Wer die Auffassungen de Benoists kennt, wird von dieser Einschätzung kaum überrascht sein. Sie entspricht Positionen, die er in der Vergangenheit nicht nur im Hinblick auf den Islam – und den Islamismus –, sondern auch in bezug auf den Hindunationalismus und andere mißliebige, weil „antiwestliche“ Weltanschauungen bezogen hat. In seiner Perspektive sind sie mehr oder weniger legitime Bemühungen, sich gegen einen Universalismus zu wappnen, der keine gewachsenen Überlieferungen und Lebensformen anerkennt; außerdem verbürgen sie jene „Ganzheit“, die zu den wesentlichen Merkmalen von de Benoists Kulturbegriff gehört.
Während es auf der französischen Linken durchaus ähnliche Auffassungen gibt – der berühmteste Fall dürfte der Marxist Roger Garaudy sein, der sogar zum Islam konvertierte, weil er hier die ersehnte „Totalität“ verbürgt sah – steht de Benoist auf der französischen Rechten allein. Deren Haltung ist, wie er nicht müde wird zu kritisieren, islamophob. Dabei spielt heute natürlich die Einwanderung aus dem Maghreb und Innerafrika eine wichtige Rolle, aber bestimmte Koordinaten dieser Auffassung sind sehr viel älter und wurzeln in ideologischen Vorgaben des 19. Jahrhunderts. Man könnte von einem Kreuzzugsparadigma sprechen, dem schon die katholische Rechte folgte, das aber auch für den „Integralen Nationalismus“ eine entscheidende Rolle spielte, der sich zur umfassenden Verteidigung der lateinischen Zivilisation gegen ihre Feinde berufen sah. Der „Kreuzzug“, den Charles Maurras wollte, hätte sich nicht nur gegen die Moslems, sondern auch gegen Asiaten, Deutsche und Juden gerichtet.
Ein Konzept, das sich sehr deutlich unterscheidet von dem der bürgerlichen, vor allem der gaullistischen Rechten der Nachkriegszeit, die eine proarabische Außenpolitik nicht nur der Frankophonie zuliebe trieb, sondern im Zusammengehen mit dem als wesensverwandt empfundenen arabischen Nationalismus eine Möglichkeit sah, die Handlungsfähigkeit und Unabhängigkeit des eigenen Landes zu stärken. Der Islam erschien in dem Zusammenhang als vernachlässigenswerte Größe, ein Faktor mit dessen Bedeutungsverlust man ebenso sicher rechnete wie mit dem um das Politische reduzierten Fortbestand des Christentums.
Das französische Muster läßt sich in vielem ähnlich für den italienischen oder britischen Fall nachweisen, während in Deutschland die Kreuzzugstradition kaum eine stärkere Bedeutung besaß. Eher wird man eine grundsätzlich wohlwollende Haltung gegenüber dem Islam feststellen können. Von Herders Völkerphilosophie über Goethes Divan bis zu Annemarie Schimmels empathischen Deutungen zieht sich eine Linie der um Verständnis bemühten Stellungnahmen. In die passen die Äußerungen Nietzsches allerdings nicht recht hinein. Ihn faszinierte weder das Orientalische noch das Schicksalsergebene noch das religiös Tiefgründige am Islam, sondern das Kämpferische. Mohammed war für ihn einer der „Thatendurstigsten aller Zeiten“ neben Alexander, Cäsar und Napoleon, und der christliche Sieg bei Tours und Poitiers, der den arabischen Vormarsch nach Westen aufgehalten hatte, erschien ihm als großes Unglück: „Die Deutschen verderben, als Nachzügler, den großen Gang der europäischen Cultur … So haben Deutsche (Carl Martell) die saracenische Cultur zum Stehen gebracht – immer sind es die Zurückgebliebenen“.
In dieser Tendenz und Radikalität findet sich eine proislamische Stellungnahme sonst nur bei Hitler, der in den Tischgesprächen 1942 seinerseits äußerte, es wäre besser gewesen, wenn die Franken eine Niederlage erlitten, das heißt die Germanen die Kriegerreligion des Islam und auch die Polygamie übernommen hätten. Öffentlich wären solche Stellungnahmen kaum denkbar gewesen, trotz der proarabischen – weil antijüdischen – Außenpolitik im Nahen Osten und später der Rekrutierung islamischer Truppenverbände im Rahmen des Balkan- und Rußlandfeldzugs. Die nationalsozialistische Position unterschied sich in jedem Fall deutlich von der traditionellen preußischen, die auf das Osmanische Reich als Verbündeten und als konservative Macht gesetzt hatte oder der romantisch-revolutionären, die in der Zwischenkriegszeit die arabischen Völker als gegebene Verbündete im Kampf gegen die Entente ansah. Wahrscheinlich hatte ein Mann wie T. E. Lawrence in Deutschland mehr Bewunderer als in seiner Heimat.
Nach 1945 haben sich die verschiedenen Positionen – beschnitten um die Möglichkeit der Handlungsrelevanz – weiter erhalten. Relativ neu ist dagegen die Neigung, im Islam den politischen Hauptfeind zu sehen, und bezeichnend das Zögern vor der Interpretation der Konflikte als clash of civilisations auch im proamerikanischen Lager der Bürgerlichen. Wenn überhaupt, dann betrachtet man die innere Einflußnahme des radikalen Islam als Integrationsproblem. Ebenso selten wie die scharfe Entgegensetzung findet sich allerdings auch die positive Parteinahme. Die kann wie in der Zwischenkriegszeit einem nationalrevolutionären Programm folgen – im Umfeld der NPD scheint die Vorstellung eine gewisse Faszination auszuüben –, aber es gibt auch noch eine zweite, wenn man so will dezidiert antirevolutionäre Variante.
Es wurde eingangs darauf verzichtet, noch jene Fraktion der Rechten zu charakterisieren, die sich am entschlossensten dem Islam zugewendet hat, dafür allerdings keine politischen, sondern spirituelle Motive geltend macht. Deren bekanntester Vertreter ist der Franzose René Guénon, der „Stifter“ des Traditionalismus. Guénon hatte sich im Lauf seiner geistigen Entwicklung mit sehr vielen verschiedenen esoterischen Lehren befaßt, war aber schließlich zu der Einschätzung gekommen, daß es im Westen gar keine unbeschädigte Überlieferung mehr gebe. Deshalb verließ er 1930 Europa, konvertierte zum Islam und lebte bis zu seinem Tod 1951 wie ein Araber unter Arabern. Guénons Beispiel sind nur wenige gefolgt, unter ihnen etwa Claudio Mutti, der heute zu den wichtigsten Vertretern der traditionalen Schule gehört. Aber die Vorstellung vom Islam als der eigentlich vitalen und die ursprüngliche Einheit von Religion und Leben verkörpernden Einheit hat an Faszinationskraft nicht eingebüßt. In Rußland sind entsprechende Vorstellungen schon länger in der „eurasischen“ Ideologie wirksam, im deutschsprachigen Raum – zu nennen ist vor allem der Kreis um den Wiener Martin Schwarz und die Zeitschrift Junges Forum – scheint es eine wachsende Zahl jüngerer Aktivisten zu geben, die glaubt, daß der Islam, wenn schon nicht der neue Glauben des Abendlands sein sollte, so doch als Modell geeignet wäre für eine vollständige Aufhebung der Entfremdung von Religion und profaner Existenz. Jedenfalls sei dessen spirituelle Tiefe der eigenen Überlieferung näher als die moderne westliche Gegenwart.
Das Problem dieser Anschauung wie des Traditionalismus überhaupt liegt in der Fixierung auf das normative Selbstverständnis bestimmter Religionen und Kulturen. Diese zum Beispiel von Evola ausdrücklich bejahte „antigeschichtliche“ Tendenz ist im Grunde auch eine „antipolitische“. Benoist, dessen Einstellung sich auf den ersten Blick mit derjenigen der Traditionalisten eng zu berühren scheint, bleibt in dieser Hinsicht gegen jede Versuchung durch eine Weltsicht gefeit, die ein „Gefrieren“ alles Politischen anstrebt.