»Eugyppius« lautete der Name des Hagiographen von Severin von Noricum, einem bedeutenden Heiligen der Völkerwanderungszeit, der entlang dem Donaulimes gewirkt hat. Er ist auch das Pseudonym eines deutschen Bloggers, der lange Zeit in den USA gelebt hat und vorzugsweise auf englisch schreibt.
Seine 2021 lancierte Seite »A Plague Chronicle« (»Eine Pestchronik«, eugyppius.com) hat Tausende zahlende Abonnenten, sein Twitter-Konto rund 50 000 Folger. Zu seinen Lesern gehören prominente Corona-Kritiker wie Michael P. Senger und Alex Berenson. Chelsea Clinton nannte Eugyppius einen »Wissenschaftsleugner«, Jordan Peterson hat seine Tweets geteilt und der rechte Kultautor »Bronze Age Pervert« seine Arbeit beworben. Der große Erfolg seiner Essays führte Eugyppius schließlich dazu, seinen ungeliebten Brotberuf im akademischen Bereich an den Nagel zu hängen und sich gänzlich dem Schreiben zu widmen.
Mitten im Getümmel der Corona-Krise war sein Blog einer der zuverlässigsten Anlaufpunkte für diejenigen, die Orientierung und Klärung finden wollten. Im März 2021 veröffentlichte »Sezession im Netz« mit freundlicher Genehmigung des Autors die vierteilige Serie »Wie der Lockdown erfunden wurde«, in der Eugyppius akribisch die Entstehung des Lockdown-Narrativs in den internationalen Medien nachverfolgte. »Wieviel hier Wahnsinn, wieviel Methode und wieviel beides zusammen ist, läßt sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht eindeutig erkennen.
Dennoch scheint das Ziel der Reise klar zu sein: Die Installation eines totalitären Herrschaftsmodells nach chinesischem Vorbild über den Umweg einer paternalistischen ›Gesundheitsdiktatur‹«, schrieb ich damals in meiner Einleitung. Ein Versuch, zusammen mit Eugyppius eine Art Genesis der Lockdowns und ihrer Folgen zu schreiben, mußte aufgegeben werden, da es uns kaum möglich war, mit den sich ständig überstürzenden Ereignissen und den neuen Erkenntnissen Schritt zu halten.
Zwei Jahre später ist die »Pandemie« zwar vorbei, aber die Trümmer, die sie hinterlassen hat, rauchen immer noch. Die westliche Welt befindet sich in einem mehr oder weniger posttraumatischen Zustand, während Krieg und Energiekrise die Virenhysterie abgelöst haben. Heute lebt jeder in einem anderen Wirklichkeitsfragment und hat eine andere Theorie und Erinnerung, was seit März 2020 passiert ist. Das einst unumstößliche »Narrativ« von Medien und Politik ist ins Bröckeln geraten, und dies an etlichen Stellen, an denen man es kaum erwartet hätte.
So erschien im Spiegel am 11. März dieses Jahres unter dem Titel »Wir Coronaversager« eine selbstkritische Kolumne von Alexander Neubacher: »Inzwischen wissen wir, daß viele Pandemiemaßnahmen unsinnig, überzogen, rechtswidrig waren. Kein Ruhmesblatt, auch nicht für uns Medien.« Man traute seinen Augen und Ohren kaum, als am 12. März sogar ein Karl Lauterbach Kompensation für Impfgeschädigte forderte und die »exorbitanten« Gewinne der Pharmaindustrie anprangerte. Entlarvend waren auch die Leaks aus WhatsApp-Nachrichten des ehemaligen britischen Gesundheitsministers Matt Hancock, die seit Ende Februar im Telegraph in einer fortlaufenden Serie namens »The Lockdown Files« veröffentlicht werden.
Eugyppius hat diese Leaks zum Anlaß genommen, seine eigene alternative Anti-Verschwörungstheorie zu untermauern, die mit der Vorstellung brechen will, daß eine nahezu allmächtige, böswillige Kabale die Krise vorsätzlich herbeigeführt habe, um Dinge durchzusetzen, die mit der Bekämpfung eines Virus nichts zu tun haben, etwa eine massenhafte Impfung mit dem Ziel der Bevölkerungsreduktion. Statt dessen versucht er, eine »systemische« Theorie eines »offen zutage liegenden, institutionellen Krebsgeschwürs« zu entwickeln, die zum Teil auf seinen eigenen Erfahrungen mit dem US-amerikanischen Universitätsbetrieb beruht.
Der erste Schritt besteht in der schlichten Annahme, daß die Manager der Pandemie tatsächlich erreichen wollten, was sie vorgaben, erreichen zu wollen: die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Der bürokratisch-politische-mediale Apparat war demnach ohne doppelten Boden davon überzeugt gewesen, daß »mass containment« (Masseneindämmung) bis hin zu »Zero Covid« möglich sei, wie es die Chinesen angeblich so erfolgreich vorgemacht hatten. Das permanente Scheitern dieser »Maßnahmen« führte zu keiner Umkehr, sondern zu ihrer hartnäckigen, betriebsblinden Wiederholung. So stehen im Zentrum von Eugyppius’ Modell eher Dummheit, Inkompetenz, Arroganz, Opportunismus und Konformität der Eliten, eher institutionelle Selbstläufer und Rückkopplungseffekte als die diabolische Planung von strippenziehenden Superhirnen.
Letzteres Modell hat freilich mehr Erfolg in der »Alt-Covid«-Sphäre, als es, so Eugyppius, eine »vielschichtige Geschichte zu einer universellen Erzählung bündelt, die für alle Länder gleichzeitig gilt, weil sie klare Bösewichte benennt und einen einzigen, einheitlichen Grund für den Wahnsinn liefert, der uns heimgesucht hat.« Die Realität aber sei viel komplexer und schwerer zu begreifen. Die Vorstellung, daß die Coronamaßnahmen nur ein »Vorwand« waren, um finsterere Ziele umzusetzen, hat sich indes so stark in unsere Köpfe eingebrannt, daß es schwerfällt, sich davon zu verabschieden oder außerhalb dieses Paradigmas zu denken. Zu sehr entspricht es auch unserem damaligen subjektiven Gefühl, Zielscheibe unerklärlich absurder, dystopischer, schikanöser, wenn nicht gar satanischer Machenschaften zu sein. Manche von uns erinnern sich auch noch an das Aha-Erlebnis, als Paul Schreyer seine Recherchen zu pandemischen Planspielen veröffentlichte, die ein verdächtiges Licht auf »Corona« warfen.
Eugyppius hat genauer hingesehen: »Crimson Contagion«, »Event 201«, »Dark Winter« und andere haben keineswegs jene Elemente vorgesehen, die für »Corona« so charakteristisch wurden. Sie gingen von Bioterroranschlägen mit hoher Sterblichkeit aus, angesichts derer die Gesundheitsbehörden nichts anderes tun können, als die Entwicklung von Impfstoffen und Behandlungsmethoden zu beschleunigen. Politische Maßnahmen wurden als ungeeignet betrachtet, die Ausbreitungsrate zu beeinflussen. Solange nicht geimpft wird, macht das Virus der Planspiele einfach, was es will, egal, was irgend jemand anordnet. 2020 aber hatten wir ein Laborvirus, das man a) für eine Biowaffe hätte halten können, was jedoch vehement bestritten wurde; das b) nur sehr wenige Todesfälle verursachte und c) die Gesundheitsbehörden nicht davon abhielt, es mit einer endlosen Litanei von »coolen Tricks« stoppen zu wollen (Eugyppius auf Twitter, 7. März).
In einem Substack-Artikel (»Punctuated Emergence«, 6. März) führte Eugyppius genauer aus, was die »Lockdowns« von früheren Pandemiemaßnahmen unterschied: Vor 2020 betrachteten es die Pandemisten als ihre Pflicht, eine öffentliche Panik zu verhindern und die Wirtschaftstätigkeit am Laufen zu halten. Nicht geplant waren landesweite »Lockdowns«, Massentests und die Rückverfolgung von Kontakten, um ein Virus zu stoppen, das bereits über die ganze Hemisphäre zirkulierte.
»Was im Januar 2020 in China und dann im März 2020 im Rest der Welt geschah, war eine Innovation in Theorie und Praxis. Die Pandemisten beschlossen plötzlich, die Folgeminderung (mitigation) ganz aufzugeben, zugunsten der Masseneindämmung (mass containment). All die harten Maßnahmen, die die Planer vernünftigerer Zeiten abgelehnt hatten, weil sie über die Ebene eines Stadtteils hinaus nicht anwendbar seien, wurden nun auf ganze Metropolen, Regionen und Nationen ausgedehnt, mit dem Ziel, die Kurve zu ›zerquetschen‹ (anstatt sie ›abzuflachen‹) und vielleicht sogar ›Zero Covid‹ zu erreichen.«
Tatsache ist auch, daß spätere übliche Verdächtige wie Bill Gates und Klaus Schwab keine Rolle spielten, dieses »Eindämmungsregime« zu errichten. Nachweisbar sind aber der Einfluß von China, über den Transmissionsriemen WHO und andere Kanäle, sowie Aktivitäten aus der Silicon-Valley-Szene, »einschließlich wichtiger Personen wie Tomas Pueyo, die eine mysteriöse Viralität entfalteten, während sich alle großen Social-Media-Plattformen nach dem 10. März 2020 in Maschinen zur Lockdown-Werbung verwandelten.«
Hier kann man tatsächlich von einer »verschwörerischen« Tätigkeit sprechen, mit leicht zu erahnenden Motiven: »Tech-Unternehmen gehörten zu den eindeutigsten Nutznießern der Pandemie-Politik. Sie profitierten von der Schließung lokaler Einzelhandelsgeschäfte und der gestiegenen Nachfrage nach Online-Einkäufen, dem nahezu universellen Vertrauen in Software für die Heimarbeit und der Aufmerksamkeit von Milliarden von untätigen Menschen, die unter Hausarrest standen.«
Was nun die Leaks aus Großbritannien angeht, so findet Eugyppius auch hier Indizien für sein Erklärungsmodell. Da wäre zum Beispiel Matt Hancock, wie er über den günstigsten Zeitpunkt sinniert, die Meldung von der Alpha-Variante »einzusetzen« (»deploy«), damit sich »alle in die Hosen machen« (»to frighten the pants of[f] everyone«) und um politische Hindernisse für weitere Einschränkungen aus dem Weg räumen zu können; Boris Johnson, wie er sich weigert, die Lockdowns zu beenden, nachdem ihm gesagt wurde, daß ein solcher Schritt »der öffentlichen Meinung zu weit voraus« sei (»too far ahead of public opinion«), und der später seine Entscheidung bereut, einen zweiten Lockdown angeordnet zu haben, nachdem er erfahren hat, daß die Sterblichkeitsmodelle, die ihm so überzeugend erschienen waren, veraltet und falsch waren; wiederum Hancock, wie er zögert, die Empfehlung umzusetzen, die Bewohner von Pflegeheimen auf Covid zu testen, weil er vage Bedenken hat, daß dies dem Erreichen seiner öffentlichkeitswirksamen Testziele »im Wege stehen könnte«; erneut Johnson, wie er die Maskenpflicht in Schulen einführen läßt, nachdem ihm mitgeteilt wurde, daß das Thema »keinen Streit« (»not worth an argument«) mit der Regierungschefin von Schottland und notorischen Virusfanatikerin Nicola Sturgeon wert sei; dann noch der Bildungsminister Gavin Williamson, der zugibt, daß die Lehrergewerkschaften eine treibende Kraft hinter den Schulschließungen waren, weil Lehrer »ihre Arbeit aus tiefstem Herzen hassen«.
Eugyppius kommentiert: »Seit den Anfängen meiner ›Pestchronik‹ habe ich darauf hingewiesen, daß Lockdowns direkt von China über die Vermittlung der WHO in den Westen gelangten, wo sie sich rasch zu einem Phänomen mit einer spezifischen Eigendynamik entwickelten. Sie wurden nicht von nebulösen globalistischen Verschwörern, sondern von nationalen politischen und institutionellen Kräften vorangetrieben.« Die Leaks aus Deutschland, dem Vereinigten Königreich und den USA zeichnen demnach überall das gleiche Bild:
Die frühesten Rufe nach Lockdowns kamen aus den öffentlichen Gesundheitseinrichtungen, von den regierungsnahen wissenschaftlichen Beratern und der Bürokratie im weiteren Sinne – nicht aus dem politischen Sektor.
Die westlichen Regierungen fürchteten zunächst die Nichteinhaltung der Lockdown-Maßnahmen und unternahmen deshalb ganz bewußt Schritte zur Terrorisierung ihrer Bürger, um deren Kooperation sicherzustellen. Dabei konnten sie sich der uneingeschränkten Mitarbeit der Presse sicher sein.
Kabinettsmitglieder und andere Politiker kanalisierten den bürokratischen Druck und die wachsende Verunsicherung der Bevölkerung (an der sie mitschuldig waren), um die Initiative an sich zu reißen und rivalisierende Regierungsakteure zu entmachten. Sie betrachteten die öffentliche Panik als Ressource und als Chance, die es entsprechend auszunutzen galt.
Die Maßnahmen wurden nicht von der Wissenschaft bestimmt, sondern schlicht und einfach von den Grenzen dessen, was zum jeweiligen Zeitpunkt praktisch und politisch möglich war: maximale Maskierung, maximale Lockdowns, maximale Impfung, überall und immer.
Jeder geringfügige Anstieg der Infektionszahlen löste eine neue selbstverstärkende Kaskade von Messaging und Einschränkungen aus. Bürokraten und Politiker bemühten sich, den ihrer Meinung nach fast grenzenlosen Appetit der Öffentlichkeit auf Beschränkungen zu befriedigen, indem sie immer neue Vorschriften erließen, deren Durchsetzung noch mehr Propaganda erforderte und die öffentliche Stimmung noch weiter radikalisierte.
Nach der ersten Infektionswelle wußten die Verantwortlichen Bescheid, was das tatsächliche Risiko von SARS-CoV‑2 anging, forderten aber weiterhin Schließungen aller Art, vor allem, weil sie die politischen Folgen eines Mißlingens der Infektionseindämmung fürchteten.
Dies bedeutet, daß sie ein gewisses Maß an Vertrauen in ihre Politik hatten, zum Teil, weil sie anfällig für ihre eigene Propaganda waren. Maßnahmen wie das Tragen von Masken, die eingeführt wurden, weil sie »gut sichtbar« waren (Hancock-Leaks), wurden bald als echte Infektionsbekämpfungsmaßnahmen angesehen.
Aus dem verfügbaren Material »hinter den Kulissen« zieht Eugyppius den Schluß: »Diejenigen, die für die letzten drei Jahre der wirtschaftlichen Zerstörung, der psychologischen Schäden und der pharmazeutischen Massenexperimente verantwortlich sind, sind gefühllos und böse – aber sie sind auch einfach wirklich dumm. Nichts von alledem hatte eine tiefere Bedeutung, nichts von alledem hatte irgendeinen höheren Zweck, und das ist die bitterste Pille von allen.
Jede einzelne Person in diesen Textnachrichten, von Johnson über Hancock bis hin zu irgendwelchen Ministern und Experten, war komplett ahnungslos, was sie tun oder was ihre Einschränkungen überhaupt bewirken sollten. Die Lockdowns waren auf jeder Ebene exakt das, als was sie uns erschienen sind: irrsinnige, unlogische, sinnlose und chaotische politische Maßnahmen. Sie sind Kopfgeburten unbedeutender Regierungsfunktionäre mit einem Planungshorizont von höchstens zwei Wochen, die ihren eigenen Erfolg oder Mißerfolg anhand der Presseberichterstattung beurteilen und die die Öffentlichkeit als dummes Vieh betrachten, das in zweckdienliche Bahnen gelenkt werden muß.«
Dieser Ansatz hat Eugyppius viel Kritik und sogar ärgerliche Reaktionen eingebracht. Manche werfen ihm gar vor, »kontrollierte Opposition« zu sein, die nur Sand in die Augen streuen soll. In der Tat hat er hier einen eher unpopulären Weg eingeschlagen, mit dem sich weniger Geschäft machen läßt als mit spektakulären und steilen Thesen. Er verteidigt dies beharrlich: »Ich verstehe zwar, daß einige Leser das irritierend finden, aber es geht mir nicht darum, irgend jemandes Schuld zu mindern. Vielmehr möchte ich darauf hinweisen, daß die sehr realen Bösewichte, die uns allen Sorgen bereiten, nur Ausdruck viel tiefer liegender Kräfte sind, und daß die Lösung der Probleme viel mehr erfordert, als alle Anthony Faucis dieser Welt zusammenzutreiben und sie wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzuklagen.«
Die Methode von Eugyppius erweist sich jedenfalls immer wieder als äußerst fruchtbar, wirkt wie ein Detektor, der Dinge findet, die mit den Scheuklappen anderer Paradigmen und Framings leicht übersehen werden. »Verschwörungstheorie« ist gewiß ein Kampfbegriff des Mainstreams, um Widerspruch, Zweifel und berechtigtes Mißtrauen am Wohlwollen der Reichen und Mächtigen ins Lächerliche zu ziehen. Das sollte jedoch nicht dazu verleiten, sich allzu trotzig vor alles zu stellen, das mit diesem Etikett belegt wird. »Die Frage, ob die Pandemie Ergebnis einer Verschwörung oder einer dynamischen Entwicklung ist, ist ein bißchen wie das Unkrautjäten im Garten«, schreibt Eugyppius. »Man ist nie ganz fertig damit, und alle paar Monate stellt man fest, daß man noch etwas zu sagen hat.«