Da sind zum einen fehlgeleitete Agrarsubventionen, die die großen Betriebe noch reicher und konkurrenzstärker machen und für die kleinen Betriebe nur Brosamen übriglassen. Verheerend wirkt sich außerdem der Freihandel bei offenen Grenzen ohne Zölle mit Sozial- und Umweltdumping aus. Denn die Bauern in der EU haben bei Lohn- und Energiekosten, Landpreisen, Umwelt- und Tierschutzstandards keine Chance gegen Importe aus Ländern mit viel niedrigeren Kosten und weniger Auflagen in allen Bereichen.
Ob ein Traktor in Brasilien, Indonesien oder Südafrika jemals zum TÜV oder mit der modernsten Diesel-Technik wie PKW und LKW (Adblue) ausgestattet sein muß? Ob eines von mehreren tausend Rindern in einem Feedlot in Argentinien oder Brasilien genauso scharf vom Amtstierarzt beobachtet wird wie bei einer Stall-Kontrolle in Deutschland?
- Mehrere Bereiche drängen sich auf, in denen die Agrarpolitik der AfD sich aus bisherigen Glaubenssätzen und Leitplanken der agrarpolitischen Diskussion befreien und echte Alternativen anbieten sollte:
- Freihandel und offene Grenzen für Agrarprodukte schaden Bauern, Umwelt, Verbrauchern und Gesellschaft. Grenzen (müssen!) schützen – gerade die einheimische Landwirtschaft, die unsere Ernährung sichert;
- Bauern brauchen keine Klima-Ideologie, Bauern sind schon immer Mitgestalter des natürlichen CO2-Kreislaufs;
- die EU-Agrarsubventionen als „Brandbeschleuniger des Strukturwandels“ (so Hans-Georg von der Marwitz 2013 beim Bauerntag) müssen reformiert, viel stärker degressiv gestaltet, gedeckelt oder ganz abgeschafft werden, weil es nicht sein kann, daß ein Prozent der größten Betriebe 22 Prozent der Subventionen aus der sogenannten ersten Säule abgreift und für die untere Hälfte der kleineren Betriebe nur 7 Prozent des Geldes übrigbleibt;
- zusätzliche Wertschöpfung auf den Betrieben darf nicht durch übertriebene (EU-) Standards verhindert werden. Auch handwerkliche und mittelständische Lebensmittelverarbeiter können diese immer höheren technischen, ökonomischen und bürokratischen Hürden nicht mehr überwinden und kämpfen ums Überleben. Hofnahe Schlachtung, Bäckerei, Käserei, sonstige Weiterverarbeitung von Lebensmitteln auf den Höfen muß Wertschöpfung und Arbeitsplätze auf den Höfen halten. Statt der „Wachsen oder Weichen“-Ideologie müssen wir eine stabile, regionale Landwirtschaft zur Sicherung der Nahrungsversorgung mit regionaler Produktvielfalt erhalten oder wieder entstehen lassen;
- der Krieg gegen die Tierhaltung mit immer mehr Vorschriften, willkürlichen, selektiven Kontrollen gerade bei Kleinbetrieben (und gezieltem Wegschauen bei manchen Großbetrieben), Meinungsmache von NGOs und Presse muß aufhören durch Erleichterungen aller Art für Klein- und Mittelbetriebe mit einer flächengebundenen Tierhaltung;
- die gesamte Agrarpolitik muß von der EU zurück in die nationalen Parlamente oder noch besser in die Landtage und Parlamente der Regionen zurückgeholt werden: gerade über unsere Nahrung, unsere Lebensmittel müssen wir selbst bestimmen können!
Folgende konkrete politische Forderungen ergeben sich daraus:
1. Grenzschutz für die einheimische Landwirtschaft statt Freihandel für die Konzerne
Der schweizerische Volkswirtschaftsprofessor Mathias Binswanger zeigt in seinem Buch Mehr Wohlstand durch weniger Agrarfreihandel, wie falsche, einseitige Annahmen des Ricardo’schen Tuchmodells schon vor 200 Jahren zur Zerstörung der produktiven portugiesischen Tuchindustrie geführt haben, ohne dem portugiesischen Weinanbau genützt zu haben – weil England zwar viel mehr Tuch nach Portugal exportieren konnte, aber nicht in gleichem Maß mehr portugiesischen Wein importierte.
Für viele Entwicklungsländer ist nachgewiesen, wie die erzwungene Öffnung der Grenzen für Agrarprodukte zu Landflucht und sinkendem Wohlstand für die gesamte Gesellschaft geführt haben, weil die lokalen Bauern mit den heruntersubventionierten Preisen der Importe aus USA, Lateinamerika und EU nicht konkurrieren konnten.
Schon Bismarck führte Schutzzölle ein, die USA ahmten das Anfang der 1930er Jahre nach. „Und es hat funktioniert: Die Stahlindustrie hat sich modernisiert, die Landwirtschaft konnte sich stabilisieren“, sagt der Wirtschaftshistoriker Professor Abelshauser im Deutschlandfunk. Schon ein geringer, jedoch langsam ansteigender Zoll auf Agrarprodukte (Futtergetreide, Mais, Soja, Zucker) würde Investitionen umlenken, neue Massentierhaltungen unrentabel machen, Preise für einheimische Agrarrohstoffe (nicht unbedingt die Endprodukte!) ansteigen lassen und somit die flächengebundene Tierhaltung auch in Mittelgebirgen oder der südlichen Hälfte von Deutschland wieder stärken.
2. Bauern müssen zu Gewinnern der Klima-Ideologie gemacht werden.
Die Kuh ist kein Klimakiller ist der Titel eines Buchs von Prof. Anita Idel über die Geschichte und positiven ökologischen Wirkungen der Tierhaltung. Auch wenn wir die gesamte Klimahysterie und Klimawende-Politik als Wohlstandsvernichtung, Enteignung, Freiheitsraub, Unterdrückungsinstrument und unwissenschaftlich kritisieren: sie ist derzeit politische Realität.
Es ist verlogen, wenn in der ganzen Diskussion (EU, „Farm-to-Fork“, „Green Deal“) Bauern nur als Problem und Verursacher von CO2-Emissionen genannt werden. Dabei ist die organische CO2-Bindung in Humus in Acker- und v.a. Grünland-Böden neben Wald, Mooren und Meeren die wichtigste Kohlenstoff-“Senke“, also Depot für CO2.
Eine gute Bewirtschaftung mit Grünland, Futterbau, Viehwirtschaft, Beweidung, weiten Fruchtfolgen im Ackerbau statt Mais-Wüsten durch Biogas-Monokulturen führt zu Humus-Aufbau und damit CO2-Bindung. Wenn die Agrarpolitik hier positiv Einfluss nehmen möchte, dann darf sie Bauern nicht mit importierten Dumping-Preisen oder Biogas-Subventionen zu einseitiger Wirtschaftsweise zwingen.
Die Wiederkäuer Kuh, Ziege und Schaf sind unverzichtbare Mitarbeiter bei der ordnungsgemäßen, energieeffizienten, umweltverträglichen und insektenförderlichen Bewirtschaftung von Grünlandböden, einem der mächtigsten CO2-Depots weltweit!
3. Eine neue Agrarpolitik für die Bauern, für die Regionen, für den Naturschutz, für die Verbraucher ist mit dieser EU nicht machbar.
Der DEXIT muß in der Agrarpolitik beginnen, wenn wir unsere Bauern, unsere Heimat, unsere Nahrungsgrundlage retten wollen! Die Agrarpolitik ist ein besonders gutes Beispiel, wie in dem Bermuda-Dreieck von EU, Bundespolitik und Landespolitik die Demokratie untergeht.
Wer auf Landesebene etwas verändern möchte, bekommt zu hören: Bundesgesetz, da hat der Landtag nichts zu sagen. Im Bundestag hört sich das meist ähnlich an: keine Chance, EU-Vorgabe. Und auf EU-Ebene hat das Parlament keine Gesetzgebungskompetenz, kann also selbst keine Gesetze auf den Weg bringen, sondern nur über von der Kommission vorgelegte Entwürfe entscheiden.
Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Prof. Ferdinand Kirchhof hat das 2017 in einem FAZ-Artikel „Demo-crazy“ genannt (FAZ vom 21. Dezember 2017, S. 7). Wenn pro Monat 1.785 EU-Dokumente vom Bundestag in nationales Recht überführt werden müssen (!), dann wird der Bundestag „von dieser Dokumentenflut geradezu „zugemüllt““, schreibt er. Dann ist es vorbei mit der Herrschaft des Volkes durch Bundestagsabgeordnete oder gar mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker.
Nur der DEXIT kann die Landwirtschaft aus der Klima-Planwirtschaft der EU befreien.
Die EU macht die Landwirtschaft pauschal und ohne Beweise zu Hauptverursachern von Klimawandel und Umweltzerstörung. Dieser Angriff auf unsere Nahrungsgrundlage und unsere Landbevölkerung liefert den Vorwand für Maßnahmen, die auf eine Enteignung der Bauern, Zerstörung von ‑zigtausenden bäuerlicher Existenzen und Verwilderung unserer Kulturlandschaft hinauslaufen.
4. Subsidiarität: Entscheidungen für das Land müssen auf dem Land von der Landbevölkerung getroffen werden!
Bei einer Volksabstimmung über die Lockerung des Wolfsschutzes in der Schweiz im Herbst 2020 stimmten in den hauptsächlich betroffenen Kantonen Graubünden, Uri und Wallis über zwei Drittel der Wähler mit Ja. Auch in vielen anderen ländlichen Kantonen erreichte die Vorlage eine deutliche Mehrheit.
Entschieden wurde die bundesweite Volksabstimmung jedoch in den bevölkerungsreichen städtisch geprägten Kantonen wie Zürich, Genf, Basel, auch im gemischten Kanton Bern gaben die Städter den Ausschlag. In der Stadt lässt es sich gut vom Wolfsschutz reden – kein Züricher Banker oder Anwalt lebt von Weidetieren und er geht im Sommer nicht auf die Alp. Auch die Sozialarbeiterinnen in der Drogen- oder Migrantenhilfe in Zürich und die hochbezahlten Mitarbeiter der internationalen Organisationen in Genf oder die Wissenschaftler in der Basler Chemieindustrie werden vom Wolf nicht bedroht.
Viele Alpen mußten in den Sommern 2021 und 2022 vorzeitig abgetrieben werden, weil die Tierverluste durch Wölfe zu hoch waren. Die Folgen für den Landschaftsschutz, Lawinenschutz, Tourismus und schließlich für die Landwirtschaft selbst sind dramatisch und es trifft die Sparsamsten und Fleißigsten.
Es kann nicht sein und widerspricht demokratischen Prinzipien, wenn im Tübinger Rathaus und in den Studenten-WGs die Windkraft hochgelobt wird, die Windräder dann aber die Schwäbische Alb verschandeln und die Bewohner der Albdörfer vom Infraschall krank werden. Oder wenn in Berlin hohe Biogas-Subventionen beschlossen werden, aber auf dem Land dann selbst Bio-Bauern bei den Pachtpreisen nicht mehr mithalten können und Land verlieren, auf dem dann Mais-Wüsten für weit entfernte Biogas-Anlagen Landschaftsbild und Flora und Fauna zerstören.
Die Landbevölkerung muß selbst entscheiden können, was auf dem Land passiert oder auch nicht. Das flache Land darf nicht zur entvölkerten Energie- und Rohstoffwüste für die Städte degradiert werden.
5. Die AfD muß sich mit dem Vorfeld verbinden und verbünden!
Der Ungeist der Unvereinbarkeitsliste hat die AfD bisher isoliert und den Effekt der Diffamierung durch Altparteien und Medien verstärkt, weil dieser Ungeist jede Unterstützung durch ein gesellschaftliches Vorfeld verhindert hat. Daß es auch anders geht, zeigt der Erdrutsch-Sieg der BoerBurgerBeweging bei den Provinzwahlen am 15. März dieses Jahres in den Niederlanden, der die (Pseudo-) Mitte-Rechts-Regierung von Rutte ins Wanken bringt.
Diese Protestpartei Bauern-Bürger-Bewegung wurde in allen Provinzen stärkste Partei und könnte so überall in den Provinzregierungen vertreten sein. Vor allem die CDU-Schwesterpartei CDA wurde fast halbiert. Die dramatischen Gesetzesvorhaben gegen die Bauern mit Zwangsenteignungen, drastischen Bewirtschaftungseinschränkungen und Tierhaltungsverboten haben damit die verdiente demokratische Antwort bekommen.
Die AfD ist bundesweit der letzte verbliebene mögliche parlamentarische Partner der Agraropposition. Von der CDU/CSU wurden die Bauern verraten, die SPD hat sich für die Bauern nie sonderlich interessiert (wenn dann mit Verboten und mehr Kontrollen). Die FDP hat zwar einige anständige und kompetente Abgeordnete in Sachen Landwirtschaft, die jedoch gegen den Zahnarzt‑, Makler- und Wirtschaftsflügel der FDP keine Chance für eine wirklich bäuerliche Politik haben.
Über die Grünen erübrigt sich mittlerweile jedes Wort, der aktuelle Bundeslandwirtschaftsminister Cem Ö. ist gelernter Sozialarbeiter und williger Vollstrecker der Klima‑, Tierschutz- und Naturschutz-NGOs gegen die Bauern. Erzwungene Flächenstillegungen in der EU führen im Endeffekt zu noch mehr Urwald-Rodungen in Lateinamerika und anderen Exportländern, weil der fehlende Anbau in der EU durch noch mehr Importe ersetzt werden muß.
„Ist der Bauer ruiniert, wird das Essen importiert“ – das sollten selbst grüne Funktionäre und Wähler verstehen können.
Die AfD hat hier eine große Verantwortung, ein Alleinstellungsmerkmal und eine große Chance: Wie die Bauern-Bürger-Bewegung können wir den Widerstand der Bauern in die Städte und Gremien tragen und uns damit an die Spitze des Widerstands gegen diese moralisierende Klima-Enteignungspolitik setzen, die nach den Bauern den ganzen Mittelstand und das Bürgertum treffen wird.
6. Der Widerstand der AfD in den Parlamenten gegen den Wahnsinn der aktuellen Agrarpolitik muß intensiviert werden.
Düngeverordnungen, Pflanzenschutzeinschränkungen bis hin zu Bewirtschaftungsverboten in immer mehr Schutzgebieten, bürokratische Hindernisse für die Ab-Hof-Vermarktung, Vernichtung von regionalen Vermarktungsstrukturen wie Schlachthöfen, fehlende Investitionssicherheit durch immer neue Tierschutzauflagen, bürokratische Dokumentationspflichten: nur wenn die AfD-Abgeordneten in Bund und Ländern mit dem bäuerlichen Vorfeld vernetzt sind, bekommen sie die notwendigen Detailinformationen, um effektive Oppositionsarbeit machen zu können.
Nur ganz wenige Abgeordnete haben eine landwirtschaftliche Vorbildung, umso dringender wäre die Verbindung zur Agraropposition.
7. So lange der DEXIT in der Agrarpolitik nicht vollzogen ist, muß die AfD im EU-Parlament ihre Rolle als parlamentarische Stimme der Agraropposition annehmen.
Das Engagement der AfD im EU-Parlament beschränkte sich bisher auf einen Stellvertreter-Sitz im Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung. Auf der Webseite der Abgeordneten Sylvia Limmer sind keine nennenswerten agrarpolitischen Initiativen zu finden.
Das soll kein Vorwurf sein, ihr Fokus waren einfach andere Themen wie v.a. die COVID-Impfung, wo sie verdienstvolle Arbeit leistete. Die Themensetzung und der agrarpolitische Anspruch müssen von der EU-Wahlversammlung Ende Juli und Anfang August dieses Jahres durch eine entsprechende Nominierung auf der Liste erfolgen – Agrarpolitik war wohl kein Thema für die Strippenzieher und Verhandler beim Zustandekommen der letzten Liste im Herbst 2018 und Frühjahr 2019 in Magdeburg und Riesa.
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Hansjörg Schrade, Jahrgang 58, arbeitet als Referent der AfD für Agrarpolitik im Stuttgarter Landtag. Er hat in Stuttgart-Hohenheim Agrarwissenschaften studiert und führte von 1988 bis 2016 ein eigenes Unternehmen mit zuletzt 30 Mitarbeitern. Schrade ist seit 2022 Mitglied im Landesvorstand Baden-Württemberg und Gemeinderat und Kreistagsmitglied in Reutlingen seit 2019.
Mitleser2
"Diese Protestpartei Bauern-Bürger-Bewegung wurde in allen Provinzen stärkste Partei und könnte so überall in den Provinzregierungen vertreten sein. Vor allem die CDU-Schwesterpartei CDA wurde fast halbiert."
Dieser Sache müsste doch von der AfD vordringlich nachgegangen werden. Wie war das möglich? War es nur, weil die Maßnahmen so drakonisch waren? Für Deutschland scheint das völlig unvorstellbar. Aber wenn sich so was ermöglichen ließe ...