Vor dem Hintergrund, daß mal wieder über das Mathematik-Abitur gejammert wird und eine Schüler-Petition Unterschriften sammelt, die bestätigen, daß es viel, aber diesmal wirklich viel, viel zu schwer war.
Viel schwerer als die vorigen Abiture, die aber auch schon schlimm, schlimm schwer waren, so schwer, daß die von den Prüfern erteilten Notenpunkte von Staats wegen einfach angehoben wurden, „um den Punktedurchschnitt rechnerisch an die Ergebnisse der vergangenen Jahre anzugleichen.“ So einfach macht man das, per Ukas, wenn man die Regierung ist.
Also schönrechnen statt nur rechnen und Erfolge dekretieren, anstatt sie zu erarbeiten. Das ist sozialistisch und läßt die Welt doch gleich viel gerechter aussehen, zumal das sogenannte Gymnasium ohnehin längst zur Gesamtschule der Nation abstieg, während in den anderen Schulen – häufig als „Brennpunktschulen“ aufzufassen – sowieso eher sozialpädagogisch betreut als solide ausgebildet wird.
Die Abiturienten in Mecklenburg-Vorpommern haben im vergangenen Jahr im Grundkurs Mathematik im Schnitt aber wieder nur mit der Note 4 abgeschlossen. Neidvoll blicken die Kultusbürokraten von Mecklenburg-Vorpommern daher nach Thüringen, wo unterm gleichfalls linken Bildungsminister und Mecklenburg-Import Helmut Holter die Regel gilt, daß nur zwei Prüfungsfächer aus Mathe, Deutsch und einer Fremdsprache gewählt werden müssen.
Insgesamt ist eine verpflichtende Prüfung im Grundkurs Mathematik schon in elf Bundesländern nicht mehr vorgesehen. In der klassischen Bildungsnation Deutschland wäre das unvorstellbar gewesen. Abgesehen davon zeigen diese unterschiedlichen Handhabungen, daß das Abitur in Deutschland überhaupt nicht vergleichbar ist und der Abiturbetrug, den Ex-Bildungsminister Mathias Brodkorb konstatierte, fortgeschrieben wird.
Mathematik ist nicht nur schwer; Mathematik hat es schwer, denn im apriorischen Denken kann nichts glattgelabert werden. Selbst der naseweis neunmalkluge Schülersprecher muß mal ein paar Stunden schweigen, nachdenken und rechnen, anstatt Statements zum Klima, zu Krieg und Frieden und zur Diversität der Geschlechter als soziale Konstrukte abzugeben. Erst nachdem er seine Arbeit geschrieben hat, kann er wieder protestieren, was für ein Skandal dieses Mathe-Abitur nun wieder war, noch viel schlimmer und viel schwerer als alle anderen davor, alles andere als schülerfreundlich, eine fiese Überforderung.
Das Fach Mathematik scheint sich der „Schule für Demokratie“ zu verweigern, da es ja den Verstand ausbildet.
Werden Prüfungen nicht bewältigt, müßte die Schule, müßten sich aber eigenverantwortlich auch die Abiturienten, junge Erwachsene immerhin, engagierter darauf vorbereiten, ohne auch dann noch an die Hand genommen zu werden.
Ministerin Oldenburg aber macht es sich leicht und möchte kurzerhand ganz salomonisch die Herausforderungen selbst abschaffen. Das entspannt einfach alles schneller. Was zu anspruchsvoll ist, gehört ausgesondert, damit die Reifeprüfung gechillt erfolgen kann. Der infantile Klamauk der Mottowoche und das Abikleid scheinen ohnehin wichtiger. Mehr Abi eben, weniger Abitur.
Wer gegen Mathematik motzt, darf fatalerweise immer auf Beifall hoffen; wer mitteilt, er wäre in Mathe sowieso zu blöd gewesen und nur durchgeschoben worden, ist sicher, stets in guter Gesellschaft zu sein, weil die Mehrheit auf seiner Seite ist und das Fach gern „abgewählt“ hätte, so wie’s jetzt von der Ministerin selbst abgewählt werden soll. Doof in Mathe ist absolut in!
Aber dieses Kernfach vermittelt gerade keinen unnützen Ballast, den angeblich nur Nerds und Ingenieure brauchen, es schult das reine Denken, die Logik und das Abstraktionsvermögen, ja sogar klares Sprechen, insofern die Grammatik der Gedanken zur Grammatik der Sprache findet. Gewissermaßen bildet es den ruhigen Gegenpol zur ideologischen Hysterie der politischen Bildung.
Nur gilt weiterhin so unmodern wie treffend: Ohne Fleiß, kein Preis! Gerade Mathematik bedarf der gründlichen und systematischen Vermittlung sowie des durchgehenden Übens. Mag der Spaßfaktor zunächst gering scheinen, so ist der Gewinn für den Verstand und eine Vielfalt fachlicher und handwerklicher Anwendungen doch immens.
Enorm, was etwa Zwei- oder Dreitafelprojektionen von Körpern für das Vorstellungsvermögen leisten! Leisteten. Denn sie sind als zu anspruchsvoll meist ausgesondert – ebenso wie übrigens alle Beweisverfahren aus dem Pensum der Abiturstufe genommen wurden. Die DDR thematisierte das Beweisverfahren der vollständigen Induktion hingegen schon in der neunten Klasse. (Für Freaks verlinke ich das Mathematik-Abitur, das ich 1982 im Frühsommer absolvierte.)
Ohne Fließ kein Preis, dieser tugendethische Spruch gilt heute als unzumutbar diskriminierend, denn es haben doch wohl alle einen Preis verdient, gerade die Talentfreien und die Minimalisten und mehr noch jene aus den sozial benachteiligten und migrantischen Haushalten. Man hole sie, so der gängige pädagogische Lapsus, dort ab, wo sie stehen (und wo sich nicht bewegen bzw. selbst überwinden wollen), und man drucke ihnen gefälligst ein Abi-Zeugnis mit möglichst einer Eins vorm Komma aus. Genau das versteht sich heute als Bildung.
Was Mühe macht, will trainiert statt vermieden sein! Ja, Mathe sollte man sportlich nehmen, anstatt sich wegzuducken. Wie faszinierend, daß die Mathematik mit ihren Axiomen ein logisches Raster vermittelt, das unser Verstand über die Welt legt, um sie verstehen und beschreiben zu können. Wie ein Schlüssel paßt das Mathematische, apriorisch gefaßt, in die Komplexität der aposteriorischen mannigfaltigen Welt.
Ein Abitur ohne verbindliche Mathe-Prüfung ist wie der Erwerb eines Führerscheins, ohne daß vorher die Kenntnis der Vorfahrtsfälle nachgewiesen wurde. Statt Prüfungen abzuschaffen sollte die Schule Kindern vermitteln: Mathematik ist cool.
Seit Jahrzehnten aber reagiert die Bildungspolitik auf nachweislich schwindende Kompetenzen, indem Inhalte reduziert, Anforderungen gesenkt, Maßstäbe aufgeweicht und Zensuren inflationiert werden. Mit dem Erfolg, daß Wissen und Können weiter schwinden.
So stimmen zwar die Noten, aber bei so viel 1,0‑Zeugnissen wie nie sind die tatsächlichen Befähigungen – insbesondere im MINT-Bereich – ausweislich aller maßgebenden Tests noch nie so schlecht gewesen.
Dennoch ist den Bildungsministerien Etikettenschwindel ebenso recht, wie er Eltern und Schülern entgegenkommt. Hauptsache, man gilt was. Wichtiger wäre jedoch, man könnte was. Ungedeckte Schecks fliegen auf, in diesem Fall in Lehre, Studium und Beruf.
Als Industrie- und Wissenschaftsnation bedarf Deutschland eines anspruchsvollen, ja herausfordernden Mathematik- und Naturwissenschaftsunterrichts. Insbesondere in der Abiturstufe darf Mathematik nicht degradiert, sie muß hierzulande vielmehr forciert werden, auf daß Spitzenkräfte statt aus Kalkutta und Bombay wieder aus Rostock oder Güstrow kommen.
Als mein Vater, Landarbeiterkind, aber als talentiert aufgefallen, 1949 von seiner Dorf- auf eine DDR-Oberschule geschickt wurde, saß er als Neuntkläßler verzweifelt über seinen ersten anspruchsvollen Mathematikaufgaben. Im Internat faßte er sich ein Herz und fragte im Zimmer gegenüber einen Schüler der Zwölften, ob der ihm bitte mal helfen könne.
Die Antwort: Gut, einmal helfe ich dir, aber weißt du, das kann man selbst lernen. Streng dich an und lerne es; anders geht’s nicht. Haben wir hier alle so gemacht. Und hingekriegt. Du brauchst nicht mehr als Rechenpapier, Bleistift, ein Tafelwerk und deinen Rechenschieber. Ist alles eigentlich schon in deinem Kopf. Ja, den brauchst du dafür auch. Die Bäume draußen tragen keine Zahlen, wenn du sie zählst; die Zahl kommt nämlich aus deinem Kopf. – Mein Vater lernte – und unterrichte sein Leben lang Naturwissenschaften, löste Mathe-Rätsel, spielte Schach und nervte mich mit Rechenaufgaben.
Ich selbst durfte vor meinem Berufsverbot noch „fachfremd“ Mathe geben, jedenfalls jedenfalls in der Sekundarstufe einer nichtgymnasialen Schule, also bis zur Trigonometrie etwa. Es war mir das liebste Fach, besser zu handhaben als Deutsch, Geschichte und Philosophie. Aber: Ich saß Stunden an Vorbereitungen.
Ich mußte nämlich selbst nachlernen und darüber nachsinnen, wie man die Aufgaben anschaulich und die Probleme plausibel gestaltet und vor allem deren Relevanz für Leben und Beruf nachweist. Oder wie man es unterhaltsam hinbekommt. Und wie man möglichst noch zeigt, wie elegant manche Lösung ist. Geradezu ästhetisch. – Manchmal radelte ich abends in die Schule und brachte schon mal mit dem Geometrie-Besteck eine Konstruktion an die Tafel. Um zu schauen, ob’s auf großer Fläche und farbig ausgeführt gut aussieht.
Nachtrag: Aufgeschreckt u. a. vom oppositionellen Angstgegner AfD, beeilte sich das linksregierte Bildungsministerium in Schwerin, mit einer Pressemitteilung zu beruhigen. Noch sei nichts entscheiden; die Bürokraten berieten gründlich in ihrer Lenkungsgruppe über das weitere Verfahren, selbstverständlich ergebnisoffen. Und noch wäre eine Abschlußprüfung in Mathematik für das Abitur ja verbindlich. Man möge bitte abwarten.
Allerdings kann man ein bildungspolitisches Gesetz so formulieren: Bei aller Lenkung und Beratung wird auf eine Steigerung von Anspruch und Niveau nicht zu hoffen sein. Im Gegenteil.
Laurenz
@HB ... Was sind Sie aber auch für ein ziviler Hauptfeldwebel. Wissen Sie was, HB, natürlich haben Sie mit Mathe Recht, auch wenn ich persönlich in Mathe, vor allem in Vektorrechnung, ein absoluter Versager war. Allerdings mußte ich in meinem Berufsleben rechnen können. Wer mit Anleihen handelt muß %e & Zinsen (Zinszahlen) rechnen, wie auch wissen, was Nachkommastellen im Preis beim jeweiligen Betrag bedeuten. Auch war es günstig, Renditestellen, je nach Laufzeit & Kupon im Preis im Kopf überschlagen zu können. Eins ist doch offensichtlich, Mathe hin oder her, wenn man sich die F...up-for-Future-Hanswurste & Letzte-DeGeneration-Kaschberls anschaut, rechnen können die alle nicht. Denn, wer rechnen kann, weiß sofort, daß er von NGOs & sonstigen Politiker-Schwachköpfen bezüglich des menschengemachten Klimawandels durch CO2 fett verarscht wird oder werden soll. Wer an diesen Müll glaubt & nicht selbst nachprüft, hat die Kontrolle über seinen Verstand verloren & ist reif für die Klapse. Vielleicht schrauben wir unsere Ansprüche zurück & lassen diesen, um 13 Jahre prolongierten Kindergarten erstmal rechnen lernen.