Weil es über Jahrzehnte so leicht fiel, das abzutun, was nicht ins eigene Weltbild paßt, haben Politik und Medien Anstrengungsbereitschaft und Vorstellungsvermögen eingebüßt und für das, was nun geschieht, weder Begriffe noch Erklärungen.
Haben wir sie? Über das Offensichtliche müssen wir nicht sprechen – über den Mut derjenigen, die in einem westdeutschen Flächenland ihren Namen und ihr Gesicht in die Waagschale werfen, über den Fleiß im Wahlkampf und über den Schwung, den das Versagen der Ampelkoalition im Bund der Scheinopposition (CDU/CSU) und der echten (AfD) gab.
Fünf Ansätze also, die etwas tiefer und etwas abseits der großen Heerstraße bohren.
1. Der Zuwachs für die AfD ist der zigtausendfache Sieg der Realität über die Wahrnehmungsvorgabe.
Die Gegner und Feinde der AfD begreifen nicht, daß die Wahrnehmungsvorgaben der Meinungsmacher mit der Alltagswahrnehmung sehr, sehr vieler Leute nicht in Deckung gebracht werden können. Diese Deckungslücke ist der Durchlaß, der Spaltbreit, durch den die Indoktrinierten entwischen können.
Dieser Vorgang kann als Schritt durch eine Tür beschrieben werden, hinter der die Welt zwar immer noch dieselbe ist, jedoch ohne jene Brillen wahrgenommen werden kann, an deren Gebrauch man uns jahrzehntelang gewöhnt hat.
Was damit gemeint ist, wird am Beispiel der Masseneinwanderung leicht deutlich: Wer Monat für Monat mehr völlig Fremde wahrnimmt, deren Anwesenheit ihm nicht bereichernd und spannend, sondern bedrohlich und eben ganz fremd erscheint, mag für ein Weilchen oder sehr lange den Fehler in seiner eigenen Wahrnehmung und Haltung vermuten; aber er wird nicht auf Dauer den Grund für die Diskrepanz zwischen Erleben und Wahrnehmungsempfehlung dort suchen, wo er selbst dafür verantwortlich sein soll.
Es ist erschütternd, wie lange diese Wahrnehmungsvorgabe im Westen verfing. Aber nun scheint auch dort die Frage nach Identität, nach “Wir und Nicht-Wir” und nach der Verteidigung des Eigenen lauter und mancherorts überhaupt erst gestellt zu werden.
Immer mehr Bürger begreifen, wie entlastend es ist, sich für die eigene Wahrnehmung die passende Wahrnehmungserzählung und Begrifflichkeit zu suchen, also dem Leben im Hier und Jetzt und dem Alltag, der bewältigt werden will, den Vorrang vor der Ideologie zu geben und die Realität nicht in die Schablone einer Idee zu pressen.
Dieser Vorgang, der Mut voraussetzt, Mut und Stehvermögen ohne Rollator und Gouvernante, ist ein für jeden einzelnen Bürger und Wähler geradezu revolutionärer Vorgang. Es ist danach Vieles und Wesentliches nicht mehr in offizielle Farben getaucht, und diese Entfärbung ist ein tiefgründiger, also tief und neu gründender Vorgang.
2. Der Unterschied zwischen öffentlicher Meinung und veröffentlichter Meinung tritt deutlicher hervor.
Wir bewegen uns mit diesem je persönlichen Befreiungsvorgang aus falschen Erzählungen und Begriffsgittern dort, wo zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung unterschieden und eine “schweigende Mehrheit” vermutet wird. Die AfD hat erst spät begriffen, daß es diese schweigende Mehrheit als stabile Größe gar nicht gibt. Gäbe es sie einfach so, hätte sie sich früher gezeigt.
Vielmehr haben diejenigen recht, die öffentliche und veröffentlichte Meinung als Beinahe-Synonym beschreiben: Wer Herr über die veröffentlichte Meinung ist, kann behaupten, die öffentliche Meinung zu repräsentieren – und tut dies auch in weiten Teilen. Denn diese Behauptung wirkt zurück auf den Herdendrang der Masse.
Es ist deshalb von entscheidender, also von kaum zu überschätzender Bedeutung, daß es erstmals freie Medien gibt, die eine zweite, eine alternative öffentliche Meinung veröffentlichen und rückprägen. Der Satz, daß ein politischer Wandel in Deutschland stark davon abhänge, ob die Simulation von Pluralität im Bereich staatsfinanzierter Medien aufgebrochen würde, ist ganz richtig.
Nur so ist die Rede von einer schweigenden Mehrheit sinnvoll: Sie ist im selben Moment vorhanden, in dem sie mobilisiert werden kann. Sie ist ein Potential, das dadurch erst entsteht, daß man ihm eine Stimme gibt. Das Wechselspiel zwischen Medienalternative und Wahlalternative ist von entscheidender Bedeutung.
Der revolutionäre Befreiungsvorgang kann auf diese Weise epidemisch werden: Wo das je persönliche Bekenntnis Resonanz in Medien erfährt, wo das Risiko des Bekenntnismuts kalkulierbar wird, gerät die Deutungshoheit der Gegner ins Wanken.
3. Die lässig eingesetzten Abwehrmechanismen gegen rechts greifen nicht mehr.
Es war jahrzehntelang so einfach für die Gegner und Feinde der identitären Selbstbehauptung: Begriffe waren toxisch aufgeladen, Themen tabuisiert, Argumente vorgestanzt, Schubladen geöffnet. Denunziation und Kriminalisierung waren leichte Übungen, wer sich rechts verortete, mußte sich Fragen stellen lassen, die völlig unstatthaft waren und ihn sofort in die Defensive zwängten.
Die Renaissance des Begriffs “rechts” und seine positive, weil lebensnahe Aufladung stehen bevor. Als der parlamentarische Geschäftsführer der AfD im Bundestag, Bernd Baumann, in einer Wahl-Runde in der ARD sagte, die anderen hätten die Verschiebung des politischen Spektrums nach rechts hinzunehmen, widersprach keiner. Baumann sagte nicht “konservativ”, er sagte “rechts”, und er sagte das selbstbewußt und fast schon gelangweilt von denjenigen, die mit ihm in der Runde saßen und weiterhin irgendwie davon ausgingen, daß eine rechte Alternative gar nicht vorkommen dürfe und daß auch dieser Wahlabend wieder so etwas wie ein Irrtum sei.
Ein starkes Beispiel aus dem Wahlkampf in Bayern war der Versuch, den Chef der dortigen Freien Wähler, Hubert Aiwanger, mit einem derb antisemitischen Flugblatt aus seiner Schulzeit zu Fall zu bringen oder wenigstens für etliche Wähler unwählbar zu machen. Das eine gelang nicht, das andere verfing nicht. Im Gegenteil: Die Freien Wähler profitierten von Solidarisierungseffekten, und wer ein wenig um Ecken denken möchte, mag es für plausibel halten, daß dieser Vorgang Wähler bei den Freien Wählern hielt, die bereits auf dem Weg zur AfD waren.
Wir haben nicht ohne Grund Krahs und Sellners Bücher Politik von rechts und Regime Change von rechts genannt. Das Overton-Fenster zu verschieben und das Meinungsspektrum aufzufächern, bedeutet: Begriffe zu entgiften. Dies geschah und geschieht auch gegen die Bedenkenträger in den eigenen Reihen. Hätte man auf sie gehört, wäre die AfD heute dort, wo alle Versuche, sich zwischen sie und die CDU zu klemmen, gelandet sind: In der nicht als Alternative wahrnehmbaren Bedeutungslosigkeit.
4. Der AfD-Wähler ist weniger denn je ein Protestwähler.
Das Wort “Protestwähler” ist der Versuch, den Wahlerfolg einer Partei kleinzureden, deren Erfolg ein Schock ist. Die Gegner und Feinde der AfD versuchen, ihrem Schockzustand dadurch zu entkommen, daß sie von Momentaufnahmen, Proteststimmung, Eintagsfliegen und damit letztlich von einem Irrtum sprechen.
Aber sie sind es, die sich irren. Gegen die Realität kann man auf Dauer keine Politik machen; den Aufbau einer zweiten veröffentlichten Meinung kann niemand mehr verhindern, denn in dieser Hinsicht löst das Internet sein Emanzipationsversprechen ein; und die Entgiftung der Begriffe sowie die Öffnung von Taburäumen verändern dieses Land Tag für Tag stärker als jeder jämmerliche Versuch, den Befreiungsvorgang mit Mitteln von vorgestern zu verhindern.
Natürlich haben Protestphasen den Unmut angefacht und den Mut geweckt, sich einmal auf der alternativen Seite umzusehen. Die Wirkung allein der zwei schrecklichen Corona-Maßnahmen-Jahre ist in ihrer Tiefe noch gar nicht ausgelotet worden.
Diese jähe Abwendung vom Hergebrachten, Gewohnten, hin zu alternativen Erzählungen und (Wahl-)Möglichkeiten trägt jedenfalls stets die Möglichkeit einer Verfestigung, eines Ankommens und Heimischwerdens in sich.
Die AfD ist dort, wo sie sich Bahn bricht, längst über das Stadium einer den Protest bündelnden Partei hinaus. Sie gibt das Versprechen, mit der antideutschen und an einer gefühlsgrün dominierten Klientel orientierten Politik aufzuräumen. Sie weckt Hoffnung. Sie mobilisiert Rückstellkräfte. Sie baut Substanz auf.
5. Die Unionsparteien und ihre Vorfeldorganisationen sind der Hauptgegner.
Innerhalb dieses Vorgangs sind die Unionsparteien die Hauptgegner der AfD. Sie sind Teil des Auffächerungstricks im Altparteien-System und verhindern noch immer den massenhaften Übertritt zur echten Opposition. Das hat sich in Bayern undeutlich, in Hessen mehr als klar gezeigt.
Das Verhältnis von Union und AfD ist das von Konservativen und Rechten. Derzeit muß gelten: je weniger Union, desto besser, in jeder Hinsicht. Teile jener freien Medien, denen wir (wie ausgeführt) eine alternative veröffentlichte Meinung verdanken, haben vor den Landtagswahlen vor einer Wahl der AfD gewarnt (unter anderem das Format “Nius” des ehemaligen Bild-Journalisten und derzeitigen Shootingstars alternativer Berichterstattung, Julian Reichelt).
CDU und CSU spielen Opposition. Das zeigen ihre Abgeordneten bei wesentlichen Abstimmungen in den Parlamenten im Bund und in den Ländern, indem sie entgegen vorhergegangener Rede und Ankündigung votieren. In Bayern werden sie mit den Freien Wählern, in Hessen mit dem Wahlverlierer, den Grünen, koalieren.
Erst die Kraft der AfD in den mitteldeutschen Ländern wird diese Verhältnisse aufbrechen.
Daniel
Gute Analyse, in einem Punkt möchte ich aber widersprechen: Die CDU ist allenfalls noch scheinkonservativ und meines Wissens die einzige Partei, die ihre Fundis (aka Werteunion) mit öffentlicher Ächtung belegt (selbst in der Linken werden die noch vertretenen Altkommunisten und Ex-SED'ler betätschelt und mit Ehrenposten versehen). Aber solange Karrieristen wie Daniel Günther und medienopportunistische Wendehälse vom Schlage eines Markus Söders in der Union die Strippen in der Hand halten, hat eigentlich kein Konservativer dort etwas zu suchen und dient die Merz'sche Show tatsächlich nur dazu, die migrations- und Ampelkritische Stimmung aufzufangen und in den Erhalt des Weiter-so umzumünzen. Dass man in Hessen lieber mit den Grünen paktiert, hätte hier eigentlich Warnung genug sein müssen.