Wenigstens vom Namen her kennt in unseren Kreisen fast jeder jenes Werk Ernst Noltes, mit dem er 1963 im Alter von vierzig Jahren zu einem Star der geisteswissenschaftlichen Szene in Deutschland wurde.
Es heißt Der Faschismus in seiner Epoche, wurde an der Universität Köln als Habilitationsschrift angenommen und machte seinen Autor für die nächsten zwei Jahrzehnte zu einer Autorität. »Faschismus«, das war alles in allem bis dahin ein Begriff gewesen, den man als Selbstbezeichnung der italienischen Diktatur und in Deutschland als Kampfbegriff der politischen Linken kannte, weniger als Mittel vergleichender wissenschaftlicher Analyse.
Nun lebt jeder Mensch in seiner je eigenen Epoche, »in his life and times«, wie der Zusatz so mancher Biographie lautet. Ernst Nolte ließ den Faschismus-Begriff für wissenschaftliche Zwecke neu fruchtbar werden. Der damit verbundene Ruhm hatte allerdings, wie sich später herausstellen sollte, auch jenen Charakter, bei dem ein Publikum zustimmt, weil es in einem Auftritt etwas Bewegendes eher fühlt, als zu durchblicken, was genau dies eigentlich ist.
Zum Inhalt von Faschismus in seiner Epoche als Werk muß deshalb an dieser Stelle nicht viel gesagt werden. Wichtiger erscheint ein Blick auf die Entwicklung der Bundesrepublik, die Nolte in seiner zweiten Lebenshälfte zusetzte und zusehends isolierte. Dies traf einen nachdenklichen bürgerlichen Gelehrten, einen, der jede intellektuell ernstgemeinte Gegenrede begrüßte und beantwortete, egal, wo der politische Hintergrund seines Gesprächspartners zu verorten war. Bereits mit diesem Stil hatte das in den 1960ern anbrechende Zeitalter von Polemik und Agitation seine Probleme.
Das Jahr 1963 unterschied sich natürlich in vielen Aspekten von der heutigen Bundesrepublik, gerade auch, was die Pflege des Geschichtsbewußtseins betraf. Zwar gab es seit Weihnachten 1959 und den damaligen Hakenkreuzschmierereien an der Kölner Synagoge eine verschärfte Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus und eine Wende in der sogenannten politischen Bildung. Was jedoch nur in Ansätzen existierte, war – immerhin schon fast zwei Jahrzehnte nach 1945 – eine wissenschaftliche deutsche Weltkriegsforschung.
Das lag unter anderem schlicht am Fehlen von Quellen. Deutsche Aktenbestände lagerten noch weitgehend im Ausland, französische, russische, britische oder amerikanische Dokumente waren für Deutsche weitgehend unzugänglich. Die während des Krieges herausgebrachten Akteneditionen des Auswärtigen Amts aus Beuteakten in Warschau und Paris aus den Jahren 1939 bis 1941 traute sich niemand mehr so recht zu zitieren, obwohl sie authentisch und ungeheuer aussagekräftig waren. Man ging allgemein von einer deutschen Hauptverantwortung für das Jahr 1939 aus, ohne genauer nachzufragen, und von einer Verantwortung des Diktators selbst natürlich.
In dieser geistigen Atmosphäre wirkte Ernst Noltes Versuch einer intellektuellen Deutung des Faschismus (und damit auch des Nationalsozialismus) als eines Epochenphänomens befreiend. Er hielt sich dabei von den Details staatlicher Entscheidungsfindung bewußt weitgehend fern. Nolte ist in seinem Schwerpunkt nie ein vorwiegend empirisch arbeitender Historiker geworden, seine Methode war sozusagen deduktiv, nicht induktiv.
Er leitete seine Darstellung aus philosophischen Gedankengängen ab und versuchte weniger, auf dem umgekehrten Weg über die Ermittlung von Details und Fakten zur weiterführenden Synthese zu kommen. Für das intellektuelle Klima der bundesdeutschen 1960er Jahre wirkte das wie eine Offenbarung von Zusammenhängen, die philosophisch »gesehen« und hergeleitet, aber nicht im Zettelkasten des Auswärtigen Amts oder der Parteizentrale der NSDAP ermittelt werden konnten.
Noltes Gedankengänge sparten allerdings eines aus. Er hat später ausdrücklich bedauert, auf diesen Punkt nicht gleich eingegangen zu sein, aber vielleicht war ihm das auch durch die Zeitumstände nicht möglich gewesen, und es blieb außerhalb des Radars. Den Nationalsozialismus hatte er im Faschismus in seiner Epoche auf das allerschärfste verurteilt und dessen Verbrechen als singulär charakterisiert. Dies liefert selbst in der heutigen Bundesrepublik noch sozusagen zitierfähige Passagen. Dennoch riet Noltes intellektuelle Neugier ihm etwa zwanzig Jahre nach dem Erscheinen des Buchs, auch der Frage nachzugehen, ob an diesen Verbrechen etwas verstehbar gewesen sei. Nicht verständlich wohlgemerkt, aber verstehbar. Etwa in dem Sinne, wie ein Ermittlungsbeamter die Motive eines Täters zu verstehen versucht.
So entstanden in den 1980er Jahren die Hintergründe des sogenannten Historikerstreits aus der Frage Noltes, ob die nationalsozialistischen Vorstellungen vom Weltjudentum als politischer Größe nur eine haltlose Spinnerei gewesen seien oder ob es nicht doch auch bedeutende jüdische Einflüsse auf das Weltgeschehen gegeben habe. Nolte hatte die Frage seinerzeit ganz persönlich an Saul Friedländer gerichtet, den 1932 in Prag in eine jüdischstämmige Familie geborenen und später zionistisch geprägten Historiker. Friedländer verließ nach dieser Frage allerdings ohne viele weitere Worte Noltes Berliner Privatwohnung.
Das war, so Nolte später, »sozusagen der Beginn des Historikerstreits«, der sich dann zu einem intellektuellen und gesellschaftlichen Vernichtungsfeldzug gegen ihn selbst und einige andere Historikerkollegen entwickelte, die mit ins Visier geraten waren, weil man sie ebenfalls der möglichen »Relativierung« des Nationalsozialismus verdächtigte. Geschichtswissenschaft sei »keine objektive Wissenschaft«: Mit diesen Worten distanzierte sich bezeichnenderweise Wolfgang Wippermann, eigentlich Noltes Schüler als Doktorand und Habilitand. Man könne Fakten nicht von Bewertungen trennen, so Wippermann. Das lief für Noltes Gegner immer mehr auf die offene Forderung hinaus, bestimmte Fakten dürften eben gar nicht mehr erwähnt werden, weil sie unvermeidlich eine bestimmte Meinung zum Ausdruck brächten.
Aus dem wenig erforschten Nationalsozialismus von 1963 war unter diesen Vorzeichen schon Mitte der 1980er Jahre das geworden, was Nolte dann in einem berühmten FAZ-Artikel als »die Vergangenheit, die nicht vergehen will«, gekennzeichnet hat. Der NS-Staat stand quasi als der negative Leitstern der Republik am Himmel, an dem sich der Geist des Landes täglich zu orientieren hatte.
Den vorher bestehenden antitotalitären Konsens darüber, was in der Bundesrepublik politisch zu wollen sei, gab es bereits nicht mehr. Im Historikerstreit wurde er nun offen gekündigt. Prominente Nolte-Gegner wie Jürgen Habermas oder Hans-Ulrich Wehler konnten sich keine Distanzierung vom totalitären Stalinismus mehr abringen. Der Historikerstreit verlief trotzdem in merkwürdigen Bahnen. Die Frage, ob es auf hoher politischer Ebene so etwas wie jüdischen Widerstand gegen das Dritte Reich gegeben habe, wurde nämlich von beiden Seiten gar nicht offen aufgeworfen.
So blieb ein Leitmotiv des Streits im Hintergrund, obwohl die Frage recht eindeutig zu beantworten ist: Die großen internationalen jüdischen Organisationen sahen selbstverständlich keinen Anlaß, sich die Anfang 1933 in Deutschland einsetzende antisemitische Politik bieten zu lassen. Sie ergriffen auf verschiedenen Ebenen Maßnahmen dagegen. Das ist keine Frage irgendwelcher Verschwörungstheorien, es war ein politischer Vorgang und lediglich ein Teilelement des Widerstands, den das nationalsozialistische Deutschland international auf sich zog, bis hin zur Bildung einer umfassenden Kriegskoalition, die diesen deutschen Staat dann besiegte.
Noltes akademisch gemeinte Frage an Saul Friedländer war als ein Angriff empfunden worden, der außerhalb der Diskutierbarkeit lag. Obwohl die Frage nicht öffentlich wiederholt wurde, sondern Nolte sich selbst auf die Argumentation beschränkte, der Nationalsozialismus habe bei aller »Singularität« im Marxismus und Stalinismus Vorläufer, die ihn beeinflußt und seine Existenz möglich gemacht hätten, wurde der Fragesteller mit so ziemlich allen Mitteln bekämpft. Dazu gehörten Polemik, Verleumdung und Boykott, auch Gewalt gegen sein Eigentum und gegen ihn persönlich. Es zeigte sich das Risiko bürgerlicher Existenz und akademischer Argumentation in einer »Epoche« des politisierenden linken Eifers. Dies wurde sozusagen Noltes Schicksal.
Nolte hat das meist mit akademischer Gelassenheit ertragen, sicher auch gelegentlich mit Zorn. Er hat weitere Werke vorgelegt, darunter eines über die Historische Existenz und schließlich die Abhandlungen über den Islamismus und noch eines über die jüdische Frage, wenn man das mal so nennen will, die Späten Reflexionen. Darüber gab es erneut Streit, was hier nicht verschwiegen werden soll.
Ernst Nolte war ein Anhänger der Gedankenwelt Martin Heideggers und zugleich der Standards des liberalen Systems, in dem er vor einhundert Jahren geboren wurde. Es war sein Schicksal, daß dieses System zu seinen Lebzeiten starken Wandlungen in die Illiberalität unterworfen war. In jedem Fall wurden Ernst Noltes Leben und Werk von dieser Epoche der Bundesrepublik stark geprägt. Deren Verweigerung von realistischen Fragestellungen und offenen Auseinandersetzungen macht bis heute einen freien Dialog in der Geschichtswissenschaft unmöglich.