »AG No Tears for Krauts« kündigte den thematischen Konsens eigenhändig auf, verteilte provokative Flugblätter und sorgte für entrüstete Gesichter.
Eine kleine Einführung in den AG-Sound:
Kommt es Euch nicht auch etwas lächerlich vor, auf eine feministische Demonstration zu gehen, die sich gegen die Identitären richtet? Oder gar verlogen? Anscheinend nicht, denn ansonsten wärt Ihr zuhause geblieben, anstatt Euch hier bei einem Protest gegen ein Dutzend Flachpfeifen, die ohnehin niemand zu mögen scheint, als ehrenwerte Verteidiger des Feminismus aufzuspielen.
Hintergrund: Die Antifa-Demo richtete sich explizit auch gegen den »sexistischen« Charakter des identitären Spektrums.
Weiter hieß es von der AG an die versammelten anderen Linken:
Wie kommt Ihr überhaupt darauf, dass die IB sonderlich sexistisch sei? Deren weibliche Protagonisten treten sehr selbstbewusst und nun wahrlich nicht als die »Heimchen vom Herd« auf. Uns sind auch keine Verlautbarungen der Identitären bekannt, die diese als üble Sexisten überführen.
Gewiss, wir sind nicht die Nazi-Experten wie Ihr. Aber so ganz haut Euer Vorwurf nicht hin. Die Identitären haben sicherlich ein traditionelles Frauenbild. Aber das ist weder dezidiert sexistisch, noch unterscheidet sich das wesentlich von anderen Milieus wie den Fans vom Halleschen Fußballclub, den Ammendorfer Sportkeglern oder dem Frauenyogakurs im Iris-Regenbogenzentrum.
Nach einigem Anlauf, der natürlich auch diverse Beleidigungen gegen die Identitären enthielt, kamen die Antifaschisten der »AG No Tears for Krauts« dann zu einem ihrer Lieblingsthemen: Islamismus. Der Sexismus in muslimischen Glaubensgemeinschaften, so die AG-Autoren, würde von der linken Szene bagatellisiert.
Daher führten sie in offener Ansprache der versammelten Mehrheitslinken aus:
Gegen Euch ist jeder Feminismus zu verteidigen, der sich nicht scheut, den größten Agenten der Frauenunterdrückung in Deutschland zu benennen, ohne nebulös herumzueiern und von »religiösen Strukturen« zu schwadronieren.
Also, liebe Demonstranten, nehmt es uns nicht übel. Aber: Ihr seid Teil des Appeasements gegenüber dem Islam und verratet all jene Frauen und Homosexuelle, die täglich unter den Zumutungen des Islam zu leiden haben.
So weit, so bekannt. Interessant wird dann jener Abschnitt, der eine indirekte Verteidigung des »rechten« islamkritischen Lagers enthält:
Ihr betreibt nur dümmliche Selbstvergewisserung, wenn Ihr in Eurem Aufruf auch Konservative für ihr traditionalistisches Rollenbild anklagt, als wären sie inzwischen nicht diejenigen, die noch am beharrlichsten individuelle Freiheiten gegenüber dem Islam und seinen linken Freunden verteidigen,
womit die obige Einschätzung als »linke Neocons« einigermaßen bestätigt scheint.
Finale furioso:
Eure Indifferenz gegenüber der Zerstörungswut des Islam ist für das gesellschaftliche Zusammenleben gefährlicher als die ohnehin einflusslosen Mitglieder einer rechten PR- Sekte. Mit Euch lässt sich kein Feminismus machen!
Diese Vorbemerkungen zum Charakter der Gruppe waren samt O‑Tönen vonnöten, um den folgenden Text über den Fall der linksmilitanten »Hammerbande« besser einordnen zu können. Hier schert jemand aus festgezurrten linken Erzählungen aus – und tut es eben nicht zum ersten Mal. In diesem aktuellen Fall sind derweil auch Erkenntnisse für Nichtlinke zu gewinnen, die hier skizziert werden sollten.
Der für die heutige linke Szene durchaus als beispiellos zu titulierende Text ist überschrieben mit »Wir sind nicht Lina«, womit die AG sicherlich ein wenig am Ohrfeigenbaum ihres Milieus rüttelt:
Kritik des Verfahrens: ja.
Aber: kein Applaus für Scheiße!
Die AG beschreibt eingangs die große Solidaritätswelle in der vereinigten Linken mit den Angeklagten der Hammerbande. Dann erklären sie unumwunden:
Wir sind nicht Lina. Das heißt nicht, dass das Verfahren gegen Lina E. nicht kritikwürdig war. Im Gegenteil, es war eine Farce. […] Und trotzdem sind wir nicht Lina. Denn wer soll das sein, dieses „Wir“, das auf allen möglichen Flugblättern, Transparenten und Graffiti beschworen wird?
Die »AG No Tears for Krauts« macht deutlich: Mit »Stalinisten«, »Maoisten«, Palästina-Solidarischen usw. möchten sie nicht vergemeinschaftet werden. Sie stünden als Einzelne für sich und für kein Kollektiv.
Ausgehend von dieser Wir-Entsagung dozieren die AG-Autoren in ihrer klassischen Art und Weise über Rechtsstaat, Besitzverhältnisse, Schutz vor Diktaturen usw. Das darf man, kennt man andere AG-Texte, als redundantes Vorgeplänkel übergehen.
Aus der Ablehnung totalitärer Raserei heraus bekennen sie sich, untypisch für radikale Linke, typisch für an Horkheimer und Adorno geschulte Verteidiger des bürgerlichen Fortschritts, zum Prinzip des Rechtsstaates:
Bei aller berechtigten Kritik am Rechtsstaat wären seine Prinzipien auch darum nicht nur gegen das oft bemühte Schlimmere wie Nationalsozialismus, Stalinismus und Islamismus zu verteidigen, sondern bereits gegen ihre stets drohende Aushöhlung.
Und jetzt kommen ihre Genossen ins Spiel:
Wer Antifaschismus nicht nur als Parole begreift, mit der er das eigene Krawallbedürfnis legitimiert, sondern als Reflexion auf historische Erfahrung, hätte somit Verteidiger und Kritiker des Rechts in einem zu sein.
Als »AG No Tears for Krauts« wirft man der Mehrheitslinken vor, doppelte Standards anzulegen:
Kritik hätte in diesem Zusammenhang nicht nur an Aktivitäten gegen Leute geübt zu werden, die zum „Wir“ gehören, sondern auch an Maßnahmen gegen politische Gegner und andere wenig sympathische Zeitgenossen. Dazu zählen z.B. auch Hooligans, die laut Beschluss des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vor Fußballspielen schon seit einigen Jahren ohne größeres Pipapo vorsorglich in Polizeigewahrsam genommen werden dürfen, oder sogenannte Querdenker, wenn ihre Grundrechte willkürlich und massiv eingeschränkt werden.
Worte, die man selten aus der linken Ecke vernimmt:
Stattdessen beschwert sich die Linke regelmäßig über gegen sie gerichtete Repressionen, um sich im nächsten Augenblick an den Staat zu wenden und an ihn zu appellieren, die Grundrechte von Nazis und anderen unliebsamen Leuten einzuschränken und sie doch bitte, bitte härter zu bestrafen. Sie hat, ähnlich wie der herkömmliche Stammtischbruder, nichts gegen die Rückbildung des Rechtsstaates, die Rücknahme von Freiheitsrechten und möglichst hohe Strafen, wenn es nur die Richtigen und nicht den eigenen Haufen trifft.
Die »AG No Tears for Krauts« trifft damit einen wichtigen Punkt und kommt zum nächsten, ebenso wichtigen:
Ohnehin scheint es bei den Protesten gegen das Verfahren gegen Lina E. und ihre Mitangeklagten vor allem um die Verteidigung der eigenen Gang gegen den als größere Gang begriffenen Staat samt seiner Polizei zu gehen.
(Wolfgang Pohrt-Lektüre läßt grüßen!)
Wäre es anders, dann wäre in den letzten drei Jahren nämlich auch etwas anderes thematisiert worden, und zwar das erschreckende Ausmaß an Gewalt, das auch zu den Hintergründen des Prozesses gehört,
was aber nicht bedeute, daß man so etwas wie Mitgefühl mit den Opfern der linken Gewaltwelle besäße:
Um gar nicht erst Missverständnisse aufkommen zu lassen: Unser Mitleid mit Nazis, die im Rahmen antifaschistischen Selbstschutzes in ihre Schranken verwiesen werden, hält sich in engen Grenzen. Wir stehen militantem Antifaschismus trotz aller Kritik der Gewalt nicht nur kritisch gegenüber.
Aber auch der »antifaschistische Selbstschutz«, also die antifaschistische Totschlägerei, habe eben ihre Grenzen:
Wer aber gezielt mit Hämmern auf Wehrlose einschlägt, wie es in den letzten Jahren nicht nur in den Fällen vorkam, für die Lina E. angeklagt wurde, betreibt allerdings keinen antifaschistischen Selbstschutz; noch nicht einmal offensiven. Er nimmt vielmehr billigend in Kauf, dass sein Opfer dabei stirbt: Schädel halten der Bearbeitung mit schwerem Metall nicht lange stand, das weiß jeder, auch wenn er sonst nichts weiß.
Es wäre interessant zu sehen, wenn die »AG No Tears for Krauts« dies auf einem Flugblatt ähnlich formulieren würde und dieses auf einer der Leipziger Hammerbanden-Soli-Demos verteilen würde …
Im Anschluß führen die AG-Autoren exakt das aus, was »Rechte« seit Jahren beanstanden: Distanz zu Gewalt gibt es Linksaußen nicht, und wenn, dann ist sie nur taktisch bedingt:
Dieses Vorgehen wurde in der linken Szene jedoch nicht deshalb kritisiert, weil es sich einfach verbietet, mit einem Hammer auf einen Menschen einzuschlagen, sondern, wenn überhaupt, nur, weil dadurch ein höherer Ermittlungs- und Verfolgungsdruck durch die Polizei entstehe. Vielfach wurde sich sogar positiv auf die Brutalisierung bezogen, für die diese Taten stehen, so u.a. auf Transparenten, die für Antifaschismus warben und mit einem Hammer verziert waren, dem Schriftzug, dass Solidarität „der Hammer“ sei oder der augenzwinkernden Aussage, dass Antifa-Arbeit „hammergeil“ sei.
Zeilen, die man in der »bürgerlichen« Presse Deutschlands ebenso vergebens sucht wie in den Medien des Öffentlich-Rechtlichen.
Die Entwicklung der Antifa-Szene hin zu einem ostentativen Fetisch der Gewaltanwendung gegen Wehrlose, so setzen die AGler ihre verdienstvolle Aufklärungsarbeit fort,
hat viele Gründe, einer steht jedoch mit der Krise der Antifa in Verbindung, die seit vielen Jahren anhält. Genau betrachtet, ist der linke Antifaschismus an seine Grenzen gestoßen. Spätestens seit den Zweitausenderjahren ist er zutiefst staatstragend, zumindest wenn man den Blick von Sachsen löst uns (sic!) die Bundesrepublik als Ganzes betrachtet.
Antifaschismus als Staatsdoktrin, linkes Neusprech als gesellschaftliches Zwangsverhältnis. Das muß auch den Ideologiekritikern aus Halle mißfallen:
Es gibt im Unterschied zu den Neunzigerjahren keine größere etablierte Partei und keine namhaften Politiker mehr, die sich nicht positiv auf den Antifaschismus beziehen, sich lautstark „gegen Rechts“ bekennen und die Bekämpfung von Neonazis für wichtig erachten. Auf allen Kanälen, von Jan Böhmermann bis zur Heute Show, wird erklärt, wie schlimm Neonazis und die AfD seien. In Sachsen-Anhalt wurde der Antifaschismus 2020 sogar ganz offiziell in die Verfassung aufgenommen und zum Staatsziel erklärt.
Die Antifa verliert somit nicht nur ihr ideologisches Alleinstellungsmerkmal. Sie geht auf in einem größeren »Wir«, in der im Negativen (»Kampf gegen rechts«) vereinigten Bevölkerungsgemeinschaft. Kurz: Sie verliert ihre Identität, ihre Existenzberechtigung. Und will Abhilfe schaffen. Die AG stellt diese Abhilfe so dar:
Um sich überhaupt noch von diesem staatstragenden Antifaschismus abgrenzen zu können, muss die Antifa in die Bereiche von Sprache und Mittel ausweichen. Will heißen: Die verstärkte linke Militanz und der Verbalradikalismus der letzten Jahre sind nicht zuletzt dem Versuch geschuldet, sich doch noch von der Anti-Nazi-Agitation des Staates und seiner Zivilgesellschaft zu unterscheiden. Da es inhaltlich nur wenige Differenzen gibt, bleibt nur die Gewalt,
womit der Kern der Sache ausformuliert scheint. Wenn die ideologischen Staatsapparate der Bundesrepublik, von Kirchen und Gewerkschaften bis zu Subkulturen und Sportvereinen, nach links gekippt sind, wird Identität der Ideologiebausteine, relative Deckungsgleichheit jedenfalls, hergestellt.
Wo aber Identität Konformität erzeugt, schwindet die eigene Partikularidentität als »Szene«. Man ist nicht mehr besonders, speziell und originell, sondern im Mainstream angekommen und sogleich aufgegangen.
Der Widerspruch, der in der Schizophrenie liegt, dennoch daran festzuhalten, man sei »als Antifa« systemkritisch, widerständig oder zumindest rebellisch, ist nicht zu lösen. Keine Dialektik der Welt kommt damit klar. Allenfalls kann man den Widerspruch durch Gewaltanwendung und massive Militanz übertünchen, und das heißt: durch einen Rückfall in die Verhaltensbarbarei verschleiern. Aber so oder so handelt es sich dabei um ein Ablenkgefecht.
Die »AG No Tears for Krauts« kommt zu einem ähnlichen Resümee und mutmaßt:
Das dürfte auch einer der zentralen Gründe für die immense Solidarität sein, die Lina E. entgegengebracht wird. Mit der Parole „Wir sind Lina!“ kann man sich vormachen, trotz aller Affirmation nicht nur kritisch und staatsfeindlich zu sein, sondern dafür auch noch verfolgt zu werden. Aus dem Verfahren und der mit ihm verbundenen Solidaritätskampagne zieht man nicht nur eigene Bedeutung, sondern auch die immer wieder gepriesene Differenz, die es kaum noch gibt.
Nun: Das alles vertreten mindestens die Zeitschrift Sezession und das Bürgernetzwerk Ein Prozent in ihren Texten zu diesem Thema seit Jahren.
Ich selbst schrieb 2019 in meiner Analyse Blick nach links:
Weil der Antifaschist kämpferische bis militante Attitüden zu pflegen liebt, der einstige Hauptfeind »Kapital« samt der von ihm herausgebildeten neuen Gesellschaft aber mittlerweile ein objektiver Verbündeter ist, werden Ablenkziele benötigt, die den Gestus des politischen Kampfes mit all seinen Erscheinungen befriedigen, ohne die wirklich großen Fragen und Widersprüche angehen zu müssen. So entsteht (und reproduziert sich) die konformistische Rebellion.
Diese Ablenkziele sind, die »AG No Tears for Krauts« weiß es ebenso wie wir, »Rechte« aller Art.
Daß derlei Deutungen und Wahrnehmungen über die Hufeisen-Konstellation schrittweise auch im gegnerischen Lager ankommen, spricht für die Chance, die sich derzeit ergibt, wonach aus dem eskalierten Treiben der linken Gewaltzuspitzung Aufklärung und Gegenöffentlichkeit sprießen.
In kleinen Schritten, gewiß, aber doch stetig.
Niekisch
"Daß derlei Deutungen und Wahrnehmungen über die Hufeisen-Konstellation schrittweise auch im gegnerischen Lager ankommen, spricht für die Chance, die sich derzeit ergibt, wonach aus dem eskalierten Treiben der linken Gewaltzuspitzung Aufklärung und Gegenöffentlichkeit sprießen."
Im hochanalytischen Artikel eine Schlußbemerkung, die mich an frühere Zeiten erinnert. Während wir jungen Leute von JN und NHB mit dem maoistischen Zweig der damaligen Antifa bei Frikadellen und Bier heftig diskutierten, sammelte sich die SDAJ - Antifa im Dunkeln in der Nähe, um beide Gruppen zu überfallen. Schon damals war es nichts mit Aufklärung und Gegenöffentlichkeit aus der Eskalation heraus. Die Schläger gingen den Marsch durch die Institutionen, die Maoisten isolierten sich oder gingen den Parteiweg.
Vielleicht lohnt sich der Versuch, der etablierten Linken zu verdeutlichen, dass im Bevölkerungsaustausch auch deren Schmerz begründet sein wird, beiden Seiten Gleiches droht.