1932 veröffentlichte der Werbefachmann Hans Domizlaff (1892 – 1971) einen Privatdruck mit dem Titel Propagandamittel der Staatsidee.
Er reagierte mit dieser Handreichung auf den aus heutiger Sicht absurden Flaggenstreit, der seit der Gründung der Weimarer Republik tobte. Streitgegenstand waren die Entscheidung der Republik für die Farben Schwarz, Rot und Gold und die politische Aufladung der abgelösten Fahne Schwarz-Weiß-Rot zu einem reaktionären Zeichen: Wer an ihr festhielt, zeigte, daß er mit der neuen Staatsform nicht einverstanden war.
Der Flaggenstreit war auf die mangelnde Einheitlichkeit der Staatssymbolik zurückzuführen. Man versuchte, auf allen Schultern Wasser zu tragen und denen, die dem Kaiserreich die Treue hielten, ein wenig Nostalgie zu gestatten. Aber es war mehr als Nostalgie, und Domizlaff übertrug in seiner Kritik dieser Unentschiedenheit Grundsätze aus der sogenannten Markentechnik auf das, was er als Propagandamittel bezeichnete und an einer Staatsidee entlang stimmig gestaltet sehen wollte.
Sein Buch enthält nicht nur eine Gegenüberstellung »schwacher« und »starker« Flaggen (wobei die schlichte Gestaltung aus drei Streifen stets als schwach bezeichnet wird), sondern auch den Entwurf einer Staatsflagge, die von den einzelnen Bundesländern variiert werden konnte, aber dennoch sofort als einheitlich wahrgenommen würde. Außerdem – und das ist das bemerkenswert Detailfreudige an diesem Buch – wandte Domizlaff seine aus der freien Wirtschaft erprobte Durchgestaltung des Auftritts auf die unterschiedlichen Äußerungs- und Repräsentationsmöglichkeiten des Staates an.
Gerade die täglich massenhaft ausgestoßene Behördenpost sei prädestiniert dafür, Trägerin von Würde, Klarheit und Fürsorglichkeit zu sein und eben nicht Ausdruck eines schroffen, fordernden Staates. Es ging Domizlaff um das, was heute als Corporate Identity und Corporate Design zwingend zu jedem durchkomponierten Unternehmen gehört und in Form, Schrift, Farbgebung, Symbolik, Logo jenseits des Verstands verankert, was der Kunde empfinden soll, der diesen Stil wahrnimmt.
Diesen durchdachten und alle Äußerungsebenen einbeziehenden Aufbau einer Marke zu einer sofort erkennbaren und emotional so und nicht anders wirkenden Gestalt nennt man Markentechnik. Domizlaff war der deutsche Pionier dieser Arbeitsweise. Er war als Kunstmaler ausgebildet und wandte sich Mitte der 1920er Jahre der Werbung zu, die in nicht unerheblichem Umfang auf gewagt gemalte Plakate und Prospekte setzte und dadurch Formen hervorbrachte, die wiederum nahe an der Kunst lagen.
Domizlaff ging weit darüber hinaus, als er für Firmen wie den Zigaretten-Reemtsma und Siemens deren Markenkern herauszuschälen begann und ihn mit größtmöglichem Wiedererkennungswert ausstattete. Domizlaff hat diese extrem erfolgreiche Methode in seinem bis heute erhältlichen Buch Die Gewinnung des öffentlichen Vertrauens (1939) vorgestellt, einem weltweit ersten Lehrbuch der Markentechnik überhaupt.
In einer Festschrift zu seinen Ehren wird Domizlaff als »ein Mann wie ein Ozean« bezeichnet. Dieses bewundernde Wort bezieht sich auf die Vielfalt seiner Talente und Interessen. Domizlaff arbeitete nicht nur im Bereich der Werbung bahnbrechend, sondern setzte sich hartnäckig und erfolgreich für die Unversehrtheit des Naturparks Lüneburger Heide ein und verfaßte Bücher über das Segeln und die soziale Frage. Außerdem schrieb er literarisch: Seine autobiographischen Skizzen über die Zerstörung Hamburgs im Juli 1943 durch die Bomberflotten der »Operation Gomorrha« sind bedrückend und ausdrucksstark; sie zeigen ihn als beherzt zupackenden Mann, der in der Not helfen wollte und konnte.
Der Ansatz, den Domizlaff in Propagandamittel der Staatsidee verfolgt, ist zugleich von Hellsichtigkeit und Betriebsblindheit gekennzeichnet. Sein Blick auf die Wirkmächtigkeit und die massenpsychologische Bedeutung eines starken, unverwechselbaren und vor allem einprägsamen Designs des staatlichen Auftritts ist schlagend. Er beschreibt Techniken, die später überall dort angewandt wurden, wo es darum ging, Nation Building zu betreiben und für die Masse einen Gemeinsinn hervorholen zu helfen oder ihn sogar erst zu stiften.
Blind bei aller Hellsichtigkeit war Domizlaff, wo er hoffte, mit seiner Vorlage buchstäblich in letzter Sekunde die wankende Republik stützen helfen zu können. Es ist belegt, daß Reichskanzler Brüning Domizlaffs Vorarbeiten in seine Überlegungen zur Rettung des Staates vor dem Zugriff durch die totalitären Extreme von links und rechts einbezog – aber sie kamen freilich zu spät, denn die Implementierung neuer Banner, hinter denen man sich versammeln kann, ist nichts, was von heute auf morgen zur suggestiven Wirkung zu bringen wäre. Der Anlauf war zu kurz, die Verwerfungen zu groß, als daß eine neue Flagge etwas hätte reißen können.
Es zeigt sich aber am Verhalten in dieser historischen Lage eine Parallele Domizlaffs zu Carl Schmitt, der mit seinen Überlegungen zur Legitimität einer Präsidialdiktatur die Frage nach dem »Markenkern« der Verfassung der Republik stellte. Schmitt riet 1932 dazu, den Kern im Ernstfall höher zu gewichten als die Legalität, die von den erklärten Gegnern des Systems sowieso nur taktisch vorgeschoben werde, bevor sie sie, endlich an der Macht, einfach aushebelten – wie es dann ja auch geschah.
Es geht das Gerücht, daß der Propagandaminister des Dritten Reiches, Joseph Goebbels, sich 1936 als Kenner der Arbeiten und Konzepte Domizlaffs zeigte. Die Markenwucht, mit der dem Volk sofort nach der Ernennung Hitlers zum Kanzler die geänderten Machtverhältnisse augenfällig eingehämmert wurden, baute jedenfalls auf einem so unverwechselbaren Zusammenspiel aus Farben und starker Symbolik auf, daß das Corporate Design der nationalsozialistischen Bewegung bis heute suggestiv und provozierend wirkt und auch von ungebildeten Menschen sofort und zweifelsfrei zugeordnet werden kann. Domizlaff hatte in Propagandamittel der Staatsidee die Hakenkreuzfahne unter die starken Flaggen gerechnet, und über die Entscheidung der Nationalsozialisten, dieses uralte Symbol zu ihrem Markenzeichen zu machen, sind massenpsychologische Aufsätze erschienen.
Domizlaff selbst hielt zum Dritten Reich Abstand. Er beriet seine großen Auftraggeber, zog sich Anfang der vierziger Jahre aus dem Geschäftsleben zurück und bemühte sich – wie erwähnt – erfolgreich um die Gründung und den Erhalt des Naturschutzparks Lüneburger Heide, in dem er ein Haus besaß. Es gelang ihm tatsächlich, größere Kampfhandlungen an diesem besonderen Stück Land vorbeizulenken, sogar in der Endphase des Krieges, indem er zuerst mit den Offizieren der zurückflutenden deutschen Einheiten und dann mit den nachstoßenden Briten verhandelte. Er hat diese Wochen in seinen Erinnerungsbänden Nachdenkliche Wanderschaft beschrieben.
Domizlaff hatte aber auf dem Höhepunkt des Krieges etwas für die Schublade verfaßt, ein Brevier für Könige. Er gab später an, daß er die vier Kapitel dieses Buches im Herbst 1942 abgeschlossen und mit einem Anhang versehen habe. Dann habe er das Manuskript unter den Dielen seines Lüneburger Landhauses versteckt. Veröffentlicht wurde das Brevier in allen Teilen samt Anhang erst 1950, und der Verleger dieser ersten von nur zwei Ausgaben, Hans Dulk, umriß in seinem Vorwort die Absicht, mit der Domizlaff dieses Buch geschrieben habe.
So sei dieses »Praktikum« ganz konkret zur Unterrichtung eines Firmenerben verfaßt worden, und daraus habe sich zum einen »die eigentümliche Form der direkten Anrede« und zum anderen »die Einordnung des Materials in die einseitige Zielstellung eines wirtschaftlichen Herrschertums« ergeben. Aber: »Als weiteres und allgemeineres Motiv kam die Verzweiflung über den Unverstand der Gegner des Hitlerstiles hinzu, die das reiche Arsenal an psychischen Waffen mit einem ungeheuren Dilettantismus vergeudeten, so daß schließlich nur noch die rohe materielle Übermacht mit entsetzlichen Blutopfern eine Befreiung erhoffen ließ.«
Domizlaffs Ausführungen lesen sich wie eine Prognose, an welchen Sollbruchstellen das Gebäude, das eine Cäsarennatur wie Hitler brachial errichten konnte, bersten und in sich zusammenstürzen würde. Bereits 1942 kursierten Abschriften. Domizlaff reichte die ersten drei Kapitel zur Lektüre an Leser weiter, von denen er hoffen konnte, daß sie die Macht massenpsychologischen Agierens als Chance auch für das oppositionelle Lager begreifen würden.
Wiederum Goebbels soll ein Exemplar der kursierenden Fassung zugespielt bekommen haben und hat darin wohl den Unternehmer oder den ihm schmeichelnden Umriß raubtierhaft agierender, neuartiger Bewegungen wahrgenommen, nicht aber den jedem maßlosen Aufstieg innewohnenden Absturz, dem der Wahn, die Arroganz, eine Überspannung der Kräfte und die Dummheit im Umgang mit den Besiegten Vorschub leisten.
Domizlaff, der nach dem Krieg von der britischen Besatzungsmacht enteignet wurde, seinen Besitz aber 1947 zurückerhielt, hat der Veröffentlichung seines Breviers 1950 ein Nachwort angefügt. Vermutlich ist die unverhohlen abschätzige Einordnung der Demokratie als verlogene Regierungsform der Grund, warum sein Buch kein Erfolg wurde.
Domizlaff schrieb: »Man darf nicht vergessen, daß die heute üblichen demokratischen Totalitätsversuche einer mehrtausendjährigen Geschichte bald wieder häufiger von machtbewußten Regierungsorganismen abgelöst werden. Den Massenmenschen, die das Fundament einer Gemeinschaft bilden, ist es nicht gegeben, mit ihrem persönlichen Urteil und mit anonymen Stimmrechten einen produktiven Einfluß auf die Geschichte ihres Volkes zu gewinnen. Es gibt keine andere Erklärung für das unbeschreibliche Elend unserer Zeit, zu dessen Ursachen eine überwältigende Majorität der Menschheit ihre Zustimmung verweigert haben würde – wenn sie urteilsfähig gewesen und gefragt worden wäre. In Debattierklubs mit wissenschaftlicher Aufrichtigkeit sollte man gegenteilige Behauptungen grundsätzlich als Propagandamittel geistiger Knechtung bewerten.«
Was in solchen Passagen zum Ausdruck kommt, ist ein zutiefst konservatives, also skeptisches, bei Domizlaff sogar ein ins Zynische gehendes Menschenbild: Was nämlich ist von demokratischen Idealformulierungen zu halten, die jedem Wähler die Mündigkeit von vornherein zugestehen und das Stimmgewicht der Masse als etwas Sakrosanktes ansehen, obwohl das schreckliche Beispiel politischer Verführbarkeit ebendieser Masse gerade erst mit der Zerstörung halb Europas endete?
Domizlaffs Nüchternheit ist diejenige des Markenschöpfers, der politische Stimmen ebenso einzuholen vermag wie Kunden. Er macht in seinen Büchern kaum einen Unterschied zwischen einem Unternehmer und einem Politiker und vor allem keinen zwischen einem Käufer und einem Wähler.
Schon 1950 sprach er also aus, was diejenigen, die heute vor der Meinungslenkung warnen, kaum so drastisch zu formulieren wagen: »Die Massenmenschen bedürfen in ihren gemeinsamen Angelegenheiten der autoritativen Führung zur Überwindung verhängnisvoller Kausalketten, obgleich sie fast alle in dem furchtbaren Irrtum eines Selbstbestimmungsrechtes beharren und gerade mit diesem Irrtum den Mangel an Selbsterkenntnis beweisen, der sie wie Wassertropfen den Wellenbewegungen einer unmenschlichen Naturhaftigkeit überantwortet.«
Daß die Entwicklung der Meinungsbildung, die demokratische Wirklichkeit der BRD und die im eigentlichen Sinn zynische Salbaderei der Parteien seinen kalten Blick nicht erwärmen konnten, hat Domizlaff in seiner 1957 veröffentlichten Handreichung Die Seele des Staates. Regelbuch der Elite überdeutlich zum Ausdruck gebracht. Die darin vorgetragene Demokratiekritik ist so schneidend und stimmig, daß er das Buch nach massiver Intervention vom Markt nehmen mußte.
Vielleicht ist Domizlaffs ätzende, kalte Kritik daran, der Masse Vernunft und argumentative Durchdringungsfähigkeit zuzuschreiben, eine Art Moral und Hypermoral Arnold Gehlens aus der Sicht des Propagandaexperten. In Gehlens Buch geht es um die Scheidung moralischer Ebenen. Was für den Staat notwendig und geboten sei, könne mit den Maßstäben der »Hausmoral« nur als unmenschlich und pauschal bewertet werden.
Aber ein Staat, der moralisch agiere wie eine Dorfgemeinschaft, sei dem Untergang geweiht, denn er verfehle seine Aufgabe: den Willen der Nation nach Fortbestand ihrer Staatsidee zu erfüllen. Propaganda ist in diesem Sinne ein notwendiges Mittel der Staatsführung. Was Domizlaff nicht ahnte, ist, daß es einen deutschen Staat geben könnte, der diese Propagandamittel gegen das eigene Volk zum Einsatz bringen würde.