Ruhrkampf 23 – ein deutsches Trauma

von Stefan Scheil -- PDF der Druckfassung aus Sezession 113/ April 2023

 Druckausgabe

Beitrag aus der Druckausgabe der Sezession. Abonnieren Sie!

»Das ist der hin­ter­häl­tigs­te Gebrauch von Holz seit dem Bau des Tro­ja­ni­schen Pfer­des.« Mit die­sen Wor­ten kom­men­tier­te im Janu­ar 1923 ein bri­ti­scher Diplo­mat den fran­zö­si­schen Ent­schluß zum Ein­marsch in das deut­sche Ruhr­ge­biet wegen angeb­lich feh­len­der Lie­fe­run­gen von höl­zer­nen Telegraphenstangen.

Als ob der deut­sche Zusam­men­bruch von 1918 / 19 den Sie­gern nicht genug gewe­sen wäre, berei­te­ten sie die nächs­te Kata­stro­phe vor. Der fol­gen­de Ruhr­kampf warf dann tat­säch­lich die gro­ßen Streit­the­men der euro­päi­schen Poli­tik nahe­zu alle­samt noch ein­mal auf und die inner­deut­schen noch dazu.

Um mit der euro­päi­schen Poli­tik zu ­begin­nen: Die sozu­sa­gen gute Nach­richt für die deut­sche Sei­te bestand in den grund­sätz­li­chen Strei­tig­kei­ten der ehe­ma­li­gen Kriegs­geg­ner, die jetzt offen­kun­dig wur­den. Deren Koali­ti­on war für den Moment zer­bro­chen. Es ging den ver­schie­de­nen Staa­ten um ganz eige­ne Zie­le jen­seits der Kon­stel­la­ti­on des Welt­krie­ges. In Groß­bri­tan­ni­en etwa sahen die Ver­ant­wort­li­chen zumin­dest für den Moment mit Deutsch­land kei­ne beson­de­ren Pro­ble­me mehr. Des­sen Flot­te war ver­senkt, die  Kolo­nien ein­ge­zo­gen, die macht­po­li­ti­sche Riva­li­tät bei­der Län­der erst ein­mal eine Sache von gestern.

In Lon­do­ner Regie­rungs­krei­sen empör­te man sich über ganz ande­re Din­ge. Wäh­rend des Auf­takts der Ruhr­kri­se tag­te in Lau­sanne eine inter­na­tio­na­le Kon­fe­renz zum The­ma Naher Osten und Tür­kei, die das Regie­rungs­han­deln mehr beschäf­tig­te als der euro­päi­sche Kon­ti­nent. Neben sol­chen inten­siv betrie­be­nen Ver­su­chen, den Nahen Osten gewinn­brin­gend zu struk­tu­rie­ren, gehör­te für Lon­don das neue Ver­hält­nis zu den Ver­ei­nig­ten Staa­ten zu den Pro­ble­men: Ame­ri­ka war als Haupt­sie­ger und Finanz­platz Num­mer eins aus dem Welt­krieg her­vor­ge­gan­gen. Das bri­ti­sche Kabi­nett warf in die­ser Pha­se – heu­te kaum zu glau­ben – sogar die Fra­ge nach mög­li­chen krie­ge­ri­schen Ver­wick­lun­gen mit den USA auf.

Die US-Regie­rung ihrer­seits warf den euro­päi­schen Ver­bün­de­ten schon bald nach Kriegs­en­de unter ande­rem ihre schlech­te Zah­lungs­mo­ral vor. Die gege­be­nen Kriegs­kre­di­te wur­den kaum bedient. Moch­te auch Einig­keit dar­über bestehen, die Deut­schen und ihre neue Repu­blik letzt­lich die Zeche zah­len zu las­sen, so stan­den doch Frank­reich und Groß­bri­tan­ni­en in Wa­shington direkt in der Krei­de, was sie offen­kun­dig nicht abtra­gen woll­ten. Und dann kam noch ein Gut­ach­ten des mit der Unter­su­chung der Kriegs­ur­sa­chen von 1914 befaß­ten Sena­tors Robert Owen dazu, in dem genau die­se Staa­ten und das in revo­lu­tio­nä­ren Wir­ren ver­sun­ke­ne Ruß­land als die eigent­li­chen Ver­ant­wort­li­chen für den damals aus­ge­bro­che­nen Kon­flikt ermit­telt wur­den. Wa­shington hat­te also nicht nur Staa­ten finan­ziert, die nach­her ihre Schul­den nicht zah­len woll­ten, son­dern oben­drein die wäh­rend des Krie­ges beschwo­re­ne Ver­tei­di­gungs­not selbst ver­ur­sacht hat­ten. Jedoch hielt sich die öffent­li­che Reso­nanz über die­se Erkennt­nis in Gren­zen. Es konn­ten eben auch damals schon alle Betei­lig­ten poli­tisch bes­ser leben, wenn die Deut­schen die Schul­di­gen blieben.

Aller­dings blieb mit Frank­reich eine wich­ti­ge Macht übrig, die den Sieg von 1918 und den direk­ten Kon­flikt mit Deutsch­land als die wei­ter­hin vor­ran­gi­ge Per­spek­ti­ve ansah. In Paris saßen die Ver­ant­wort­li­chen für den Kriegs­kurs von 1914 immer noch in Regie­rungs­äm­tern, allen vor­an Ray­mond Poin­ca­ré als Staats­prä­si­dent bis 1920 und nun als Minis­ter­prä­si­dent wäh­rend der Ruhr­kri­se. Elsaß-Loth­rin­gen hat­te der fran­zö­si­sche Staat 1919 zurück­ge­won­nen, aber dies schien nicht genug zu sein. Der fran­zö­si­schen Regie­rung ging es um Sub­stan­ti­el­les in Form von neu­en Gren­zen, um Abspal­tung der Saar, der Pfalz, des gan­zen Rhein­lands und wenn mög­lich eben auch des Ruhrgebiets.

Zugleich ermu­tig­te die Regie­rung ihre öst­li­chen Ver­bün­de­ten in Prag und War­schau, eben­falls mit Ein­mär­schen auf deut­sches Gebiet zu dro­hen. Unter sol­chen Vor­zei­chen blie­ben alle fran­zö­si­schen Ein­zel­for­de­run­gen nach Tele­gra­phen­stan­gen eben Vor­wän­de und alle deut­schen Ange­bo­te finan­zi­el­ler Art nur Teil eines Spiels, das ledig­lich vor­der­grün­dig um Ver­trags­er­fül­lung und Zah­lungs­mo­da­li­tä­ten gespielt wur­de. »Es gibt kein Äqui­va­lent in Geld für die Besat­zung«, erklär­te Oscar Was­ser­mann, Direk­tor der Deut­schen Bank, Ende 1922 in einer der letz­ten Kon­fe­ren­zen vor der Ruhrgebietsbesetzung.

Vor die­sem Hin­ter­grund über­rascht es nicht, wenn in Deutsch­land ange­sichts der Situa­ti­on die gesam­te innen­po­li­ti­sche Struk­tur erneut in Fra­ge stand. Die Nati­on wur­de ange­grif­fen und wehr­te sich auf allen Ebe­nen mit den Mit­teln, die noch vor­han­den waren. Dazu gehör­te zunächst ein­mal der amt­li­che Pro­test auf allen inter­na­tio­na­len Plät­zen, ver­bun­den mit dem Nach­weis, daß die fran­zö­si­sche Akti­on nach den bis­her in der Nach­kriegs­zeit getrof­fe­nen Rege­lun­gen ille­gal war. Dies ließ sich leicht nach­wei­sen, weni­ger leicht indes lie­ßen sich wirk­li­che Inter­es­sen­ten für die­se Wahr­heit finden.

Immer­hin grif­fen nach eini­gen Wochen des Zögerns pro­mi­nen­te Bri­ten zur Feder und klag­ten die fran­zö­si­sche Akti­on öffent­lich an. Dazu gehör­te mit David Lloyd Geor­ge auch der frü­he­re bri­ti­sche Kriegs­pre­mier. Es sei ganz und gar nicht hin­nehm­bar, wenn Frank­reich auf unbe­grenz­te Zeit und ohne bestimm­te Bedin­gun­gen zu nen­nen, das Ruhr­ge­biet als Pfand behal­ten wol­le. Weder die bri­ti­sche noch die deut­sche Regie­rung wüß­ten ver­bind­lich, was Frank­reich eigent­lich wol­le. Dies sei nie for­mu­liert worden.

Appel­le der deut­schen Sozi­al­de­mo­kra­tie an die ver­meint­li­chen Klas­sen­ver­bün­de­ten der fran­zö­si­schen Arbei­ter­schaft ergin­gen eben­falls, blie­ben aber ohne beson­de­re Reso­nanz. Den von den Gewerk­schaf­ten ein­gangs vor­ge­leg­ten Plan für einen radi­ka­len Gene­ral­streik hat­te dage­gen die deut­sche Regie­rung ver­wor­fen. Eine direk­te mili­tä­ri­sche Abwehr des fran­zö­si­schen Vor­marschs wur­de von Reichs­wehr­chef Seeckt zwar wohl erwo­gen, aber als zu risi­ko­reich ver­wor­fen. Immer­hin wur­de akti­viert, was sich als »Schwar­ze Reichs­wehr« den Abrüs­tungs­be­stim­mun­gen der Sie­ger­mäch­te bis dahin ent­zo­gen hat­te und in einem über­par­tei­li­chen Kon­sens auf ver­deck­te Art finan­ziert wor­den war.

Auf Druck des Aus­lands hat­te man die unmit­tel­bar nach dem Krieg jen­seits der Streit­kräf­te gebil­de­ten Frei­korps inzwi­schen weit­ge­hend auf­ge­löst, aber die Ein­satz­be­reit­schaft der frü­he­ren Mit­glie­der war wei­ter­hin vor­han­den. Mit Zustim­mung des Reichs­prä­si­den­ten Ebert, des preu­ßi­schen Minis­ter­prä­si­den­ten Braun und des Innen­mi­nis­ters Seve­ring wur­den im Früh­jahr 1923 soge­nann­te Zeit­frei­wil­li­gen­ver­bän­de auf­ge­stellt. Zugleich ver­kün­de­te die deut­sche Regie­rung, für die Zeit der fran­zö­si­schen Ruhr­ge­biets­be­set­zung kei­ne der übli­chen Kon­troll­fahr­ten alli­ier­ter Offi­zie­re im Land mehr zuzu­las­sen, die seit 1919 die deut­schen Rüs­tungs­ak­ti­vi­tä­ten überwachten.

Reichs­wehr­chef Seeckt ver­bot ande­rer­seits roman­ti­sche Plä­ne einer bewaff­ne­ten Volks­er­he­bung und auch wei­ter­ge­hen­de Plä­ne einer Art »Sizi­lia­ni­schen Ves­per« im besetz­ten Ruhr­ge­biet. Der Indus­tri­el­le Fritz Thys­sen und der frü­he­re Gene­ral Frei­herr Oskar von Wat­ter hat­ten die­sen Gedan­ken ins Spiel gebracht, um die Fran­zo­sen vor Ort nach mit­tel­al­ter­li­chem Vor­bild in einem all­ge­mei­nen Gemet­zel unter­ge­hen zu las­sen, auch die Zivi­lis­ten. Den­noch grif­fen man­che Frei­kor­ps­mit­glie­der immer wie­der zur Waf­fe und beson­ders zum Spreng­satz, um die fran­zö­si­sche Besat­zung zu erschüt­tern und Koh­le­trans­por­te mit der Eisen­bahn ganz direkt zu sabo­tie­ren. Dies führ­te wie stets zu Gegen­ter­ror der Besat­zungs­macht. Ver­haf­tun­gen und Todes­ur­tei­le der Wider­ständ­ler folg­ten. Aber nur eines der aus­ge­spro­che­nen Todes­ur­tei­le wur­de voll­streckt, und zwar an Albert Leo Schla­ge­ter am 26. Mai 1923.

Ins­ge­samt begrenz­te Seeckt die mili­tä­ri­schen Vor­be­rei­tun­gen auf die Ver­tei­di­gung des bis­her noch unbe­setz­ten Staats­ge­bie­tes gegen wei­te­re Über­grif­fe aus Ost und West, dach­te aber in Rich­tung Osten durch­aus über offen­si­ve Hand­lun­gen nach. Min­des­tens in Prag hat­te die Regie­rung ver­stan­den, wel­ches Risi­ko sie bei einer Betei­li­gung an den fran­zö­si­schen Unter­neh­mun­gen für den eige­nen, eben erst geschaf­fe­nen Kunst­staat »Tsche­cho­slo­wa­kei« ein­ge­hen wür­de. Soll­te die Ruhr­kri­se doch noch in einen all­ge­mei­nen Krieg mün­den, stand alles auf dem Spiel.

Im Vor­jahr hat­te alli­ier­ter Druck gera­de erst die deutsch-sowje­ti­sche Alli­anz von Rapal­lo zustan­de gebracht. Auch jetzt ließ die sowje­ti­sche Macht­zen­tra­le leb­haf­tes Inter­es­se an den Vor­gän­gen in Mit­tel­eu­ro­pa erken­nen, spiel­te ihr übli­ches dop­pel­tes Spiel, revo­lu­tio­nä­re Akti­vi­tä­ten zu för­dern und sich zugleich auf staat­li­cher Ebe­ne seri­ös zu geben. Natür­lich wäre ein Zusam­men­bruch der Nach­kriegs­ord­nung nebst krie­ge­ri­schen Ver­wick­lun­gen für Mos­kau aber hoch will­kom­men gewesen.

Unge­ach­tet aller sol­cher Akti­vi­tä­ten, rief die Ber­li­ner Regie­rung offi­zi­ell den Boy­kott der Zusam­men­ar­beit mit den fran­zö­si­schen Besat­zern aus. Es galt anfangs als unmög­lich, daß Frank­reich und das eben­falls am Ein­marsch betei­lig­te Bel­gi­en die Ver­wal­tung des Ruhr­ge­biets mit eige­nem Per­so­nal orga­ni­sie­ren könn­ten. Pas­si­ver Wider­stand soll­te sie so unat­trak­tiv wie irgend­wie mög­lich wer­den las­sen und die Besat­zer idea­ler­wei­se zum Rück­zug bewe­gen. Die­ser Schritt blieb letzt­lich nach außen weit­ge­hend erfolg­los. Er war sozu­sa­gen eine Früh­form sol­cher Sank­tio­nen, die Deutsch­land selbst wesent­lich stär­ker tra­fen als den Gegner.

Moch­te die Ver­wal­tung des Ruhr­ge­biets schwie­rig sein und der Lie­fer­boy­kott die fran­zö­si­sche Wirt­schaft belas­ten, so bedeu­te­te er für Deutsch­land das wirt­schaft­li­che Aus. Dies wur­de schnell abseh­bar und för­der­te eher die fran­zö­si­sche Bereit­schaft zu blei­ben, als zu gehen. Gegen Ende des Jah­res trat dann die Hyper­in­fla­ti­on der Reichs­mark ein, die den deut­schen Staat nach innen ent­schul­de­te, sei­nen Bür­gern aber das gesam­te erspar­te Ver­mö­gen nahm. Auch das erschüt­ter­te noch ein­mal das Ver­trau­en in die Repu­blik, die den Ruhr­kampf am Ende nicht gewin­nen konnte.

Erst nach der Aner­ken­nung einer astro­no­mi­schen Schul­den­sum­me räum­ten die Besat­zer nach zwei Jah­ren schließ­lich das Ruhr­ge­biet. Das Tro­ja­ni­sche Pferd zur Unter­wan­de­rung der deut­schen Leis­tungs­fä­hig­keit war danach nicht mehr aus Holz, son­dern bestand in dem 1924 unter­zeich­ne­ten Dawes-Plan. Künf­tig hing die deut­sche Liqui­di­tät an ame­ri­ka­ni­schen Kre­di­ten, deren Rück­ruf fünf Jah­re spä­ter dann 1929 die fina­le Kri­se der Repu­blik einläutete.

 Druckausgabe

Beitrag aus der Druckausgabe der Sezession. Abonnieren Sie!

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)