600.000 Exemplare verkauft werden, ist das ein Ereignis, das gedeutet werden muß. Des Hauptstadtjournalisten Peter Hahnes kleine Streitschrift Schluß mit lustig. Das Ende der Spaßgesellschaft (Johannis-Verlag) wird – so berichten Buchhändler – von begeisterten Lesern im halben Dutzend erworben und verschenkt. Dies irritiert die professionellen Kritiker beinahe aller Feuilletons, die in Hahne einen Simpel sehen, einen nicht ungefährlichen Simpel.
Hahne ist nämlich erstens der Trompeter des gesunden Menschenverstands, und dieser ist bekanntlich überall dort aufzufinden, worüber das Feuilleton aus eigener Anschauung nicht schreiben, sondern nur klischeehaft („Stammtisch“) spotten kann.
Zweitens kommt Hahne ohne Fremdwörter und Schachtelsätze aus, und diese Schlichtheit paßt drittens zu seinem besorgniserregenden Mut, sich einfach auf Gott zu beziehen, wenn er festen Boden für seine Argumentationen sucht. „Gefragt ist heute kein multireligiöser Eintopf, sondern christliche Eindeutigkeit“: Solche Standfestigkeit muß jeden mit Sorge erfüllen, der Tag für Tag spaßeshalber hier oder dort einmal stehenbleibt, ein bißchen herumschnuppert und dann ironisch in einer Zeitung darüber schreibt, ohne je etwas ernst zu meinen, also: entschieden für oder gegen etwas zu sein.
Peter Hahnes Büchlein – es läßt sich in zwei Stunden gründlich lesen – ist hingegen in einem durchweg entschiedenen Ton gehalten. Es spricht vom Ende einer Spaßgesellschaft, die wir uns schon viel zu lange geleistet hätten. Eine der gefährlichsten Wirkungen dieser Spaßgesellschaft sei der „Verlust des Ernstes“. Darunter sind Erwachsene als ewige Kinder zu verstehen, die „auffällige Vermeidungshaltungen, mangelnde Entscheidungsfreude und die Unfähigkeit, einen Punkt zu setzen“ demonstrieren (Ellen Kositza: Kinder an der Macht, Sezession 7), infantile Menschen also, die sich hüten, mit irgend etwas Ernst zu machen. Im Ernstfall reagieren sie kindisch und hilflos – und stehen schockiert vor dem bitteren Ernst, den die Spaßgesellschaft mit jenen macht, die ihrem flotten Rhythmus nicht mehr folgen können. Denn die Spaßgesellschaft „verträgt keine Mißerfolge“ (Peter Hahne).
Von dieser grundsätzlichen Interpretation aus schmiedet Hahne Argumentationsketten zu gesellschaftlichen Entwicklungen, die er ohne Wenn und Aber als Fehlentwicklungen begreift: Kinderlosigkeit, Hedonismus, Leistungsverweigerung, Ausbeutung des Sozialstaats, Verlust von Manieren, religiöse Beliebigkeit. Die Verantwortung für den maroden Zustand des Landes lastet Hahne ohne langes Federlesen den Achtundsechzigern an, deren Credo er mit dem Dreiklang von „Freizeit, Gleichgültigkeit, Liederlichkeit“ wiederum schlicht und sloganartig auf den Punkt bringt.
Die Kritik hat dem Buch gerade diese direkten, formelhaften Bezüge übelgenommen und sich dabei gar nicht so sehr auf einzelne Unstimmigkeiten in den Argumentationen bezogen, sondern in der Eindeutigkeit Hahnes Ausgrenzungstendenzen und Intoleranz ausgemacht. Der Journalist Hahne hat diese Vorwürfe vorausgesehen und die verabsolutierte Toleranz als Bemäntelung einer jämmerlichen Unentschiedenheit bezeichnet: „Dabei ist diese Art von Toleranz oft nichts anderes als ein manipulatives Tarnwort für eigene Standpunktlosigkeit. In Wahrheit führt das, konsequent weitergedacht, zur Intoleranz. Denn wenn ich selber ohne eigene Überzeugung bin, billige ich auch anderen diese nicht zu.“ Über seinen eigenen Standpunkt läßt Hahne in der Tat keinen Zweifel, wenn er die kurzen Kapitel seines Buchs mit „Holt Gott zurück!“ oder „Comeback der Werte“ überschreibt.
Für jeden, der Deutschlands Weg in seine fundamentale Krise verfolgt hat und den Substanzverlust in allen Lebens- und Politikbereichen benennen kann, bietet Hahnes Streitschrift nicht viel Neues. Ein paar Zitate verblüffen – das Buch ist gespickt davon, weil Hahne jeden heranzieht, den er auch nur in Teilaspekten für einen Verbündeten hält. Interessant ist, wessen Name quasi nebenbei fällt: Robert Spaemann, Romano Guardini, Alexander Solschenizyn und Ernst Jünger werden zustimmend zitiert.
Mithilfe solcher Orientierungspunkte legt Hahne seine politische Selbstverortung nahe, er spricht sie nie aus. Hahnes Buch gehört nämlich in jene Reihe von Versuchen, für die längst augenscheinlich gewordene Krise Deutschlands einen Lösungsweg zu finden. Hans-Hermann Hoppes libertäres Standardwerk Demokratie. Der Gott, der keiner ist und Horst Sieberts Jenseits des sozialen Marktes gehören ebenso dazu wie Meinhard Miegels Epochenwende, das einen skeptischen Blick auf die Zukunftsfähigkeit der „westlichen Welt“ wirft und – im Gegensatz zu Hoppe oder anderen Turbokapitalisten – den Wachstumsmotor zugunsten einer Zufriedenheit im Verzicht drosseln möchte. Ganz nahe an Hahne heran rückt Die Kultur der Freiheit von dem als „leidenschaftlichen Konservativen“ bezeichneten Verfassungsrichter Udo di Fabio. Sein Plädoyer für die Rettung des Staats durch die Stärkung der kleinen Zellen (Familie, Betrieb, Kirchengemeinde) wurde von Patrick Bahners in der FAZ als „reflexiver Pétainismus“ bezeichnet und kommt in seiner Grundstimmung dem nahe, was in den Vereinigten Staaten vor drei Jahrzehnten als „Kommunitarismus“ aufbrach: der „offenen Gesellschaft“, der westlichen Welt mit christlich gestütztem Pragmatismus von unten, den Nachbarschaften her, ein tragfähiges Fundament zu geben.
Auch Hahne denkt und argumentiert – ohne diesen Begriff je zu verwenden – kommunitaristisch. Seine Argumente und Vorschläge klingen jenen Lesern, die aus dem Traum von einer „Kuschelgesellschaft“ (Hahne) erst vor kurzem erwacht sind, sicherlich deutlich genug in den Ohren. Westlichen Verfall anhand von Dekadenz, Randgruppenbegeisterung und religiöser Willkür erklärt zu bekommen, ist für schläfrige Gehirne ein Trompetenstoß. Einmal aufgeschreckt, werden sie durch die Verbindlichkeit und letztlich doch Harmlosigkeit der Ansätze Hahnes wieder eingefangen und beruhigt. Denn Hahne geht davon aus, daß die Krise Deutschlands (und der westlichen Welt) mit weichen Methoden wird überwunden werden können.
Am Beispiel von Hahnes Wertekanon läßt sich dies gut illustrieren: „Traditionell unterscheidet man moralische Werte wie Aufrichtigkeit, Gerechtigkeit, Treue. Oder religiöse Werte: Gottesfurcht und Nächstenliebe. Politische Werte: Toleranz, Freiheit, Gleichheit. Materielle Werte: Wohlstand“. Konsequent setzt Hahne deshalb auch auf den Dialog zwischen den Religionen und Kulturen, wenn es um die Terrorgefahr oder den Kopftuchstreit geht, und er zitiert Bassam Tibi oder Peter Scholl-Latour, um zu zeigen, daß nur ein starker eigener Standpunkt einen Dialog erst sinnvoll mache. Aber stets bleibt es beim Dialog.
Angesichts der Tatsache, daß der Feind nicht nur die eigene Schwäche ist, sondern schon diesseits der Mauern steht und angesichts der eigenen Potenz auf den Dialog gar keinen Wert mehr legt, fehlen in Hahnes Wertekanon einige Tugenden: die Klugheit, die Tapferkeit und die Askese, im Bereich der Politik das Durchsetzungsvermögen und die Kälte.
Fürs erste aber: ein gutes Buch. Von dort aus: weiter!