Paul Schultze-Naumburg

PDF der Druckfassung aus Sezession 114/ Juni 2023

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

Die Lebens­re­form­be­we­gung konn­te sich in den letz­ten Jahr­zehn­ten einer gera­de­zu enthu­si­as­ti­schen Rezep­ti­on erfreuen.

Gro­ße Aus­stel­lun­gen, opu­len­te Bild­bän­de, ein eige­nes Hand­buch und zahl­rei­che Detail­un­ter­su­chun­gen haben dafür gesorgt, daß die Erneue­rungs­be­we­gun­gen der vor­letz­ten Jahr­hun­dert­wen­de als Vor­bild einer alter­na­ti­ven Lebens­wei­se wie­der­ent­deckt wur­den. Das Spek­trum die­ser Bewe­gung ist beein­dru­ckend: Es reicht von der Jugend­be­we­gung über die Volks­bil­dung bis zum Vege­ta­ris­mus, umfaßt aber auch so pro­ble­ma­ti­sche Din­ge wie Okkul­tis­mus und Eugenik.

Was damals als lebens­feind­lich emp­fun­den wur­de, waren das Kon­ven­tio­nel­le über­haupt, die über­leb­ten For­men der Grün­der­zeit und die Ent­frem­dung des Men­schen im Indus­trie­zeit­al­ter. Die Lebens­re­form­be­we­gung kann also mit vie­lem auf­war­ten, an das sich mühe­los anschlie­ßen lie­ße, wenn dem nicht die Tat­sa­che ent­ge­gen­stün­de, daß 1933 etli­che Strö­mun­gen nicht in die Oppo­si­ti­on gin­gen, son­dern wei­ter­hin an der Umset­zung ihrer Ideen arbeiteten.

Einer der Prot­ago­nis­ten, an dem sich die­ser Zusam­men­hang ganz beson­ders gut zei­gen läßt, ist der Archi­tekt, Maler und Lebens­re­for­mer Paul Schult­ze-Naum­burg (1869 – 1949). Er steht stell­ver­tre­tend für den pro­ble­ma­ti­schen Zusam­men­hang zwi­schen Lebens­re­form­be­we­gung und Natio­nal­so­zia­lis­mus und die Kon­se­quen­zen, die das für die Rezep­ti­on eines Wer­kes haben kann. Es beginnt damit, daß es zu Schult­ze-Naum­burg nur wenig brauch­ba­re Lite­ra­tur gibt.

Die letz­te wis­sen­schaft­li­che Arbeit, die sich nicht aus­schließ­lich mit sei­nen NS-Ver­stri­ckun­gen beschäf­tigt, son­dern sein Gesamt­werk wür­digt, stammt aus dem Jahr 1989. Es han­delt sich dabei um die Dis­ser­ta­ti­ons­schrift von Nor­bert Borr­mann, der bis zu sei­nem viel zu frü­hen Tod zu den regel­mä­ßi­gen Autoren der Sezes­si­on gehör­te. Das Buch bie­tet eine umfas­sen­de Dar­stel­lung des Werks von Schult­ze-Naum­burg und ist daher Aus­gangs­punkt jeder Beschäf­ti­gung mit ihm.

Paul Schult­ze-Naum­burg wur­de in Alm­rich, einem heu­te zu Naum­burg gehö­ren­den Dorf, gebo­ren, als letz­tes von sechs Kin­dern des Por­trät­ma­lers Gus­tav Schult­ze. Sein Vater stamm­te aus Naum­burg, hat­te bei ­Johann Gott­fried Scha­dow in Ber­lin stu­diert und ver­kehr­te mit zahl­rei­chen Geis­tes­grö­ßen sei­ner Zeit. So gab es Kon­takt zu Fried­rich Nietz­sche und Paul Heyse, die noch vor ihrem Durch­bruch stan­den. Der Dop­pel­na­me geht, wenn man der Über­lie­fe­rung glau­ben möch­te, auf Scha­dow zurück, der mit dem Hin­weis auf Naum­burg die Schult­zes in sei­nem Freun­des­kreis unter­schei­den wollte.

Paul Schult­ze-Naum­burg zeig­te schon früh sei­ne künst­le­ri­sche Bega­bung und wur­de daher zum Stu­di­um der Male­rei nach Karls­ru­he geschickt. Nach Abschluß sei­nes Stu­di­ums ging er zunächst nach Mün­chen und Ber­lin, die künst­le­ri­schen Haupt­städ­te der dama­li­gen Zeit, bevor er kurz nach der Jahr­hun­dert­wen­de wie­der in sei­ne Hei­mat zog, nach Saal­eck, damals noch Thüringen.

Aus sei­ner Male­rei läßt sich der wei­te­re Weg, den Schult­ze-Naum­burg neh­men soll­te, erah­nen. Schon damals beschäf­tig­ten ihn zwei Haupt­pro­ble­me: »Die Dar­stel­lung der har­mo­ni­schen Ver­tei­lung der Bau­mas­sen zu einem Gan­zen, und zum zwei­ten ihre Ein­glie­de­rung in den vor­han­de­nen land­schaft­li­chen Raum.« Er erin­ner­te sich spä­ter, daß er schon als Jugend­li­cher immer wie­der sei­ne Umge­bung nach »glück­li­chen Häu­sern« abge­sucht habe. Er folg­te einer damals noch unbe­stimm­ten Sehn­sucht nach Har­mo­nie, die er erst spä­ter in Wor­te fas­sen konnte.

Zu den wei­te­ren Anla­gen, die sich schon früh zeig­ten, gehör­ten einer­seits sein star­kes Inter­es­se an Archi­tek­tur, das durch sei­nen Bru­der, der als Archi­tekt arbei­te­te, geför­dert wur­de, und ande­rer­seits eine päd­ago­gi­sche Lei­den­schaft, die sich in zwei frü­hen Büchern über das Stu­di­um und die Pra­xis der Male­rei nie­der­schlug (1896 / 98) und zur Grün­dung einer pri­va­ten Mal­schu­le führte.

Sei­ne Zuge­hö­rig­keit zur Lebens­re­form­be­we­gung zeig­te sich zum ersten­mal in sei­nem auf­se­hen­er­re­gen­den Buch Die Kul­tur des weib­li­chen Kör­pers als Grund­la­ge der Frau­en­klei­dung (1901). Auch wenn das Buch heu­te nur noch His­to­ri­kern bekannt ist, hat es maß­geb­lich zum Wan­del der Klei­der­mo­de am Anfang des 20. Jahr­hun­derts bei­getra­gen. Grund­la­ge sei­ner Schrift waren nicht nur die Erfah­run­gen der Akt­ma­le­rei, son­dern auch der Besuch von Ana­to­mie­vor­le­sun­gen in Ber­lin, die ihm das Miß­ver­hält­nis von weib­li­chem Kör­per und der damals gän­gi­gen Frau­en­klei­dung vor Augen führ­ten. Zen­tra­ler Punkt war die Ableh­nung des Kor­setts, die in die­ser Tota­li­tät damals nur von weni­gen Künst­lern geteilt wurde.

Hin­zu kam, daß Schult­ze-Naum­burg in sei­nen Vor­trä­gen oft pole­misch argu­men­tier­te, was sei­ne Geg­ner mit ent­spre­chend schar­fen Gegen­an­grif­fen beant­wor­te­ten. Aber sein Feld­zug war erfolg­reich, das Kor­sett ver­schwand. Erstaun­lich ist, wie auf­ge­schlos­sen die angeb­lich so star­re wil­hel­mi­ni­sche Gesell­schaft sol­chen Neue­run­gen gegen­über­stand: Bereits 1902 erhielt Schult­ze-­Naum­burg die Gele­gen­heit, im Hohen­zol­lern-Kunst­ge­wer­be­mu­se­um eine Aus­stel­lung unter dem Titel »Neue Frau­en­tracht« zu konzipieren.

Bevor Schult­ze-Naum­burg zu sei­nem eigent­li­chen Lebens­the­ma, der Archi­tek­tur, kam, wid­me­te er sich bis ins kleins­te Detail der Innen­aus­stat­tung von Häu­sern und Woh­nun­gen. Bereits als Maler hat­te er sich Gedan­ken über die deko­ra­ti­ve Wir­kung von Gemäl­den im Raum gemacht und ord­ne­te die­se Wir­kung bald dem Anspruch des Kunst­werks auf auto­no­me Gel­tung unter. Die dar­aus resul­tie­ren­de Schrift, Häus­li­che Kunst­pfle­ge (1899), ist wegen ihrer Detail­freu­de (sein kri­ti­scher Blick macht selbst vor dem Besteck nicht halt) noch heu­te gut zu lesen. Man sieht hier bereits, daß Schult­ze-Naum­burg nicht dar­an dach­te, den Men­schen los­ge­löst von sei­nen kul­tu­rel­len Her­vor­brin­gun­gen zu betrach­ten, son­dern, ganz im Gegen­teil, von die­sen Her­vor­brin­gun­gen auf sein Wesen schlie­ßen woll­te. Schult­ze-Naum­burg blieb auch hier nicht bei der Theo­rie, son­dern pro­du­zier­te spä­ter in sei­nen Saal­e­cker Werk­stät­ten Möbel, die sich an die­sen Grund­sät­zen orientierten.

All das ist nicht zuletzt Aus­druck eines kul­tur­kri­ti­schen Anspruchs, der eine der wesent­li­chen Grund­la­gen der Lebens­re­form­be­we­gung war. Hier paßt der Begriff »Ent­frem­dung«, da Schult­ze-Naum­burg und sei­ne Mit­strei­ter davon aus­gin­gen, daß der Mensch Hei­mat brau­che, um er selbst zu sein. Dem Schutz und der Bewah­rung der Hei­mat in all ihren Facet­ten dient sei­ne wich­tigs­te Ver­öf­fent­li­chung, die Kul­tur­ar­bei­ten. Es han­delt sich dabei um eine neun­bän­di­ge Buch­rei­he, deren grund­le­gen­den ers­ten sechs Bän­de vor dem Ers­ten Welt­krieg, zwi­schen 1901 und 1910, erschienen.

Die Bän­de sie­ben bis neun – sie behan­deln »die Gestal­tung der Land­schaft durch den Men­schen« – erschie­nen 1916 /17 unter den erschwer­ten Bedin­gun­gen des Ers­ten Welt­krie­ges. In den 1920er Jah­ren nahm Schult­ze-Naum­burg eine Neu­aus­ga­be der Kul­tur­ar­bei­ten in Angriff, die Rudi­ment blieb. Die­ses Ende ist sicher­lich auch dem sich völ­lig gewan­del­ten Zeit­geist geschul­det, der den Lebens­re­for­mer der Vor­kriegs­zeit ange­sichts von Bau­haus und ähn­li­chen Strö­mun­gen des »neu­en Bau­ens« auf ein­mal als einen Reak­tio­när daste­hen ließ. Den­noch läßt sich der Ein­fluß der Kul­tur­ar­bei­ten auf die Erneue­rung der Archi­tek­tur im ers­ten Drit­tel des 20. Jahr­hun­derts kaum überschätzen.

Lei­tend war bei Schult­ze-Naum­burg die kul­tur­kri­ti­sche Ein­sicht, daß die gestal­te­ri­sche Qua­li­tät der mensch­li­chen Her­vor­brin­gun­gen im Zuge der Indus­tria­li­sie­rung gesun­ken war. Das war eine Erkennt­nis, die auch in ande­ren Tei­len Euro­pas for­mu­liert wur­de und die sich nicht nur auf die Umwelt­zer­stö­rung bezog, son­dern vor allem auf die Gestal­tung der mensch­li­chen Umwelt. Dabei war zu beob­ach­ten, daß nicht nur die Ein­bet­tung der Gebäu­de in die land­schaft­li­chen Gege­ben­hei­ten ver­nach­läs­sigt wur­de, bis hin zur Zer­stö­rung his­to­risch gewach­se­ner Land­schaf­ten, son­dern daß auch die Bau­ten selbst durch über­mä­ßi­ge Deko­ra­ti­on in ein Miß­ver­hält­nis zu ihrem eigent­li­chen Zweck gebracht wur­den. Um die­se bei­den Din­ge ging es Schult­ze-Naum­burg. Da ihm klar war, daß die allei­ni­ge Behaup­tung die­ses Miß­stands nichts brin­gen wür­de, kon­zi­pier­te er die Kul­tur­ar­bei­ten als Bil­der­bü­cher, die den Betrach­ter durch ihre Bild­aus­wahl zur rich­ti­gen Ein­sicht len­ken soll­ten. Dabei ver­wen­de­te er als ers­ter in Deutsch­land die Metho­de der Gegen­über­stel­lung von (gutem) Bei­spiel und (schlech­tem) Gegenbeispiel.

Schult­ze-Naum­burg stütz­te sich dabei nicht auf Zeich­nun­gen, son­dern auf Foto­gra­fien, die er größ­ten­teils selbst anfer­tig­te. Dadurch konn­te man ihm nicht den Vor­wurf einer Idea­li­sie­rung machen. Der ein­zi­ge Kunst­griff lag in der Aus­wahl der Bei­spie­le und dem lau­ni­gen Ton der Tex­te. Schaut man sich die Bän­de mit die­sem Wis­sen an, wird schnell deut­lich, wel­che Idee Schult­ze-Naum­burg bei sei­ner Seh­schu­le lei­te­te. Es ging ihm um eine schlich­te Archi­tek­tur, die den Zweck des Baus wider­spie­geln und sich in die Land­schaft bzw. die bereits exis­tie­ren­de Umwelt har­mo­nisch ein­pas­sen sollte.

Woge­gen er sich rich­te­te, wird eben­falls schnell deut­lich: Es ist die Grün­der­zeit­ar­chi­tek­tur, die durch über­bor­den­de Orna­men­tik und einen Eklek­ti­zis­mus der Sti­le als lebens­fremd und arti­fi­zi­ell gekenn­zeich­net wird. Auch wenn uns heu­te die­se Bau­ten, ver­gli­chen mit den gegen­wär­ti­gen Her­vor­brin­gun­gen, wie das Zeug­nis einer hei­len Zeit vor­kom­men, wird schnell klar, daß Schult­ze-Naum­burg einen ande­ren Maß­stab anlegte.

Er ori­en­tiert sich bei sei­nen Bei­spie­len eben­falls an der Ver­gan­gen­heit, die gegen­über der Gegen­wart stets als nach­ah­mungs­wür­dig und bei­spiel­haft prä­sen­tiert wird. Aller­dings loka­li­siert er die »gro­ße Wen­de« zum Schlech­te­ren »unge­fähr nach dem ers­ten Drit­tel des 19. Jahr­hun­derts« und macht sie sym­bo­lisch am Todes­jahr Goe­thes fest. Ab die­sem Zeit­punkt sieht er, bedingt durch die indus­tri­el­le Revo­lu­ti­on, ein Abrei­ßen der Tra­di­ti­on und damit eine Ent­frem­dung zwi­schen dem Men­schen und sei­ner Umwelt.

Schult­ze-Naum­burg stand damit nicht allein, son­dern wur­de mit sei­nen Kul­tur­ar­bei­ten zum Anre­ger einer gan­zen Strö­mung, die nach einem 1908 erschie­ne­nen Buch als »Um 1800«-Bauströmung bezeich­net wird. Als Vor­bil­der für die­se Strö­mung gal­ten so unter­schied­li­che Städ­te wie Wei­mar und Pots­dam, in denen man die bei­den Sei­ten die­ser Zeit, die bür­ger­li­che und die macht­staat­li­che, ver­wirk­licht sah.

Mit die­ser Kon­zep­ti­on, die er für alle wesent­li­chen Haus­ty­pen durch­führ­te, hat­te Schult­ze-Naum­burg auch die Grund­la­ge für sein eige­nes archi­tek­to­ni­sches Schaf­fen gelegt. Sein ers­tes Pro­jekt war das eige­ne Anwe­sen in Saal­eck, das er ab 1901 erbau­te und im Lau­fe der Jah­re zu einer Gesamt­an­la­ge erwei­ter­te. Auch wenn er die­sen Erst­ling spä­ter als miß­lun­gen beur­teil­te, wird an ihm doch deut­lich, wor­auf der Schwer­punkt sei­ner Arbei­ten lie­gen soll­te: Es ist das Her­ren­haus, in den Abstu­fun­gen von der städ­ti­schen Vil­la bis zum Schloß, das sich mit Neben­ge­bäu­den und Gar­ten­an­la­ge zu einem har­mo­ni­schen Gesamt­kunst­werk fügt. Bei die­ser Vor­lie­be spiel­te nicht nur die Heroi­sie­rung der Ver­gan­gen­heit eine Rol­le. Hin­zu trat ein anti­ur­ba­ner Affekt, der die Groß­stadt als den Höhe­punkt der Ent­frem­dung des Men­schen betrach­te­te. Schult­ze-Naum­burg hat, sei­ner päd­ago­gi­schen Ader fol­gend, im 1904 gegrün­de­ten Bund Hei­mat­schutz in die­sem Sin­ne zahl­lo­se Vor­trä­ge gehalten.

Am bekann­tes­ten von sei­nen Bau­ten dürf­te bis heu­te das für den preu­ßi­schen Kron­prin­zen zwi­schen 1912 und 1917 errich­te­te Schloß Ceci­li­en­hof in Pots­dam sein. Es zeigt, wel­cher Wert­schät­zung sich Schult­ze-Naum­burg damals erfreu­te und daß sei­ne Auf­fas­sung von Archi­tek­tur, die er als Außen­sei­ter­po­si­ti­on begrün­det hat­te, mitt­ler­wei­le zum Main­stream gewor­den war. Eine genaue Auf­lis­tung aller Bau­ten Schult­ze-Naum­burgs exis­tiert nicht. Borr­mann schreibt unter Hin­weis auf die feh­len­den Quel­len: »Selbst wenn man von den Neben­ge­bäu­den sei­ner grö­ße­ren Anla­gen absieht, dürf­te man auf eine statt­li­che Anzahl von etwa drei­hun­dert Bau­ten gelan­gen, die sich eben hin­sicht­lich der Bau­auf­ga­be, aber auch der Qua­li­tät sehr ähneln.« Borr­mann lis­tet im Anhang sei­ner Arbeit etwas mehr als ein­hun­dert Bau­ten auf. Bei Wiki­pe­dia fin­det sich der Hin­weis, daß Schult­ze-Naum­burg »nach­weis­lich« an min­des­tens 85 Wohn­häu­sern, 34 gewerb­li­chen Pro­jek­ten, 40 Schlös­sern und Guts­an­la­gen sowie an sechs Grab­ma­len und vier Park­an­la­gen betei­ligt war.

Wenn man bedenkt, daß sich Schult­ze-Naum­burg schon zu Leb­zei­ten Sor­gen dar­über mach­te, daß sei­ne Bau­ten nicht ange­mes­sen gewür­digt wür­den, und er Abriß und Ver­schan­de­lung fürch­te­te, fällt die Bilanz heu­te eher posi­tiv aus. Selbst wenn man nur stich­punkt­ar­tig recher­chiert, fin­den sich erstaun­lich vie­le Gebäu­de, die erhal­ten sind, wenn­gleich sie natür­lich in den letz­ten ein­hun­dert Jah­ren man­che Ver­än­de­rung erfah­ren haben. Eini­ge wur­den abge­ris­sen, muß­ten Neu­bau­ten wei­chen, ande­re fie­len dem Bom­ben­krieg zum Opfer.

Den­noch ist offen­sicht­lich, daß Schult­ze-Naum­burgs Bau­ten in der Regel als zeit­los gül­ti­ge Gestal­tung emp­fun­den wur­den und zu kei­ner Zeit als depla­ziert oder über­holt. Im Gegen­teil: Es spricht viel dafür, daß sein Schaf­fen nicht ganz ohne Ein­fluß auf eine Schu­le des Bau­ens ist, die seit dem spä­ten 20. Jahr­hun­dert als neo­ra­tio­na­lis­ti­sche und neo­klas­si­zis­ti­sche Archi­tek­tur wie­der­um die durch Moder­ne und Post­mo­der­ne ein­ge­tre­te­ne Ent­frem­dung zwi­schen Men­schen und Woh­nung auf­he­ben will.

Die­se Anknüp­fung hat eine ent­schei­den­de Hür­de zu über­win­den: das Enga­ge­ment für den Natio­nal­so­zia­lis­mus, das bei Schult­ze-Naum­burg in den 1920er Jah­ren ein­setz­te und 1930 zum Ein­tritt in die NSDAP führ­te. Er war in der Zeit vor 1933 kei­ne Rand­fi­gur, son­dern galt als Vor­den­ker einer Kunst­be­trach­tung auf ras­si­scher Grund­la­ge (Kunst und Ras­se, 1928) und wirk­te vor allem als akti­ves Mit­glied des Kamp­fun­des für deut­sche Kul­tur, einer NS-Vor­feld­or­ga­ni­sa­ti­on. Aller­dings bil­den Bücher und Auf­sät­ze zu die­sen The­men nur einen Bruch­teil sei­nes umfang­rei­chen schrift­stel­le­ri­schen Schaffens.

Sein Ein­fluß wäh­rend der NS-Zeit war gering. Als Archi­tekt erhielt er kei­nen der gro­ßen Staats­auf­trä­ge, son­dern muß­te sich mit klei­ne­ren Arbei­ten in der Pro­vinz begnü­gen. Mit Hit­ler, der ihn in den 1920er Jah­ren in Saal­eck besucht hat­te, kam es zum Bruch, als die­sem die Umge­stal­tung der Nürn­ber­ger Oper durch Schult­ze-Naum­burg miß­fiel. Er erhielt zwar noch eini­ge öffent­li­che Aner­ken­nun­gen, wie die Ehren­bür­ger­schaft in Wei­mar und Jena, wur­de aber 1940 gegen sei­nen Wunsch aus dem Hoch­schul­dienst – er war Direk­tor der Hoch­schu­le für Bau­kunst, bil­den­de Küns­te und Hand­werk in Wei­mar – entlassen.

Die Par­tei­nah­me Schult­ze-Naum­burgs ist nur vor dem Hin­ter­grund der welt­an­schau­li­chen Aus­ein­an­der­set­zun­gen der 1920er Jah­re zu ver­ste­hen, als vor allem das Bau­haus einen völ­li­gen Bruch mit jeder bau­li­chen Tra­di­ti­on pro­pa­gier­te und damit das Lebens­werk Schult­ze-Naum­burgs in Fra­ge stell­te. Dem­entspre­chend unver­söhn­lich führ­te Schult­ze-Naum­burg sei­nen Kampf gegen das Bau­haus. Bekannt ist die Debat­te um das »deut­sche Dach«, das nach Mei­nung von Schult­ze-Naum­burg kein fla­ches, son­dern ein geneig­tes sein soll­te. Daß er dabei nicht nur ideo­lo­gi­sche, son­dern vor allem ästhe­ti­sche und prak­ti­sche Grün­de anführ­te, wird heu­te gern ver­ges­sen. Das­sel­be gilt für die Anknüp­fung an die tra­di­tio­nel­le Bau­wei­se, die zwar im NS-Staat gepflegt wur­de, aber auch in ande­ren Tei­len der Welt als eine dem Men­schen gemä­ße Archi­tek­tur emp­fun­den wird.

Paul Schult­ze-Naum­burgs Wohn­haus in Wei­mar wur­de 1945 ent­eig­net. Er starb am 19. Mai 1949 ver­armt in Jena. Sei­ne Urne ist in dem von ihm selbst ent­wor­fe­nen Grab­mal für Ernst von Wil­den­bruch auf dem (heu­te his­to­ri­schen) Fried­hof in Wei­mar bei­gesetzt, wo eine in den Boden ein­ge­las­se­ne Tafel an ihn erinnert.

 

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

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