Abgedruckt sind die Seiten 15 bis 26 aus der Erstausgabe des Buches Propagandamittel der Staatsidee, das Hans Domizlaff 1932 als Privatdruck vorlegte, um im sogenannten Weimarer Flaggenstreit eine Klärung herbeizuführen. Er machte dies aus der Sicht des Werbe- und damit Propagandafachmanns. Die hier dokumentierten grundsätzlichen Abschnitte sind den sehr konkreten Vorschlägen zur Neugestaltung von Fahnen, Hoheitsabzeichen, von Behördenstil und Staatsrepräsentation auf allen Ebenen vorangestellt.
Eine wesentliche Vorbedingung für die erfolgreiche Tätigkeit einer Staatsregierung ist ihre Machtstellung innerhalb einer Volksgemeinschaft. In der Art der hierzu erforderlichen eigenen oder erborgten Machtmittel vollzieht sich offensichtlich eine Wandlung von physischen Waffen zu psychischen Waffen, von den Instrumenten zur Beherrschung der Körper zu den Methoden zur Beherrschung der öffentlichen Meinung.
Wenn auch die Notwendigkeit einer Machtzentrale als Voraussetzung immer bestehen bleibt, solange ein Gemeinschaftsleben fundamentale Probleme bedingt, so verlangt doch der Besitz der Macht heute weit mehr die freiwillige Anerkenntnis der Regierungsbefugnis einer führenden Institution, als das in früheren Entwicklungsstufen typisch einfache Zugeständnis physischer Ohnmacht und politischer Unmündigkeit der Masse.
Trotzdem ist die systematische Ausnutzung moderner Propaganda-Erfahrungen bei der Schaffung geistiger Machtmittel zur Beeinflussung großer Volksmassen in der Politik noch wenig bekannt. Die Ursache hierfür liegt in der Verkennung der Möglichkeiten und in der merkwürdig geringen Kenntnis der Massenpsyche, die für sehr viele politische Unternehmungen charakteristisch ist.
Wie überall im Leben zeigt es sich auch in der geistigen Rüstungsindustrie, daß neue Methoden nur da gefunden werden, wo die bittere Not im Kampf um die wirtschaftliche Existenz erfinderisch macht. Das ist in erster Linie im privatwirtschaftlichen Leben. Hier haben sich in den letzten Jahrzehnten Erfahrungen angesammelt, die zu einer häufigen Kritik an vielen in der Innen- und Außenpolitik üblichen Propaganda-Erscheinungen führen. Leider ist es nicht leicht, das Gebiet der modernen Beeinflussungsmittel allgemein verständlich darzustellen, denn allmählich hat die Kunst der ernsten Reklame eine weitgehend wissenschaftliche Spezialisierung erzwungen.
Dazu kommt noch, daß die meisten Menschen glauben, über die Möglichkeiten propagandistischer Beeinflussung von Volksmassen bereits genügend orientiert zu sein, ohne an wesentlich mehr als an Wahlplakate, Wahlreden und Pressenachrichten zu denken. Tatsächlich aber erstreckt sich das Gebiet der modernen Propaganda auf die Gesamtheit aller Vorgänge und Erscheinungen, die zur Bildung einer öffentlichen Meinung führen, also auf alles, was einer der Massenbeeinflussung zweckentsprechenden Formung unterworfen werden kann.
Der wichtigste Denkfehler beruht auf der Verkennung des Unterschiedes zwischen Individualpsyche und Massenpsyche. Die psychologischen Erfahrungen einzelner Menschen werden fast immer aus dem Umgang mit einzelnen Individuen gewonnen, und diese Erfahrungen haben bei der Behandlung der Massenpsyche einen sehr eingeschränkten Wert, denn die Massenpsyche besteht niemals aus einer Zusammensetzung von Eigenarten der Psyche einzelner Menschen, sondern ist etwas vollständig Neues, Andersartiges.
Der krasse Unterschied zwischen Individualpsyche und Massenpsyche erscheint dem Neuling in dem Gebiete der Reklame zuerst unverständlich und unsinnig, da sich die Massen schließlich immer aus Individuen zusammensetzen, und deshalb auch die Psyche der Menschen in Einzahl und Mehrzahl nur algebraische Verschiedenheiten zeigen sollten. Tatsächlich geht aber eine deutlich nachweisbare Veränderung in der Psyche des Individuums vor, wenn das Individuum sich als Teil einer größeren Menschengruppe oder Menschenmasse einfügt.
Die gröbsten Merkmale sind allgemein bekannt: Das »Mitgerissenwerden« innerhalb einer Massenidee, die Ansteckungsgefahr von Massenwahn, der Massenrausch usw. Dies sind Erscheinungen, denen sogar die Psyche eines sehr selbständigen Individuums soweit unterliegen kann, daß sich der betreffende Mensch nach dem »Erwachen«, d. h. nach der Loslösung aus der Masse, beinahe selbst nicht mehr begreift und die charakteristische Ausschaltung der sonst gewohnten eigenen Kritikfähigkeit unverständlich findet.
Nun gibt es nicht nur elementare, leicht erkennbare Massenpsychosen, sondern auch eine unendliche Fülle von Vergewaltigungen der Individualpsyche durch eine übergeordnete Massenpsyche, die so differenziert sind, daß das Individuum in den seltensten Fällen seine eigene Befangenheit innerhalb einer Massenidee verspürt. Die mannigfaltigen Wirkungen direkter oder indirekter Reklame für Handelswaren geben immer neue Beispiele davon, daß einzelne Individuen an die Selbständigkeit ihrer Kaufentschlüsse glauben, aber in Wirklichkeit einer Massenpsychose unterliegen. Es geschieht sogar überwältigend häufig, daß ein Käufer überzeugt ist, niemals durch Reklame beeinflußt werden zu können.
Dieser Irrtum ist erklärlich, da – besonders bei Großreklame für Massenartikel – niemals eine einzelne Individualpsyche beeinflußt wird, sondern eine gewisse Käufermasse, also eine Massenpsyche; erst auf diesem Umweg wird der einzelne Käufer erreicht, der aber als Individuum sich keine Rechenschaft über die Ursachen seiner Kaufhandlungen als Teil einer Masse ablegen kann. Dies ist der Grund für die eigenartige Erscheinung der großen Wirkung der Reklame und der geringen Wirkungserkennbarkeit durch ein Individuum.
Die Bezeichnung »Masse« darf nicht als etwas Verächtliches betrachtet werden. Große Führer neigen nach ihren Erfahrungen mit der Massenpsyche, die sehr unvernünftig zu sein scheint, oft dazu, diese Erfahrungen in Menschenverachtung umzusetzen. Jeder Mensch, auch der klügste und selbständigste Denker, wird in irgendwelchen Fällen Teil einer Masse und somit psychisch unselbständig. So kennt jeder Theaterdirektor eine bestimmte Massenpsyche, genannt »Publikum«. Dieses Publikum kann sich aus den klügsten Köpfen zusammensetzen, immer ist der Theaterdirektor versucht, diese Massenerscheinung als ein großes, durchaus nicht besonders kluges Tier zu betrachten.
Derselbe Theaterdirektor, der im Theater als Einzelindividuum selbständig einer geistig weniger wertigen Masse, dem Publikum, gegenübersteht und sich einer Überlegenheit bewußt wird, gehört beispielsweise einem Arzt gegenüber wiederum zu der großen Masse, die der Arzt seinerseits mit bewußter Überlegenheit summarisch als »Publikum« bezeichnet, wobei er die charakteristischen Merkmale der Typisierung auf einer niedrigeren Geistesstufe interessiert aus der Distanz seiner Sonderstellung zu beobachten gewohnt ist. Dem Reklamefachmann gegenüber wird auch wiederum der Arzt zum Bestandteil der dumpfen Masse herabsinken, die nur mit groben Mitteln zu Handlungen bewegt werden kann. Jeder Mensch ist einmal Individuum, einmal Teil einer Masse, und somit wechselt seine Psyche und damit sein geistiges Niveau.
Man kann den Grundsatz aufstellen, daß die Massenpsyche nach dem Zeugnis ihrer Vernunft viele Stufen tiefer steht als die Individualpsyche. Andererseits hat die Massenpsyche einen ganz erheblich größeren Instinkt für bestimmte Qualitäten als das Individuum. Der Kaufmann weiß, daß man mit Worten leicht einem Menschen falsche Meinungen aufzwingen kann, daß man aber auf längere Dauer eine Masse nicht betrügen kann.
Die Gegensätze der typischen Merkmale von Individualpsyche und Massenpsyche beruhen im wesentlichen auf graduellen Unterschieden aller möglichen Eigenschaften. Die nachstehende Aufstellung ist also nicht absolut, sondern nur als Eigenschaftsbetonung aufzufassen. Deutlich vorherrschend sind folgende Unterschiede:
- Das Individuum ist in einem gewissen Maße befähigt, nachzudenken und aus Erfahrungstatsachen Schlüsse zu ziehen. Es kann durch rechnerische Argumente und logische Schlußfolgerungen zu Überlegungen veranlaßt und überzeugt werden.
- Das Individuum besitzt ein feinregistrierendes Erinnerungsvermögen und vermag aus angenehmen und uns angenehmen Erfahrungen Lehren zu ziehen; das Individuum kann Verantwortlichkeit, Gewissen, Schuld; Bewußtsein und Reue zeigen und beweist damit die Fähigkeit zu einer, wenn auch triebhaft begrenzten, Selbstkritik und einem Sinn für Gerechtigkeit.
- Das Individuum ist einesteils materiell egoistisch und andererseits geltungssüchtig. Es ist bestrebt, innerhalb des eigenen beschränkten Lebenskreises eine anerkannte, möglichst besondersartige Rolle zu spielen. Auch der Altruismus kann häufig als Egoismus höherer Ordnung abgeleitet werden.
- Das Individuum wird mehr durch den realen Inhalt einer Rede, eines Schriftsatzes oder eines Bildes beeindruckt und weniger durch die Form. Irreale Kombinationen von Farben, Linien und Körpern lassen nur bei ausnahmsweise fein registrierenden Menschen eine Wirkung erkennen, denn das natürliche Ziel einer Vorstellungsbildung ist real. Deshalb bleiben auch Symbole, Pathos und Theatralik bei zielstrebigen Diskussionen fast immer wirkungsschwach. Der Instinkt des Individuums für große, aber nicht unmittelbar ersichtliche Tatkraft ist gering.
Hierzu als Gegensatz:
- Die Massenpsyche ist äußerst denkfaul und begreift kaum die allereinfachsten Dinge, wenn sie nicht dauernd in primitivster und leichtfaßlichster Formulierung eingehämmert werden. Rechnerische Argumente, logische Schlußfolgerungen und die unangreifbarsten überzeugendsten Darlegungen werden restlos abgelehnt, wenn sie auch nur das geringste Eingehen auf irgendwelche Gedankengänge verlangen. Alles Ermahnen, Beschwören und Warnen mit Gründen der Vernunft allein ist aussichtslos.
- Die Masse hat ein Erinnerungsvermögen nur für die fundamentalsten Erlebnisse von Not oder Genuß. Die Lehren, die die Masse daraus zu ziehen vermag, bleiben sehr fragwürdig, da kaum irgendwelche Selbstkritik vorhanden ist. Verantwortlichkeit, Gewissen, Schuldbewußtsein sind der Masse an sich unbekannt, wenn nicht eine Art Psychose durch äußere Einwirkungen entsteht, die den Schein eines Gewissens vortäuscht. Die Masse ist niemals aus sich heraus gerecht, es sei denn zufällig. Die Masse sucht stets die Schuld bei anderen, niemals bei sich selbst.
- Die Masse ist nicht materiell egoistisch und auch nicht altruistisch. Sie ist schwer berechenbar, von Stimmungen abhängig und unterliegt häufig unkontrollierbaren Einflüssen. Die Masse ist anlehnungsbedürftig und stets bereit, Verantwortung, Arbeit und Leitung irgendwelchen Führern zu überlassen. Der Geltungstrieb führt selten zum unmittelbaren Selbstbewußtsein, sondern zum Stolz auf irgendwelche Repräsentanten, die sie zu vergöttern liebt. Das mangelnde Kritikvermögen führt ebenso leicht zur sinnlosen Vernichtungswut wie zur unkritischen Verehrung, wie überhaupt der Trieb zu Extremen das Bild der Masse als ein Individuum sehr früher Entwicklungsstufe rechtfertigt. Auf das gleiche Bild führt auch der stark ausgeprägte Trieb zur Fetischbildung zurück, der den Helden und den Symbolen einer Masse eine unerhörte Bedeutung verleiht.
- Die Masse wird weit mehr durch Form und Tenor einer Rede, eines Schriftsatzes oder die Farben und Flächen eines Bildwerkes beeinflußt, als durch den realen gedanklichen Inhalt. Deshalb haben Pathos und Theatralik eine ungleich größere Kraft, die Sympathie der Masse zu erwerben, als die bedeutendsten geistigen Analysen und Erkenntnisse. Ganz erstaunlich ist der häufig sichere Instinkt der Masse für Qualität; nur ist der Maßstab sehr oft ein völlig anderer, als das Individuum anzuwenden gewohnt ist.
- Eine Masse kann alle Eigenarten zeigen, die ein von ihr vergötterter Führer besitzt oder auslöst.
Aus diesen Unterschieden kann man die Erklärung für viele Fehlschläge und Unverständlichkeiten ableiten, die immer wieder den Politiker beschäftigen, sobald er mit der Massenpsyche zu tun hat. So zum Beispiel die Unbelehrbarkeit von Massen, andererseits die Gegensätzlichkeit von Opferfreudigkeit und Dickfelligkeit; weiterhin die geringe Popularität der meisten Denker und demgegenüber die Begeisterung für Meister im Leibessport, sowie schließlich die Macht unklarer pathetischer Ideen und die geringen Erfolge der reinen Vernunft.
Jeder Beobachter kann bei Unterhaltungen mit einzelnen Individuen ganz deutlich feststellen, wann die selbständige Psyche des Individuums und wann ein Teilorganismus der Massenpsyche zu ihm spricht. Solange sich ein Gespräch in dem engeren persönlichen und vorzugsweise beruflichen Interessenkreis eines Individuums bewegt, solange wird man eine relativ selbständige Psyche bemerken. Sobald aber allgemein interessierende Themen auftauchen wie Politik, Markenartikel oder Kulturfragen, mit denen sich das Individuum nicht selbst speziell beschäftigt hat, dann kommen sofort alle Eigentümlichkeiten und Unvollkommenheiten einer Massenpsyche zur Geltung, so daß man nicht mehr glaubt, die gleiche Intelligenzstufe vor sich zu haben. Der Mensch verliert als Teil einer Masse den Intellekt des einzelnen Individuums.
Für die Anregung zur Verwendung von Propagandamitteln der Staatsidee interessiert an dieser Stelle nur derjenige Teil der Massenpsyche, der für den Zweck der Meinungs- oder Stimmungsbeeinflussung von Bedeutung ist. Hierbei muß es als erwiesen angesehen werden, daß Überzeugungsversuche mit Mitteln, die bei einem einzelnen Individuum erfolgversprechend zu sein pflegen, der Massenpsyche gegenüber zumeist hoffnungslos bleiben. Es ist zwecklos, eine Masse mit Zahlenmaterial, Sacherklärungen und zuverlässigen wirtschaftlichen Folgerungen beeinflussen zu wollen. Dagegen reagiert die Masse auf sinnfällige Schlagworte, auf Pathos, Theatralik und allenfalls auf den Tenor und die indirekt suggestive Kraft wahrheitsüberzeugter Formulierungen.
Die Form ist für die Masse wichtiger als der Inhalt. Rhythmik und Schwingungen eines Wortgebildes erfaßt der Instinkt der Masse leichter als einen gedanklichen Inhalt und folgerichtig ist auch die Sehnsucht nach einem psychischen Halt größer als Egoismus und Geltungstrieb.
Von allen Eigenarten der Massenpsyche ist das Anlehnungsbedürfnis an einen psychischen Halt (sei es an einen anerkannten Führer, sei es an eine Idee, sei es an das Symbol einer Idee oder irgendein Objekt, das sich für den tiefeingewurzelten Trieb zur Fetischbildung eignet), der den unmittelbarsten und wichtigsten Angriffspunkt zur Beeinflussung in Richtung eines einheitlichen Zieles und einer ideengebundenen Geschlossenheit bedeutet.