Lächelnd stur – Peter Hahne

pdf der Druckfassung aus Sezession 11 /Oktober 2005

Wenn von einem Sachbuch innerhalb eines Jahres in Deutschland über...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

600.000 Exem­pla­re ver­kauft wer­den, ist das ein Ereig­nis, das gedeu­tet wer­den muß. Des Haupt­stadt­jour­na­lis­ten Peter Hah­nes klei­ne Streit­schrift Schluß mit lus­tig. Das Ende der Spaß­ge­sell­schaft (Johan­nis-Ver­lag) wird – so berich­ten Buch­händ­ler – von begeis­ter­ten Lesern im hal­ben Dut­zend erwor­ben und ver­schenkt. Dies irri­tiert die pro­fes­sio­nel­len Kri­ti­ker bei­na­he aller Feuil­le­tons, die in Hah­ne einen Sim­pel sehen, einen nicht unge­fähr­li­chen Simpel.

Hah­ne ist näm­lich ers­tens der Trom­pe­ter des gesun­den Men­schen­ver­stands, und die­ser ist bekannt­lich über­all dort auf­zu­fin­den, wor­über das Feuil­le­ton aus eige­ner Anschau­ung nicht schrei­ben, son­dern nur kli­schee­haft („Stamm­tisch“) spot­ten kann.
Zwei­tens kommt Hah­ne ohne Fremd­wör­ter und Schach­tel­sät­ze aus, und die­se Schlicht­heit paßt drit­tens zu sei­nem besorg­nis­er­re­gen­den Mut, sich ein­fach auf Gott zu bezie­hen, wenn er fes­ten Boden für sei­ne Argu­men­ta­tio­nen sucht. „Gefragt ist heu­te kein mul­ti­re­li­giö­ser Ein­topf, son­dern christ­li­che Ein­deu­tig­keit“: Sol­che Stand­fes­tig­keit muß jeden mit Sor­ge erfül­len, der Tag für Tag spa­ßes­hal­ber hier oder dort ein­mal ste­hen­bleibt, ein biß­chen her­um­schnup­pert und dann iro­nisch in einer Zei­tung dar­über schreibt, ohne je etwas ernst zu mei­nen, also: ent­schie­den für oder gegen etwas zu sein.
Peter Hah­nes Büch­lein – es läßt sich in zwei Stun­den gründ­lich lesen – ist hin­ge­gen in einem durch­weg ent­schie­de­nen Ton gehal­ten. Es spricht vom Ende einer Spaß­ge­sell­schaft, die wir uns schon viel zu lan­ge geleis­tet hät­ten. Eine der gefähr­lichs­ten Wir­kun­gen die­ser Spaß­ge­sell­schaft sei der „Ver­lust des Erns­tes“. Dar­un­ter sind Erwach­se­ne als ewi­ge Kin­der zu ver­ste­hen, die „auf­fäl­li­ge Ver­mei­dungs­hal­tun­gen, man­geln­de Ent­schei­dungs­freu­de und die Unfä­hig­keit, einen Punkt zu set­zen“ demons­trie­ren (Ellen Kositza: Kin­der an der Macht, Sezes­si­on 7), infan­ti­le Men­schen also, die sich hüten, mit irgend etwas Ernst zu machen. Im Ernst­fall reagie­ren sie kin­disch und hilf­los – und ste­hen scho­ckiert vor dem bit­te­ren Ernst, den die Spaß­ge­sell­schaft mit jenen macht, die ihrem flot­ten Rhyth­mus nicht mehr fol­gen kön­nen. Denn die Spaß­ge­sell­schaft „ver­trägt kei­ne Mißer­fol­ge“ (Peter Hahne).
Von die­ser grund­sätz­li­chen Inter­pre­ta­ti­on aus schmie­det Hah­ne Argu­men­ta­ti­ons­ket­ten zu gesell­schaft­li­chen Ent­wick­lun­gen, die er ohne Wenn und Aber als Fehl­ent­wick­lun­gen begreift: Kin­der­lo­sig­keit, Hedo­nis­mus, Leis­tungs­ver­wei­ge­rung, Aus­beu­tung des Sozi­al­staats, Ver­lust von Manie­ren, reli­giö­se Belie­big­keit. Die Ver­ant­wor­tung für den maro­den Zustand des Lan­des las­tet Hah­ne ohne lan­ges Feder­le­sen den Acht­und­sech­zi­gern an, deren Cre­do er mit dem Drei­klang von „Frei­zeit, Gleich­gül­tig­keit, Lie­der­lich­keit“ wie­der­um schlicht und slo­gan­ar­tig auf den Punkt bringt.
Die Kri­tik hat dem Buch gera­de die­se direk­ten, for­mel­haf­ten Bezü­ge übel­ge­nom­men und sich dabei gar nicht so sehr auf ein­zel­ne Unstim­mig­kei­ten in den Argu­men­ta­tio­nen bezo­gen, son­dern in der Ein­deu­tig­keit Hah­nes Aus­gren­zungs­ten­den­zen und Into­le­ranz aus­ge­macht. Der Jour­na­list Hah­ne hat die­se Vor­wür­fe vor­aus­ge­se­hen und die ver­ab­so­lu­tier­te Tole­ranz als Bemän­te­lung einer jäm­mer­li­chen Unent­schie­den­heit bezeich­net: „Dabei ist die­se Art von Tole­ranz oft nichts ande­res als ein mani­pu­la­ti­ves Tarn­wort für eige­ne Stand­punkt­lo­sig­keit. In Wahr­heit führt das, kon­se­quent wei­ter­ge­dacht, zur Into­le­ranz. Denn wenn ich sel­ber ohne eige­ne Über­zeu­gung bin, bil­li­ge ich auch ande­ren die­se nicht zu.“ Über sei­nen eige­nen Stand­punkt läßt Hah­ne in der Tat kei­nen Zwei­fel, wenn er die kur­zen Kapi­tel sei­nes Buchs mit „Holt Gott zurück!“ oder „Come­back der Wer­te“ überschreibt.

Für jeden, der Deutsch­lands Weg in sei­ne fun­da­men­ta­le Kri­se ver­folgt hat und den Sub­stanz­ver­lust in allen Lebens- und Poli­tik­be­rei­chen benen­nen kann, bie­tet Hah­nes Streit­schrift nicht viel Neu­es. Ein paar Zita­te ver­blüf­fen – das Buch ist gespickt davon, weil Hah­ne jeden her­an­zieht, den er auch nur in Teil­aspek­ten für einen Ver­bün­de­ten hält. Inter­es­sant ist, wes­sen Name qua­si neben­bei fällt: Robert Spae­mann, Roma­no Guar­di­ni, Alex­an­der Sol­sche­ni­zyn und Ernst Jün­ger wer­den zustim­mend zitiert.
Mit­hil­fe sol­cher Ori­en­tie­rungs­punk­te legt Hah­ne sei­ne poli­ti­sche Selbst­ver­or­tung nahe, er spricht sie nie aus. Hah­nes Buch gehört näm­lich in jene Rei­he von Ver­su­chen, für die längst augen­schein­lich gewor­de­ne Kri­se Deutsch­lands einen Lösungs­weg zu fin­den. Hans-Her­mann Hop­pes liber­tä­res Stan­dard­werk Demo­kra­tie. Der Gott, der kei­ner ist und Horst Sie­berts Jen­seits des sozia­len Mark­tes gehö­ren eben­so dazu wie Mein­hard Mie­gels Epo­chen­wen­de, das einen skep­ti­schen Blick auf die Zukunfts­fä­hig­keit der „west­li­chen Welt“ wirft und – im Gegen­satz zu Hop­pe oder ande­ren Tur­bo­ka­pi­ta­lis­ten – den Wachs­tums­mo­tor zuguns­ten einer Zufrie­den­heit im Ver­zicht dros­seln möch­te. Ganz nahe an Hah­ne her­an rückt Die Kul­tur der Frei­heit von dem als „lei­den­schaft­li­chen Kon­ser­va­ti­ven“ bezeich­ne­ten Ver­fas­sungs­rich­ter Udo di Fabio. Sein Plä­doy­er für die Ret­tung des Staats durch die Stär­kung der klei­nen Zel­len (Fami­lie, Betrieb, Kir­chen­ge­mein­de) wur­de von Patrick Bah­ners in der FAZ als „refle­xi­ver Pétai­nis­mus“ bezeich­net und kommt in sei­ner Grund­stim­mung dem nahe, was in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten vor drei Jahr­zehn­ten als „Kom­mu­ni­ta­ris­mus“ auf­brach: der „offe­nen Gesell­schaft“, der west­li­chen Welt mit christ­lich gestütz­tem Prag­ma­tis­mus von unten, den Nach­bar­schaf­ten her, ein trag­fä­hi­ges Fun­da­ment zu geben.
Auch Hah­ne denkt und argu­men­tiert – ohne die­sen Begriff je zu ver­wen­den – kom­mu­ni­ta­ris­tisch. Sei­ne Argu­men­te und Vor­schlä­ge klin­gen jenen Lesern, die aus dem Traum von einer „Kuschel­ge­sell­schaft“ (Hah­ne) erst vor kur­zem erwacht sind, sicher­lich deut­lich genug in den Ohren. West­li­chen Ver­fall anhand von Deka­denz, Rand­grup­pen­be­geis­te­rung und reli­giö­ser Will­kür erklärt zu bekom­men, ist für schläf­ri­ge Gehir­ne ein Trom­pe­ten­stoß. Ein­mal auf­ge­schreckt, wer­den sie durch die Ver­bind­lich­keit und letzt­lich doch Harm­lo­sig­keit der Ansät­ze Hah­nes wie­der ein­ge­fan­gen und beru­higt. Denn Hah­ne geht davon aus, daß die Kri­se Deutsch­lands (und der west­li­chen Welt) mit wei­chen Metho­den wird über­wun­den wer­den können.
Am Bei­spiel von Hah­nes Wer­te­ka­non läßt sich dies gut illus­trie­ren: „Tra­di­tio­nell unter­schei­det man mora­li­sche Wer­te wie Auf­rich­tig­keit, Gerech­tig­keit, Treue. Oder reli­giö­se Wer­te: Got­tes­furcht und Nächs­ten­lie­be. Poli­ti­sche Wer­te: Tole­ranz, Frei­heit, Gleich­heit. Mate­ri­el­le Wer­te: Wohl­stand“. Kon­se­quent setzt Hah­ne des­halb auch auf den Dia­log zwi­schen den Reli­gio­nen und Kul­tu­ren, wenn es um die Ter­ror­ge­fahr oder den Kopf­tuch­streit geht, und er zitiert Bassam Tibi oder Peter Scholl-Latour, um zu zei­gen, daß nur ein star­ker eige­ner Stand­punkt einen Dia­log erst sinn­voll mache. Aber stets bleibt es beim Dialog.
Ange­sichts der Tat­sa­che, daß der Feind nicht nur die eige­ne Schwä­che ist, son­dern schon dies­seits der Mau­ern steht und ange­sichts der eige­nen Potenz auf den Dia­log gar kei­nen Wert mehr legt, feh­len in Hah­nes Wer­te­ka­non eini­ge Tugen­den: die Klug­heit, die Tap­fer­keit und die Aske­se, im Bereich der Poli­tik das Durch­set­zungs­ver­mö­gen und die Kälte.
Fürs ers­te aber: ein gutes Buch. Von dort aus: weiter!

Götz Kubitschek

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