Dies meint der Verfasser mit »Richterdämmerung«. Erläutert wird dies anhand zentraler Entscheidungen, von denen das Nichtverbotsurteil im zweiten NPD-Verbotsverfahren und die Wunsiedel-Entscheidung herausragen. (Wunsiedel: Nach mehreren Instanzen wurden 2009 die Rudolf-Heß-Gedenkmärsche verboten.) Die Fragwürdigkeit dieser Entscheidungen wird auch für Nichtjuristen verständlich dargelegt. Das Gericht wollte hierbei erkennbar justizpolitisch tätig sein. Im Wunsiedel-Fall hätte überhaupt keine Entscheidung ergehen müssen, weil der Beschwerdeführer verstorben war.
Statt dessen wurde im ersten Fall mit Hilfe der Menschenwürde der demokratiekonforme ethnische Volksbegriff für verfassungswidrig erklärt, indem er in einer verfehlten Weise nazifiziert wurde, obwohl er schon dem geltenden Staatsangehörigkeitsrecht von 1913 zugrunde gelegt ist und auch in der BRD 50 Jahre praktiziert wurde. Deutsche werden dabei universalistisch durch »Menschenrechtsinhaber« ersetzt; damit wird die konkrete Demokratie in Deutschland unterminiert. Illegale Masseneinwanderung kann dann wegen der Menschenwürdeverpflichtung mit allen hier aufgezeigten Folgen (Parallelgesellschaften etc.) nicht mehr verhindert werden.
Im zweiten Fall wurde eine an sich vom Gericht selbst als verfassungswidrig erkannte Strafnorm, nämlich § 130 Abs. 4 StGB (»Leugnung«), unter Berufung auf eine ad hoc in die Welt gesetzte Gegenentwurfskonzeption gegen das NS-Regime unter Berufung auf die Atlantik-Charta für verfassungskonform erklärt. Vielleicht, so die Vermutung des Rezensenten, lassen sich die juristisch zur Begründung der Ablehnung des Verbotsantrags unnötigen Ausführungen im NPD-Verfahren damit erklären, daß so die zu erwartenden Masseneinbürgerungen von illegal Eingereisten verfassungsrechtlich abgesichert werden sollten. Die Rechtswidrigkeit der Politik der Duldung massiver illegaler Masseneinwanderung im Jahr 2015 stellt der Verfasser ebenfalls konzise dar.
Die Argumentation des Verfassungsgerichts wird als ideologiepolitisch und zivilreligiös gekennzeichnet und damit außerhalb des Rechts angesiedelt. In der Tat ist insbesondere der Grundgesetzpräambel keine Konzeption eines »Gegenentwurfs« zu entnehmen. Das Verfassungsgericht stellt mit diesen Entscheidungen und anderen, auf die hier nicht eingegangen werden kann, zentrale Grundrechte zur Disposition und macht etwa die Ausübung insbesondere der Meinungsfreiheit in einem bestimmten Kontext zum Grundunrecht.
Ist diese Richterdämmerung auf die parteipolitische Ernennung der Verfassungsrichter zurückzuführen? Nun: Die Parteienlizenzierung des alliierten Militärregimes hat die traditionelle politische Rechte eliminiert, so daß dem irgendwie unabhängigen Staatswesen schon einiges an Ideologiepolitik vorgegeben war, was der Verfasser nur streift bzw. als bekannt voraussetzt, wie die Entstehung des Grundgesetzes unter einem alliierten Militärregime. Dieses hat die Frankfurter Schule etabliert, deren Ideologie erst nach Ende des Ost-West-Konflikts ihre volle Wirkung erzielen kann – nachdem mit der Wiedervereinigung noch einmal die Nationalstaatskonzeption den Triumph einfahren konnte.
Es ist deshalb auch die Frage, ob die kritisierte Rechtsprechungsart wirklich eine so neue Erscheinung ist, zumal der Verfasser zu Recht auf die Bedeutung der Parteienstaatslehre des langjährigen Richters Gerhard Leibholz hinweist, die schon zu Beginn der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts Recht durch Politikwissenschaft verdrängt hat: eine Methodik, die benötigt wurde, um überhaupt ein erstes Parteiverbot aussprechen zu können. Die sich daraus entwickelte Wertemethodik ist bereits vom Verfassungsjuristen Ernst Forsthoff massiv kritisiert worden.
Kritisch anzumerken ist, daß vor allem die Darlegung einer Gegenstrategie fehlt, die eben politisch und weniger gerichtsbezogen zu sein hat. Der Volksverhetzungstatbestand ist abzuschaffen, dann kann ihn auch das Verfassungsgericht nicht mehr absegnen. Die Parteiverbotskonzeption und damit das Staatsschutzrecht könnten insgesamt dahingehend geändert werden, daß nur rechtswidrige Handlungen von Bedeutung sind, nicht aber das Vertreten »falscher« Werte, wie dies für den Demokratie-Sonderweg BRD kennzeichnend ist.
Für die Änderung des Staatsschutzrechts muß eine entsprechende Partei Wähler gewinnen und für die Durchsetzung genügt die verfassungsändernde Sperrminorität, ein Potential, das eine Rechtspartei in Deutschland durchaus hat. Um Wähler für die Änderung der Rechtsetzung gewinnen zu können, sollten die maßgeblichen Vertreter des politischen Widerlagers die Argumentation Mäders kennen und beherzigen.
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Werner Mäder: Grundrechte und Grundunrecht. Richterdämmerung, Hamburg: tredition 2022. 192 S., 18,50 €
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